laut.de-Kritik

Weihnachten ist wie Fußball oder Pornografie.

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"Zu Weihnachten habe ich eine ähnliche Meinung wie zu Fußball oder Pornografie: Das Prinzip ist in Ordnung, aber die volkstümliche Realität ist mir ein Gräuel. Möge dieses Album einer Verbesserung des Images von Weihnachten dienen." Soweit Max Goldt (Foyer Des Arts) zur neuen Erdmöbel-Platte. Ganz so neu ist die Scheibe bei näherer Betrachtung jedoch nicht. Seit einigen Jahren veröffentlicht die Band ihr sogenanntes Jahresendlied im Netz. Jetzt gibt es diese bei Fans kultisch verehrten Songs zum Thema Winter und Weihnachten im Handel. Samt einer Hand voll neuer Ergüsse.

Vor einigen Jahren hatten Erdmöbel einen kurzen medialen Popularitätsschub. Das Strohfeuer ist mittlerweile längst erloschen. Zurück in der angestammten Ecke des ewigen Geheimtipps bieten sie unbeirrte Kauzigkeit in herausragenden Texten zu ansprechender Musik ("Kung Fu Fighting"). Das "Geschenk" bietet hier erstmals die eine oder andere Ausnahme.

Das Versprechen der LP: Alle Christmas-Rituale unserer entfremdeten Werbejingle-Gesellschaft sollen ihr Bioladen gestähltes Fett abkriegen. Dazu servieren die mittlerweile in Köln ansässigen Särge (Erdmöbel = DDR-Slang für Sarg) den gewohnten Mischmasch aus 60ies-Easy Listening Pop mit ein paar eingestreuten Liedermachereien. Mit dem Opener "Goldener Stern", den sie auch als Single auskoppeln, gelingt gleich ein hitverdächtiger Ohrwurm. Dennoch bleibt vieles im Ansatz stecken und verliert schnell an Charme.

Das große Plus bleibt zwar die Erdmöbel typische Warmherzigkeit in Wort und Zeile. Doch diese Stärke ist durch Überdosierung auch ihre Schwäche. Nahezu alle Tracks bekommen eine die Ironie abfedernde Extraportion Knuffigkeit ab. So bleibt jeder Aspekt, den sie aufs Korn nehmen konstant für die ganze Familie genießbar. Trotz aller Sprachgewandtheit tuckern die Stücke in ihrer Harmlosigkeit vor sich hin wie eine Ben Stiller-Komödie. Eine angezogene Handbremse nach der anderen.

Am Ende wirkt das Ganze weder bissig noch romantisch, sondern unausgegoren. Musikalisch ist das Bild leider ähnlich unentschlossen. Die meisten Songs nach "Goldener Stern" bieten filigran gespielte Popmusik für die gehobene Indie-Nase, deren Melodien und Arrangements den Freund früherer Großtaten ("Erste Worte Nach Bad Mit Delfinen", 1999, "Altes Gasthaus Love", 2003) jedoch nicht hinter dem Weihnachtsbaum hervorlocken.

Eine schöne Ausnahme mit ihrem guten alten, etwas spröden Charme gibt es zwischendurch mit "Ich Wollte, Die Welt Ginge Immer Bergab (Weihnachtsversion)". Das Bassmonster im gehauchten Marschrhythmus macht extrem Laune. Endlich mal unkoventionelle Lyrics, an deren Gesang man sich kaum satt hören kann. Mit Abstand das beste Lied auf der CD.

Doch leider bleibt es dabei. Hernach geht es weiter mit der ungewöhnlich karnevalesken Sauflied-Polka "Muss Der Heil'ge Nikolaus Sein", ein fieser Zwilling vom Tote Hosen-Klassiker "Bommerlunder". Doch der schlimmste Moment steht noch aus: Erdmöbel covern Wham!s "Last Christmas". Die biedere Zimmerpflanzen-Ironie ihres deutschen Textes kann das schlimmste Konsenslied aller Zeiten nicht ein bisschen retten. Schlussendlich erstickt diese Platte am eigenen Lametta, aber taugt als Geschenk für die Schwiegereltern.

Trackliste

  1. 1. Goldener Stern
  2. 2. Fräulein Frost
  3. 3. Weihnachten in Tamariu
  4. 4. Ding Ding Dong (Jesus weint schon)
  5. 5. Rakete Zwischen Den Jahren
  6. 6. Russisch Brot (Weihnachtsversion)
  7. 7. Lametta
  8. 8. Ich Wollte, Die Welt Ginge Immer Bergab (Weihnachtsversion)
  9. 9. Muss der heil'ge Nikolaus sein
  10. 10. Der Letzte Deutsche Schnee
  11. 11. Erster Erster (Silvesterversion)
  12. 12. Weihnachten (Last Christmas)

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