laut.de-Kritik

Ausflug in der Trap mit Popcorn und Familienticket.

Review von

Ich möchte einen neuen Begriff vorschlagen. Ihr habt vielleicht schon vom Phänomen der Flanderisierung gehört: Das meint, wenn ein Charakter (z.B. Ned Flanders aus den Simpsons) von einem vieldimensionalen Charakter mit markanten Attributen im Laufe eines popkulturellen Prozesses auf ein Attribut heruntergebrochen wird, bis er nur noch eine Parodie seiner selbst ist. Praktischer Begriff, sieht man immer wieder.

Was ich meine, wäre damit sehr verwandt. Ich würde es die Snoop Dogg-isierung nennen. Angenommen, da ist eine Kunstfigur oder ein Künstler, der eigentlich für seine ziemlich finstere Art und eine glaubhafte Bedrohlichkeit berühmt geworden ist. Und dieser Künstler geht aber immer weiter in den Mainstream, bis er so sehr durch den Popkultur-Zirkus geschleppt wurde, alberne Videos, Fernseh-Auftritte, Popsong-Features, dass er zwar textuell noch der Typ von damals ist, aber man ihn irgendwie mehr wie so einen drolligen Onkel wahrnimmt, fast schon ein bisschen knuffig.

Was ich sage will, ist: Future war mal die gottverdammte Finsternis. Er war kein Gangster oder ein Drogendealer, seine Rapper-Person war eher so etwas wie ein Dämon im biblischen Sinne. Er hat quasi auf sich genommen, alle Untiefen und Abgründe der Trap-Welt als Avatar zu verkörpern – und war dadurch mal grausam, mal komplex. Aber jeder, der Songs wie "Codeine Crazy" gehört hat, weiß, wie viel Schmerz, emotionale Tiefe und teils auch Lyrik in diesem Kerl stecken. Klar, da war immer ein gewisser Witz und Pop an ihm - aber das waren nie seine primären Eigenschaften.

Spätestens seit "I Never Liked You", in dem er seinen Charakter von damals nur noch als drolliges Meme verkörpern wollte, ist er im Grunde kaum noch mehr als eine Brand. Und damit passt er auf seinem neuen Album "We Don't Trust You" ganz ausgezeichnet zu Metro Boomin, dessen größte Anerkennung als Produzent ihm in seiner kreativ blassesten Ära zufällt. "We Don't Trust You" ist kein schlechtes Album per se, es hat ein paar durchschlagenden Höhen. Aber trotzdem bleibt das Gefühl zurück, wir haben es mit einem Popkornkino-Simulacrum dessen zu tun, was diese beiden Artists eigentlich mal geil gemacht hat.

Kurz vorweg, die Hochpunkte: Man merkt, dass sich immer besonders reingehangen wird, wenn Features auftauchen. Diese Rampe auf "Type Shit", in der Travis Scott einen ausgedehnten Pre-Chorus abliefert, so gut klingend, wie lange nicht, bevor Future und Playboi Carti sich kurz abwechseln, dann Carti über Glocken wie aus Dark Souls 2: Großartig. Atlanta Excellence. Rick Ross bringt über Chipmunk-Soul ein bisschen "Devil In A New Dress"-Funkeln zurück. Und wenn Kendrick unangekündigt mit einem Verse den Rap-UN-Krisenstab einberufen lässt, fühlt sich das wie ein Großereignis an – vor allem, weil der Synth-lastige Beat und Future davor definitiv bitterkalt klingen.

Ansonsten gibt es vereinzelte Momente, die starke Grooves einfangen: Die zweite Hälfte von "Ice Attack" pumpt, "Running Out Of Time" gibt so den einen Moment, in dem Future kurz davor scheint, wirklich emotional zu werden und "Magic Don Juan (Princess Diana)" geht vor dem Beatwechsel ziemlich Stier.

Aber hier zeichnet sich schon eins der großen Probleme ab, und das liegt bei Metro. Der hat eine ganz neue Facette an Artistry an sich gefunden, diese extrem cineastische, großflächig-ambitionierte Musik zu machen. Und besonders auf den ersten zwei Tracks zeigt sich, dass dieser Ansatz Bullshit ist. "We Don't Trust You" und "Young Metro" sind Songs, gespickt von Anfang bis Ende mit pseudo-epischem Kladdaradatsch, Interludes, Skits, Fanfaren, Funkel, Funkel, Glitzer, Glitzer.

Es hilft halt nur alles nichts, weil die Songs deswegen trotzdem nicht aus dem Tran kommen und Future gelangweilt wie Sau klingt. Metro scheint mit steigender Ambition einen Druck zu verspüren, "mehr" als "nur" Trap-Beats zu liefern. Den ganzen verdammten Zirkus aufzufahren. Aber das Ding ist doch: Die Trap-Beats sind seine Kunst. Es gibt hier geile Momente, aber seine absoluten Homeruns, das waren Stripclub-Erdbeben und keine Einlaufmusik für ein CGI-Raumschiff. Am allerschlimmsten sind die ständigen Beatswitches. Seit man gemerkt hat, dass man Leute leicht damit beeindrucken kann, zwei generische Beats abrupt ineinander überzuleiten, gibt es so viele Songs, die diesen Flash-Effekt über gute Einzelteile stimmen. Besonders frustrierend, weil auf diesem Album oft eins der Teile gut und die anderen sehr durchschnittlich daherkommen. Das klingt dann kurz cool, hilft aber auf lange Sicht gar nicht.

