laut.de-Kritik

Antidepressiva statt Wiz Khailfa

Review von

Ewig auf der Couch lümmeln, Animes gucken und Tütchen rauchen, kann selbst dem größten Stoner zu langweilig werden. So hat sich Johnny Rakete fünf Jahre nach dem Release seiner Debüt-EP "Broke Aber Dope" endlich dazu bequemt, sein erstes Full Length-Album auf die Beine zu stellen. Konträr zum Slacker-Image stellt "Trauriger Junge Mit Rauch In Der Lunge" aber keine Ansammlung von Kiffer-Anthems dar. Johnny wirft eher einen düsteren Blick auf den exzessiven Konsum.

Dabei wird schnell deutlich, dass er nicht etwa versucht, den deutschen Wiz Khalifa rauszuhängen. Vielmehr seziert er haarklein sein Leben als Twentysomething mit psychischen Problemen. Die Devise lautet 'Wieso kiffe ich so viel?', nicht 'Guck mal, wie viel ich kiffe'.

Sieben der gerade mal neun Tracks widmen sich dieser Thematik. Lediglich "Fancy" und "Seit Schumi Weg Ist" gehen in eine andere Richtung - wobei letzterer aufgrund seiner aggressiv vorgetragenen Antihaltung gegenüber der Generation Z sauer aufstößt. So ergibt sich über die Spielzeit von knapp 30 Minuten ein relativ profundes Bild der Seelenlandschaft des bayrischen Rappers, auch wenn sich dies phasenweise in musikalischer Repetition niederschlägt.

Dabei sticht dass bereits erwähnte "Fancy" aus der Menge der ansonsten misanthropisch veranlagten Songs hervor. Beflügelt von einem verträumten Beat besingt Rakete seine Traumfrau, aka den "roten Faden seines Lebens". Ganz seinem Charakter entsprechend schenkt er ihr "zwar keinen Ring vom Juwelier, aber steht ohne Ankündigung mit Pizza vor der Tür". So charmant und lebensfroh zeigt sich der Rapper leider selten.

Was nicht heißen soll, dass Johnnys abgründige Seite weniger interessant wäre. Im Gegenteil. Das kreative Ausmaß, mit dem er seine Depression beschreibt, sucht 2019 im Deutschrap ihresgleichen. Für die Beats gilt Ähnliches. Partner in Crime HawkOne baut konventionelle Boom-Bap Instrumentals mit "fetter Staubschicht auf 90BPM" und gelegentlichen verspielten Samples.

Das ist, gemessen am Zeitgeist, nicht sonderlich wagemutig, aber dennoch außerordentlich stimmig. Besonders die düsteren Synths auf "Wenn Katzen Streiten" und das "Tubular Bells"-artige Sample in der Hook von "Manchmal Pt. II" verleihen dem relativ monotonen Klangbild das gewisse Etwas.

Doch bei all der Liebe, die man der Person Johnny Rakete entgegenbringt, muss auch erwähnt werden, dass "Trauriger Junge Mit Rauch In Der Lunge" das Rad nicht neu erfindet. Man merkt der Platte an, dass der Rapper das EP-Format noch nicht ganz hinter sich gelassen hat. Denn trotz der neun Songs ist das Debütalbum irgendwie immer noch zu lang geraten: Songs wie "Einbahnstrasse" oder "Pech Und Schwefel" liefern wenig Gründe, um noch mal auf Play zu drücken.

Dennoch: Von Pokemon bis One Piece – Raketes Alleinstellungsmerkmal als nerdiger Hippie verleiht der Platte Charakter. Es sind die kleinen Gimmicks, etwa die zahlreichen Cartoon-Samples, mit denen Rakete viele Songs eröffnet, die die Platte, sympathisch machen: Und das können in Zeiten von Retorten-Trap und importierten Ghetto-Klischees nur noch wenige deutsche Künstler von sich behaupten.

Trackliste

  1. 1. 60 Leben
  2. 2. Wenn Katzen Streiten
  3. 3. Seit Schumi Weg Ist
  4. 4. 1 Oder 10
  5. 5. Pech Und Schwefel
  6. 6. Fancy
  7. 7. Einbahnstrasse
  8. 8. Manchmal Pt. II
  9. 9. Restgeld

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Johnny Rakete

"Wenn ihr beim Kiffen drei mal laut Rakete sagt, erschein' ich aus dem Nichts und rauch euch den Joint weg". In der Welt des MCs Johnny Rakete spielt …

Noch keine Kommentare