7. März 2006

"Was will das Publikum denn noch?"

Interview geführt von

Herbe Kritik aufgrund zu kurzer Gigs? Die Gefahr des plötzlichen Todes? Zahlen statt Gefühle? All das macht den Arctic Monkeys nichts aus, sie bleiben Optimisten und wundern sich weiter über die kleinen Dinge im Leben.Voller Begeisterung erzählen mir Matt Helders (Drums und Vocals) und Andy Nicholson (Bass), was sie schon für coole Aufnahmegeräte auf ihrer Tour gesehen haben, eins bauen sie gleich mal mit Hilfe einer Fantaflasche und einer Erdnusspackung nach. Anschließend verwickeln sie mich in ein Gespräch über vakuum-verpackte Erdnüsse, bis sie sich selbst dran erinnern, dass wir hier keine Marktforschung für eine Peanut-Factory machen, sondern ein knallhartes Interview. Knallhart? Für die Jungs anscheinend nur Peanuts!

Ich habe gelesen, dass ihr bei Saturday Night Live spielt!

Andy Nicholson: Ja, am Samstag in einer Woche!

Matt Helders: Am Mittwoch fliegen wir nach New York. Wir müssen am Donnerstag zur Probe ins Studio, dann haben wir den Freitag frei und spielen am Samstag. Live. Vor einer Zillionen Leute oder einer Milliarde ...

Seid ihr aufgeregt?

Matt: Ja, wir sind richtig aufgeregt!

Andy: Ich bin nicht nervös. Ich denke, ich sollte das sein - aber ich bin's nicht! Vielleicht werde ich noch nervös, wenn's so weit ist.

Matt: Ich bin ja schon aufgeregt, wenn wir live im Radio spielen. Wie soll das dann erst im Fernsehen werden?

Also habt ihr in England noch nie live in einer Fernsehshow gespielt?

Matt: Nein. Wir sind in England erst einmal im Fernsehen aufgetreten. Aber das war nicht live.

Die meisten eurer Songs gab es schon im Internet, bevor das Album fertig war. Warum habt ihr die dann alle noch mal aufgenommen?

Matt: Um den Leuten mehr für ihr Geld zu geben. Wir können sie ja jetzt auch besser spielen. Als wie sie das erste Mal aufnahmen, machten wir das nur, damit wir ein paar Kopien der Songs rausgeben konnten. Aber seitdem wir die Demos gemacht haben, haben wir hunderte Gigs gespielt. Natürlich können wir die jetzt besser spielen und haben Teile der Songs geändert.

Andy: Die Leute haben die Demo-Versionen ja schon. Es wäre nicht fair, ihnen noch einmal etwas zu verkaufen, was sie eh schon haben.

Matt: Wir haben sie dieses Mal in einem Rutsch aufgenommen, so dass es sich wirklich nach einem Album anhört und nicht nur wie eine lose Ansammlung von Songs.

Gab es bei den zweiten Aufnahmen gravierende Änderungen?

Matt: Wir haben besseres Equipment benutzt. Außerdem hatten wir einen anderen Producer und ein besseres Studio.

Hattet ihr denn schon beim ersten Mal einen Produzenten?

Matt: Ja, einen Local Guy, der die ganzen Bands aus Sheffield macht. Er hat "Mardy Bum" auch fürs Album produziert - er ist also immer noch dabei.

Habt ihr euch Jim Abbiss als Produzenten selber ausgesucht?

Matt: Nein, jemand hat uns geraten, ihn zu nehmen. Und wir haben ihn erst mal für eine Single ausprobiert. Wenn wir ihn nicht gemocht hätten, hätten wir das ganze Unterfangen sofort wieder abgebrochen. Aber wir haben weitergemacht und er durfte das ganze Album produzieren.

Was hat euch an ihm gefallen?

Matt: Er ist ein netter Typ und er hat schon einige gute Sachen gemacht, wie das Kasabian-Album und das erste Album von The Music, die Editors und ein paar DJ Shadow-Sachen. Er hat eine ganz schöne Bandbreite an verschiedensten Sachen gemacht, die wir alle sehr gerne mögen. Denn wir stehen nicht nur auf Rock-Musik, wir sind keine engstirnige Rockband oder so. Also war die Tatsache, dass er sich auch für viele verschiedene Sachen interessiert, sehr reizvoll.

Was hat er euren Songs hinzugefügt, was hat sich geändert, während ihr mit ihm gearbeitet habt?

