27. Mai 2013

"Frei.Wild? Trottel, aber keine Nazis"

Interview geführt von

Im März 2007 ging ein Schluchzen durch die heimische Punkszene. Grund dafür war der auf Facebook veröffentlichte 'Abschiedsbrief' von ZSK. Doch die Leader der Antifa-League versprachen ein Wiedersehen: "Es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Versprochen!", hieß es. Ende 2011 war es dann soweit. Nach vierjähriger Pause feierten die Wahl-Berliner ihr Livecomeback. Zwei Jahre später kommt es noch dicker - im Mai 2013 veröffentlichen ZSK "Herz Für Die Sache", ihr brandneues Studioalbum.Wenn man sich in Berlin mit echten Streetpunks zum Interview verabredet, dann landet man selten in einem der zahlreichen 5-Sterne-Bunker der Stadt. Wer sich ein Update vom Geschehen auf der Straße holen will, der fährt nicht zum Potsdamer Platz, sondern zum Görlitzer Bahnhof. Denn während viele Lebensknoten der Hauptstadt in den letzten Jahren ihren Standort verändert haben, schlägt das Berliner Punkrockherz noch immer am lautesten in Kreuzberg.

ZSK-Sänger Joshi ist einer von hunderten Drei-Akkorde-Schrammlern, die den Bezirk seit vielen Jahren wie eine fleischgewordene Festung vor allzu großen Veränderungen schützen. Und so treffen wir den Frontmann stilgerecht in einer kleinen In-Bar unweit der legendären Punkrock-Location "Wild At Heart" und plaudern mit ihm über grenzenlose Möglichkeiten, untätige Politiker und das Erbe der Böhsen Onkelz.

Hi Joshi, was glaubst du, mit wem ich im vergangenen Jahr genau an diesem Tisch hier ein Interview geführt habe?

Joshi: Lass mich raten: Dirk Jora von Slime? (grinst)

Ach komm?

Richtig?

Ja.

Du wirst lachen, aber du bist nicht der erste, der mir erzählt, dass er hier im letzten Jahr mit den Jungs von Slime gesessen hat.

Dirk beschrieb den Platz hier als "ultimative Location für ein Slime-Interview". Wie siehts bei dir aus? Hätten wir uns auch im Hyatt treffen können?

Wohl eher nicht (lacht). Ich meine, wo in Berlin kann man besser über Punkrock reden als hier in Kreuzberg?

Du kommst ursprünglich aus Göttingen, richtig?

Ja, die ganze Band kommt eigentlich aus Göttingen. Wir sind dann ungefähr vor zwölf Jahren im Kollektiv nach Berlin gezogen und fühlen uns mittlerweile auch total heimisch. Natürlich ist Kreuzberg eine unvergleichliche Adresse für Punkbands, aber uns flasht die ganze Stadt. Ich kann mich noch erinnern, als wir hier die ersten Monate waren und fast täglich auf Konzerte gegangen sind. Das können wir zwar heute nicht mehr stemmen, weil einfach die Zeit fehlt, aber allein die Option zu haben, an einem Abend zwischen einem halben Dutzend hochkarätiger Liveshows wählen zu können, ist schon geil. Außerdem triffst du hier ständig neue interessante Leute. Wenn man lieber gemütlich durchs Leben ziehen will, sollte man sich woanders niederlassen (lacht).

"Unser neuer Drummer is eine richtig geile Sau"

Hatte die Stadt und das ganze Brimborium hier Einfluss auf eure Reunion vor zwei Jahren?

Ja, auf jeden Fall. Viele Mails und Briefe, die uns seinerzeit erreichten, kamen von Fans aus Berlin. Aber auch von sonst woher. Das nahm halt irgendwann echt überhand, sodass wir gar nicht mehr anders konnten. Da flatterten dann Zeilen von jungen Fans ins Haus, die uns noch nie live gesehen hatten, und die uns angeflehten, das, was sie zuhause rauf und runter hören, auch mal in natura erleben zu dürfen. Das war schon ziemlich berührend. Es gab aber auch erfahrene Haudegen wie die Jungs von den Toten Hosen oder Bela von den Ärzten, die uns während ihrer Aftershow-Parties immer fragten, warum wir uns denn überhaupt aufgelöst haben. Das hat dann natürlich noch zusätzlichen positiven Druck erzeugt.

Und irgendwann konntet ihr nicht mehr widerstehen.

