laut.de-Kritik

"Gib mir einen Song, den ich fühlen kann": Tretti gibt dir zehn.

Review von

Ein Mann mit einer weißen Kappe sitzt an einem Strand, irgendwo in der Karibik. Während im Morgengrauen sanft die Wellen im Sand versickern, nimmt er die letzten tiefen Züge aus seinem Blunt. Er schaut aufs Meer, doch sein Blick hängt tief in der Vergangenheit. "Nichts ging mehr, denn ich war schon tot", murmelt er ungläubig. Wie in Trance wiederholt er den Satz, den die Stimme in seinem Kopf ihm entgegenschreit: "Atmen, Junge, du musst weiteratmen, Junge."

Er erhebt sich langsam, geht, immer noch benebelt, aufs Wasser zu und schließt die Augen. Zu schön sind diese Gedanken, um sie loszulassen, zu schön, um wahr zu sein. Nur mühsam kommt er in diese Welt zurück. Er spürt, wie ihm mittlerweile die Sonne ins Gesicht scheint.

Er öffnet die Augen, die ungläubig gegen die Helligkeit anblinzeln. Er steht "Knöcheltief" im türkisblauen Wasser, weit draußen jagen knapp bekleidete Schönheiten mit Jet Skis über den Horizont. Die Palmen hinter ihm: schwer behangen mit überreifen Früchten. Er, der auf den Namen Trettmann hört, grinst breit. Nein, kein Traum. Das ist die Wirklichkeit. Das ist alles echt.

Man versteht so gut, warum Trettmann sein Glück kaum glauben kann. Zu lang war diese Hoffnung zu trügerisch, zu oft wurde sie enttäuscht. Dass ausgerechnet jetzt, nach so vielen Jahren, alles passen soll, erscheint absolut surreal. Nachdem er Deutschland im vergangenen Jahr eigentlich nur einmal eben zeigen wollte, wie das mit diesem Autotune richtig funktioniert, prägte er quasi über Nacht den Sound einer Epoche.

Plötzlich wollten alle seinen Vibe, seinen Namen und seine Beats. Der Name KitschKrieg hallte anerkennend von einer Produzentenkammer in die nächste, versichernd, dass das jetzt das sei, was das Land brauche. Wer reagierte da nicht misstrauisch?

"#diy" ist der Versuch Trettmanns, den Wahnsinn des vergangenen Jahres irgendwie in Worte zu fassen. Dieses "gefühlte Debüt", wie es im Pressetext heißt, versucht gar nicht erst, an den Erfolg der "KitschKrieg EPs" anzuknüpfen. Vielmehr kehrt Trettmann sein Innerstes nach außen, damit die Menschen ihn verstehen, seine Wurzeln kennen. Vermutlich auch, damit sie ihm erklären können, wie zum Teufel er da hinkam, wo er jetzt steht. Er ahnt vermutlich nicht einmal, was für ein Meisterwerk er dabei geschaffen hat.

Dieses Album ist eines von der Sorte, dessen Tragweite einen erst beim zweiten, dritten Mal trifft, dann aber mit voller Wucht. Die KitschKrieger knüpfen den perfekten Soundteppich, irgendwo zwischen Pop, Nostalgie und Exotik. Den beiden Berlinern ist vermutlich ebenfalls nicht bewusst, auf wie vielen Ebenen ihr Name Sinn ergibt, wenn sie eiskalte Snares in honigsüßem R'n'B ertränken. Auch wenn die Produktionen deutlich ruhiger klingen als bisher gewohnt, ist kein Beat dabei, der ihre Virtuosität in Frage stellt.

Und was macht Tretti? Der erzählt. Von seiner Heimat, von früher, von jetzt und von dem Schmerz, der da ab und zu in seiner Brust sitzt. "Man kann ihn nicht vollends begreifen, wenn man nicht den Bluessänger in ihm sieht; diese leise Melancholie, die er selbst in seinen euphorischsten Momenten nicht ablegt", liest sich so passend der Pressetext. Worte, die wahrer nicht werden können und die perfekt beschreiben, was dieses Album so großartig macht:

Hier versucht niemand, die Erfolgswelle zu reiten. Trettmann weiß nur zu gut um die fatalen Folgen des Verlierens, als dass er sich überhaupt noch einmal auf dieses Spiel einlassen würde. Nein, Tretti macht das für sich. Ein Album als Salbe für die Wunden aus vergangenen Schlachten, und jedem, dem gefällt, was er macht, küsst er in ergebener Dankbarkeit den Kopf.

