laut.de-Kritik

Atmosphärisch stark: Kammermusik für Rock-Fans.

Review von

Kristallklar zupft Kristin Hersh ihre akustische Gitarre. Zu der gibts schon die erste Geschichte. Ihre Collings C-10 hatte Hersh kaputt geschreddert. Eine Reparatur schien dem Hersteller nicht möglich, stattdessen musste der Kopf der Gitarre komplett ausgewechselt werden. 600 Kristin-Fans spendeten daraufhin spontan kleine Beträge und überfluteten den Gitarrenfabrikanten mit Postings. Und so verdanken wir der Aktion zum Beispiel die wunderschönen Intros in "Reflections On The Motive Power Of Fire" und "Bewitched Reruns" an der upgecycelten alten Akustischen. Oder den dissonante Einstieg in "Palmetto", das mit der Zeit etwas unwirklich und verstimmt wirkt - was aber zum Text über die "junkie days" passt.

Starke Momente hat die Prominenteste der Throwing Muses zudem, wenn ihre Stimme trotzig, nachdrücklich wird, und Percussions dies so majestätisch wie fulminant unterstreichen. "To be with you, in the dark", x-mal wiederholt, mutet sie suchend an. "This transfixed hesitation" klingt dagegen wütend. In "Eyeshine" findet sich dieser Moment.

Jede Story hat ihr kleines Drama. Die Lieder beginnen meist sanfter als sie aufhören, die Intensität steigert sich. Bei "Palmetto" tritt in der zweiten Hälfte ein süßes Glockenspiel an die Stelle des Gesangs und verwebt sich mit den Drums zu einem pulsierenden Arrangement.

Das Szenische der Stücke offenbart ab und zu fast schon Regieanweisungen für mögliche Videos. An der "Constance Street" zieht Hersh vorbei. "Walking Jackson Square", heißt es im düsteren Closer "Tunnels", wo eine Liebesgeschichte ein unrühmliches Ende findet: "I lost you." Mit Tunnelblick stapft die Anti-Heldin dem Mondlicht entgegen, bis sie sich von der Straße angestarrt fühlt: "The railroad looked at me." Alle einzelnen Tracks seien "wie Stakkato-Kommentare, kurze Ausschnitte aus einer weitreichenden Erzählung", versucht sich der Promotext an einer Einordnung.

Obwohl oder gerade weil die Scheibe eine minimalistische Machart hat, strahlt sie extrem viel Gefühl und besonders intensive Schwermut aus. Besonders wirkmächtig sind die zittrigen Stimm-Verzerr-Effekte, die Kristin im schroffen "Ms Haha" nutzt. Die Platte ist äußerst sauber und klangsatt produziert. Selbst dort, wo die Amerikanerin und ihr Co-Produzent Stev Rizzo Geräusche einsetzen ("Thank You, Corner Blight"), oder dort, wo Streicher zu hören sind, etwa im Slo-Mo-Stück "Dandelion", wirkt alles luftig.

Und das sollte auch genau so sein: Das Cello habe sie wie Lungen in einem Organismus von Instrumenten verstanden, erklärt die Songwriterin. "Constance Street" ist feinste Kammermusik für Rock-Fans. "Clear Pond Road" ist ein Edelstein in Hershs Repertoire stimmungsvoller Werke: Eines ihrer besten Alben!

Trackliste

  1. 1. Bewitched Reruns
  2. 2. Ms Haha
  3. 3. Dandelion
  4. 4. Constance Street
  5. 5. Thank You, Corner Blight
  6. 6. St. Valentine's Day Massacre
  7. 7. Reflections On The Motive Power Of Fire
  8. 8. Eyeshine
  9. 9. Palmetto
  10. 10. Tunnels

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