laut.de-Kritik

Unbekümmertheit suchen, Resignation zelebrieren.

Review von

"Kurz Vorm Ende Der Welt" zu stehen, so fühlten sich manche Wochen mit ausgestorbenen Straßen 2020 und '21 an. Der Kontext, in dem die Formulierung auf Ami Warnings neuem Album steht, ist multipel: Da ist die Rede vom Moment nahe der Apokalypse, um metaphorisch auszudrücken, dass die Song-Heldin erst dann einem anderen Menschen verzeihen kann. Krankheit, Hoffnung auf Heilung, Ende der Jugend und enttäuschte Versprechen sind weitere Themen. Insgesamt durchzieht eine tiefe Tristesse die Liedersammlung, deren musikalisches rotes Band als schlurfender Trip Hop die deutschen Texte grundiert.

"Gut, dass wir uns gefunden haben, an guten wie an schlechten Tagen (...) es ist, wie es ist" heißt es in "Es Ist Wies Ist (+ Témé Tan)", dem einzigen nicht komplett deutschsprachigen Tune. Die Schwermut der Stimmung konterkariert die Aussage, dass da irgendwas gut sei. Zurück bleibt das Gefühl, dass eher die schlechten Tage überwiegen und sich daran nichts ändern lasse. Ami wechselt sich mit Gast Témé ab; seine Worte fließen in lässiger Umschlingung mit ihren ineinander. Der kongolesisch-belgische Patchwork-Pop-Fusionierer singt auf Französisch.

Ami, kurz für Amira, kommt aus München und hat sowieso eine internationale Perspektive auf Musik, die sich im rhythmischen Mellow-Mischmasch spiegelt. Für ihr voriges Album ließ sie knallbunte Fotos in der farbprächtigen karibischen Heimat ihres Vaters anfertigen, des bekannten Pioniers für Reggae-Akustikpop in Deutschland, Wally Warning. Ihm widmet die 25-Jährige einige Zeilen in "Simsalabim", auf der Suche nach einem Zauberspruch. Dieser soll helfen gegen die schwere Krankheit, die den Papa ereilt hat. In einem solchen Moment merkt man wieder, dass es noch andere Probleme und Schicksalsschläge außer Corona gibt, gleichwohl sie aktuell oft außerhalb des Radarschirms lauern.

"Simsalabim" rumpelt mit bleischweren Elektro-Beats und zittrig vibrierenden Pfeiftönen los. Massive Attack und Portishead liegen als Referenzen näher als das, was man bis dato mit Ami verband: dunklen Indiepop, soulige Momente, ab und an auch happy-go-lucky-Augenblicken, Tourneen zusammen mit dem Vater, auf denen auch Akustik-Nummern und Latin-Reggae eine Rolle spielten. Bereits das Album "Momentan" (2019) stützte sich produktionstechnisch auf Hip Hop-artiges Vorgehen: Es nutzt Beatmaker-Patterns, auf denen sich die Pop-Songs dann mal lässiger entfalten, mal digitaler, mal mit Gitarre und mal mit Trip Hop-haft verschobener Offbeat-Taktung.

Im Gegensatz zum flockigen und schwungvolleren Vorgänger überwiegen auf "Kurz Vorm Ende Der Welt" ein gedämpfter Klang wie unter einer Saugglocke oder hinter einer großen Nebelwand, sowie ein getragenes Tempo. Machart und Klangfarbe sind jetzt konsequent auf einer Linie, alles aus einem Guss.

Die Lyrics werfen mehr Fragen auf, als dass sie noch Begebenheiten erzählen würden, und sie wirken dieses Mal sehr reif, und so als wären sie lange zurecht geschliffen worden. Philosophisch und poetisch wird es, schön umgesetzt mit der unaufdringlichen Stimmlage Amis. "Was ist Zufall? Was ist bestimmt? / Wir denken, wir wären schlau / wenn wir unwissend sind. Was ist gerecht? Wir haben keine Wahl / wir können uns nur treiben lassen. Was wir wollen, ist egal. / Vielleicht gibt es einen Grund. Vielleicht ist Demut gesund. Vielleicht müssen Dinge endlich sein / sonst vergessen wir: Der Mensch ist klein. Oh, wir halten den Moment / der nur die wahren Dinge kennt".

Trotz geschnitzter Perfektion: Alles sprudelt fließend und unbeschwert heraus, als fielen die Worte in einem persönlichen Plausch und nicht in einem Tonstudio in einem Song. Anrührend und in beeindruckender Versunkenheit trägt Ami vor: "Ich würd dich so gern hochheben, dir alles geben (...) so gern um die Wette rennen, keine Schmerzen mehr kennen".

"Blaue Augen" macht dann auf einem fröhlich-traurig-changierenden Melodiebett verklausuliert weiter: "Wer hat mir meine blauen Augen weggenommen?" Die Oberbayerin mit den dunkelbraunen Augen besingt hier den Schmerz des Erwachsenwerdens und die Sehnsucht nach der Zeit als Schulkind, naiv, blauäugig. "Und sag mir, wie ich wieder zurückgehen kann", wünscht sie sich die Unbekümmertheit des damaligen Alltags zurück, während sich mehrere Layers ihres Gesangs in zerstückelten Silben übereinander schichten. "Anais" vom Maxim-Album "Grüne Papageien" würde nahtlos auch auf diese Ami-CD passen.

Die gut 25 Minuten Musik aus München sind ein bisschen knapp für einen Longplayer, eher eine Maxi-EP. Gehaltvoll, wie sie ist, passt das Format genau so. Musikalisch kann man sich viele goldige Details rausziehen, sei es den Leierkasten-Imitat-Loop in "Hallo Kinder" oder das Slow-Motion-Intro zu "Dort". Inhaltlich bleibt eine betörend übermittelte Resignation haften, die in allen acht Tracks fundiert begründet wird: "Du sagst, alles wird gut, und ich glaub nicht dran."

Trackliste

  1. 1. Schöne Stunden
  2. 2. Kurz Vorm Ende Der Welt
  3. 3. Es Ist Wies Ist (+ Témé Tan)
  4. 4. Jetzt
  5. 5. Simsalabim
  6. 6. Blaue Augen
  7. 7. Hallo Kinder
  8. 8. Dort

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