laut.de-Kritik

Stumpf ist trumpf!

Review von

Manche Songs sind dafür prädestiniert, Nachahmer zu finden. Zum Beispiel weil das Video schon im Ansatz an mäßiger Aussagekraft scheitert, der Musiker auf der Suche nach Inspiration in den falschen Löchern gewühlt hat, oder: weil man diesen verdammten Song nicht mehr aus dem Kopf bekommt!

Carly Rae Jepsens "Call Me Maybe" zählt zu dieser Kategorie hartnäckiger Ohrwürmer. Schließlich lässt es mich sogar im Urlaub dank zahlreicher Hardcore-Techno-Remixes nicht in Ruhe. Nicht, dass ich von touristischen Cocktailbars oder überklimatisierten Großraumdiscos was anderes erwarten kann. Aber egal, ich schweife ab.

Fakt ist, dass es - wie zuletzt bei Gotye gesehen - unzählig viele Coverversionen auf YouTube zu bestaunen gibt, die das Original im Gespräch halten. Ob bellender Hund namens Corgi Rae, Männer in gewagten Fummeln oder nicht jugendfreie Phantasien eines jungen Asiaten - alle legen ordentlich Hand an. Da ist der Gedanke, Jepsen sei und bleibe ein One-Hit-Wonder, natürlich schnell greifbar.

Doch die Drittplazierte der fünften Staffel von Canadian Idol setzt ganz auf das Thema Liebe und versucht auf ihrem Debüt-Album "Kiss" mit prominenter Unterstützung, ihre "Call Me Maybe"-Anhänger zu echten Carly-Fans zu machen. Der Opener "Tiny Little Bows" schwimmt erstmal auf der Discowelle. Das zu funkigen Einspielern geträllerte "I wish we could hold hands." passt perfekt in das Ambiente einer Rollschuhbahn an einen Freitagabend vor 30 Jahren. Man kann das Glitzern der Discokugel auf dem Neonoutfit förmlich spüren, da ändert auch das kleine eigenwillige Intermezzo bei 2:20 nichts.

Ganz ähnlich beginnt auch die Singleauskopplung "This Kiss". Softe Beats, hintergründiges Geklingel und vor jugendlicher Liebe strotzende Zeilen lassen diesen Track eindruckslos an einem vorbei ziehen. Das hat auch allen Grund, schließlich naht ein mitsingbares "... in my way!". Der Gedanke an das klanglich passende Gekeife des kurzbeinigen Cover-Kläffers lässt mir einfach keine Ruhe.

Lieber mal schnell weiterschalten. "Curiosity" klingt von der ersten Minute wie ein klassischer Teenie-Pop-Hit, der sich mit Hilfe von etwas Autotune in eine Großraumdisco geschmuggelt hat. Den Cyrus-Lovato-Gomez-Flair wird Carly aber auch in "Good Time" zusammen mit Owl City nicht los. Zeilen wie "Good morning and good night, I wake up at twilight." schließen ein Versehen aus.

Bis auf "More Than A Memory", "Tonight I'm Getting Over You" und "Turn Me Up" handelt sich jede Nummer um das gleiche Liebesgedudel. Letzteren Song setzt Jepsen zur Abwechslung mal auf die Katy Perry-Schiene. Dann doch lieber wieder kanadische Poppüppchen-Power mit Justin Bieber. Über "Beautiful" muss man nicht besonders viele Worte verlieren. Der Teeniebarde hinterlässt auch hier seine markante Duftnote.

Nach einem erneuten Perry-Ausrutscher namens "Guitar String/Wedding Ring" kommt die kanadische Sängerin zu einer bemerkenswerten Erkenntnis: "Your Heart Is A Muscle". Was gleichzeitig der balladeskeste Track auf "Kiss" zu sein scheint, trieft nur so vor Schnulzigkeit. Gut, dass das finale "I Know You Have A Girlfriend" zusätzlich auf zahlreichen Pop-Klischees sitzen bleibt.

Am Ende ist das zweite Jepsen-Album so platt wie ihr immer noch nachhallendes "Call Me Maybe". Keine Überraschungen, immer das gleiche Schema und bloß keine Experimente. Von Syntiepop-Spielereien mal ganz abgesehen. Bevor ich mir diese Platte noch einmal zum Frühstück gebe, schwelge ich doch lieber in Urlaubserinnerungen von alkoholgetränkten Techno-Remixes oder erfreue mich noch ein wirklich letztes Mal am Co-Star der Hundeversion: einer klavierspielenden Katze.

Trackliste

  1. 1. Tiny Little Bows
  2. 2. This Kiss
  3. 3. Call Me Maybe
  4. 4. Curiosity
  5. 5. Good Time
  6. 6. More Than A Memory
  7. 7. Turn Me Up
  8. 8. Hurt So Good
  9. 9. Beautiful
  10. 10. Tonight I'm Getting Over You
  11. 11. Guitar String/Wedding Ring
  12. 12. Your Heart Is A Muscle
  13. 13. I Know You Have A Girlfriend

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73 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    @chaudpain: Ich hab auch ein gespaltenes Verhältnis zu Dillon, deswegen "ein oder andere ERTRÄGLICHE Popnummer" ;) Probieren darf man sowas natürlich trotzdem immer.
    Je nachdem, wie sympathisch das Werk einer Künstlerin auf mich wirkt, lass ich mich ja auch gerne mal mit der Nummer ködern, obwohl ich zeitgleich an jeder Falte sehe, wie aufgesetzt die Masche ist.
    Ist selbstverständlich wieder auf individuelle Vorlieben zurückzuführen, von wem man sich da eher ködern lässt.
    Von Fr. Louisan finde ich auch manches erträglich, und sie natürlich auch recht "schnuckelig" anzuschauen. Sie ist 35. Aber das weisst du natürlich :D
    One can't always fight his or her hormones!

  • Vor 11 Jahren

    Oh ja, Fr. Louisan kann diese Schiene irgendwie fahren, die sieht so speziell aus und macht das so konsequent und auch gar nicht mal schlecht - dat geht klar. Echt schon 35? War die damals als sie bekannt wurde nicht wirklich so krass jung? Ah ne, Wiki sagt, dass sie bei ihrem ersten Hit "das Spiel" schon Mitte Zwanzig war.

  • Vor 11 Jahren

    Ich höre gern Pop, der gute Laune verbreitet, aber dieses Carly-Album ist der größte Mist, den ich seit Langem gehört habe.