laut.de-Kritik

Zwischen Pathos-Pop und kultiviertem Schlager.

Review von

Das Debüt von TÜSN gleicht einer Gratwanderung. Bis zuletzt können sich die Berliner zwischen mitreißendem Pathos-Pop und kultiviertem Schlager nicht so recht entscheiden.

Die Songs sind dafür konzipiert, den Hörer in die Knie zu zwingen, schiere Überwältigung lautet das Prinzip des Langspielers, der Assoziationen mit dem Grafen oder uns Herbert weckt. Doch das soll nicht als Vorverurteilung missverstanden werden. Lässt man den Stücken ein wenig Zeit, um sich zu entfalten, erwarten den Zuhörer ein paar echte Perlen.

Schon der Beginn offenbart viele Qualitäten des Trios. Ein pointiertes, taktgebendes Klavier hält die Spannung über die gesamte Spieldauer, ehe sie sich in einem mitreißenden Refrain entlädt. Dazu Lyrics, die rätselhaft erscheinen und zugleich einem totalitären Anspruch nachgehen. Die Frage stellt sich unmittelbar: Haben wir es mit tiefgründigen Inhalten zu tun oder ist das alles nur eine große Komödie, die keiner versteht?

Ins Schlager-Gruselkabinett lädt "Ewig Allein". Die Lyrics animieren zum aus dem Fenster springen: "Schau' dich mit meinen Augen an / und versteh', wie schön du bist." Jeder Vokal wird bis zum Zerreißen in die Länge gezogen, bis auch der letzte Depp die vermeintliche Tragweite der bedeutungsschweren Worte erfasst. Ein Song, wie gemacht für den ZDF-Fernsehgarten, verortet in den dreckigen Katakomben von Sin City, nur weniger cool. Opium fürs Volk.

Auch "Zwang" überzeugt nicht gerade mit einem differenzierten Klangbild. Synthesizer und wummernde Drums überlagern das Geschehen. TÜSN legen Wert darauf, ihre Tracks, so düster ihre Inhalte auch ausfallen, stets tanzbar und eingängig zu gestalten. Über die gesamte Laufzeit kann das schon anstrengen.

Während in "Hannibal" alles kreucht und fleucht, stöhnt und ackert, setzen TÜSN zum Höhenflug an. "Wie Hannibal über die Berge / mit Reitern und Elefanten / um das Schicksal einmal zu schlagen / um uns weiter zu tragen / und es trägt mich." Wenig verwunderlich, dass es die Parabel auf den karthagischen Feldherrn zur Single gebracht hat.

Das unbehagliche Gefühl erreicht mich beim Hören von "Duschen". Noch nicht einmal, weil der Protagonist sich ins behagliche Nest der Gebärmutter zurücksehnt, was natürlich auch zum Schaudern anregt. Nein, der anstrengende Vortrag von Sänger Snöf löst das dringende Verlangen in mir aus, ein lautes, schallendes 'Hurz!' auszustoßen. "Werde zum Kind / bin im Mutterleib / Ich wasche alles sauber / Ich wasche alles sauber."

"Wasser" dagegen steht als Beweis dafür, wie das Album im besten Falle hätte klingen können. Während der Gesang sich über weite Strecken erfreulich zurückhält, darf der Song langsam wachsen, ehe zum Finale Sänger Stefan doch noch mit seinem kräftigen Bariton-Organ die Dämme zum Brechen bringt.

TÜSN leiden. Jede Zeile ihres Debüt-Album ist Ausdruck ihrer gemarterten Seelen. Wie einst Hannibal und seine Soldaten unter Aufwand der letzten Kraftreserven seine Elefanten über die Alpen bugsierte, quälen sich TÜSN mit ihrem irdischen Dasein. Dabei beweisen sie trotzdem immer wieder Qualitäten, die sie für Höheres empfehlen.

Trackliste

  1. 1. Humboldt
  2. 2. Ewig Allein
  3. 3. Zwang
  4. 4. Schuld
  5. 5. Hannibal
  6. 6. In Schwarzen Gedanken
  7. 7. Sturm
  8. 8. Frieden
  9. 9. Schwarzmarkt
  10. 10. Duschen
  11. 11. Wasser
  12. 12. Ihr Liebt Mich Jetzt

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