laut.de-Kritik

Axel Kurth glaubt immer noch an Anarchie.

Review von

Immer noch dieselbe Scheiße mit dem Scheißsystem und den Scheißpolitikern und den Scheißbonzen und dem Scheißkapitalismus. Das macht Wizo schon wieder so wütend, dass die Deutschpunk-Veteranen sich wieder mit einem neuen Album zu Wort melden, nachdem sie ja mit "Punk Gibt's Nicht Umsonst! (Teil III)" ihr Comeback nach vielen Jahren Auflösung in die scheißpostkapitalistische Welt schleuderten.

Dass von den alten Wizo eigentlich nur noch Sänger, Gitarrist und Songschreiber Axel Kurth übrig ist, soll der Deutschpunk-Freude keinen Abbruch tun, denn Wizo klingen auch 2016 und in anderer Besetzung genauso, wie man sie zu "Uuaarrgh!"-Zeiten lieb gewonnen hat. Spoiler-Alarm: Kurth hat's noch immer drauf. Auch wenn sich der neue Longplayer textlich vor allem im ersten Drittel mancherorts in Plattitüden verliert.

Kurth hat mit "Adagio" eine beinahe klassische Hymne geschrieben, die den Reigen feierlich eröffnet. Der Glaube ans Punk-Utopia ist allem Anschein nach immer noch intakt, das System sowieso längst mit Pauken und Trompeten gescheitert. "Drum nennt's ruhig Wahnsinn / Nennt es Utopie / Ich träume immer noch von Anarchie", singt Kurth, und zählt auf, was in diesem Utopia keinen Platz hat: Gott, Staat, Kapital, Regierung, Papst, König und - klar - Flaschenpfand.

"Adagio" ist musikalisch ein ziemlicher Knaller, driftet aber auch immer wieder ins Stereotyp-Alberne ab. Saufen als Leistungssport als Alternative zu Krieg und Völkermord zu nennen, nimmt das der eigenen Systemkritik doch ein wenig die Ernsthaftigkeit, hedonistischer Lebensentwurf und Punkertum hin oder her. Bei Stellen wie "Nie wieder Arbeit, nie wieder waschen" und "Die Hosen runter, die Tassen rauf / Heut wird gefeiert, drum kleine Schwester sauf" schaudert es einen kurz - kann man darüber hinweg sehen, hat man es mit einem fulminanten Opener zu tun.

Nicht nur das System ist scheiße, sondern natürlich auch der Wahlkampf, in dem man die Gesichter des Scheißsystems wählt - oder auch nicht. Das thematisiert das kreativ betitelte "Wahlkrampf", das leider nicht über Pennälerlyrik hinauskommt: "Bald hier ist Wahlkampf, die schöne Zeit / Große Versprechen nur weit und breit / Hände geschüttelt, Köpfe gestreichelt / Doch Macht und Gier regieren hier".

Textlich wird's auch bei "Verwesung" nicht besser: "Jeden Morgen das Gleiche / Immer der selbe Scheiß / Keine Chance auf Ausbruch / Und es ist wieder so weit / Geh zur Arbeit weil's sein muss / Bin ein Teil des Systems / Miete zahlen und fressen lassen sich nicht umgehen". Das können Wizo textlich besser, musikalisch gibt es allerdings sowieso auf der ganzen Strecke nichts zu meckern.

Dabei gibt es viel Konkreteres und Aktuelleres, über das es 2016 wütend zu sein gilt, ohne sich in die alten Klischees zu verlieren: Die erstarkten Populisten, Zündler, Öl-ins-Feuer-Gießer und Brandstifter, die Apathie und Gleichgültigkeit, die Zäune und verunglückten Boote. Wizo greifen diese Themen auch auf, in "Bierboot" und "Deja Vu" beispielsweise.

Eine nostalgische Hymne auf die eigene Vergangenheit stimmt die Band später bei "Chaostage 94" an: "Denn wir waren 94 auf den Chaostagen / Und das reicht mir, wenn ichs weiß / Und selbst wenn du es mal vergessen solltest / Hab ich Fotos wenn ich weiß", heißt es da. Dürfte allen Wizo-Fans die eine oder andere Krokodilsträne ins Knopfloch zaubern Auch ist mit "Antifa" die obligatorische Anti-Nazi-Hymne am Start.

Slogan- und Hymnenhaftigkeit, Wut, Politkritik, Sarkasmus und auch die nötige Portion Hedonismus: In den zahlreichen guten Momenten der Platte gelingt das Wizo spielerisch. Beispielsweise bei "Wahrheit" oder "Dummheit" - und ganz besonders beim grandiosen Apocalypso: "All die leckeren Sachen, die wir hier so essen / Die sind hier so billig / Und das hat einen Grund / Dafür hungern andere / Sie leiden und sterben / Das ist kein Geheimnis sondern ziemlich bekannt / Und wenn all die anderen keinen Bock haben zu sterben / Dann dürfen wir uns nicht wundern / Wenn sie dann kommen werden / Dann gibts unsere Rechnung und dann heißt es zahlen / Viel zu lang ging es gut, doch dann sind wir dran / Was sind dann schon Grenzen, was sind dann schon Zäune / Was ist, wenn man hungert, ein Ozean".

