2. November 2007

Das Leben in der Post-Keeper-Ära

Interview geführt von

Das Tempo, in dem die Hanseaten neue Scheiben vorlegen, ist schon beinahe beängstigend. Vor allem, wenn man die hohe Qualität bedenkt. Denn mit "Keeper Of The Seven Keys - The Legacy" haben Helloween eine enorme Leistung gezeigt, über die man neben dem neuen Album "Gambling With The Devil" ebenfalls noch sprechen muss.Während im Hintergrund schon hektisch die Vorbereitungen laufen, um am Abend mit allen möglichen Sat1 und Pro7-Stars und Sternchen bei einem Promi-Empfang einen auf wichtig zu machen, sitzen mir Sänger Andi Deris und Drummer Dani Löble noch ziemlich entspannt gegenüber. Andi versucht schon seit ner halben Stunde nen Zigarillo zu rauchen, muss aber immer wieder bei seinem Promoter um Feuer bitten, weil ihm der Kotzbalken ob seines Redeflusses ständig wieder ausgeht.

Andi: Äh, Leute, der Mann hat nichts zu trinken, so geht das doch nicht.

Das ist bewusst so gewählt.

Andi: Leute, der Mann will nichts trinken, so geht das doch nicht.

Dann lass mich doch mal an Deinem Kaffee nippen.

Andi: Soweit kommt’s noch (lacht).

Okay, dann mal zum Wesentlichen. Wo kommt Ihr jetzt gerade her? Aus Madrid?

Andi: Nein, aus Mailand, aber von der Stadt haben wir mal wieder überhaupt nix mitbekommen. Rein, 20 Interviews, ins Bett, wieder raus, nächste Stadt, gleiche Kiste wieder. Gestern Abend durften wir endlich mal ein bisschen ausspannen. Natürlich wurde auch da das Angenehme mit dem Notwendigen verbunden, sprich man hat die ein oder andere wichtige Party besucht, obwohl das eigentlich nicht so unser Ding ist. Aber sehen lassen ist manchmal auch wichtig. Wir waren hier und da unterwegs und haben auch hier im Hotel ein paar Hände geschüttelt, weil die Hälfte des Musicbiz ja hier rumhängt. Wenn du aber den ganzen Abend nur an einem Glas Wein nippen darfst, ist das nur bedingt spaßig. Aber mit vollem Kopf willst du sowas natürlich auch nicht machen, denn nach dem Interview geht’s quasi direkt weiter nach Athen.

Euer Basser Markus hatte auf der Hammer Party aber auch ein paar Bier mehr.

Dani: Ja, aber der muss ja auch nicht weiterfliegen. Der bleibt hier, macht sich nen gemütlichen und fährt danach heim.

Lucky him. Aber mal zum Thema, wie fühlt man sich in der Post-Keeper-Ära?

Och, gut würd ich sagen. Für uns ist da jetzt auch nichts sensationelles dabei, dass wir uns in der Post-Keeper-Ära befinden. Das Kapitel ist zwar abgeschlossen, aber es ist ja nicht so, dass uns damit ein Stein vom Herzen fällt. Das hat funktioniert, war ne tolle Zeit. Das einzige, wo man wirklich davon reden kann, dass uns ein Stein vom Herzen gefallen ist, ist die neue Scheibe. Schon allein deswegen, weil da nicht so ganz klar war, was wir machen sollen und wollen. Wenn etwas funktioniert und die Leute darauf abfahren, ist man immer geneigt, da natürlich anzusetzen und so weiterzumachen. Für eine Band, die schon so lange dabei ist, war der Ausflug in die Keeper-Ära wohl erlaubt. Das hat den Leuten gefallen und war auch okay, aber dann ist glaub ich auch wieder gut.

Im Nachhinein kann mal wohl definitiv sagen, dass das ein voller Erfolg war. Aber mit so großer Sicherheit ließ sich das nun auch nicht vorhersagen. Es gab immerhin genügend Stimmen, welche die Sachen ohne Kai Hansen und Michael Kiske sehr skeptisch betrachtet haben. Das war ja bei Queensryche mit Chris DeGarmo nicht anders.