Ja, genau. Wir dachten uns halt, dass wir noch mal ein paar Shows spielen, um den Leuten einen Freude zu machen. Mehr war eigentlich gar nicht geplant. Wir wussten zwar, dass die ganze Sache nicht floppen würde, aber dass es dann so abgehen würde, hätten wir nie gedacht. Dann haben wir ja während der Tour auch einen neuen Song präsentiert, der total abgefeiert wurde. Und plötzlich stand die Frage im Raum, ob wir nicht noch mal eine komplette Aufnahmesession anleiern sollten. Zuerst dachten wir nur an eine EP, aber irgendwann haben wir uns gesagt: Scheiß drauf, lass es uns richtig machen.

Reunion-Tour, neues Album, im Sommer gehts mit den Toten Hosen auf Reisen und im Herbst folgt noch eine Headliner-Tour: Klingt so, als würdet ihr wieder langfristig planen.

Das ist schwer zu sagen. Wir lassen jetzt erst mal alles auf uns zukommen. Wir freuen uns auf jeden Fall, dass das Jahr prall gefüllt ist. Allein die Sache mit den Hosen ist schon eine tolle Sache. Da fühlen wir uns auch sehr geehrt, da die Jungs normalerweise nur in Ausnahmefällen Bands auf Tour mitnehmen, die sie in der Vergangenheit schon im Vorprogramm hatten.

Wie siehts denn mit deinem Bruder Flori (Ex-Drummer) aus? Der lebt ja nun schon seit ein paar Jahren in Amerika. Sehen wir den auch noch mal unter dem ZSK-Banner sitzen?

Naja, dem gehts eigentlich total gut da drüben. Der führt ein eigenes veganes Café und kümmert sich nebenbei noch um unsere Webseite und unseren Merch-Kram. Langfristig wird da nichts mehr passieren, zumal wir mit unserem neuen Drummer Matthias echt eine richtig geile Sau gefunden haben. Aber ich kann dir was verraten, was ich bis jetzt noch keinem erzählt habe. Wir planen nämlich den Flori im Herbst für einen Überraschungsauftritt einfliegen zu lassen. Aber das ist noch nicht ganz sicher. Wir arbeiten dran.

Lass uns über das neue Album sprechen. Da gibt es einen Song namens "Punkverrat" - ein Lied, in dem ihr Zitate, Sprüche und Vorwürfe aufzählt, die euch im Laufe eurer Karriere um die Ohren geflogen sind. Schmunzelt ihr darüber? Oder gab es auch einen Spruch über den ihr euch richtig geärgert habt?

Mittlerweile kriegen wir eigentlich nur noch selten Sprüche zu hören, da wir ja aus dieser kleinen Hardcore-/Punkszene rausgewachsen sind. Da müssen wir uns nichts vormachen. Aber früher waren schon echt derbe Dinger dabei. Das, was man in dem Song hört, mussten wir uns wirklich alles anhören. Als ich das erste Mal mit den Jungs auf einer Bühne stand war ich 15. Und da kamen manchmal Typen nach den Konzerten zu uns, die uns angepflaumt haben, warum wir denn CDs verkaufen. Das sei doch total kacke und hätte mit Punk nichts zu tun. Das waren schon Momente, die uns damals getroffen haben. Heute lacht man natürlich darüber.

"Hallo? Fickt euch!"

Ein anderer Song heißt "Lichterketten" - ein Song, auf dem ihr all den Menschen den Mittelfinger zeigt, die erst vor die Tür gehen, wenns so richtig knallt.

Es ist nicht so, dass ich generell ein Problem damit habe, wenn solche Aktionen durchgeführt werden. Ich finde es nur schlimm, dass es erst richtig scheppern muss, damit überhaupt was unternommen wird. Und dann hocken da dann tausende Menschen, die ihr eigenes schlechtes Gewissen beruhigen, indem sie im Schutz der Anonymität eine Kerze anzünden. Das Problem ist, dass sich die Mehrzahl der Bevölkerung bei einem Problem wie beispielsweise Rechtextremismus einfach nicht betroffen fühlt. Es geht ja schließlich 'nur' um Ausländer. Das ist so erbärmlich und macht mich einfach wütend. Was aber noch viel schlimmer ist, ist die Tatsache, dass den Leuten mittlerweile Teilnahmslosigkeit und Desinteresse von oberster Stelle regelrecht vorgelebt wird.

Du sprichst die NSU-Morde an?