Ganz am Ende, bei "Hässliche Punker" haut Kurth, der alte Spitzbub, noch einmal textlich auf die Kacke und analysiert den psychologischen Unterbau von Punks, Homophoben, Gangstern, Nazis und Sänger, um am hymnischen Ende zum Fazit zu kommen: "Soviel Weisheit, soviel Klugheit die ich euch zur Kunde tu / Ihr braucht keine anderen Götter, ihr braucht Axel Ku...rth". Is klar, Axel, willkommen zurück. Schon geil.

Trackliste

  1. 1. Adagio
  2. 2. Wahlkrampf
  3. 3. Verwesung
  4. 4. Bierboot
  5. 5. Antifa
  6. 6. Déja Vu
  7. 7. Chaostage94
  8. 8. Trübsal
  9. 9. Lieblinge
  10. 10. Wahrheit
  11. 11. Dummheit
  12. 12. Apocalypso
  13. 13. Hässliche Punker

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2 Kommentare mit 22 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Sowas von unerträglich, vor allem dieses Verherrlichen von Saufen. Musik für Leute, die meinen, dass sich einkoman und schlechte Musik Hören ein politisches Statement wären.

    • Vor 7 Jahren

      Du magst wahrscheinlich auch nicht die Ramones und setzt auch ansonsten eher auf politische Korrektheit statt korrekte Rechtschreibung?
      Aber wie auch immer, Musik ist halt immer Geschmackssache und es ist nun mal PUNK (!).
      Ich freu mich jedenfalls aufs neue Wizo-Album! Da werden Erinnerungen wach...

    • Vor 7 Jahren

      Was hat es mit Geschmack zu tun, wenn ich Texte wie "Die Hosen runter, die Tassen rauf / Heut wird gefeiert, drum kleine Schwester sauf" abstoßend finde. Die Hälfte aller stationären Krankenhaus ist alkoholbedingt, ein dritter aller angezeigten Körperverletzungen wird unter Alkoholeinfluss verübt. Und dann wird das Ganze noch mit irgendwelchen "politischen" Inhalten vermengt, die RAF wird verherrlicht usw.

    • Vor 7 Jahren

      Und was hörst Du so? Da auch alle Texte streng kontrolliert, dass sie alle korrekt sind?

    • Vor 7 Jahren

      @Oelke, in sich rein hört Oli nicht, das steht fest.

    • Vor 7 Jahren

      Wenn ihr mehrmals in der Woche mit einem Zug fahren würdet, der entweder ZGAs nach Düsseldorf/von Düsseldorf wegbringt, mit Kegel- bzw. Saufgruppen gefüllt ist oder Fußballfans (gefühlt aller Vereine) irgendwo hinbringt, dann würdet ihr mich verstehen.

      Saßt ihr schonmal in einem Abteil mit 30 ü-50 Weibern, die T-Shirts mit der Aufschrift "Die feuchten Kegel – such Dir eine aus!" getragen haben und sich entsprechend verhalten haben? Schön mit Plastiksektgläsern und sirenenhaftem Lachen? Und zu 90% ist deren Verhalten auf Alkoholkonsum zurückzuführen, daher meine Abneigung.

    • Vor 7 Jahren

      Ok, das verstehe ich ja durchaus.
      Ich verstehe da aber nicht ganz die Verbindung zu einer Textzeile von Wizo. Es ist ja nicht so, dass sie auf Albumlänge den Alkoholismus propagieren. Insofern vielleicht etwas übertrieben, sich gerade das mit einer Lupe rauszusuchen und an den Pranger zu stellen.

    • Vor 7 Jahren

      Geil, Ticket ist gekauft.

    • Vor 7 Jahren

      olivander ist halt nur pissed, weil mutti die flasche immer mehr lieb hatte als ihn.
      kann man seiner mutter aber auch nicht verdenken.

    • Vor 7 Jahren

      Uff, wenn man die vertrocknete Pflaume nur noch mit ein bisschen Nassem die Kehle runter auseinander bringt, dann lieber so als gar nicht. Unsere Gesellschaft ist schon verkrampft genug. :kiss:

    • Vor 7 Jahren

      Kommt mir so vor, als wäre der Punk nur wegen Olivander erfunden worden...