Natürlich, aber da war's der gleiche Sänger und es hat trotzdem nicht geklappt. Bei uns war es ein anderer Sänger und es hat geklappt. Was – Gott sei dank – zeigt, dass das Songwriting und die Band für den Erfolg einer Scheibe wichtig sind und nicht einzelne Personen. Wir haben, meiner Meinung nach erfolgreich, versucht, die alten Trademarks von Helloween wieder auf den Tisch zu bringen. Diese langen, vertrackten Songs mit mehreren Stimmungswechseln und den unterschiedlichen Atmosphären. Keine wusste mehr, dass wir das überhaupt noch können. Auch wir selbst mussten uns das erst mal wieder beweisen, dass wir das als Musiker noch drauf haben. Und es macht ja auch verdammt viel Spaß. Klar ist das viel Arbeit und kostet jede Menge Schweiß und Tränen. Nen 15 Minuten-Song schreibste nicht in ner Stunde, aber es ist einfach geil, den dann zu hören und zu spielen. Vor allem auch noch mit einer Story wie in "King For A Thousand Years". Da ist einfach jeder von uns Stolz drauf.
Für das neue Album wollten wir es aber vermeiden, krampfhaft etwas ähnlich Mächtiges auf die Beine zu stellen. Dann lieber hau druff und Schluss (lacht).

"Es ist der Hammer, wenn die Leute schon beim Intro schreien."

Wie habt Ihr die Reaktion auf die neuen Keeper-Songs denn live erlebt?

Andi: Stellenweise waren die Leute richtig euphorisch, aber es gab auch einige Stimmen, die uns vorgeworfen haben, dass wie so vermessen waren, direkt mit dem längsten Song von "The Legacy" anzufangen. Die meinten dann, dass es ihnen zwar sehr gut gefallen hätte, aber das wäre schon ganz schön großkotzig, direkt mit diesem Song anzufangen.

Dani: Was daran auch immer großkotzig sein soll ...

Andi: Wenn man das so sehen will, bitte. Ich hab das eigentlich immer nur als sehr selbstbewusst betrachtet, denn wir wissen nun mal, dass das ein toller Song ist, dass wir ihn spielen können, also hier, bitte, habt ihr ihn.

Dani: Das war einfach immer ein gigantisches Feeling, mit dem Song anzufangen. Das ist der Hammer, wenn die Leute schon beim Intro schreien und den Text mitsprechen. Wenn die Band dann loslegte, sind die Leute total ausgerastet, das war einfach der Wahnsinn und ich vesteh beim besten Willen nicht, was daran großkotzig sein soll.

Andi: Frech war's vielleicht schon, aber ich fand das einfach klasse, wenn du nach über 15 Minuten zum ersten Mal sagst: "Hallo, wir sind’s!"

Das hat schon was. In einem Club ist so was auch immer cool, aber auf Festivals ist das schon wieder ne andere Sache. Ihr habt fünf Leute auf der Bühne, von daher könnt Ihr schon für Unterhaltung sorgen, aber es fällt mir auf Festivals immer wieder auf, dass Bands mit überlangen Songs nie überragend abschneiden.

Andi: Da können wir direkt bei "King For A Thousand Years" bleiben. Du hast in dem Song einfach alle erdenklichen Parts und Tempiwechsel. Da gibt’s die Doomparts, dann wieder Sachen wo die Leute voll mitgehen, ich glaub eigentlich nicht, dass da Langeweile aufkommt. Vor allem mit den ausgedehnten Soloparts, da hab ich natürlich die Möglichkeit den Leuten mal Hallo zu sagen und ein wenig in die Gegend zu grinsen.

Für das neue Album habt Ihr schon während der letzten Tour kräftig Songs geschrieben?

Andi: Stimmt, deswegen haben wir "Gambling With The Devil" auch so schnell fertig bekommen. Wir standen nach der Tour alle da und irgendwer meinte: "Ich hab hier ne CD mit Songs und Ideen." - "Was, Du auch?" Jeder hatte irgendwie was und bei der ersten Listening-Session waren zwei Drittel des Albums eigentlich schon fertig (lacht). Zwei Monate später haben wir dann auch schon wieder losgelegt und es kamen bei den Aufnahmen noch zwei, drei wichtige Songs dazu. Vor allem war natürlich von Vorteil, dass wir uns auf recht kompakte Nummern konzentriert hatten. So konnten wir schnell neues Material nachlegen. Da sind ja auch ein paar knochenharte Nummern dabei und das hat einfach richtig Laune gemacht.

Angetestet habt Ihr von den Songs auf der letzten Tour also noch nichts?

Dani: Nein, da stand ja noch kein einziger Song wirklich so wie sie heute sind.

Andi: Wir haben auch erst im Studio und Proberaum gesehen, wie und ob einzelne Songs funktionieren. Bei einiges Sachen, die wir im Studio gemacht haben, waren wir echt der Meinung, dass das live nie so wirklich klappen kann und auf einmal macht es BANG und die Sache läuft einfach. Andere, die wir als echte Livesongs eingestuft hatten, haben sich dann aber eher als weniger sinnvoll erwiesen und sind folglich aus der Setlist geflogen. Zum Beispiel "Perfect Gentleman" zur letzten Tour. Das haben wir angetestet, aber irgendwie hat das nicht so ganz hingehauen und wir haben den Song wieder gestrichen. Bevor wir uns da dran tot proben, nehmen wir eben einen anderen. Wir sind ja in der glücklichen Situation, den ein oder anderen Song in unserem Fundus zu haben, auf den wir ausweichen können (lacht).

