24. April 2014

"Das Leben ist zu kurz, um immer gleich zu klingen"

Interview geführt von

Auch in der heutigen Zeit der vorgeblich sämtliche Grenzen und Entfernungen negierenden globalen Kommunikation haben sich transatlantische Telefonverbindungen ihren erhabenen Reiz bewahrt: Man sitzt am frühen Abend in Berlin auf seiner Couch und wartet darauf, gleich mit Mark Oliver Everett, dem Sänger und Mastermind der Eels, verbunden zu werden, der am anderen der Welt in Los Angeles und möglicherweise ebenso gerade auf seiner Couch sitzt – mit dem Unterschied, dass es bei ihm erst 10 Uhr am Morgen ist.

Das hat schon was. Aber zunächst einmal hat es so seine technischen Tücken. Der erste Versuch, die Verbindung über die deutsche Vertretung seiner Plattenfirma rüber nach Los Angeles herzustellen, scheitert. Es gebe da ein "technisches Problem". Ein Terminus, hinter dem sich so ziemlich alles verbergen kann, also beispielsweise auch der Umstand, dass Everett, genannt E, an diesem Morgen einfach keine Lust hat, ans Telefon zu gehen, um mit irgendeinem deutschen Musikjournalisten über die neue Eels-Platte "The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett" zu reden. Ein paar Tage später beim zweiten Versuch und nach acht Minuten Gefangenschaft in einer Warteschleife, die irgendwo über dem Nordatlantik ihre Runden dreht und einem mit schlimmster Fahrstuhlmusik auf die Nerven geht, ist dann doch so weit: Erst eine lange Stille, dann ein kurzes Knacken, und plötzlich ist ein freundliches "Hello" aus dem Munde Mark Oliver Everetts vom anderen Ende der Welt zu hören. Los gehts!

In der Vergangenheit hast du oft Alben gemacht, in denen du aus der Perspektive einer anderen Person sprachst. Bei diesem Album verrät ja schon der Titel, dass es ein sehr persönliches ist.

Mark Oliver Everett: Ja, das ist es. Ich lege Zeugnis über mein Innerstes ab, indem ich sehr offen und ehrlich bin.

Ihr habt bereits vor der Veröffentlichung eures letzten Albums "Wonderful, Glorious" begonnen, an diesem Album zu arbeiten, es dann aber wieder zurückgestellt, weil ihr euch nicht wohl damit gefühlt. Das ist etwas, was du auch in der Vergangenheit schon gemacht hast.

Normalerweise ist ja so, dass du an einem Album arbeitest, damit auf Tour gehst, zurückkommst und das Ganze wieder von vorne beginnst für das nächste. Aber wir machen das oft nicht so. Wir arbeiten häufig an einer Platte, und dann gestehe ich mir selbst den Luxus zu, mir Zeit zu lassen und etwas Abstand zu den Aufnahmen zu bekommen und viel später mit einem frischen Blick darauf zurückzukommen und zu schauen, wie wir es noch verbessern können. Und das war der Fall bei diesem Album.

Was hatte sich denn verändert seitdem, dass du und die Band jetzt bereit waren, damit weiterzumachen?

Als ich mit einer frischen Perspektive darauf zum Album zurückkam und nachdem ich mich zuvor lange damit auseinandergesetzt hatte, wurde mir klar, dass darauf sehr viele Songs waren, in denen ich mit dem Finger auf jemand anderen zeigte, aber nicht genug, in denen ich den Finger auf mich selbst richte. An diesem Punkt wurde mir bewusst, dass es auf diese Weise keine lohnenswertes Unterfangen werden würde und damit auch kein besonderen Album. Mir wurde klar, dass es auf dem Album darum gehen muss, Verantwortung zu übernehmen.

Das ist etwas, was missverstanden werden könnte. Als ihr die Arbeiten am Album unterbrochen habt, weil ihr euch damit nicht wohl fühlt, meinte das eigentlich, dass ihr noch nicht unwohl genug damit fühlt.

Ja, genau. Ich merkte, dass mir schon die frühere Version des Albums innerlich Unbehagen bereitete, aber eben nicht genug Unbehagen. Ich habe diesen inneren Mechanismus, bei dem ich weiß, sobald es für mich sehr unbehaglich wird, dann komme ich wirklich gerade dem Kern der Sache und meiner inneren Wahrheit näher.

