14. September 2010

"Die Songs sind hübscher!"

Interview geführt von

Seine Hauptband The Killers macht Pause, aber Brandon Flowers kann die Füße nicht still halten. Gerade ist sein erstes Soloalbum "Flamingo" erschienen, das hierzulande auf Platz acht, in Großbritannien gemeinsam mit der Single "Crossfire" auf Platz eins der Charts debütiert.An einem regnerischen Spätsommertag hält der Sänger in Berlin Audienz. Frei von jeglichen Diven-Allüren zeigt sich der Mann aus Las Vegas erstaunlich selbstreflektiert und offen.

Wie kommt man auf die Idee, seine erste Soloplatte ausgerechnet "Flamingo" zu nennen? Ziemlich pinkfarkener Titel, findest du nicht?

Brandon Flowers: (lachend) Oh ja. Ich weiß ... inzwischen. (ernsthafter) Für mich ist es ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Das "Flamingo" ist ein Casino und eine sehr prominente Straße in Las Vegas. Für mich und viele Amerikaner von dort ein sehr geschichtsträchtiger Ort. Deshalb denke ich nicht notwendigerweise an den Vogel.

Habe ich auch nicht getan als mir der Titel einfiel. Aber ... (seufzt tief) der Rest der Welt tut es. Fast alle Leute, die nur den Albumtitel kennen, denken automatisch: "Was macht der Kerl da? Etwa auch 'ne schwule Tanzplatte? Macht er auf Pet Shop Boys? Was zur Hölle ist nur in ihn gefahren?" Das habe ich echt unterschätzt. Aber lustig ist es schon.

Nicht so ungewöhnlich für einen Typen, der mitten in der Wüste aufwächst und als einziger seiner Altersgenossen auf britische Wavemusik steht, oder?

Das mit der Wüste war ja nicht immer so. Vor 150 Jahren gab es dort wesentlich mehr grüne Landstriche. Vielleicht hätten wir einfach keine Casinos oben drauf pflanzen sollen.

Du hast auch nicht immer dort gelebt, nicht wahr?

Nein, ich habe auch ein paar Jahre in Nephi, Utah gelebt. Gleich nebenan, aber ein totaler Kontrast. Nur 3000 Einwohner und kein einziges Neonlicht.

Dreht man nicht irgendwann durch, wenn man in Las Vegas lebt? Wie kann man denn überhaupt seinen Sinn für die reale Welt in diesem Plastikneonmeer behalten, wo es immer um die große Presley- und Sinatra-Show geht?

Hey, Sinatra war doch sehr real! Und Elvis auch! Es geht mir um die ganz alte Showbizromantik. Das berührt mich sehr. Ich fühle mich irgendwie daran gebunden, an große Symbole wie den Cadillac oder das Rat Pack.

Oder nimm die dort sehr präsenten Westernelemente. Das wirkt auf euch Europäer sicherlich manchmal sehr merkwürdig oder kitschig. Aber für mich ist es die Geschichte und Biographie meines Landes.

Das bringt uns gleich zur Musik auf deiner Soloscheibe. Bevor ich dir meinen Eindruck schildere, würde ich gern aus deinem Mund erfahren, warum du als federführender Killer solch eine Parallelkarriere suchst und wie sich die Songs von der Hauptband unterscheiden.

Die Songs sind ... (nachdenkliche Pause) hübscher.

Hübscher? Du meinst im Sinne von schön, mit weniger Ecken und Kanten?

Ja, im Sinne von Schönheit. Es gibt zusätzliche musikalische und stilistische Freiräume, die ein Killers-Album nicht haben kann. In der Band haben wir vier fähige und ehrgeizige Leute. Da geht es immer mit Vollgas voran.

Was wir definitiv noch nicht gelernt haben, ist, jemanden das Ruder für einen Moment übernehmen zu lassen, wenn dieser in einem bestimmten Moment kompetent, kreativ und in Hochform ist. Stattdessen rennen wir alle gleichzeitig und mit voller Kraft los. Wir müssen und werden hoffentlich noch wachsen und da wird mir meine Platte helfen.