Matt: Ich weiß nicht. Die Stücke waren eigentlich ja schon fertig, bevor wir ins Studio gegangen sind. Vielleicht hat er uns geholfen, was den Sound angeht und er gab uns ganz viel Unterstützung, dass wir wirklich mit einer gewissen Haltung spielen und solche Sachen. Er hat uns ziemlich viele Ratschläge gegeben, wie wir die Arrangements besser machen können.

Aber ich denke, er wusste, dass wir mit unseren Songs an sich schon sehr glücklich waren. Immerhin hatten wir sie schon eine ganze Weile live gespielt und schon einmal aufgenommen. Wir haben uns jetzt nicht die Demos angehört und gesagt: Wir machen das nicht mehr, wir machen jetzt was anderes. Das wäre eine Lüge. Aber einige Sachen haben sich schon geändert. Die spielen wir auf dem Album anders, als wir es davor live gemacht haben, weil es auf einem Album so einfach besser klingt.

"Natürlich sind wir optimistisch."

Geht es um die Arctic Monkeys, kommt man immer wieder auf das selbe Thema. Auch die Roadies, die die Bühne aufbauen, während ich auf die Jungs warte, unterhalten sich über das Phänomen: "Die haben im UK bereits in der ersten Woche (setze hier eine beliebige Zahl im Hunderttausender-Bereich ein) Platten verkauft. Das waren mehr, als die restlichen 19 Plätze der Top 20 zusammen." Wohl wahr, das ist ein Phänomen, das übertrifft alles bisher Dagewesene. Aber was heißt das für die Band?

Ihr seid wirklich erfolgreich, das kann man in Zahlen messen. Aber könnt ihr das auch fühlen.

Matt: Lacht kurz und verständnisvoll. Nein, das kann ich nicht, ich kann das auch nur an den Zahlen ablesen. Es fühlt sich irgendwie nicht an, als wären wir ein Teil des Ganzen. Wir sind auf Tour, wir sind ja nicht zu Hause. Obwohl, sogar wenn wir zu Hause sind, ist es komisch. Wir stecken da drin, es scheint, als wäre das nicht dasselbe, wie ... wenn das meiner Lieblingsband passieren würde, wäre ich sehr glücklich und stolz. Was wir auch sind. Es fühlt sich einfach nur anders an, weil wir diejenigen sind, die es geschafft haben.

Andy: Wir haben ja auch nicht viel Zeit, mal durchzuatmen und drüber nachzudenken. Ich weiß nicht, der einzige Zeitpunkt, an dem wir eine kurze Pause und damit Zeit zum Nachdenken hatten, war an Weihnachten. Da ist uns erst mal richtig aufgefallen, was passiert ist, wie unglaublich das eigentlich ist. Und dann begann dieses Jahr, und wir waren wieder zurück in diesem ganze Trubel.

Matt: Das bedeutet natürlich, dass wir noch gar keine Zeit hatten, über unser Album nachzudenken, denn das war an Weihnachten noch gar nicht draußen. Das nächste Mal, wenn wir frei haben, das wird die Zeit ... macht große Augen und erstaunte Geräusche. Vielleicht denken wir dann "Ich kann gar nicht mehr schlafen".

Andy: Oder: "Ich kann damit gar nicht umgehen".

Habt ihr schon irgendeine Ahnung, was dieser Erfolg für euch, für eure Zukunft bedeutet?

Matt: Alles kann passieren. Es könnte auch aus irgendeinem Grund schon morgen alles vorbei sein. Ich möchte ja jetzt keine Tode heraufbeschwören. Aber jemand könnte sterben, so was weiß man nie! Gestern Abend saßen Kapil - der Drummer der Mystery Jets - und ich in dieser Bar. Nur wir beide saßen an diesem Tisch, und sie hatten diese großen Heiz-Ständer, die immer draußen vor den Cafés stehen. Ein Typ lehnte sich dagegen, und es begann umzukippen. Wenn das nicht ein paar Leute aufgefangen hätten - das hätte uns töten können. Das hätte eine Geschichte gegeben, wenn wir beide gestorben wären ... Was wäre dann passiert? Die Arctic Monkeys wären auf dieser Tour Drummer-los gewesen, genau wie die Mystery Jets auch. Das wäre mal interessant, was ihr dann gemacht hättet.

Aber zurück zur Frage, was unsere Karriere betrifft ... Ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Ich weiß nicht, wie ich das beurteilen soll. Natürlich sind wir optimistisch. Aber ich will mir nicht zu sicher drüber sein, was passieren wird. Weißt du, ich will nicht auf die Nase fliegen, immer auch für den Worst Case gewappnet sein.

