laut.de-Kritik

Operation am offenen Herzen. Und zwar am eigenen.

Review von

Nein, dieses Album von Kollegah und Farid Bang musste irgendwie anders heißen. Eigentlich hatten die beiden Düsseldorfer Sprücheklopfer gar kein weiteres gemeinsames Werk geplant. Man war sich im Vorfeld von "Jung Brutal Gutaussehend 3" einig, dass diese Platte halb Deutschrap in seine Einzelteile zerlegen und somit das würdige Ende eines fast zehn Jahre anhaltenden Gangster Rap-Kults manifestieren würde.

In der Tat lief es für "Boss & Banger" zunächst wie am Schnürchen. Die Box-Vorbestellungen schnellten in eine bisher nie gekannte Höhe und "JBG 3" erreichte bereits acht Tage vor Veröffentlichung mit über 100.000 verkauften Einheiten Goldstatus. Obendrein hatte das Duo während der Promophase sichtlich Spaß und erlaubte sich die ein oder andere - rein sportliche - Stichelei gegen Bushido und sein mittlerweile ehemaliges Ersguterjunge-Camp, das dann auf der Platte auch überwiegend sein Fett wegbekam. So weit, so unterhaltsam.

Der dritte Streich – in Kritiken meist als grundsolide, aber zu durchkonstruierte Wortspiel-Compilation verschrieen – hätte die Ära von Farid Bang und Kollegah dennoch zu einem rühmlichen Ende geführt. Auch wenn "JBG 3" ein Album war, von dessen geringem Einfallsreichtum schon einige Wochen nach Release kaum noch einer sprechen sollte. Bis zum 12. April 2018.

Kollegah und Farid Bang gewannen den Echo in der Kategorie "Bester Hip Hop Act national". Der Rest ist bekannt und soll an dieser Stelle nicht noch einmal vertieft werden. Nur so viel: Jener Abend ging in die Geschichtsbücher der deutschen Musikbranche ein und besiegelte in der fortwährenden gesellschaftlichen Diskussion über Farid Bangs "Ausschwitz-Line" das Aus des wichtigsten deutschen Musikpreises.

Sämtliche Medienhäuser schossen sich in der Folge und teilweise voreingenommen auf die beiden Provokateure ein. Deren sonstige Strategie, Angriff sei die beste Verteidigung, machten sich die beiden ansonsten kompromisslosen Pöbler in den Medien oder zumindest auf ihren eigenen Social Media-Kanälen anschließend nur recht halbherzig zu Nutze.

Um im Kampf Good Cops vs. Bad Cops doch noch das letzte Wort zu behalten, konnte die Antwort also nur lauten: Ein weiteres Album muss her. Dann aber bitte unter einem anderen Namen, denn der Mythos JBG soll ja nicht noch weiter angekratzt werden. Dass "Platin War Gestern" nur aus reiner Nächstenliebe zu den Fans erschien ... wer's glaubt.

Vielmehr dient die Platte im Wesentlichen einem anderen Punkt: Boss & Banger operieren am offenen Herzen. Und zwar an ihrem eigenen. Die beiden betreiben Realtalk, schildern ihre Sicht der Dinge, üben Medienschelte ("Wir zwei sind ein Bündnis for life, der Körper klar definiert / Im Gegensatz zu euerm Verständnis von Künstlerfreiheit") und frühstücken sämtliche Kritiker ab ("60-Jährige wollen uns abschieben und hören erst auf, wenn zwischen uns ein Knastriegel ist").

Ungeachtet der Tatsache, ob man Lines wie "Nackenschellen für Journalisten, dann habt ihr auch mal ein paar Verbände am Hals" gut findet, sage ich, dass es der einzig richtige Weg ist, sich in seiner Musik zu den Vorwürfen und Geschehnissen zu äußern. Genau für diesen Competition- oder Battlegedanken steht Hip Hop nun einmal. Die Protagonisten sehen das genauso: "Nur Boykotte und Zensuren, keiner der hinter uns steht / Es wird Zeit, dass Rap endlich die Stimme erhebt." Insofern stellt sich die Frage nach der Daseinsberechtigung von "Platin War Gestern" schon mal nicht.

Doch was verspricht die LP darüber hinaus? Farid und Kolle beweisen sich ein allerletztes Mal in ihren Paradedisziplinen: Dissen mit Namedropping, menschenverachtendes Pöbeln und eine Portion ureigener Humor, der mittlerweile aber immer öfter ohne Augenzwinkern daherkommt. Generell geht es diesmal noch eine Spur härter zu als zuvor.

Prominentestes Opfer aus dem Rap-Zeitgeschehen dabei: Shindy. Der wohl inzwischen Exgutejunge wird besonders von Farid gänzlich abgestraft: "Shindy verlässt die Welt als Opfer von Sexualgewalt / Man findet seinen rechten Arm im Wald / Zirca sechs Jahre Nachfall / Es geht direkt zum Staatsanwalt / Er wurde mit Chloroform betäubt / An seiner Hand nur zwei Finger wie beim Logo von The Voice."

"Aggro Düsseldorf", wie sich die beiden in "Vanderlei Silva" bezeichnen, ledert darüber hinaus auch gegen Carmen Geiss, Helene Fischer oder SXTN los. Nachhaltig beeindruckt allerdings keine der Punchlines so richtig. Natürlich hebt vor allem Kollegah seine Vergleiche hin und wieder auf ein adäquat hohes Level. Aber irgendwie hat sich das Konstrukt JBG mittlerweile einfach abgenutzt. Also lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

"Der letzte Krieg" wird hier aber ohnehin nicht zwangsläufig mit Worten gewonnen, sondern vielmehr mit den Waffen der Musik. Die Instrumentals klingen recht düster und rough und passen entsprechend zur allgemeinen Grundstimmung von "Platin War Gestern" wie die Faust aufs Auge.

Das "ewige Wahrzeichen" "Jung Brutal Gutaussehend" wird "Bis In die Unendlichkeit" ein Meilenstein in der Deutschrap-Historie bleiben. Egal, ob man es liebt oder hasst: Fans und Kritiker werden sich sicher noch auf Jahre hinweg mit den Abenteuern von Felix Antoine Blume und Farid Hamid El Abdellaoui beschäftigen. Auch wenn die Düsseldorfer mit ihrem Reibach dann längst über alle Berge sind.

Trackliste

  1. 1. Sturmmaske Auf (Gold War Gestern Remix)
  2. 2. All Eyez On Us
  3. 3. Nuklearer Winter
  4. 4. Vanderlei Silva
  5. 5. Schuldig Bei Verdacht
  6. 6. Angriff Ist Für Immer
  7. 7. Ausnahmezustand
  8. 8. G-Modelle
  9. 9. Geister, Die Du Riefst
  10. 10. Mitternacht 2
  11. 11. Tetris Mit Batzen Scheinen
  12. 12. Echo In Der Hood
  13. 13. Boss Und Banger
  14. 14. Der Letzte Krieg
  15. 15. In Die Unendlichkeit

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