laut.de-Kritik
Gib ihm einen Song, Van macht vier draus.
Review von Philipp KauseDem Jazz und seinen coolen Strömungen hatte sich Van 'the Man' gerne zugewandt, ohne jemals wirklich Jazz im Sinne 'improvisierter' Musik zu spielen. Angejazzt hingegen war nicht nur "The Healing Game", sein Album von 1997. Jazz-Verziertes komponierte der irische Sänger und Mundharmonikaspieler stets gerne. Folgerichtig lud ihn das Montreux Jazz Festival besonders häufig als Headliner ein: 1974, 1980, 1984, 1997, 2004, 2016 und zusammen mit Joey DeFrancesco 2018.
Während etwa der Mitschnitt von 2016 nur als Bootleg existiert und der von 1997 bisher gar nicht verfügbar war, schließt sich nun letztere Lücke. Von etlichen Songs wie "Rough God Goes Riding", "Foreign Window", "Fool For You", "Sometimes We Cry", "It Was Once My Life", "This Weight" und "Fire In The Belly" lassen sich jetzt jeweils Studio- und Live-Fassung vergleichen. Den Titelsong liefert die "20th Anniversary Deluxe"-Edition zwei Jahre verspätet und zum 22. Geburtstag mit etlichen weiteren Versionen.
Um das "The Healing Game"-Gesamtbündel aus 44 Tracks einschließlich Medley zusammenzufassen: Diese 3-CD-Box zum Preis von einer Scheibe darf sich rühmen, das Dreiecksverhältnis von Jazz, Blues und Rock herausragend auszuloten und in etlichen Facetten fühlbar zu machen. Fast alle enthaltenen Tracks sind Schwergewichte. Auf den hier besonders kehligen Gesang muss man sich ebenso einlassen wie darauf, dass Saxophone das Album über weite Strecken maßgeblich prägen (Pee Wee Ellis aus der James Brown-Band an Alt- und Sopran-Saxophon). Eine Vorliebe für XL-lange Songs erleichtert dem Hörer wie auch beim Genuss anderer Morrison-Platten das Vergnügen. Insgesamt besticht die rhythmische Balance aus Stringenz und Lockerheit. Viele der Songs sind eher langsam, aber anders als etwa auf Vans Ultra-Klassiker "Astral Weeks" nicht süßlich-einlullend, sondern Blues-erdig, rau und dreckig; besonders hinsichtlich Vocals und Drums.
Beispielhaft sei anhand eines Songs erläutert, welche Vorteile die mehrfachen Ausführungen der Songs mit sich bringen. "Fire In The Belly" ist dreimal vertreten. Der Titel wartet mit gelungenem Call-/Response-Gesang auf. Diesen liefert Morrison sich mit Katie Kissoon. Inhaltlich geht's ums Verliebtsein im Winter und das Erleben eines inneren Frühlings, während außen alles still und starr ist. Das Feuer im Bauch sind die "Schmetterlinge". Jemandem völlig verfallen sein, komplett durcheinander mit allen Sinnen, während sich alles um die Eine oder keine dreht. Diese Rolle setzt Van Morrison mit seinem etwas betrunken klingenden Gesang vortrefflich um.
"Fire In The Belly (Alternate Version)" überrascht auf CD 2 als federleichte Unplugged-Piano-Ballade. Dort hört man fast nur säuselndes Tasten-Geklimper und Vans auffallend kraftvolle Stimme. Weil sich der Tune ganz unterschiedlich auslegen lässt, dominiert die Hammond-Orgel ihn auf "Fire In The Belly - Live At Montreux". Wie so oft bei Morrison verleitet die Live-Version weit mehr zum bewussten Hinhören als die Studiofassung. So erlebt man den gesamten Montreux-Block auf CD 3 als echten Gewinn und in exzellenter Tonqualität. Das Saxophon-Solo begeistert als Höhepunkt. Die beiden Aufnahmen unterscheiden sich in der Länge der Baritonsaxophon-Passage und in der Tonalität: im Studio elegisch à la David Sanborn, live treibend und peitschend à la Clarence Clemons.