    • Vor 7 Jahren

      Olivander, warum denn so verbiestert?
      Lass den Leuten doch ihren Spaß, solange das (auf die Person gerechnet) nicht jede Woche vorkommt, ist doch alles in Ordnung. Und dass du in dem Moment schlecht gelaunt und obendrein auch noch nüchtern im Zug sitzt, während überalterte Kegelmuschis einen drauf machen, ist tragisch, aber zu verkraften, du aermer Mensch.
      Dafür kannst du es dir dann zuhause bei Rosamunde Pilcher und einem Glas stillem Wasser gemütlich machen und dich von den Strapatzen dieser kräftezehrenden Zugfahrten erholen ;)

  • Vor 7 Jahren

    ich war auf dem reunion-konzi in würzburg. ohne scheiss, die wollten fast 30€ für ne karte :eek: :eek: :eek: welcher anständige assipunk hat bitte 30 tacken über für ne wizo karte :confused: das konzert war in den posthallen. für alle die, die noch nie in wue waren, die posthallen sind direkt am bahnhof. würzburg hat noch ne relativ große bahnhofspunkszene, also wo noch wirkliche asseln dabei sind.
    Das wär sehr bezeichned. all die, die untertags als bankkaufmänner oder buchhalter arbeiten und sich am wochenede die kaputte jacke anziehen, bei nixgut.de bestellen und sich n iro gelen waren da. die punks 2.0
    die anständigen und braven assibahnhofspunks, die wirklich den lifestyle pflegen, durften nicht rein und mussten draußen bleiben :( tja, das meine damen und herren, ist "Punk" anno 2016

    • Vor 7 Jahren

      Sollen die gratis spielen oder was? :D
      Höchstens bei den Mai-Krawallen.

      Und vllt sind die Wochenendpunks ja auch die wahren Wizo-Fans und im Laufe der Zeit nur etwas reifer geworden ;)

    • Vor 7 Jahren

      Naja, es gibt einige (weitaus größere) Acts aus Übersee, die nehmen 'nen Zwanni. Fu Manchu z.B. vor 3-4 Jahren in Köln. Ich will damit jetzt nicht sagen, dass jeder für so 'nen Hungerlohn auftreten soll, aber 30 Euro für Wizo hätte ich um's verrecken nicht bezahlt.
      Haben sie wenigstens "Kein Gerede" gespielt?

    • Vor 7 Jahren

      Da hat MeTOOLica nicht unrecht. Clutch hat auch nur 30 gekostet. Oder sind die in DE so unbekannt?
      Meinetwegen auch Baroness, Mastodon.

      30 für WIZO? What? Das sind die längst nicht wert.

    • Vor 7 Jahren

      Wo von träumt ihr eigentlich? Hallo erst fallt ihr euren Eltern seit nun fast 30ig Jahren zur Last, wärend ihr sie zuerst dabei bestaunt beim ab tanzen auf die Hosen. Nun kommt einer der Generation und lässt sich fürstlich bezahlen von euch, damit ihr nochmal staunen könnt bzw. es nicht vergesst. Dann lungert ihr in einer Kommentarzeilen bei Laut rum und beschwert euch da rüber das alles was kostet. Na euch geht´s wirklich gut.

    • Vor 7 Jahren

      Habe die ersten zwei Sätze jetzt etliche Male gelesen und fühle mich etwas hilflos...
      was für eine Krankheit hast du denn jetzt eigentlich?

    • Vor 7 Jahren

      @ metoolica

      weiß nicht, was du hast.nach 2 flaschen eckes edelkirsch finde ich mich durchaus in seinen texten wieder :lol:
      altem hund bringste halt keine neuen tricks mehr bei,den muss man so nehmen wie er ist oder eben einfach überlesen, in seinen besseren momenten ist er ja auch manchmal ganz unterhaltsam :-)

    • Vor 7 Jahren

      Ein klassischer Meuri...

    • Vor 7 Jahren

      Skandal, da wäre ich doch glatt eingebrochen und hätte besoffen die Bühne geraidet.

      Meuris Beitrag natürlich auch wieder ein Goldstückchen.

    • Vor 7 Jahren

      @dHvW
      Bei uns gibts nur Nordhäuser saure Kürsche, aber ich glaube ich weiß, worauf du hinauswillst ;)
      Zum Abenteurer Azeroth's kann ich nur sagen: ich überlese ihn idR und finde diese Mobbingdynamik auch etwas befremdlich, aber wenn er so wirr frontet kann man ja wohl kontern iksdeh

    • Vor 7 Jahren

      Meine Karte für die Tour im November hat nur 25 Euro gekostet. Wer danach pleite ist, kann sich dann das neue Album sogar noch kostenlos bei YouTube anhören und muss dafür keinen Cent mehr bezahlen. Da gibt es nicht mehr viele bekannte Bands, die etwas ähnliches bieten.

      Wenn man jetzt noch die Kosten für die Produktion und den Release des Albums sowie die noch anfallenden Kosten für die Tour mal hochrechnet und dem die Einnahmen aus Album- und Ticketverkäufe gegenüber stellt, dann wird jeder halbwegs gebildete Mensch feststellen, dass die Gewinnspanne nicht gerade riesig ist, erst recht nicht im Vergleich zu den anderen "Punkbands" wie den Hosen.

      Sich unter den o.a. Umständen zu beschweren, dass ca. 30 Euro für eine Karte zu teuer sind, ist schon sehr gewagt. ;-) Von ein bisschen was muss Wizo ja auch noch leben. Schließlich haben die auch nicht so einen Output wie andere Bands, die jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen (und das nicht kostenlos) und dauerhaft auf Tour sind.

    • Vor 7 Jahren

      Und, haben sie jetzt "Kein Gerede" gespielt?