laut.de-Kritik

Der Zahn der Zeit nagt selbst an gebranntem Ton.

Review von

Manchmal wirken Rapper wie kleine Jungs, die gerade staunend das erste Mal ein Werk von Giger betrachten. Prinz Pi ist gerne mal der Cyborg, Tone der Reimroboter. Dass Bushido auf den Trichter kommen und sich den Titel Textterminator anheften wird, schwebt in der Luft. Die Töpfe jedenfalls wollen Musikmaschinen sein - und das aus gutem Grund. "Wir bringen den Funk und die Samples zurück" kündigt Holunder bei "Gute Musik" an. Eigentlich ein lobenswerter Anspruch.

Wäre da nicht "Gern Geschehen" gewesen, jenes Album aus dem Jahr 2004, mit dem die Münchner einigen Fans den musikalischen Mittelfinger entgegenreckten. Poppig, überproduziert, zu experimentell, das waren die Vorwürfe an Beatbastler Sepalot. Für "Mehr" produziert der Mann wie als Antwort eine ziemlich simpel gestrickte Bombe aus Latintrompeten und Bass-Stakkato. Das kann sich doch schon mal sehen lassen.

Wer in Lahm, Klopp oder dem Image der Republik die Hauptgewinner der Fußball-WM sieht, überschaut nicht das ganze Ausmaß des Spektakels. Die sympathische Aufbereitung der Deutschlandspiele beschert Blumentopf den Einstieg von Null auf die Sieben in den Albencharts, während Urgesteinkollegen in Sälen spielen, die sonst dem Nachwuchs vorbehalten sind. Und das, obwohl "Platz 80" als nicht ganz ernsthaftes Ziel proklamiert wird. Sportmoderation als Karrieredünger: Der Hip Hop ist endgültig im letzten Winkel der Gesellschaft verankert.

Fraglich ist da nur, was denn nun 2006 in Münchens Blumentöpfen wächst: Kichererbsen und psychoaktive Pilze oder Trauerweiden und Baldrian. Nach "Du Sagst Mir", "Lass Die Show" und "Die City Schläft" haben die Rapper noch keine ausreichende Antwort auf diese Frage gegeben. Die Orientierung in Richtung Funk ist weder geeignet, den traditionell eher monotonen Reimfluss der Töpfe angemessen zu transportieren, noch, Ärsche zu kicken. Allerdings wären die Tracks auch mit Kopfnickmonstern nicht auf eine Topstufe geklettert. Was Schu, Holunder, Heinemann und Roger da rappen, wirkt erstaunlich uninspiriert und ideenlos.

"Wie soll ich's dir erklären? / Ich weiß, du hast sie gern. / Du bist echt ein netter Kerl, / doch deine Alte nervt." Roger setzt den ersten humoristischen Höhepunkt der Platte, kurz bevor seine Kollegen bei "AEIOU" voll aufdrehen. Obwohl auch hier der Beat etwas nichtssagend dahin plätschert: So ausgeflippt hat man die Münchner seit "Eins A" nicht mehr gehört. Und wenn Schu und Roger bei "Profis" auf einen nintendoesken Beat von ihren reichhaltigen Konsolen-Skillz berichten, bleibt kein Auge mehr trocken. "Zwei Hardcorezocker mit viereckigen Augen / die ihre Zeit zwar verschwenden, aber kein Leben verbrauchen." Mehr davon!

"Chin Chin" gäbe rein textlich eine akzeptable Partyhymne ab, wäre da nicht der Beat. Besonders dann, wenn einem "Party Safari" in den Kopf kommt, wirkt dieses kurze E-Gitarrenriff schlicht langweilig. Doch wer kann ihnen schon böse sein, wenn direkt im Anschluss Holunder sein Statement zu Studentenrap abgibt. Hier wird die Elektrogitarre stilvoll arrangiert, ebenso wie beim ordentlich rockenden "Keine Zeit". Ob es gefällt oder nicht: die musikalischen Einflüsse des Topfes haben sich seit 1996 um 180 Grad gewendet, und auch der textliche Anspruch ist ein anderer.

Was könnte das besser verdeutlichen als "Du Und Ich". Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Münchner mit Beziehungsenden befassen, in seiner Ernsthaftigkeit ist er jedoch ein Novum. Trotz seiner schönen, überaus melancholischen Grundstimmung wirkt das Lied doch irgendwie fehl am Platz, zwischen einem halben Rocktrack und dem fett groovenden "Was Du Brauchst". Und jegliche Ernsthaftigkeit macht spätestens "Horst" wieder zunichte. Die Single stellt für mich den uneinholbaren Tiefpunkt des fünften Topfalbums. Unbestrittene Tanzbarkeit ist nicht der einzige Anspruch, den man als Fan an das Quintett hat.