Inmitten der dargebotenen Instrumenten-Vielfalt prägt auch ein Tenorsaxophon Teile des Albums, so auf "The Weight". Van presst seinen Atem in die Mundharmonika, um "Waiting Game" zu eröffnen und "Rough God Goes Riding" einzuleiten. Letzterer war mit über sechs Minuten eine ungewöhnlich lange Radio-Single und spannend konstruiert. "Piper At The Gates Of Dawn" hat nichts mit Pink Floyds spooky Meisterwerk zu tun. Die 'Pipes' sind ein Dudelsack, im Irischen 'Uilleann Pipes' genannt. Der krumme Titel geht auf das Jahr 1908 und die Kinder-Novelle "The Wind In The Willows" zurück. Für Wind sorgt auch eine Pfeife, eine 'Whistle'. Die spärlichen Folk-Anteile der Platte kann man als Vans Spleen abtun, doch sorgen sie für Abwechslung und verleihen dem Album sakrale Momente, die das Ohr für Feinheiten eichen.
Als geheimer Hit des Albums kristallisiert sich das scharf gespielte und rockige "Burning Ground" heraus. Der Song reißt mit und steht in einer Reihe mit so zeitlosen und charismatischen Liedern wie "Tangled-Up In Blue" von Bob Dylan. Eine runde Sache, die Soul und Rock vereint. Ein zweiter Secret Hit ist "Full Force Gale '96", der ursprünglich mit Ry Cooder eingespielt wurde. Die spätere Version klingt deutlich überarbeitet, reduzierter, viel besser im Sound, zugänglicher und eingängiger.
Die akustische Aufnahme "Didn't He Ramble" auf CD 2 scheint ein völlig anderer Song zu sein als der von 1976 mit Chris Barbers Big Band und Dr. John. Das hingebungsvolle "Sometimes We Cry (Full Length Version)" ist so bezaubernd, dass man sich gerne hineinlegen möchte. Rhythm & Blues-Fans bietet der Track "Van Morrison & Carl Perkins - Boppin' The Blues" einen fantastischen Stomper. Auch alle weiteren Mitschnitte aus der Session mit Carl Perkins platzen vor Spielfreude und Rhythmusgefühl - da waren zwei im selben Groove.
Schmissiger, sportlicher, weniger ländlich und weniger ölig tritt Van - auf CD 3. Die üppigen 80 Minuten aus dem Schweizer Kurort mit dem 1967 gestarteten Festival von Weltrang berühren. Zum einen, weil sie so vollendet klingen und zum anderen weil sie sehr sensitiv für Details sind. Alle Beteiligten an allen Instrumenten sind voll bei der Sache. Jeder fügt seinen charakterstarken Teil zum Klang hinzu. Keines der vielen Instrumente ist nur Zierde. Hier tauchen auch mehr kurze Songs auf, wie "Tore Down À La Rimbaud" und das zarte "Who Can I Turn To (When Nobody Needs Me)". Sie spannen einen weiten Bogen von erdig hingerockten Brettern bis zu elegantem, edlen Filmmusik-Style. Auch witzige, kantige, etwas verquere Titel wie "Vanlose Stairway / Trans-Euro Train" finden ihren Platz. Schwierig, das alles zu übertreffen!
2 Kommentare
Bei Neuauflagen stellt sich mir immer die Frage nach klanglichen Verbesserungen. Hierzu wird nichts erwähnt?!?
Für das "20th Anniversary" kommt es 2 Jahre zu spät. Auf dem Cover heißt es nur "Deluxe Edition".
Aber ein vorbildliches, ja fürstliches Reissue hat Sony da veröffentlicht. Warner hat "Astral Weeks" nicht mal eine 50th Anniversary spendiert.