7. April 2020

"Ich wollte die Beatles-Lieder neu denken"

Interview geführt von

Soeben hat Al Di Meola mit "Across The Universe" sein zweites Album veröffentlicht, das sich dem Kanon der Beatles widmet. Dabei zeigt sich die Gitarrenikone in bester Spiellaune.

Dass Al Di Meola seit einiger Zeit sogar bei Studioaufnahmen ausgeglichen ist, hat er uns bereits beim letzten Gespräch verraten. Auf "Across The Universe" scheint der 65-Jährige aber besonders viel Spaß gehabt zu haben: Di Meola spielt die meisten Instrumente selbst und fährt auch gitarristisch volles Programm: Les Paul, PRS, Akustikgitarre, Nylonstring ... hier ist für Fans aus allen Epochen seines Schaffens etwas dabei. Dabei setzt Di Meola diesmal auf vielschichtige Arrangements und einen gewohnt komplexe, synkopierten Unterbau – der aber das wichtigste nie aus den Augen verliert: Die großen Songs und Melodien der Originale.

Wir baten Al Di Meola zum Gespräch.

Al Di Meola, erklären Sie sich doch mal Ihre Liebe zu den Beatles. Wann haben Sie die Band zum ersten Mal gehört, was sind Ihre frühesten Erinnerungen?

Ich denke, ich war so neun Jahre alt. Ich hatte eine sieben Jahre ältere Schwester, sie war damals 16. Die Beatles waren damals der absolut letzte Schrei. Sie waren überall im Radio, ihr Song "I Want To Hold Your Hand" und "Please Please Me" wurden nonstop gespielt. Sie brachte dieses Album mit nachhause, "With The Beatles". Ich habe mich sofort in die Musik verliebt. So etwas hatte man vorher noch nicht gehört, diese unglaublichen Songs, diese tollen Stimmen. Das war das erste Mal. Und das hat mich inspiriert, selbst Musik zu machen und Gitarre zu spielen.

Als Sie später dann zu komplexer Gitarrenmusik fanden, den Jazz für sich entdeckten: Spielten die Beatles da auch noch eine Rolle in ihrem Leben? War es eine Liebe, die sich über all die Jahre hinzog?

Ich liebte die Beatles immer, bin ihnen stets gefolgt. Ab "Magical Mystery Tour" war ich echt besessen von ihnen, "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band", "White Album", bis hin zu "Abbey Road". Diese vier Platten waren die inspirierendsten. Ich mag auch "Revolver" und "Rubber Soul" – aber dieser Riesensprung bei Musikproduktion, der hatte damit zu tun, dass sich die Beatles entschieden, nicht mehr zu touren und sich nur noch aufs Aufnehmen zu konzentrieren. Diese Entscheidung gab ihnen die Möglichkeit zu experimentieren und so viele Produktionsebenen einfließen zu lassen, die man sich damals von einer Pop-Band niemals erwartet hätte. Sie hatten natürlich mit George Martin auch den allerbesten Produzenten, der denkbar war – ein klassischer Musiker aus dem EMI-Team. Er wurde den Beatles zugeteilt und er gab den Songs, die schon eine tolle Ästhetik hatten, ein ganz neues Level an Tiefe. Klassische Instrumente, Soundeffekte. Sie hatten all die Zeit der Welt zum Experimentieren – und deshalb gibt es Songs wie "I Am The Walrus, "Strawberry Fields Forever" und "Penny Lane". Ich bin aber natürlich kein Sänger, und ohne die Stimme und ohne Texte setzte ich es mir zum Ziel, meine eigene Interpretation der Stücke zu erschaffen. Definitiv sollten es keine Kopien sein, ich wollte sie neu denken und sogar erweitern – so wie bei "Norwegian Wood", im Original ein sehr kurzer Song. Ich habe etliche Parts geschrieben, um diese Schönheit, die schon da war zu erweitern und die Reise zu länger zu machen.

Wie gehen Sie ein solches Projekt an? Sitzen Sie da, hören Beatles-Songs und überlegen sich währenddessen die Arrangements – oder kommen Ihnen die Ideen beim Spielen?

Ich habe mich mit der Musik hingesetzt. Ich schreibe sie auf und finde neue Arten, sie zu spielen. Und dann erweitere ich sie, schreibe zusätzliche Musik auf der Gitarre. Ein Intro wie in „Here Comes The Sun“ oder eine ganz neue Mittelsektion, die eine Erweiterung des Stücks ist. Diese verschiedenen Ebenen innerhalb Norwegian Wood, die immer wieder zur Melodie zurückkehren. Das war mir auf der Platte wichtig: Ich wollte die Melodien unterstreichen, die wir alle kennnen. Auch wenn ich mich immer gerne in ganz neue Richtungen bewege – wenn die Melodie gespielt wird, erinnern wir uns alle an sie. Die Akkordchanges unter diesen Melodien, die Arpeggios, die Synkopen sind anderes – aber die Melodien sind immer erkennbar. Ich wollte diese Melodien feiern, das war für mich ein wichtiger Ziel. Auch wenn es diese komplexen harmonischen Synkopierungen gibt: Ich stelle die Melodien nie hinten an.

War der Ansatz ähnlich zum ersten Tribute-Album "All Your Life: A Tribute To The Beatles", das sie 2013 veröffentlicht haben?

