laut.de-Kritik

Wichtige Themen, monotone Musik.

Review von

Mit "Deine Schuld" landete Ayliva einen TikTok-Hit über häusliche Gewalt. Über 10 Millionen mal wurde ihre Abrechnung mit einem gewalttätigen Expartner bereits auf YouTube angesehen, und das Musikvideo samt Song ist in der Tat rührend: Es ist ein wichtiges Thema, emotional eindringlich aufbereitet, das in dieser Form bestimmt vielen Menschen sehr geholfen hat und alles Recht hat, als Popmusik eine so große Plattform wie möglich zu finden. Man kann Ayliva also nur alle Sympathien entgegenbringen, wenn man sich ihr Debütalbum "Weißes Herz" anhört, auf dem sie die Formel von "Deine Schuld" in Serie produziert und ein aufrichtiges, aber leider relativ monotones Debüt an den Start bringt.

Es ist kompliziert, wie man mit der musikalischen Umsetzung von "wichtigen Themen" umgeht. Songs, die "auf etwas aufmerksam machen" landen künstlerisch oft auf der rudimentären Seite. Man denke nur an Logics Anti-Suizid-Hymne "1-800-273-8255", die viele etwas holprig und unsensibel fanden, die aber trotzdem für einen nachweislichen Rückgang in den Selbstmorden in den Staaten gesorgt hat. Und das dürfte sehr viel wichtiger für einen Song sein, als zynischen Kritikern zu gefallen. Ähnliches gilt hier auch für "Deine Schuld". Dass man die generischen Piano-Akkorde ein bisschen fantasielos und die Trap-Percussion eher unelegant finden könnte, geschenkt, der Song hat Wichtigeres zu tun als das musikalische Rad neu zu erfinden.

Was machen wir nun mit dem Dutzend Songs, die nicht unbedingt wichtige Themen verhandeln? Es ist nicht so, als würde Ayliva mit den Power-Balladen vom Gas gehen. Das Positive vorab: Die Frau kann offensichtlich wirklich singen. Sie hat diese aufrichtige, schwerelose Stimme, die sich dafür anbietet, auf cineastischer Produktion tief in die Seele blicken zu lassen. Außerdem merkt man in der hauchigen Tonlage, dass sie definitiv Sabrina Claudio oder Billie Eilish gehört hat. Aber nur, weil sie das Charisma für Balladen hat, heißt das wirklich, dass man überhaupt nichts anderes machen darf?

Es gibt poppige Sensibilitäten, die einzelne Songs hervorstechen lassen. Die Vocal-Melodie im Refrain von "Heim" klingt elegant performt, die arabisch gesungene After-Hook auf "Schmetterling" bleibt im Ohr und "Wenn Ich Wein" dreht die Intensität gelungen auf. Viele Songs fühlen sich wie Singles für spezielle Anlässe an, aber alles auf einem Haufen dargeboten wird es viel auf einmal. Song für Song singt Ayliva wie direkt vom Rande des Zusammenbruchs vom Vermissen und Vermisstwerden, vom Schuldsein und Nichtschuldsein. Allerhöchstens wer ein Arsch zu ihr war, wechselt manchmal unterschwellig zwischen Ex, Familie und Freundeskreis.

Weil zudem "Deine Schuld" in Songs wie "Erzähl Ihnen Alles", "Was Besseres" oder "Marie" im Grunde klanglich komplette Abziehbilder bekommt, fällt dieses klanglich sowieso schon homogene Album völlig in sich zusammen. In einem Interview beteuerte Aylivia, dass sie mit ihren Produzentinnen und Produzentin an Entwicklung arbeitete, aber die scheint sich momentan vor allem auf Hochglanz und Präsentation zu beziehen. Die musikalischen Ideen, um ihre Gefühle und Message auszubreiten, halten sich auf einen sehr engen Rahmen.

Am Ende des Tages ist "Weißes Herz" ja sowieso nur ein Debüt und findet durch die starke TikTok-Präsenz, ihr natürliches Charisma und ihre ehrliche Ausstrahlung schon ihre Zuhörerschaft. Aber auch, wenn ihr ursprünglicher Durchbruchs-Funken stark ist und sie jetzt schon ein ganz bestimmtes Publikum bedient, das ihr sicherlich treu bleibt, wäre es aus künstlerischer Sicht doch schön, wenn Ayliva ihre Talente nicht in eine komplett formelhafte Gussform gibt. Es ist cool, dass sie es in der Szene gibt, aber es gibt bessere Methoden für ein Album, als ein Dutzend mal die selbe Ballade aufzunehmen. Vor allem, wenn man offensichtlich das Zeug dazu hat.

Trackliste

  1. 1. Sterben
  2. 2. Was Du Nicht Weisst
  3. 3. Deine Schuld
  4. 4. Ich Will Nicht Heim
  5. 5. Heim
  6. 6. Marie
  7. 7. Erzähl Ihnen Alles
  8. 8. Bleib (feat. Milano)
  9. 9. Wenn Ich Wein
  10. 10. Schmetterlinge
  11. 11. Bei Nacht
  12. 12. Was Besseres (feat. Mudi)
  13. 13. Gott Sei Dank
  14. 14. Butterflies

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