laut.de-Kritik

Großartige Americana-Verneigung vor Lucinda Williams.

Review von

Lucinda Williams ist nicht nur für ihre ausgesprochen gelungenen Americana-Adaptionen wie ihr selbstbetiteltes Album oder "Sweet Old World" bekannt, sondern insbesondere für ihren langen Atem, da sich merklicher kommerzieller Erfolg erst nach 20 Jahren harter Bühnenarbeit mit "Car Wheels On A Gravel Road" einstellte. Durchaus also eine Person, zu der man aufblicken kann, wenngleich der jüngste Output zwar qualitativ hochwertig, aber auch ein Stück zu brav ausfiel. Die Verehrung teilt Amos Lee allem Anschein nach, sonst hätte er der Frau aus Louisiana, mit der er zuvor schon für sein erfolgreichstes Album "Mission Bell" kooperierte und die seine frühe Karriere wohlwollend begleitete, nicht mit "Honeysuckle Switches" ein ganzes Tribute-Album gewidmet.

Die beiden eint die ewige Kämpfermentalität, wenngleich die letzten Outputs von Lee, "Dreamland" und "My New Moon", zwar emotional berührten, aber musikalisch etwas fad ausfielen. Nun kam "My Ideal" mit Interpretationen von Chet Baker und dem Great American Songbook nicht ungelegen und war eine zumindest künstlerisch gelungene Angelegenheit (wenngleich kommerziell ein Flop). Aber das zweite Tribute-Album hintereinander? Das riecht nach Talentverschwendung.

Immerhin gibt es eine künstlerische Fallhöhe, denn während Williams schon immer eine Streiterin der rauheren Töne war, überzeugte Lee meist dort, wo er Verletzlichkeit zeigte, während sein zweiter Gang allzu oft im Stadion endete. Schon "Are You Alright" zeigt, dass er das auf "Honeysuckle Switches" nach seiner Couleur praktiziert und sich Lucindas Tempo und Stil nicht anpasst. Lees Stimme spielt mit und die Nahbarkeit, für die das Storytelling der US-Amerikanerin steht, vermittelt er bravourös. Er zieht gar eine ganz neue Ebene der Verletzlichkeit ein, so auch auf dem wunderschönen, verträumten "Compassion", das so zart gehaucht wird, dass man Angst hat, während des Hörens mit einer falschen Bewegung alles zunichtezumachen.

Der unverschämt talentierte Mr. Lee kann aber nicht nur seidenzart, "Fruits of my Labor" ist ein facettenreich arrangierter Americana-Blumenstrauß, ungeheuer tiefschürfend und mit seinen Gitarren geradezu unverschämt nach dem Leben greifend. "Get Right with God" baut Lee zu einem Track à la später Cash um, viel Sand im Mund und Erde unter den Stiefeln. Mit Ausnahme von DEE gibt es kaum gelungeneren Western-Gospel. Jetzt macht es auch Sinn, dass er sich auf die Phase zwischen "Sweet Old World" bis "Blessed" konzentriert, denn der Bluegrass davor und der Rock danach hätten nicht recht ins Konzept gepasst. Zumal der Sänger so viele große Hits der Südstaatlerin umgeht; kommerziell wohl mutig, künstlerisch lohnend.

Amos vermittelt glaubwürdig, wie wichtig die Lieder von Williams für ihn in der Aufarbeitung seines Krisenjahrs 2022 waren. An "Everything Has Changed" könnte man sich so dermaßen leicht verheben, ein fast schon nicht zu covernder Song. Aber Lee erfasst den Wellencharakter des Songs und im idealen Moment löst ein einzelner Bläser den Song auf. Ähnliches gilt für "Born to be Loved", dessen notwendig kitschiger Beginn so dermaßen kompetent in einen Soul überführt wird, dass man erst gar nicht merkt, wie man auf einmal mit dem sich hinterrücks anschleichenden Chor mitträllert.

Der Maestro traut sich gar ran an "Greenville", den erfolgreichsten Song von Williams, im Original mit Emmylou Harris. Der Track hat eine ganz spezielle, seltsame Stimmung, für die Harris der perfekte Cast war. Traurig, erleichtert, alles riecht nach Zäsur, aber auch nach Trauma, wenn der Loser-Lover verabschiedet wird. Und genau, exakt, perfekt diese Stimmung fängt Lee tatsächlich ein. Man will den Cowboyhut vom Kopfe reißen und begeistert gen imaginärer Bühne werfen, so gelungen ist das Zusammenspiel aus erdigen Drums und Lees stoisch hellem Gesang.

Jeder Song muss einzeln behandelt werden, da Lee ein breites Spektrum an Americana zeigt, das einen schlicht überfordert beim ersten Hören. Alles ist kohärent, nichts ist gleich. Und vor allem ist alles authentisch. Wie dieser Mann zuletzt zwei Alben hintereinander mehr schlecht als recht über die Bühne brachte, ist beim Hören von "Honeysuckle Switches" unvorstellbar. Was immer ihm seit 2022 persönlich angetan wurde, der Täterin sei gedankt angesichts der Metamorphose, die aus dem kalten Hund einen warmen Cowboy machten. Selbst auf dem schwächsten Lied "Sweet Old World", bezeichnenderweise das einzige mit einer alleinstehenden Piano-Grundfigur, fügt Amos seine prägende Wärme nicht annähernd hinzu – heraus kommt ein nur guter Song. Es bleibt die einzige (relative) Schwachstelle auf dieser Verneigung, "I Envy the Wind" fährt einem wie eine kalte Brise in der Wüste durch die Haare.

"Honeysuckle Switches" lebt von der Souveränität, Dinge fallen- und wegzulassen. Auf dem "Bus to Baton Rouge" überfällt einen dasselbe Gefühlschaos wie das lyrische Ich im Lied: Man weiß, man muss dahin, man will nur nicht. Aber dieses emotional fordernde, tieftraurige Album wird man noch oft besuchen. Elfeinhalb neue Songs für die Playlist!

Dem Philadelphianer gelingt mit "Honeysuckle Switches" ein absolutes Meisterwerk, ein makelloses Americana-Album voller Liebe, Respekt und Zuneigung für Lucinda Williams, die ihre helle Freude mit dem Album ihres früheren Schützlings haben wird. Man muss den Namen Williams nicht kennen, um dieses Album rauf und runter zu hören und seine helle Freude damit zu haben. Sucht euch ein/e Partner/in, die euch so behandelt wie Amos Lee die Songs von Lucinda Williams.

Trackliste

  1. 1. Are You Alright
  2. 2. Fruits of my Labor
  3. 3. Get Right with God
  4. 4. Compassion
  5. 5. Everything Has Changed
  6. 6. Born to Be Loved
  7. 7. Greenville
  8. 8. Little Angel Little Brother
  9. 9. Sweet Old World
  10. 10. I Envy the Wind
  11. 11. West
  12. 12. Bus to Baton Rouge

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