Ich denke, damals habe ich die Melodien absichtlich verfremdet. Nehmen Sie einen Song wie "Michelle", es könnte für viele schwer sein, zu erkennen, dass es sich um den Song "Michelle" handelt. Das Stück hatte bei mir eine ganz andere Rhythmik, fast schon einen Avantgarde-Ansatz. Ich liebe das – und dann gibt's natürlich auch Songs, die näher am Original waren. Aber damals wollte ich die Produktion sehr simpel halten. Ich wollte es damals simpel halten, mit der Akustikgitarre. Tausende haben Tribute-Alben aufgenommen, auf denen sie die Beatles kopieren. Das wollte ich keinesfalls. Ich nahm mir vor die Welt meines Gitarrenspiels in jene der Beatles bringen – mit all der Schönheit, die sie erschaffen haben. Aber damals schon wusste ich, dass ich irgendwann einmal etwas viel ausproduzierteres machen möchte. Ein Album, auf dem ich selber die meisten Instrumente spiele und viele Teile hohen Wiedererkennungswert haben. Und dann sollte es wieder Teile geben, bei denen ich absolute Freiheit habe. Obwohl ich in meiner Arbeit natürlich immer absolute Freiheit in meiner Arbeit habe.

"Fünf Millionen Meilen weiter gab es die nächste Band"

Als wir uns zum Interview für Ihr letztes Album "Opus" in Berlin trafen, erzählten Sie, es wäre der erste Longplayer gewesen, bei dem Sie glücklich gewesen sind.

Ja, ich hatte damals eine deutsche Frau geheiratet, die tollste Person, die ich je kennengelernt habe. Wir haben ein wundervolles Kind bekommen. Ich schrieb die Musik, während die beiden im Nebenzimmer waren. Früher musste ich mich fürs Schreiben immer in Isolation begeben – das ist zwar komisch, aber so machte ich eben die Platten: Immer in Isolation, total fokussiert, keine Unterbrechung. Aber bei "Opus" war es einfach nur Fröhlichkeit und Glück. Ich dachte schon, vielleicht kann ich so gar nicht schreiben (lacht), vielleicht muss ich immer ein wenig schlecht drauf sein, wie bei den anderen Platten. Aber ich lag falsch – diese Platte hatte eine Schönheit, die frühere Werke nicht hatten.

War die Stimmung bei der Arbeit an diesem Album ähnlich entspannt?

Es war wundervoll. Ich nahm das Album in meinem eigenen Studio auf – mit einem riesigen Arsenal an Gitarre. Es waren vielleicht 70-80 Gitarren, aus denen ich auswählen konnte. Viele Amps, viele Keyboards und viele Percussion-Instrumente, aus denen ich wählen konnte. Ich spiele auf diesem Album ja viel Percussion. Ich hatte alles hier. Es war ein toller Prozess, ich war zuhause, musste nirgendwo hin fahren. Wir arbeiteten 13 Stunden, jeden Tag. Manchmal musste ich weg, ein bisschen touren. Es war ein sehr freudvoller Prozess, diese Platte zu machen. Ich bin immer noch ganz vernarrt in diese Musik, ich höre sie immer noch jeden Tag. Sie bringt meine Jugend zurück – und den Leuten geht es genau so. Es versetzt einen in eine Zeit, die weniger kompliziert war und nicht so viele Probleme hatte. Eine Zeit, in der das Leben simpel, sorglos und spaßig war. Musik von den Beatles löst das in einem aus. Ich habe die Musik viel analysiert und war von den Kompositionen sehr fasziniert: Die Melodien sind sehr eingängig – aber keine andere Band hatte diese künstlerische Tiefe. Sie haben viele Stücke, auch viel harmonische Tiefe besitzen – viel fortgeschrittener als die anderen Popbands. Dann kommt noch die Produktionsebene dazu – und schon hast du eine Band, die niemals von einer anderen Band übertroffen werden kann.

"In der großen Tradition von Al Di Meola"

Gab es Ihrer Meinung nach eine Band, die dem nahe kam?

Ich denke, fünf Millionen Meilen weiter gab es die nächste Band. Die Beatles haben die Messlatte so unglaublich hoch gelegt. Viele orientierten sich daran – und mein Gott, gab es in den 1960er-Jahren tolle Musik. Heute haben wir sowas nicht mehr.

Ihr Studio ist in Miami, richtig?

Nein, mein Aufnahmestudio ist in New Jersey, ich habe ein Schreibstudio in Miami. Dort mache ich viel Vorbereitungsarbeit – und zum Aufnehmen, wenn alles fertig ist, geht es ab nach New Jersey.

Einer der Gaststars auf dem Longplayer ist Randy Brecker. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich wollte unbedingt einen weiteren Brass-Player auf dem Album haben. Ich habe mit Randy schon davor gearbeitet, er ist wahrscheinlich der größte lebende Trompetenspieler. Ich habe ihn gefragt – und war extrem erfreut, dass er ja gesagt hat. Ich hatte auch einen Tabla-Spieler auf der Platte, Amit Kathekar. Es war großartig.

Als ich Sie beim letzten Mal fragte, was als nächstes ansteht meinten Sie: Ein Live-Album, ein Beatles-Album, ein Piazolla-Album. Lassen Sie mich diese Frage heute wiederholen: Was machen Sie als nächstes?

Ich denke, es wird ein Album mit Eigenkompositionen werden. Ich kann nicht schon wieder ein Tribute-Album nachlegen. Wahrscheinlich ist es also Al-Di-Meola-Album ein Album mit Kompsitionen von Al Di Meola in der großen Tradition von Al Di Meola (lacht).

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