Dabei entstehen herzzereißende Songs wie "Billie Holliday", dessen zitternde Hook schon fast zu Tränen rührt: "Ja, ich weiß, die Wahrheit tut weh / doch ich muss jetzt weiter, okay / gib mir einen Song, den ich fühlen kann / mir ist so wie Billie Holliday." Oder "Grauer Beton", dessen persönliche Geschichte die Gefühlswelt einer ganzen Generation zum Ausdruck bringt. Und weil er überhaupt nicht fassen kann, was hier vor sich geht, holt sich Tretti seine Fam ins Boot und gibt 'ne Party.

Haiyti, Joey Bargeld, Gzuz und Bonez, Raf - sie alle sind da, um mit ihm "Nur Noch Einen" zu kippen und zu feiern, dass sie "Gottseidank" hier sein dürfen. Auf dieser wunderbaren Erde, zu dieser wunderbaren Zeit. "Brat Brat, keine Schüsse - Korken knallen / alle happy, keine Sorgenfalten." Auf dich, Tretti. Du hast es dir verdient.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Knöcheltief (feat. GZUZ)
  3. 3. Grauer Beton
  4. 4. Billie Holliday
  5. 5. Dumplin & Callaloo
  6. 6. Gottseidank (feat. Bonez MC & Raf Camora)
  7. 7. Nur Noch Einen (feat. Joey Bargeld & Haiyti)
  8. 8. New York
  9. 9. Fast Forward (feat. Marteria)
  10. 10. Geh Ran

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21 Kommentare mit 28 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Wahnsinnig starkes Album, für mich das Release des Jahres im Deutschsprachigen Raum.

  • Vor 6 Jahren

    So nice, i played it twice...
    Ne, also ich als "Wessi" muss ja sagen - super, dass es endlich mal zeitgemäße Musik gibt, die die Geschichte der "Ossis" aufgreift, erzählt und erlebbar macht!

  • Vor 6 Jahren

    Materia & RAF camora als Feature verbieten 5 Sterne schon mal direkt....

    • Vor 6 Jahren

      Bahnbrechender Kommentar, voll interessant. Hast du noch was beizutragen?

    • Vor 6 Jahren

      Jepp... Die zitierten lyrics lassen die Wertung noch unverständlicher erscheinen....
      "ja, ich weiß, die Wahrheit tut weh / doch ich muss jetzt weiter, okay / gib mir einen Song, den ich fühlen kann / mir ist so wie Billie Holliday".... Wahrlich zum heulen!

    • Vor 6 Jahren

      Ich bin beeindruckt. Du hast wirklich alles verstanden. Ich bin stolz auf dich. Mach weiter so, du öffnest noch bestimmt vielen Menschen die Augen damit.

    • Vor 6 Jahren

      Heul doch, die passende preteengirliemucke hast ja schon....! Des bild is dann wirklich beeindruckend stimmig

    • Vor 6 Jahren

      Ich bin wirklich sprachlos grade, du hast mich perfekt beschrieben. Und das ohne mich kennengelernt zu haben. Ich glaube, ich geh gleich in einer dunklen Ecke heulen und beschwere mich darüber, wie schrecklich mein Leben doch ist. Wie du grade so hardcore ein Leben zerstört hast. Ich bin wahrlich beeindruckt. Ich hätte von Anfang an sehen müssen, dass du definitiv der Intelligentere bist.

