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Hip Hop ist wieder einmal tot

Enden wir mit einem ziemlich kontroversen, aber lesenswerten Artikel, der in der Woche die Runde gemacht hat. Es geht um ein altbewährtes Thema: Ist Rap denn jetzt tot? Jason England findet: toter als tot. Übertot. Bar jeder Nekromantie. Eigentlich war es schon tot, als er New York verlassen hat.

Dabei macht England aber tatsächlich ein paar gute Punkte und Vergleiche. Zum Beispiel die Über-Kommerzialisierung, die zunehmend wahnwitzigere Integration von Rapperinnen und Rappern in ein ihnen eigentlich feindseliges, hyperkapitalistisches Establishment. Besonders der folgende Absatz sticht, nachdem wir vorhin schon Sidos Hip Hop-Weed-Firma gesehen haben:

"Hip hop in 2023 is mostly something to be leaned on for credibility. It gives the illusion of hipness to regressive ideas. Hip hop has become ornamental. Biggie is on Old Navy and Gap t-shirts. American Capitalism, like the reaper, is always lurking. It will consume your culture, no matter how subversive, and sell it back to you at a higher cost, as a box containing nothing."

(Auf Hip Hop greift man 2023 zurück, wenn man Glaubwürdigkeit braucht. Es gibt regressiven Ideen einen hippen Anstrich. Hip Hop ist Dekor geworden. Old Navy und Gap drucken Biggies Gesicht auf Shirts. Amerikas Kapitalismus lauert überall, wie der Sensenmann. Erst frisst er deine Kultur, egal, wie subversiv sie ist, dann verkauft er sie dir teurer zurück als eine schön dekorierte Hülle ohne Inhalt.)

Ich gebe hier vielen Ideen recht und habe auch nicht mehr die Zeit und den Raum, um wirklich darauf einzugehen, wo ich ihm nicht zustimme, deswegen nur zwei Gedanken. Er sagt an einer Stelle, heute sei Hip Hop "inkohärent". Das ist, glaube ich, der Moment, mit dem ich am wenigsten klarkomme. Natürlich ist es das. Wer denkt, ein Geist, eine Bewegung, eine Idee, die vor fünfzig Jahren aus sehr spezifischen Umständen geboren wurde, könne ein halbes Jahrhundert verbreitet werden und dabei trotzdem annähernd kohärent bleiben, hat keine Ahnung davon, wie Kultur funktioniert. Selbst wenn Hip Hop nie von einem Weißen gesehen worden wäre und wir in einer perfekt anti-kapitalistischen Gesellschaft leben würden, bin ich mir ziemlich sicher, dass 50 Jahre Verbreitung einer Idee dafür gesorgt hätten, dass sie heute ziemlich anders aussieht als ursprünglich einmal.

Das liegt vor allem daran, dass Generationen es einfach nicht mögen, Ideen direkt und treuselig weiterzugeben. Es gibt Konflikt, es gibt Gegenbewegung, und Hip Hop ist ein young people's game. Die jüngste Person, die der Artikel benennt, ist der 33-jährige JPEGMafia. Da wird dann viel gemosert, aber die Vielfältigkeit und die rohe Distanz, zeitlich wie räumlich, die diese Kultur hinter sich gebracht hat, bleibt irgendwie ausgeklammert.

... und dann gibt es am Ende diese endlosen Zinger, die erstmal gut klingen, bestimmt tolle Tweets wären, aber mal ernsthaft: England beschwert sich zum Beispiel über eine weiße Frau Mitte vierzig, die erst seit fünf Jahren Rap hört und ihm erzählt, das Album des Jahres sei zwischen Kendrick und Pusha T. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das eine nicht so vielsagend-tiefschürfende Beobachtung ist, wie er glaubt.

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