laut.de-Kritik

Die Koksticker auf dem Olymp.

Review von

Das Virginia Beach-Dream Team, bestehend aus den Brüdern Malice und Pusha T am Mic und Pharrell an der Produktion, das für den zeitlosen, wahnwitzig kreativen und gleichzeitig eiskalt präzisen Meilenstein "Hell Hath No Fury" verantwortlich zeichnet, ist zurück. Da liegt die Messlatte folglich hoch. "Back up on my high horse, it's chariots again / put the ring back on her finger, marry it again": Nach Malice' extrem starken Back im Game-Part auf "I Pray For You" war ich aber sowas von fucking hyped für das neue Clipse-Album.

Wobei man sich im Vorfeld schon fragt, was für eine Mischung das werden soll: Malice hat die letzten 15 Jahre weitestgehend unter dem Radar der musikhörenden Öffentlichkeit als No Malice christlich inspirierten Rap gemacht und haderte mit seiner früheren Pusher-Persona. Pharrell ist eine lebende Legende, leidet vermutlich an schwerem Gelddurchfall und kommt mir spätestens seit seinem Lego Franchise-Tie In-Biopic so vor, als wäre ihm alles scheißegal.

Und in Bezug auf Pusha T, der meiner Meinung nach ernsthafter Kandidat für jede seriöse Top 10 Of All Time-Liste sein muss, stellt sich auch als Fan die Frage, ob ihm seine thematische Begrenztheit nicht irgendwann kreativ zum Verhängnis wird bzw. ihm die vielschichtigen Metaphern für Kokain nicht irgendwann ausgehen.

Jedoch machen die Brüder direkt zu Beginn des Albums mit "The Birds Don't Sing" einen thematisch und emotional großen Sprung: Ein Song für und an ihre verstorbenen Eltern, mit dem sie einen auf jeden Fall kalt erwischen, wenn man einfach nur mit einem weiteren Clipse-Album gerechnet hat. Besonders weil der Track grandios geglückt ist.

Man hört in Pusha Ts Part an die Mutter Schwere, Reue, Schmerz und die Dankbarkeit heraus. "You even told Dad you wished y'all never splitted / see, you was checking boxes, I was checkin' my mentions / sayin' you was tired but not ready to go / basically was dying without letting me know". Bei Malice' letzten Worten an seinen Vater, "You told me that you loved me, it was all in your tone / 'I love my two sons' was the code to your phone, now your gone", habe ich geweint.

Beide formulieren ganz direkt, zärtlich und verletzlich, ohne dabei ihre Gravitas aufzugeben. Pharrell zeigt bereits hier, dass er sich nicht damit begnügt, den Weltraum-Neptunes-Funk alter Großtaten neu aufzukochen. Stattdessen baut er um eine simple, aber interessante Klaviermelodie ein kleines Orchester aus Synthies, Vocalsamples, Streichern und Stimmen auf. Klingt groß, aber nicht pompös. Ganz am Ende schaut gar Stevie Wonder vorbei und spricht Worte über Liebe in die Stille. Wow.

"The Birds Don't Sing" ist wahrlich kein einfacher Einstieg. Fast wirkt es, als wollten sie das große, persönliche Thema abräumen, bevor man zu flexen anfängt. Das geschieht dann aber nicht zu knapp. "Chains & Whips", "P.O.V.", "So Be It", "Ace Trumpets": Das geht alles sehr hart. Pusha T verteilt Schellen links und rechts an Leute, die er nicht mag. Mal explizit mit schönen Grüßen an Travis Scott ("You cried in front of me, you died in front of me / Calabasas took your bitch and your pride in front of me" - mache zu der Stelle immer innerlich zehn Liegestütze), mal allgemeiner formuliert, wobei man sich nicht weit aus dem Fenster lehnen muss, um bei "Misery's fuelin' your regression / Jealousy's turned into obsession" an einen gewissen notorischen Kanadier zu denken.

Malice kommt nicht weniger cool oder im Flow unantastbar, steht aber eher Großer Bruder-mäßig über den Dingen, er selbst ist sein einzig relevanter Gegner: "If I lie to myself I can sell it to me / I done sung along with rappers I never believed / came back for the money, that’s the devil in me / had to hide it from the church, that’s the Jekyll in me".