Ihr habt schon gesagt, dass ihr noch nicht wirklich realisieren könnt, wie berühmt ihr schon seid. Aber habt ihr schon gemerkt, dass sich das Verhalten anderer geändert hat, wenn sie was mit euch zu tun haben?

Matt: Wir bekommen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Auf der Tour in England haben wir schon gemerkt, dass viel mehr Leute da waren, die Autogramme und Photos und so haben wollten.

Andy: Es ist alles organisierter als früher.

Matt: Wir müssen nicht mehr so viel tun. Wir müssen nicht mehr so viel rumtragen.

Wird das aber nicht auch langweiliger? Müsst ihr jetzt nicht viel Zeit mit Warten verbringen?

Matt: Ja, es gibt tagsüber jetzt nichts mehr zu tun. Wir sagen immer: Wir könnten ja mal dies oder das machen. Aber wir machen es dann doch nie. Aber auf unserer England-Tour bekommen wir eine Tischtennis-Platte.

Glaubt ihr manchmal, dass eure Karriere ein bisschen zu schnell angezogen hat, dass alles ein bisschen zu schnell ging? Alex hat das vor kurzem in einem Interview erwähnt.

Matt: Ja, es fühlt sich manchmal so an. Doch obwohl alles sehr schnell passiert, glaube ich, dass wir das immer noch alles unter Kontrolle haben. So weit das für uns möglich ist. Denn wir könnten zum Beispiel sagen: "Wir brauchen eine Pause" ... Und dann einfach aufhören, um eine Weile das zu machen, was wir wollen. Aber wir möchten das gar nicht. Jeder ist im Moment glücklich mit dem, was wir machen. Naja, ich bin es zumindest.

Andy: Ja?

Matt: Ja! Dabei klingt er sehr zufrieden und überzeugt.

"Wir proben tagsüber, da ist es nicht so schlimm."

Auf eurer letzten Tour durch Deutschland waren sehr viele englische Fans im Publikum. Ist das nicht ein bisschen scary?

Matt: Ja, das ist es. Das ist auch etwas, das dich nachdenken lässt. Denn bei jedem Gig, den wir auf der letzten Tour auf dem europäischen Festland gespielt haben, waren Engländer. Und das ist wahrscheinlich auch dieses Mal so. Aber beim letzten Mal war der Großteil der Leute aus England. Vor allem in Köln. Es war auf dieses Tour viel besser, weil einfach mehr Einheimische da waren. Erst dann kann man ja erkennen, ob die Leute in Deutschland uns wirklich mögen, oder ob das nur Engländer sind, die nach Deutschland kommen, um uns zu sehen.

Ich habe eine ziemlich schlechte Kritik über euren Hamburg-Gig gelesen ... Seid ihr schon ein bisschen ausgebrannt?

Matt: Nein, ich weiß auch nicht, es gab da zwei Reviews. Ich erzähle dir einfach mal die Hintergrundgeschichte, die hat mir jemand gesteckt: Es gab zwei Reviews über diesem Hamburg-Gig. Ein Journalist sagte, das wäre der Gig des Jahres gewesen und der andere sagte: "Sie haben nicht lang genug gespielt", "sie sahen gelangweilt aus", "sie haben nicht mit dem Publikum geredet" ... Die Person, die diese Kritik geschrieben hat war jemand, dem ein Interview mit uns verweigert wurde. Also war der wohl ein bisschen pissed und wollte einfach nur was Schlechtes über uns sagen. Aber viele Leute werfen uns vor, dass wir nicht lang genug spielen.

Andy: Ja, sie beschweren sich, dass wir nur 50 Minuten spielen. Aber wir haben doch nur ein Album draußen.

Matt: Was wollen sie denn noch? Das Album geht nicht mal 50 Minuten. Ich weiß gar nicht, wie wir das hinbekommen, 50 Minuten zu spielen.

Ihr solltet euch ein Beispiel an den Bright Eyes nehmen und mehr reden. Conor Oberst, deren Sänger, spricht bestimmt doppelt so lange, wie er spielt.

Matt: Ja, darin sind manche Leute wirklich besser als wir. Wir sind wahrscheinlich einfach ein bisschen zu schüchtern, um mit den Leuten zu reden. Naja, Alex ist zu schüchtern. Ich werde mich nicht hinters Drum-Kit setzen und sagen: "Leute, was soll ich sagen, es ist großartig hier zu sein". Wir gehen einfach auf die Bühne, spielen und gehen wieder. Das ist es. Manche finden das Ok, aber jeder mag es eben anders. Jemand kam auch gestern nach dem Gig zu mir und beschwerte sich, dass es ein bisschen kurz gewesen sei. Und ich erklärte es ihm: Wir spielen das Album, außer "Riot Van".