Die zweite Alkoholhymne "Dreamteam" setzt auf ein Lindenbergsample, bleibt dabei allerdings so farblos wie Wodka Pur. Der folgende Endspurt jedoch hat es ordentlich in sich: "Schweiss" groovt noch einmal wie die Hölle, "Die Bretter, Die Die Welt Bedeuten" ist die wunderbar nostalgische Reminiszenz an die eigene Skaterphase. "Ruhetag" fällt da völlig unter den Tisch, heimlich beendet schon Holunders Solo das Album.

Klar, der Blumentopf ist "Alt" geworden, wie er schon auf dem letzten Texta-Album offen zugab, und der Zahn der Zeit nagt selbst an gebranntem Ton. Mancherlei verzeiht man ihnen deshalb gerne - sicherlich hat keiner ein zweites "Von Disco Zu Disco" oder "6 Meter 90" erwartet. Aber muss Souveränität zwangsläufig auf Kosten der Kreativität gehen? Auch dieses Album ist guter Durchschnitt, gemessen am Rest der Rapszene. Allerdings nicht gemessen an den eigenen Vorlagen. Oder, um es mit den Worten des Openers zu sagen: "Ich weiß, da geht noch mehr." Hoffentlich noch vor der nächsten WM.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Mehr
  3. 3. Du Sagst Mir
  4. 4. Lass Die Show ft. Clueso
  5. 5. Gute Musik
  6. 6. Die City Schläft
  7. 7. Wie Soll Ich's Dir Erklären?
  8. 8. AEIOU
  9. 9. Profis
  10. 10. Ach So
  11. 11. Chin Chin
  12. 12. Zu Talentiert
  13. 13. Keine Zeit
  14. 14. Du Und Ich ft. Janna
  15. 15. Was Du Brauchst
  16. 16. Horst Intro
  17. 17. Horst
  18. 18. Dreamteam
  19. 19. Platz 80
  20. 20. Schweiss
  21. 21. Die Bretter Die Die Welt Bedeuten
  22. 22. Ruhetag

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13 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    wenn man die reszension so liest, merkt man, dass da jemand schreibt, der keine ahnung vom musikmachen hat. in keinster weise werden die sorgfältige auswahl der samples, die beats -simpel- die harte arbeit (selbstproduktion, von der idee bis zum feritgen album inkl. artwork etc.) oder die hintergründigkeit der zeilen gewürdigt. anscheinend ist hier ein kritiker am werk, wie er subjektiver nicht sein könnte; er benimmt sich schlicht unfair und wird der sache nicht gerecht. obendrein scheint er nicht gerade mit hintergrundwissen gesegnet zu sein und legt sehr merkwürdige kriterien zur reszension an, wenn er überhaupt solche hat. wenn man schon die wirkung bzw. den eigenen eindruck der musik zur bewertung heranzieht und dieses auch noch für lesenswert hält, dann sollte man doch zumindest in der lage sein, zwischen den zeilen zu lesen, assoziativ zu arbeiten und den konnotationen rechnung tragen, die dem text innewohnen.
    alles in allem hat der rezensent (sein name bleibt wohl ungenannt...) weder die musik(richtung), die band, das album oder die texte im geringsten verstanden oder sich bemüht sie zu verstehen, wenn er das album überhaupt mehr als einmal gehört hat.

  • Vor 16 Jahren

    guckst du oben rechts:
    Review von:
    Philipp Gässlein

  • Vor 16 Jahren

    übersehen, sorry. der meinung tut das keinen abbruch.

  • Vor 15 Jahren

    Auf jedem Album gibt es Tracks die nicht jedem zusprechen. Alles in allem ist auch dieses Album dennoch ein Meisterwerk. Und wenn Ihr euch gegnseitig über Eure Kritiken mukkiert verfehlt Ihr meines Erachtens den Sinn einer solchen. Eine Kritik ist doch gerade subjektiv oder etwa nicht ?!?! Jeder hört und empfindet die Songs anders, so ist das mit der Musik :) Raum für Objektivität ist da meines Erachtens nach nicht sonderlich viel gegeben.

    Rock on lieber TOPF! Ihr seid meine persönliche Antwort auf den Mainstream und der Beweis das auch deutscher Sprechgesang gehört werden kann.

    Greets Rico

  • Vor 15 Jahren

    wertung geht klar.
    mir fehlt das lockere storytelling vergangener tage.
    aber hey,die jungs werden älter und ein "von disco zu disco" werden sie nicht mehr bringen.
    dennoch hat die scheibe ihre höhepunkte (neben einigen überflüssigen trax)

  • Vor 15 Jahren

    Auch mir ging das letzte Album am schwersten runter, 3 Punkte halte ich im Vergleich zu den vorigen Werken für ok.