Auf dem Album haben du und die Band alles allein gemacht, selbst das Arrangement des Orchesters. Wie lief dieser Produktionsprozess ab nachdem ihr wieder begonnen hattet am Album zu arbeiten?

Die Songs waren zuerst geschrieben. Einige waren von mir, andere von verschiedenen Bandmitgliedern. Dann sind wir daran gegangen, die orchestralen Teile einzubauen und zu arrangieren. Das ist ein sehr langer, schmerhafter Prozess und äußerst kompliziert, denn es waren sehr viele Teile und viele verschiedene Instrumente. Danach haben wir unsere Teile der Songs eingespielt, manchmal gleich mit dem Orchester, manchmal kamen sie erst später dazu.

Die Songs eures neuen Albums wirken musikalisch sehr verspielt. Hat es auch Spaß gemacht, es einzuspielen?

Dieses Album hat keinen Spaß gemacht. "Wonderful, Glorious" war dagegen die Art von Platte, bei der es Spaß macht, sie einzuspielen. Wir schrieben alle Songs in einer sehr kurzen Zeitspanne und haben uns einfach getroffen, unsere Instrumente angeschlossen und herumexperimentiert. Aber das hier ist das Gegenteil davon. Es ist wirklich kein Spaß gewesen, es war harte Arbeit, es musste alles sehr exakt sein und das kann dir manchmal den Verstand rauben. Es sind einfach zwei verschiedene Herangehensweisen und so lange man das Ergebnis davon mag, sind es beides gute Ansätze.

"Manche Fehler sind universell"

"The Cautionary Tales of Mark Oliver Everett" ist ein Album über jemanden, von dem du dich getrennt hattest und dies danach bereutest. In der Hauptsache also ein Album über eine zerbrochene Beziehung und welche Fehler du gemacht hast, dass es dazu kommen konnte.

Richtig, genau. Das ist, was ich meinte mit Verantwortung übernehmen. In der früheren Version des Albums gab es zu viele Punkte, an denen ich sagte: Es ist alles deine Schuld. Aber dann habe ich verstanden, dass es meine Schuld war und auch mein Problem. Es gipfelte dann in dem Song "Mistakes Of My Youth", bei dem ich wirklich erkannt habe, dass ich die gleichen Fehler immer wieder mache und dies weit zurückreicht in meinem Leben und ich einen Versuch unternehmen muss, mich zu ändern.

Das ist ein innerer Prozess, bei dem sich wohl jeder sehr unwohl fühlt. Du bist hier aber noch weiter gegangen, indem du es auf einem Album zum Ausdruck gebracht hast, das du nun auch veröffentlichst. Du hast gesagt, es könnte anderen eine Lehre sein, nicht die gleichen Fehler zu machen.

(Lacht) Yeah! Ich dachte, ich werfe mich einfach mal selber unter den Bus und bin ein Beispiel, wie man es nicht macht und vielleicht hilft das ja anderen Leuten dabei, sich ihre Situation und ihre Beziehung genauer anzuschauen und zu sagen: Das ist eine gute Sache für mich, ich sollte es besser nicht in den Wind schießen. Es passiert auch immer wieder, dass Leute ihre Beziehung als gegeben sehen, nur weil sie sich gut und lange kennen. Diese Fehler sind sehr verbreitet unter vielen Leuten, weswegen es auch etwas Universelles hat. Ich dachte, es wäre ganz gut, eine musikalische Version meiner Erfahrungen zu machen.

Du hast einmal gesagt, deine Biografie zu schreiben und die Fernseh-Dokumentation "Parallel Worlds, Parallel Lives" über deinen Vater zu machen, habe dir sehr geholfen, deine Vergangenheit besser zu verstehen und beides habe dich auch sehr verändert. Ist es ähnlich mit diesem Album und den Dingen, von denen du hier sprichst?

Es ist jetzt wahrscheinlich neun Jahre, dass ich das Buch geschrieben habe und diese Dokumentation kam dann auch noch. Auf eine Art ist dieses Album eine Fortsetzung des Buches, wenn du wissen möchtest, was neun Jahre später so los ist. Der Unterschied und das Besondere hier ist, dass ich manche Erkenntnisse zum Ausdruck bringen kann, die ich einfach Noch nicht hatte, als ich das Buch geschrieben habe.