Andys Handy fängt an, eine laute SMS-Erkennungsmelodien zu spielen. Matt macht ihm, mit leichtem Zischen in der Stimme, darauf aufmerksam, dass er das doch bitte ausschalten soll.

Matt: Wir werden das schon noch live spielen, aber wir müssen uns auch noch Sachen für die Album-Tour in England aufheben.

Matt: Wir müssen da ja dann auch etwas länger spielen. Und uns gehen langsam die Songs aus.

Habt ihr denn keine neuen Songs?

Matt: Ja, wir haben welche, aber wir wollen sie noch nicht alle verraten, dann hätten wir ja auch nichts Neues mehr für die Tour zum zweiten Album. Da muss man vorausschauend sein. Wir könnten einfach ganz viele Songs schreiben. Aber es geht doch vor allem darum, dass das Set gut ist, das wir spielen. Und das ist es ja auch.

Also spielt ihr noch keine Stücke, die dann auf eurer angekündigten EP landen werden?

Andys Telefon klingelt noch einmal, dieses Mal ist es der Anruf-Ton. "Änder' doch wenigstens deinen Klingelton", stichelt Matt.

Matt: Strauchelt ein bisschen Naja, hm, das kommt drauf an. Wir wissen ja noch gar nicht wirklich, was wir als nächstes machen wollen. Wir werden in England auf jeden Fall eine Single rausbringen, wahrscheinlich auch in Europa. Es wird glaube ich "The View From The Afternoon". Was auch immer wir da als B-Seiten rauf tun, das könnten wir spielen.

(Ein paar Tage später erscheint auf ihrer Homepage die News, dass nicht etwa eine Single, sondern eine DVD mit zwei Kurzfilmen, die beide auf der Idee des "When The Sun Goes Down"-Videos basieren, sowie einigen Extras in die Läden kommen soll.)

Die Art, wie Alex seine Lyrics erzählt, erinnert mich ein bisschen an Pulp, aber auch an The Streets. Welcher Vergleich macht euch stolzer?

Matt: Wahrscheinlich The Streets. Ich weiß nicht, wir haben öfter Streets als Pulp gehört.

Einige von euch kommen eher aus der Hip Hop Szene ...

Matt: Ja, so ungefähr. Also ich, Andy und Alex mochten Hip Hop ziemlich gerne, während wir noch zur Schule gingen. Als wir dann die Band gegründet haben, hat uns das der Gitarrenmusik näher gebracht. Aber wir hören immer noch Hip Hop.

Warum habt ihr dann nicht angefangen, Hip Hop zu machen?

Matt: Wir haben damit rumprobiert, aber nicht in einer Band, eher am Computer. Aber uns gefiel die Idee, Musik richtig zu spielen. Als die Strokes und solche Bands in England groß wurden, haben wir angefangen, immer mehr Gitarrenmusik zu hören. Wir dachten uns: "Wir könnten ja mal ausprobieren auch so was zu machen." Wir hatten auch Freunde, die schon in Bands waren und Strokes-, Hives- und Vines-Coversongs spielten.

"They said it changes when the sun goes down. Around here."
Eure zweite Single "When The Sun Goes Down" handelt von der Gegend, in der euer Proberaum angesiedelt ist. Wird es da abends wirklich so schlimm?

Matt: Ja, aber wir proben meistens tagsüber, da ist es eigentlich nicht so schlimm.

Also habt ihr noch nie eins dieser Mädchen getroffen, die sich da verkaufen?

Matt: Doch, andauernd. Das, was wir im Video zu "When The Sun Goes Down" zeigen, das passiert da ja wirklich. Auch wir werden da von den Mädels gefragt, ob wir nicht mal mitkommen wollen, wenn wir zur Bandprobe gehen.

Aber das ist kein Mädchen von der Straße, die in eurem Video mitspielt?

Matt: Nein, das ist eine Schauspielerin.

Leider ist müssen wir an dieser Stelle mit dem Interview aufhören. Die Band hat wirklich gute Konditionen von ihrer Plattenfirma zugestanden bekommen: Momentan gibt sie nur 4 Interviews am Tag. Nach meinem müssen die beiden noch kurz mit einer Redaktion telefonieren, dann haben sie Zeit für den Soundcheck und für weitere Erdnuss-Studien, bis die Show beginnt. Die im Übrigen überhaupt nicht zu kurz, sondern genau richtig ist für eine junge, quirlige Rockband wie die Arctic Monkeys.

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