    • Vor 6 Jahren

      "dass eine persönliche Meinung anderen Leuten vorschreiben kann, was man für eine Meinung zu Musik haben soll".... Aber auch nur wenns deiner Meinung entspricht, wa oO
      Ich hab dich mit keinem Wort beschrieben, selber rumpimmeln und dann eingeschnappt sein wenn jemand seine vom eigenen sabber eingeweichten posterboys net die Russen vor Füße schmeißt, des doch auch kein move dude

    • Vor 6 Jahren

      Meine Meinung ist genauso irrelevant wie deine. Ich renn bloß nicht rum und schreib unter Reviews, dass Musiker, die ich persönlich nicht mag, einem Album doch definitiv eine gewisse Bewertung verbieten müssten.
      Natürlich hast du mich mit keinem Wort beschrieben. Das ist mir mehr als bewusst. Eingeschnappt bin ich auch nicht, ich hab bloß keinen Bock auf diesen endlosen Negativitätsfilm. Bin auch kein Fanboy von irgendeinem Musiker, und meine, meine Lieblingskünstler dümmlich naiv verteidigen zu müssen. Mein Kommentar war auch nicht zu 100% auf dich bezogen, sondern generell auf jeden, der sowas schreibt, viel angestaute Frustration vom Lesen dieser Webseite. Sorry, dass ich das an dir ausgelebt habe, war wirklich ein dummer Move.

    • Vor 6 Jahren

      Easy, alles kein Ding! Mfg

    • Vor 6 Jahren

      Richtig honey des bringts... es doch nich so oder?!

    • Vor 6 Jahren

      48Stunden: Lösch dich, du Bastard

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      @48 Stunden: Schade dass deine Mutter deinem Vater das Andocken nicht verboten hat

    • Vor 6 Jahren

      Ach wie hart ey... Was erwartest denn für ne Antwort? So ala "wenigstens liefs bei meiner freiwillig während deine leergewichste spermagrotte von mum erst feucht geprügelt werden musste bevor daddy sie "hindufrau-im-bus"style mäßig mit ner Eisenstange vorgewärmen konnte..."

      Aber gut, benimm dich wie kiddie Jahr 2000 rum des auf MySpace einen auf "bin so hart wie Berlin" macht, gönn dir, haste nötig, man weiß in wessen arsch du steckst.....

    • Vor 6 Jahren

      Uuii...Ich würde mich mit niemanden anlegen der sich (((ninja)))Killer nennt

    • Vor 6 Jahren

      Ayk, ich halt mit fischstäbchen, mannbärschwein und princess kenny dagegen....

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      Du meinst schweinebärmann?

    • Vor 6 Jahren

      warum gleich beleidigen du Mikropimmel?

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      weil der homologe ein erbärmliches rl hat und dieses versagen hier mit flachen witzchen, beschissenem musikgeschmack, sowie generell niveaulosen auftreten zu kompensieren versucht.

    • Vor 6 Jahren

      Homologe hat ein spitzen Leben, einen feinsinnigen und pointierten Humor, einen über alles erhabenen Musikgeschmack ausserdem ist sein Auftreten das eines wirklichen Herrn von Welt gleichzusetzen!

    • Vor 6 Jahren

      Über sein Spitzenleben hat er uns ja schon mal in #gromky vollgeheult. Ich war sofort neidisch.

    • Vor 6 Jahren

      Bitte genauer!

  • Vor 6 Jahren

    Wenn man sieht, was hier sonst 4 Punkte kriegt, sind die 5 für Trettman schon berechtigt. Klasse Album, super produziert.
    Ihm wäre ein Peter Fox mäßiger Durchbruch zu wünschen.

  • Vor 6 Jahren

    Ich find die Produktionen des Albums schon mal mega gut. Respekt an Kitschkrieg dafür! Ich mag irgendwie diesen "jazzigen" und melancholischen Einschlag, den das Album hat. Passt auch super zu den Texten und Trettmanns Gesang.

    Besonders die gefühlvollen Songs wie "grauer Beton", Billie Holiday" und "New York" haben mich geflasht. Feier auch "Dumplin & Callaloo" sehr.

    Leider finde ich aber nicht alle Songs gut. "Nur noch einen" und "fast forward" finde ich eher schwach und im Falle von "nur noch einen" sogar ziemlich nervig.

    Trotzdem 5/5 und bestes Album 2017 aus meiner Sicht.

  • Vor 5 Jahren

    habs nachgeholt und bin hellauf begeistert. ein meilenstein im deutschrap.