"We Don't Trust You" wird aller Voraussicht nach Futures bis dato größtes Albumdebüt sein – und es gibt schon Sinn, dass das der Punkt ist, an dem viele den Zugang zu ihm finden. Formell ist viel von seinem Reiz ja noch vorhanden: Er slidet auf den Beats, hat einen sehr harmonischen Flow, es gibt diese eisigen Momente, die sich nach Großereignis anfühlen. Es fühlt sich an wie etwas, das am Nexus der Rapmusik grummelt. Und lieber clean und ambitioniert als clean und ambitionslos, so ist's ja auch nicht.

Aber genau wie Snoop nie wieder an den Punkt gekommen ist, an dem er sich glaubhaft Amerikas gefährlichsten Typen hätte nennen können und durch den "Doggystyle" mal wirklich Anti-Establishment war: Genauso werden Future und Metro nicht mehr an den Punkt kommen, wo sie zwischen "Monster" und "DS2" das Hirn, das Herz und der Motor des Trapgenres waren. Das hier ist im guten wie im schlechten Sinne Popcornkino. Es hat aufregende Momente. Aber all die schnellen Schnitte, der CGI und die Pauken und Fanfaren überdecken nicht, dass das ein relativ oberflächliches Album bleibt.

Trackliste

  1. 1. We Don't Trust You
  2. 2. Young Metro (feat. The Weeknd)
  3. 3. Ice Attack
  4. 4. Type Shit (feat. Travis Scott & Playboi Carti)
  5. 5. Claustrophobic
  6. 6. Like That (feat. Kendrick Lamar)
  7. 7. Slimed In
  8. 8. Magic Don Juan (Princess Diana)
  9. 9. Cinderella (feat. Travis Scott)
  10. 10. Running Outta Time
  11. 11. Fried (She A Vibe)
  12. 12. Ain't No Love
  13. 13. Everyday Hustle (feat. Rick Ross)
  14. 14. GTA
  15. 15. Seen It All
  16. 16. WTFYM
  17. 17. Where My Twin @

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9 Kommentare

  • Vor einem Monat

    Kann die Wertung verstehen, für mich dennoch 4/5. Das Album ist einfach für mich die Definition davon was Trap ausmacht. Bloß die ganz großen Highlights fehlen irgendwie. Dafür gibt's aber auch so gut wie keine Filler. Finde die Schwäche des Albums liegt aber bei Metro und nicht bei Future. Im Grunde klingt das Album wie Heroes and Villains von Future allein. Hab irgendwie schon erwartet dass das Album in die Richtung geht. Hätte mir bei der Combo trotzdem mehr DS2 artigen Sound in moderner gewünscht. Future bleibt aber weiterhin on point und liefert peak trap Melos und parts ab. WDFYM und Fried sind Songs die einfach zeigen warum er weiterhin Goat dieses Subgenres ist. Nur die cineastischen Note der Beats sorgen dafür dass das ganze irgendwie gleichförmig und glatt klingt, teilweise. Wobei ich nicht zustimme ist dass man Future die Texte nicht mehr abkauft. Zumindest für mich. Aber eigentlich auch rein objektiv. Nahezu jeder Rapper in Atlanta, egal welcher Größe ist mit irgendwelchen Gangs connected oder hat weiterhin Kontakte. Bestes Beispiel Thugger. Gerade bei FUTURE gehe ich nicht davon aus dass er sein „altes Leben" einfach so den Rücken zu gedreht hat seit dem Fame einfach das High Life lebt. Der ist da immer noch genauso drin wie vor 15 Jahren und hat das ja auch mehrmals in Songs thematisiert. Auch wenn vieles überzeichnet sein mag ist dass ja jetzt kein Image Rap oder so. Aber man kann Future auf dieser Straßenebene nicht mit einem Snoop Dogg vergleichen. Will damit nicht mal sagen das wäre was positives aber mich hat seine Einstufung in der Review hier schon etwas überrascht. Btw zum Album, glaube nicht dass es großartig viele neue Hörer generieren wird. Future ist erfolgstechnisch seit 2015 immer weiter gewachsen und hatte ne Menge internationale Hits.

  • Vor 30 Tagen

    Also für das Album spricht mal grundsätzlich, dass es gut unterhält. Ich habe es mir nun sicher 4mal gegeben, ohne dass es langweilig wurde.

    Lobenswert ist auch, dass sie nicht nur das Prodigy Interview über das Album gestreut haben, sondern manche der Beats durchaus eine Mobb Deep artige Atmosphäre ausstrahlen. Also nicht nur die Quiet Storm Interpretation.

    Future sammelt bei mir durch die Shoutouts an DJ Screw und die Screwed Up Click zusätzliche Bonuspunkte.

    Wobei ich bei dem Kerl immer das Gefühl habe, dass er eigentlich nur 4-5 Verses hat, deren Zeilen er jedesmal nur neu anordnet. Wobei er schlau genug ist so einen Kasper wie Playboy Carti auf den Track zu packen sodass man doch wieder Gewahr wird, dass Future im Trap doch noch einer der fähigsten Rapper ist.

    Eventuell ist das Album stellenweise etwas repetitiv. Wobei man immerhin nicht klar sagen könnte, welcher Track nun verzichtbar wäre.

  • Vor 30 Tagen

    Bin da vorsichtig mit einer kurzfristigen Bewertung. Für mich sind es die Details, die die Qualität der Songs ausmachen werden. Metro ist einfach viel mehr als Trap Beats. Die verkörpern Musik im Rap Genre und es geht weiterhin um das übergeordnete Ziel "Musik" zum machen in deren Vibe und Interpretation. Wie die Ausländer die Beats nehmen und treffen, on some other Shit. Type Shit hat mindestens drei Soundsignaturen(Fäden), die am Ende zusammengezogen werden wie diese Godfather Hand.