laut.de-Kritik

Das 'Idol' verbiegt sich nicht nur, sondern knickt komplett ein.

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Der Mensch ist habgierig und maßlos. Höher, schneller, weiter, der Erfolg steht immer an erster Stelle; und sei es nur der kleine und persönliche, für den sich außer einem selber niemand interessiert. Erfolg ist wichtig im Leben. Chris Daughtry hat auch Erfolg – ziemlich großen sogar. Millionen verkaufte Tonträger, Hits am Fließband und jede Menge Kohle auf dem Konto sprechen eine deutliche Sprache.

Die Privilegien eines elitären Rockstars verdiente sich der ehemalige American Idol-Teilnehmer mit einer Vielzahl von massentauglichen Radiorock-Dreiminütern, denen selbst engstirnigste Musikpolizisten hin und wieder etwas abgewinnen konnten. So weit, so gut. Der abendliche Blick in den Spiegel dürfte dem Softrocker bis vor kurzem nicht schwer gefallen sein. Doch die unbändige Gier nach mehr fordert anno 2013 einen hohen Preis – nämlich das komplette Rückgrat des Protagonisten.

Dieses tauscht er mit "Baptized" gegen ein Allerweltskorsett ein. Sicher, für amtlichen Rocksound braucht man nicht zwingend ein Arsenal an Bratgitarren. Mit schunkelnden Foxtrott-Rhythmen, aufgeschäumten Synthie-Schwaden ("Baptized") und eingestreuter Retorten-Distortion ("I'll Fight") im Verbund mit peinlichsten Teenie-Reimen ("Battleships") hat sich aber noch keiner an die Pforten der Rock'n'Roll Hall Of Fame gewagt - zumindest nicht bis heute: "Das neue Album ist definitiv etwas poppiger ausgefallen. Es atmet aber immer noch den Spirit des Rock'n'Roll", so der Verantwortliche im Vorfeld der Veröffentlichung.

Hallo? Geht's noch? In welchem Universum gehen mit Plaste überzogene Fahrstuhl-Nervensägen wie "Waiting For Superman", "Wild Heart" oder "Witness" als Rocksongs durch? Man stelle sich nur mal vor, Adel Tawil würde den Titeltrack seines neuen Albums in der Rock-Schublade parken, nur weil er dort für einen kurzen Moment in alten Crossover- und Grunge-Erinnerungen schwelgt. Chris Daughtry scheint das irgendwie anders zu sehen. Was Bono, Gene Simmons und Co wohl dazu sagen würden ("Long Live Rock & Roll")?

Chris Daughtry verbiegt sich auf seinem neuen Album nicht nur – er knickt förmlich ein. Mit einem bis ins letzte Detail durchkalkulierten Sound-Paket, mit dem nicht einmal ein Jon Bon Jovi auf Kurier-Tour gehen würde, verpasst der Verantwortliche auch seinem letzten verbliebenen Eigenständigkeits-Schatten eine schallende Ohrfeige.

Hier drehen sich eine dreiviertel Stunde lang schwülstige Hitradio-Strukturen im Kreise, die selbst die Schaudersound-Tiefpunkte der Herren Chad Kroeger, Alex Band und Samu Haber in den Schatten stellen. Es lebe der Erfolg. Der Preis spielt schließlich keine Rolle. Auweia.

Trackliste

  1. 1. Baptized
  2. 2. Waiting For Superman
  3. 3. Battleships
  4. 4. I'll Fight
  5. 5. Wild Heart
  6. 6. Long Live Rock & Roll
  7. 7. The World We Knew
  8. 8. High Above The Ground
  9. 9. Broken Arrows
  10. 10. Witness
  11. 11. Traitor
  12. 12. 18 Years

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