laut.de-Kritik
Surfen auf der Retro-Welle.
Review von Yannik GölzJe jünger neue Artists sind, desto nostalgischer klingt ihre Musik. Keine Ahnung, woher das kommt, vielleicht ist TikTok einfach die Kryokammer plus Fukuyamas "Ende der Geschichte" zum Quadrat. Alle Sounds und Trends sind dort eins, jeder ist nostalgisch für alles, am aller-nostalgischsten für die Gegenwart, Zeit vergeht zugleich überhaupt nicht und, falls doch, passiert alles auf einmal. Soweit die einleitenden Gedanken zum Phänomen PinkPantheress.
Die englische Teenagerin ging während des Lockdowns damit viral, gleichzeitig TLC und alle coolen britischen Electronica-Acts der 2000er zu sein. Ihr Debütalbum "Heaven Knows" ist ein Stück zuckersüße Wehmut, so zeitlos, dass es nur genau jetzt erscheinen kann.
Nachdem sie bereits auf ihrem Mixtape "To Hell With It" mehr oder weniger klar gemacht hat, dass sie ihre Internet-Wurzeln wohl kaum verraten wird, zeigt sich auch hier wenig Wille zum konventionellen Album. "Heaven Knows" besteht weiter vor allem aus Jingles: ein Sammelsurium an süßen, kleinen Loops und Vocals, die wie Sprachmemos klingen, verträumt, leichtfüßig, schwermütig.
Eine gewisse Skepsis war spürbar, ob sich der Erfolg von "To Hell With It" replizieren lässt. Man muss dagegenhalten: Ist er, ziemlich. Die Songs hier halten sich nicht viel mit Aufbau auf, selten haben sie groß Struktur oder führen die Instrumente nacheinander ein. Loop, Vocals, raus. Aber PinkPantheress ist ein Genie an den Loops: Sie weiß einfach, wie man binnen weniger Momente ein musikalisches Motiv und eine Stimmung etabliert.
"True Romance" zum Beispiel gibt fünf Sekunden Sample von blitzenden Kameras, dann kommen akustische Gitarren mit einem Mörder-Groove, eine Vocal-Line mit unwiderstehlichen Melodie, eine magnetische Bassline und Zeilen wie "I've been a fan of yours since 2004". Es geht um parasoziale Beziehungen, sie gibt sich weiterhin als Fan, als Mädchen, das aus ihrem Zimmer heraus ihren Idolen nacheifert. Für jemand, der den Song des Sommers gemacht hat, vielleicht ein wenig müßig, aber die Ergebnisse sprechen für sich: Der Song evoziert Message-Boards und Paris Hilton-Mode, pinke Taschen mit Chihuahuas und am Anfang des Schuljahres neue Hefte und Einbände einkaufen gehen.
Central Cee kommt in "Nice To Meet You" für ein paar Beziehungsprobleme vorbei. Die beiden wirken ein bisschen asymmetrisch, aber es ergibt fast zu viel Sinn, wie PinkPantheress das schüchterne, verliebte Mädchen gibt, und Cee den fuckboyigen Klassensportler, der es nicht auf die Reihe kriegt. Es gibt auch einige experimentellere, klotzigere Momente wie die angespannte, nervöse Stimmung auf "Feelings" oder das irgendwie Drain Gang-eske "Ophelia". Ein Bladee-Feature, das wäre was gewesen.
Alles gipfelt dann in besagtem Sommerhit: "Boy's A Liar, Pt. 2" mit Ice Spice ist zur Abwechslung ein Megasong, der seinen Artist eigentlich perfekt repräsentiert. Die beiden mimen glaubhaft Freundinnen, die sich zusammen über einen Typen auskotzen, selbst, wenn die Lyrics keine arg kohärente Geschichte erzählen. Der Groove ist unwiderstehlich, Ice Spice hat wohl auch den besten Verse des Albums hier, aber der Refrain von PinkPantheress gegen diese federleichte Produktion ... kein Wunder, hat man das den ganzen Sommer über gehört.
Nein, "Heaven Knows" ist kein großes Album, das Risiken eingeht und die Methoden und Geschichten seiner Protagonistin vorantreibt. Es ist PinkPantheress durch und durch, zu beschäftigt damit, von welcher Retro-Welle sie sich gerade treiben lassen möchte, um an die Zukunft zu denken. Am Ende liegt es doch an der Effizienz, mit der diese Tracks funktionieren. PinkPantheress nimmt das Medium Album, und hält ihm TikTok-Mixtape entgegen. Aber anders würde es für sie wahrscheinlich überhaupt nicht funktionieren.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Sehr schön, sehe vieles ähnlich. Die Melodien sind einfach sehr ansteckend, mag das Album sehr gern: https://www.youtube.com/watch?v=hHvzUmlMwSw
Welches Album?
höhö
4 von 5, weil das Central Cee-Feature geht gar nicht.
Boah. Feelings fickt mich weg. So krass das Album, Beats sind top notch