Das klingt ja ein wenig ernüchternd bezüglich der Killers. Müssen wir uns da Sorgen machen, dass der Flamingo möglichwerweise ein Sargnagel für die Band ist?

Oh nein, absolut nicht. Im Gegenteil: Es wird die Killers stärker machen. Diejenigen Jungs, die es ruhiger angehen lassen wollten, haben nun ihre Pause. Ich verfolge meine Solo-Aktivitäten und lerne neue Lektionen. Beides zahlt sich für das nächste Killers-Album aus. Jeder hat, was er will.

Dann wirst du auch in Zukunft beides parallel machen, Flowers-Platten und Killers-Sachen?

Wahrscheinlich schon.

Dann lass uns mal zurück zum Vogel kommen. Es fällt auf, dass du einerseits extrem leichte und fluffige Kost anbietest wie "Was It Something I Said" oder "Magdalena". Das ist ja schon fast hingeschlagertes Easy Listening. Und dem gegenüber stehen nachdenkliche Dramen wie "Playing With Fire". Nur stilistischer oder doch auch qualitativer Unterschied?

Es liegt ja nicht an mir, dies zu beurteilen. Lass uns doch einfach sagen, es sind verschiedene Facetten. Denn so empfinde ich das.

Mit den Psychedelic Furs in Hollywood

Ist "Playing With Fire" mit seinen Selbstfindungslyrics denn autobiographisch?

Weißt du, eine Sache, die ich beim Songwriting sehr schätze, ist es, einfach mal die Wahrheit zu erzählen. Den Song mit dem eigenen Leben zu verbinden. Das gilt für den Sänger und den Hörer gleichermaßen. Wir alle teilen doch so viele allgemeine Erfahrungen. Ganz egal, wie der Lebensweg aussieht, ob du arm bist oder reich, berühmt oder unbekannt, privilegiert oder Underdog.

Wir alle verlassen einmal unsere Eltern und emanzipieren uns von der Familie. Darum geht es in der Story. Es kommt nicht darauf an, ob man den Schritt mit 14 geht oder mit 35.

Sind deine Eltern denn auch ein künstlerisch prägender Faktor gewesen? Bist du mütterlicherseits mit litauischer oder väterlicherseits mit schottischer Musik aufgewachsen?

(lachend) Nein, eigentlich nicht. Vielleicht ist gerade bei den melancholischen Songs etwas Europäisches in meinem Blut. Aber die künstlerische Entwicklung lief wirklich ganz unabhängig von meinen Eltern.

Aber für amerikanische Verhältnisse merkwürdig und außergewöhnlich ist deine musikalische Sozialisation schon, oder?

Findest du? Warum?

Ich bitte dich: Du sitzt da mitten in der Wüste des amerikanischen Traums und stehst total auf The Cure, Joy Division oder die großartigen Psychedelic Furs, die auch als deutlicher Einfluss auf "Flamingo" durchschimmern.

Stimmt, das war sicher nicht alltäglich. Definitiv hört man den Einfluss der Furs. Aber auch andere Sachen. Ich habe ja bewusst versucht, Sachen wie Westernelemente mit New Wave-Keyboards zu kombinieren. So soll die Scheibe funktionieren. Ganz verschiedene Sachen verbinden. Nicht einfach nur immer dieselbe Straße runtergehen.

Und zu den Furs: Ich habe sie vor ein paar Monaten in New York gesehen. Großartig! Wir haben vor kurzem sogar mal gemeinsam gespielt, mit den Killers in L.A. beim Hollywood Bowl. Sie waren der Opener. Und bevor du etwas sagst: Ja, ich weiß, dass eigentlich wir für sie hätten eröffnen müssen. Hätten wir auch gemacht. Sie haben dann extra "Pretty In Pink" in ihrem Set weggelassen, damit wir es gemeinsam spielen. Wow, das war ein persönliches Highlight in meinem Leben.

Dann stehst du auch auf deren Bandprojekt Love Spit Love?