Genau. Die Behörden und die Politiker haben in diesem Fall so dermaßen krass versagt, dass einem nichts mehr dazu einfällt. Statt ein Zeichen zu setzen und diesen verfickten Mördern den Garaus zu machen, wird den Leuten erzählt, dass man sich über Parteien wie die NPD und Konsorten keine Gedanken machen müsse. Die seien ja schließlich nicht verboten. Hallo? Fickt euch! Da wird nichts anderes gemacht, als das, was im Fall der NSU ideologisch letztlich in letzter Konsequenz ausgeführt wurde. Da wurden Menschen getötet, 'unwertes' Leben ausgelöscht. Was gibt es denn da noch zu diskutieren? Ich finde es richtig erschreckend, dass danach so wenig passiert ist. Es bleibt wieder mal alles an engagierten Leuten, Punkbands und Antifa-Gruppen hängen. Die fahren nämlich nach Dresden und stoppen irgendwelche Nazi-Aufmärsche. Da stehen keine Schlipsträger oder Beamte, sondern junge Menschen, die keinen Bock auf Nazis haben.

Wie siehts denn mit eurer 'Kein Bock Auf Nazis'-Kampagne aus? Da engagieren sich ja mittlerweile eine Menge hochkarätiger Acts. Seid ihr zufrieden mit der Entwicklung?

Ja, absolut. Bei vielen Bands reicht einfach schon der Name, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Da gehts uns dann auch nicht darum, dass Combos wie die Beatsteaks, die Donots oder die Ärzte auf Demos erscheinen und Parolen schreien, sondern darum, dass sich 'Massenprodukte' mit ihrem Namen gegen Nazis positionieren. Es gibt aber leider auch Bands, die von alldem nichts wissen wollen. Es gab ja mal diesen Typen, der sich den Namen Hardcore rechtlich schützen lassen wollte. Da haben wir viele deutsche HC-Bands angeschrieben und angefragt, ob die nicht vielleicht einen kurzen Zweizeiler veröffentlichen können, um zu zeigen, dass die Szene mit Nazis nichts zu tun haben will. Da kamen oftmals Antworten wie: "Sorry, aber mit Politik haben wir nichts am Hut". Gehts noch? Das hat doch mit Politik nichts zu tun. Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand, dass so Typen wie Timo Schubert in die Schranken gewiesen werden müssen.

Um bei der Musik zu bleiben: Einer meiner Nachbarn hörte letztens ziemlich laut das aktuelle Album von Frei.Wild. Daraufhin schallte es von der anderen Straßenseite: "Mach die Nazi-Mucke aus!" Was schießt dir als erstes durch den Kopf, wenn du den Namen Frei.Wild hörst?

Trottelband, aber keine Nazis. Es wäre dumm zu behaupten, Frei.Wild seien Nazis. Denn das würde nur den Unterschied zwischen richtigen Nazis und völkisch nationalistischen Dumpfbacken verwässern. Was soll ich sagen? Die bewegen sich in einem ganz dunklen Milieu inmitten einer Grauzone, die gefährlich ist und jede Menge Fragen aufwirft.

Sind Frei.Wild die Onkelz der Neuzeit?

Ja, ohne Wenn und Aber. Die haben das umkämpfte Vakuum, das die Onkelz hinterlassen haben, gefüllt und machen jede Menge Kohle damit. An dem Tag, als die Onkelz ihr Abschiedskonzert gaben, ging das Rennen um das Erbe der Band los. Wie viele Onkelz-Coverbands gibt es mittlerweile? 50? 100? Die wollten alle die Lücke füllen. Genauso wie dutzende andere Bands. Das ging von seichteren Combos wie Frei.Wild, über Krawallbrüder, bis hin zu richtig gefährlichen Bands wie Kategorie C. Die haben alle vom Abschied der Onkelz profitiert. Letztlich haben sich Frei.Wild auf den leeren Thron gesetzt – ich denke, spätestens seit der erteilten Absolution von Matthias Röhr (Ex-Onkelz-Gitarrist, die Red.).

Ich kann auch nachvollziehen, warum so viele Kids auf die Attitüde von Bands wie Frei.Wild und Co. abfahren. Da geht es um Ausgestoßenheit und um vermeintlich harte Männer, die sich ausgesetzt fühlen und sich in der Gemeinschaft zur Wehr setzen. Das spricht viele Jugendliche natürlich an. Die finden das spannend. Die wenigsten erkennen aber die politischen Dimensionen der Texte dieser Bands. Wenn diese Kids dann aber auf fragwürdige Zeilen ihrer Helden angesprochen werden, fühlen sie sich fast schon persönlich angegriffen. So verbarrikadieren sich die Fans noch mehr, was letztlich zu einem Kreislauf führt, der nur schwer durchbrochen werden kann.

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