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John Lydon "Anger Is An Energy: Mein Leben unzensiert"

Den Autor dürfte jeder halbwegs interessierte Rockfan eher unter dem Namen Johnny Rotten (wegen der schlechten Zähne) kennen. Sex Pistol John Lydon bringt viele Dinge auf den Punk(t): Den ständigen Kampf gegen das sogenannte Shitsystem und die Uniformiertheit (auch des späteren Hauruck-Punks). Hier bleibt kein Stein auf dem anderen. Jeder bekommt eine klare Ansage. Der selbsternannte Chefideologe des Punks, Malcolm McLaren, entpuppt sich als Lydons Intimfeind. Entsprechend verteilt er über die gesamte Distanz des Buches eine verbale Watschn nach der anderen.

Die gesellschaftlich-revolutionäre Pistols-Phase beschreibt der Frontmann mit Stolz, Ironie aber auch Scham angesichts der Drogen-Eskapaden seines Kumpels Sid Vicious. Die musikalisch wesentlich bedeutsamere Phase markieren für ihn die PIL-Jahre. Keine Platte ohne Besetzungswechsel, was jedoch zu einem musikalisch-stilistischen Chamäleon führt, das einzig den 'Anything Goes'-Leitspruch gelten lässt und dabei Knaller wie "Metal Box", "Album" oder "Happy" zustande bringt.

Skurrile Geschichten überschlagen sich förmlich. Man erfährt Wissenswertes über Bondage-Hosen mit Reißverschluss wie Sägezähne im Schritt oder den immer geilen Großvater, der beim Techtelmechtel mit einer Nutte die Treppe runter stürzt und stirbt. Seinen Groll gegen den Katholizismus und dessen Seelenpein, von Dogmatismus bis zu Missbrauch reichend, lässt Lydon an mehreren Stellen raus. Er besuchte nie in den Kirchenchor, da er wusste, dass der zuständige Priester zu den Sängerknaben ein ganz besonderes Verhältnis aufbaute. "Die Liebe zum Singen wurde mir also von dämlichen Priestern ausgetrieben."

Er beschreibt sich selbst als Meister der oppositionellen Lebensentwürfe. Dabei bleibt er stets streitbar und selbstbewusst und kämpft förmlich um seine Reputation, was auf die jahrelange stereotype Berichterstattung zurückgeht. Manchmal lässt er eine klare Haltung vermissen. So mokiert er sich häufig gegen Materialismus oder gewissenlosen Konsum, schlägt aber in den Nuller-Jahren seine Zelte im Dschungelcamp auf, macht Werbung für Butter und freut sich über billige Flüge. Auch wenn es dem Buch an Binsenweisheiten nicht mangelt und des Öfteren die Grenze zu Kalendersprüchen überschritten wird, bleibt ein Statement in seiner Aktualität zeitlos hängen: "Wir sind die anderen. Wir alle sind die anderen. Wir sind wir. Wir alle. Und vive la difference!"

John Lydon, "Anger Is An Energy: Mein Leben unzensiert", Heyne Verlag, 656 Seiten, gebunden, 24,99 Euro. Wertung: 4/5.

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