Was? Nein, also, ich kenne das gar nicht. Schande! (lacht) Sag mir mal, was du meinst, gibt es da Songs, die ich kennen könnte?

"Am I Wrong" war vor ca. 15 Jahren eine Single.

Nein, kenne ich echt nicht. Ich checke das nachher mal.

Du hast von so vielen Einflüssen gesprochen - könnte man denn nicht sagen: The Killers machen ein eigenes Ding und Brandon Flowers klingt auf "Flamingo" eher wie ein Puzzle aus den Teilen seiner Vorbilder?

Das man immer ein wenig die eigenen Helden heraushört, ist doch normal. Ich glaube aber nicht, dass ich in einem Song wie Richard Butler (Psychedelic Furs) klinge und im nächsten wie Bruce Springsteen. Alle Einflüsse zusammen machen letztlich den Cocktail aus. Irgendwie stecken sie alle ganz tief in mir und kämpfen. Sie kämpfen sich den Weg aus meinem Innersten nach draußen frei. (lacht)

"Lou Reed ist ein sehr sensitiver Mensch"

Und wer kämpft sich gemeinsam mit dir durch das Album und die Tour?

Das sind gute, alte Freunde. Kennst du Ambulance LTD aus New York?

Flüchtig. Wart ihr nicht schon gemeinsam on the road?

Ja, das ist schon etwas länger her. Wir waren zu "Hot Fuss"-Zeiten gemeinsam die Opener für Stellastarr. Wir wurden Freunde und einige von Ambulance haben mir beim Album sehr geholfen. Das wird auch live sehr spannend.

Aber eine große Tour gibt es dennoch nicht?

Nicht zu groß. Einen Monat in den Staaten, einen Monat in Europa mit ein paar Deutschland-Gigs.

Eine Sache muss ich dich unbedingt noch fragen: Wie hast du es geschafft, den eher als unzugänglich geltenden Lou Reed für "Tranquilize" zu gewinnen? Der geht doch sonst höchstens ans Telefon, wenn jemand wie Bowie anruft und er sicher ist, dass da nicht John Cale an der Strippe sein kann.

(lacht) Das war wirklich bemerkenswert. Bemerkenswertes Glück für uns! Wir haben ihm einfach das Lied geschickt und er mochte es. Er meldete sich und sagte: "Als ich einige Tage euer Lied vor mich hin gesummt habe, wusste ich, dass es etwas taugt." Lou ist auch gar nicht der harsche Typ, als den man ihn immer darstellt. Er ist sehr zurückhaltend im ersten persönlichen Kontakt. Das ist aber keine Arroganz. Er möchte einfach ein Gefühl für den Gegenüber bekommen, bevor er sich öffnet.

Da entwickelt sich dann eben eine Antenne oder nicht. Ein sehr sensitiver Mensch. Ich glaube auch, dass man sonst gar nicht so großartige Songs schreiben könnte. Das Eis brach spätestens, als wir anfingen, über sein Album "Berlin" zu sprechen. Ich habe ihm gesagt, mein Lieblingssong sei "Men Of Good Fortune". Und seiner ist es auch. Da kamen wir ganz locker ins Gespräch. Das war wirklich erstaunlich und großartig.

Werden wir denn in 40 Jahren, wenn du in Lous Alter bist, noch einen aktiven Brandon Flowers vor uns haben? Oder hast du bald die Schnauze voll von den ganzen Welcome-to-the Machine-Schattenseiten, die man als Celebrity täglich ertragen muss?

Oh, gute Frage. Ich weiß es nicht genau. Mein Gefühl sagt mir folgendes: Ich bin zutiefst dankbar dafür, Musik machen zu dürfen. Aber ich glaube nicht, dass ich mein Leben 50 Jahre darauf ausrichten kann, sich dem Business total zu widmen. Ich bin ein sehr familiärer Mensch und möchte es nicht verpassen, meine Kinder aufwachsen zu sehen. Ich bin ja auch ein Mensch mit einem eigenen Leben. Sowas haben wir auch in Las Vegas. (lacht)

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