Wie kommt Euer Label eigentlich dazu, "Paint A New World" als typischen Helloween-Track zu bezeichnen? Der Song ist auf jeden Fall geil, aber typisch Helloween?

Andi: Doch find ich schon. Der Track hat den Spirit von "Walls Of Jericho" oder "Better Than Raw" und geht mächtig ab. Ich kann das schon nachvollziehen. Dein Vorgänger meinte gerade, dass das für ihn "Walls Of Jericho" mit einem 2007er Sound und der Härte und Melodieführung von "Better Than Raw" wäre. Und von daher biste schon bei nem typischen Helloween-Song.

Das ist richtig. Der Song gibt halt ordentlich auf die Fresse. "Hau drauf und Schluss", wie schon meintest.

Andi: Eben. Mit den "Keeper"-Sachen hat das natürlich nicht viel gemein, aber mit "Walls Of Jericho" oder "Better Than Raw" doch schon.

Arbeitsmotto: Balladen vermeiden!

Die erste Single ist "As Long As I Fall." Das klingt für mich so ein bisschen nach: "Es ist nicht der Fall der dich tötet, sondern der Aufprall".

Andi: Der Titel und auch der Text sind mir beide auf Tour einmal in den Sinn gekommen. Und zwar war das einer dieser miesen Momente, als ich bei unserem alten Label (Sanctuary, d.Red.) versucht habe, jemanden zu erreichen. Wir haben uns erst gerade auf Tour darüber unterhalten, wie geil das bei unserem neuen Label ist. Bei unserem neuen Management kann ich im Büro anrufen und mich über irgendwas beschweren. Dann ist da einer da der sagt: "Oh, sorry, hab ich verbockt. Ich kümmer mich drum." Und damit ist die Sache erledigt. Bei unserem alten Label hast du angerufen und da hat dann der eine auf den nächsten verwiesen, der gar nicht wusste um was es geht und natürlich für was ganz anderes zuständig war. Da wurdest du eine Stunde im Kreis vermittelt, bis du vollkommen desillusioniert aufgelegt hast und dir dachtest: "Ok, dann muss ich wohl den Fehler gemacht haben ..." Das ist bei SPV einfach ganz anders und das ist einfach geil.

Und durch sowas kommst du auf so einen Text???

Andi: Ja, das war einfach das typische Bild für mich. Solange ich mich im freien Fall befinde und einfach nur immer weiterleite ist alles in Ordnung. Ich kann ja nix dafür, das war ein anderer. Das ist für mich wie ein freier Fall, aber irgendwann schlägst du auf, du Arsch und dann bekommste die Fresse voll. Also jetzt nicht Du, aber Du weißt schon was ich meine (lacht). Aber der schlägt nie auf, denn dann müsste er ja die Verantwortung übernehmen und nicht immer nur auf einen anderen verweisen. Solche Jungs befinden sich Zeit ihres Lebens im freien Fall und jeder ist es gewesen, nur sie selbst nicht.

Ich hatte das eher so verstanden, dass man sich zwar bewusst ist, dass es mit dem eigenen Leben rasant bergab geht, aber solange man noch nicht aufschlägt, lässt sich’s damit gut leben. So nach dem Motto des Mannes, der vom Dach springt und beim zweiten Stockwerk sagt: "Bis jetzt ging's gut."

Andi: Jahaha, das passt durchaus auch und das klingt in dem Text auch mit an, aber die eigentlich Grundidee ging eben von dem Ärger mit dem Label aus. Der Song hat sich quasi wie von selbst geschrieben, nachdem der Refrain erstmal stand. Der Text hat sich daraus einfach gefolgert und die Musik ist auch nur so aus mir herausgesprudelt. Dabei hab ich auf die Art und Weise zuvor noch nie komponiert! Ich hatte zuerst den Text, dann die Gesangsmelodie und der Rest wurde draußen rum gebaut. In dem Fall war tatsächlich das Ei zuerst und nicht das Huhn.

Die Melodie im Refrain klingt aber sehr positiv für ein solches Thema.

Andi: Stimmt, aber auch das war beabsichtigt. Wenn wir uns in der Situation des freien Falls befinden, dann leben und kosten wir das ja auch voll aus. Du bist dann ja nicht demütig und setzt dich hin und hältst die Fresse. Man macht dann viel lieber aus der Not ne Tugend und lässt es erst richtig krachen. Man belügt sich dann ja auch selbst und fühlt sich einfach sicher und unantastbar. Es passiert ja immer nur den anderen ... In den Strophen geh ich allerdings schon wieder zurück zum Ernst der Lage und nenn die Dinge beim Namen.