Manche Zeilen in dem Album beziehen sich stark auf deine Familie. Sind also manche Gedanken an sie auch in das Album hineingeflossen?

Der Song "Where I'm From" ist speziell über meine Familie. Ich sage nicht, dass ich Virginia, wo ich ja geographisch herkomme, vermisse, sondern meine Familie. Die Sache ist die: Als meine Familie starb, war das offensichtlich eine sehr traumatische Zeit in meinem Leben. Wenn ich jetzt darauf zurückblicke, war der einzige Weg damit zurechtzukommen und nicht selber draufzugehen, es auszublenden. Ich konnte einfach nicht so viel wie möglich darüber nachdenken. Ich hab das auf dem Album "Electro-Shock Blues" getan und in meiner Biografie und es danach einfach abgeschaltet und nicht mehr daran gedacht. Das ist schon etwas beängstigend und darum geht es in dem Song: Mich dem wieder zu öffnen und mir klar darüber zu werden, dass es mich immer verletzen wird und ich es niemals wirklich überwinden kann.

Du hast einmal gesagt, du möchtest am liebsten immer nur neue Alben aufnehmen, die dann aber gar nicht veröffentlichen, sondern träumst davon, sie in deinem Keller zu sammeln und irgendwann nach deinem Tod kann sie dann jemand sortieren und vielleicht veröffentlichen.

(lacht) Ich denke darüber nach. Denn der spaßige Teil daran, eine Platte zu machen ist der, wo du daran arbeitest und der schlimmste ist der, es zu veröffentlichen. Das ist eine unangenehme Situation und auch eine Situation, in der du sehr verletzlich bist, besonders wenn sich wie hier um ein sehr persönliches Album handelt. Es herausbringen zu müssen, bewertet zu werden, es ist sehr schwer, das dann nicht alles persönlich zu nehmen. Ich denke sehr oft daran, dass es für mich besser wäre, sie einfach nur zu produzieren und selbst nicht mehr da zu sein, wenn sie dann rauskommen.

"Irgendjemand gibt immer seinen Senf dazu"

Hast du denn schon ein paar Alben im Keller, die du nicht veröffentlichen möchtest?

Ich habe dort keine kompletten Alben, aber einige teilweise fertige Alben.

Was nervt dich daran so Platten zu veröffentlichen? Sind es Situationen wie diese hier, in der du dir völlig unbekannten Menschen blöde Fragen beantworten musst?

Nein, es ist die ganze Sache. Es ist der Teil meines Lebens, wo ich mich fühle, als würde ich einen Job machen müssen. Darüber reden, andere Leute darüber reden zu hören, das macht mir einfach keinen Spaß. Es ist vielleicht wie Kinderkriegen, wo ich mir denke, dass Frauen vergessen, wie schmerzvoll eine Geburt ist. Sonst würden sie es nicht noch einmal in Erwägung ziehen.

Du hattest in der Vergangenheit andauernd Konflikte mit deinen Plattenfirmen, wenn es um die Veröffentlichung deiner Alben ging und warst dabei auch selten bereit, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Gibt es solche Konflikte immer noch oder kannst du jetzt machen, was du willst?

Ich denke, ich bin schon sehr frei, das zu tun, was wir tun möchten. Aber irgendjemand gibt da immer noch seinen Senf dazu. Manchmal ist das gut, aber für gewöhnlich nicht. Aber ich höre mir das immer an und bin offen dafür, denn manchmal kommt tatsächlich jemand mit einer guten Idee. Aber das passiert nicht oft.

Der Sound der Eels hat sich immer wieder verändert, ebenso die Art, wie ihr die Songs live aufführt. Das hat oft dazu geführt, dass ihr, besonders auf Festival, in Slots spieltet, die überhaupt nicht zu eurem aktuellen Stil gepasst haben. Habt ihr schon Ideen, wie ihr in diesem Jahr live auftreten wollt?

Das war schon immer ein Problem für uns. Das ist ein Problem, wenn man nicht immer gleich klingt. Aber das Leben ist eben zu kurz, um immer gleich zu klingen. Wir sind gerade dabei, das anzugehen, zu überlegen, wie wir das live aufführen wollen. Es ist der nächste Schritt. Wir müssen uns bald darüber klar werden.

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