Um die Frage zu beantworten, ob die Koksreferenzen nach 25 Jahren langsam langweilen: Nein, tun sie nicht. "Ballerinas doing piourettes inside of my snowglobe", "She wants Mike Tyson blow to the face / slalom ice, she wants snow on a plate", "The Bezos of nasal, that's case closed", das klatscht immer noch. Lyrisch fällt mir kein Rapduo ein, das in vergleichbarer Weise präzise weiß, was es will und kann.

Pharrell gibt sich durchweg keine Blöße. Den klassischen Clipse-Sound mobilisiert er noch am ehesten auf "So Be It" mit seinem genial geflippten arabischen Sample. Ansonsten macht er, worauf er Bock hat, sei das eine Reminiszens an Italowestern-Soundtracks auf "Inglorious Basterds", Psychedelik mit Liveband ("E.B.I.T.D.A") oder einfach ultratrockenen, harten Boom Bap ("M.T.B.T.T.F."). Trotz allem Quatsch ist er einfach immer noch ein verdammt guter, stets songdienlich vorgehender Producer.

Dass die zweite Hälfte schwächer klingt, liegt in erster Linie an der großen Stärke der ersten. Songs wie "F.I.C.O." (mir gehen diese Kürzel auch langsam auf den Keks) oder "So Far Ahead" fügen dem Album nicht zwingend etwas Neues hinzu. Clipse sind aber deswegen so gut, weil sie wenige Worte und wenige Songs brauchen, um viel zu sagen. Aber genau deswegen fasert "Let God Sort Em Out" gegen Ende auch etwas aus: Man muss Bilder nicht dreimal in Stein meißeln, wenn sie schon beim ersten Mal perfekt sitzen.

Nas, der mit der zweiten Hälfte von "Let God Sort Em Out/Chandeliers" nach einem mächtigen Beatswitch seinen eigenen Song spendiert bekommt, gibt die Losung für die Featurepolitik aus: "The pantheon is a family / we some upstanding G's". Kenny wirkt auf "Chains & Whips" virtuos wie immer, obwohl mich sein ewiges Granteln vom Olymp herab zunehmend weniger interessiert. Tyler hingegen wird, siehe "P.O.V.", einfach immer besser ("I came to terms that I'm grobably outgrow my heroes").

Stove God Cooks ("F.I.C.O.") und Ab Liva ("Inglorious Basterds") liefern geerdete Härte. John Legend macht auf "The Birds Don’t Sing" einen kompetenten Job. Seine Stimme fand ich aber noch nie besonders interessant. Und das gilt auch für Pharrell selbst, der hin und wieder versucht, den Curtis Mayfield zu machen.

"Let God Sort Em Out" ist auch ein Album darüber geworden, wie man als Rapper in Würde altern kann. Wobei das eigentlich viel zu angestaubt klingt, denn Malice und Pusha T stehen voll im Saft. Die Sauce ist da. Sie wissen, was sie können, und das, was sie können, macht ihnen in dieser Qualität niemand nach. Für eine bestimmte Art von Rap-Nerd mit nostalgischen Anwandlungen ist es wahrscheinlich das Album des Jahres. Für alle, die sich grob für diese Kunstform interessieren, eine unbedingte Empfehlung. Ich brauche das nicht jedes Jahr in einem neuen Aufguss, hoffe aber trotzdem, dass es mit Clipse weitergeht. Irgendeiner muss es ja machen.

Trackliste

  1. 1. The Birds Don't Sing
  2. 2. Chains & Whips
  3. 3. P.O.V.
  4. 4. So Be It
  5. 5. Ace Trumpets
  6. 6. All Things Considered
  7. 7. M.T.B.T.T.F.
  8. 8. E.B.I.T.D.A.
  9. 9. F.I.C.O.
  10. 10. Inglorious Basterds
  11. 11. So Far Ahead
  12. 12. Let God Sort Em Out/Chandeliers
  13. 13. By The Grace Of God

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