Dazu gibt es ja auch schon ein Video.

Andi: Richtig. Das war aber vor allem am PC jede Menge Arbeit, denn das Ding besteht ja zu einem Großteil aus Animationen. Alles um uns rum fliegt weg, ein ganzer Berg wird abgetragen und irgendwann sind sogar wir weg. Allerdings klatscht keiner irgendwo auf.

Ooch ...

Andi: Na vielleicht bringen wir ja noch ne Splatter-Version des Videos raus, wo's uns in der letzten Sekunde in alle Einzelteile zerlegt. (lacht)

Das wär doch mal was. Aber um bei typisch Helloween – in dem Fall wohl eher untypisch - zu bleiben: Wie kam es denn zu einem Stück wie "Fallen To Pieces"?

Andi: Naja, das war einfach der Versuch, sehr epische Linien mit typischen Helloween-Parts zu verbinden. Da spielte auch ein wenig die Aversion einer Ballade gegenüber rein. Der Song hätte ohne weiteres eine Ballade werden können, aber das musste eben auch nicht zwingend sein. Wir haben extra eine sehr reduzierte Strophe, diesen bombastischen Refrain und einfach noch sehr viele Ausflüge in alle Richtungen. Wir wollten es eben vermeiden, daraus nur eine Ballade zu machen.

Hattet Ihr den Song auch schon in eine andere Richtung ausgearbeitet, wenn Du sagst, dass es auch eine Ballade hätte sein können?

Dani: Ja, das Hauptthema hatten wir schon mal in diese Richtung angedacht und ausgearbeitet. Das hat uns allerdings recht bald nicht mehr sonderlich glücklich gemacht und so wie er jetzt dasteht, gefällt er mir auch ausgesprochen gut. Eben weil er nicht gerade typisch ist.

Und was habt Ihr zu einem Bubblegum-Song wie "Can Do It" zu sagen?

Andi: Das ist genau das, was Weiki wollte. Er wollte nen schwulen Rubbertitel haben, worüber man sich unterhält und jetzt hat er seinen schwulen Rubbertitel. Er wollte einfach einen Funsong haben und den hat er eben bekommen. Ich hab das aber nicht auch noch comedymäßig gesungen, denn wenn ich das auch noch getan hätte, wär es sicherlich zu viel des Guten gewesen. Das ist auf jeden Fall ein cooler Auflockerer an der richtigen Stelle, denn wenn wir nach "I.M.E." direkt in "Dreambound" gegangen wären, das wäre harter Tobak gewesen. (Immer noch besser, als der "Can Do It"-Scheiß, d.Verf.) Du brauchst einfach mal n Aufhorcher, wo du sagst: "Was'n das für’n Kack?" Sowas brauchst du doch manchmal und ganz ehrlich, ich liebe den Song. Am Anfang dachte ich erst: Boah Weiki, du bist nicht ganz dicht. Aber jetzt fertig aufgenommen und an der Stelle, wo er kommt, passt er einfach hin.

Das Herzstück der Scheibe ist ohne Frage der Dreiteiler. "Bells Of The Seven Hells". Von der Sieben kommt ihr irgendwie nicht los, oder?

Andi: Ja gut, dabei geht es halt auch um die sieben Todsünden und damit landest du am Schluss einfach immer wieder bei der Sieben. Es geht eben darum, dass man irgendwo mal einen Schlussstrich zieht. Egal ob das eine Nation ist, ein Land oder du bei dir im stillen Kämmerlein. Dann werden die Glocken geläutet und es muss sich was ändern und zwar radikal. In dem Dreiteiler hab ich mir mal erlaubt, mich auch mal über meine Gedankenwelt zu äußern und da ist die deutsche Historie wichtig gewesen. Als Nachkriegsgeneration, die mit der ganzen Scheiße eh nichts mehr am Hut hat, sich aber dennoch damit beschäftigt. In dem Dreiteiler geht es ein wenig um die deutsche Nachkriegszeit. Ich beschreibe einfach, was passiert wenn man nur dem folgt, der am lautesten schreit. In "Falling To Pieces" geht es anschließend darum, was man davon hat und was daraus erwächst und wie alles am Boden und zerstört ist. Auch du, deine Ideologie und alles, an das du geglaubt hast. In "I.M.E." geht es schließlich darum, zu wissen wer mal selber ist und was man erreichen will. Es geht nicht darum, immer auf die Leute in Führungsposition zu hören, sondern sich eigene Gedanken zu machen. Das ist auch gar nicht politisch gemeint, es geht einfach darum: "Hirn einschalten, selber denken."

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