2. April 2009

Kunst um der Kommunikation willen

Interview geführt von

Auf der amerikanischen Homepage von And You Will Know Us By The Trail Of Dead gibt es zwei Sorten von Nachrichten: "Real News" und "Fake News" über eine angebliche Ehrenprofessur für Schlagzeuger Jason Reece und ihre Weigerung, in Australien aufzutreten. Ähnlich verhält es sich, wenn man sich mit Sänger Conrad Keely über das neue, sechste Studioalbum "The Century Of Self" austauscht.Auf der einen Seite gibt Keely - derzeit auf ausgedehnter Tournee an der Westküste der USA - im Mailinterview den beflissenen Künstler mit Anliegen. Einige kratzbürstige bis spinnerte Kommentare kann er sich, angesprochen auf den Wechsel vom Major zurück zum Indielabel und sein Verhältnis zu Jason Reece, dann doch nicht verkneifen. Doch gerade für diese Attitüde hat man die vormals als komplett wahnsinnig eingestufte Noiserock-Band aus Texas schließlich auch kennen und lieben gelernt.

Conrad, in Deutschland seid nicht nur für die Alben "Source Tags & Codes" und "Worlds Apart" berühmt, sondern auch für wahnwitzige Liveshows. Ihr demoliert nicht selten das komplette Instrumentarium. Nun sind Trail Of Dead gerade in den USA auf Tour – kommen solche Krawallaktionen eigentlich noch vor?

Naja, wir werden älter und sind nicht mehr Mitte zwanzig wie damals, als wir die Band gegründet haben. Wir fühlen uns mittlerweile eher wie schrumpelige Sechzigjährige. Allzu viele jugendliche Anfälle von Emotionen sind uns also nicht mehr gegeben. Wobei ich bei dem Konzert gestern auf den Verstärker gesprungen bin – jetzt ist er kaputt.

Überhaupt ist die öffentliche Wahrnehmung von Conrad Keely und Jason Reece eine andere geworden. Anfangs wart ihr dank eigenem Zutun für viele Musikfans einfach nur nihilistische Krawallbrüder. Nachdem ihr euch mit "Worlds Apart" ein stückweit neu erfunden habt, sieht man dich mittlerweile als genialen und kunstbeflissenen Songschreiber. Schmeichelt dir das?

Ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken, wie meine Außenwirkung ist. Für mich fühlt es sich an, als gäbe es bei mir immer noch jede Menge Raum für eine Weiterentwicklung. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte der Dinge geschafft, die ich im Leben vorhabe. Anstatt sich also von Schmeichelei oder Kritik ablenken zu lassen, sollte man lieber der ganz persönlichen Sinnsuche Sinn nachgehen, auch wenn man dabei mit seinen Leistungen nie ganz zufrieden sein kann.

Du hast einmal gesagt, die Alben "Worlds Apart" und "So Divided" seien eine unmittelbare Antwort auf die schlechte Pop- und Rockmusik der Gegenwart. Im Gegensatz dazu soll sich "The Century Of Self" explizit auf eurer Meinung nach gute und innovative Musik beziehen. Du hast in diesem Zusammenhang Bands wie Yeasayer, Dirty Projectors oder School Of Seven Bells erwähnt. Ist dieser Einfluss in irgendeiner Form bezifferbar oder ist dieses Statement mehr ein Selbstschutz: weniger Hass, mehr positive Gedanken?

Wenn ich unser Album höre, kann ich den Einfluss der erwähnten Bands schon hören, nur dürfte er für jeden außer mir, dem Songschreiber, zu subtil sein. Musik ist wie Kunst oder das Leben selbst ein zyklischer Prozess. Es gibt Perioden großer Innovationen und Rohrkrepierer-Phasen, in denen nur kommerzieller Schund entsteht. Das Aufkommen neuer technischer Ausdrucksformen in der Musik hilft uns sicherlich aus der Mainstream-Hölle und gibt den freigeistigen Songschreibern dieser Bands eine ganz neue Ausdrucksstärke. Wenn ich spekulieren müsste, würde ich sagen, dass hängt auch ein stückweit mit einem neuem Verständnis für politisches Engagement und ökologische Nachhaltigkeit zusammen. Solange der Humor dabei nicht zu kurz kommt, ist alles in Ordnung.

Wenn kommerzielle Mächte wirken ...

Gibt es denn noch Musik im Jahr 2009, die dir so richtig auf die Nerven geht?

Na klar, aber ich nenne keine Namen. Aber selbst solche Musik ist Kunst, eben weil sie eine emotionale Reaktion hervorruft. Und Wut ist beim Hören immer noch besser als Gleichgültigkeit. Immerhin zeigt es, dass einem nicht alles egal ist.

Warum war es euch wichtig, im Vorfeld öffentlich klarzustellen, dass "The Century Of Self" nicht mehr von einem Majorlabel veröffentlicht wird, sondern auf dem eigenen Label Richter Scale Records (in Deutschland: Superball), und ihr deshalb keine Erwartungen zu erfüllen hattet?

Möge die Macht des Kommerzes mit euch sein. Wo hab ich das denn erzählt?

Du hast auch gesagt, dass man von Trail Of Dead bloß keine Radiosongs mehr erwarten brauche. Ist das ein Bekenntnis zum Album als künstlerischem Format?

Eigentlich denke ich, dass jeder unserer Songs im Radio gespielt werden sollte. Und jeder sollte am besten auf Platz eins landen.

Welche Schlüsse ziehst du aus euren Majorjahren? Ist künstlerische Freiheit das höchste Gut des Künstlers und letztlich sogar noch wichtiger als kommerzieller Erfolg?

Ist künstlerische Freiheit wirklich ein höheres Gut? Übersteigt dieser Begriff nicht den Anspruch an Kunst, die letztlich doch nur der Kommunikation dient? Ich jedenfalls glaube nicht an Kunst um der Kunst willen. Vielmehr ist Kunst doch eine Möglichkeit, einem höheren Bewusstsein näherzukommen. Kunst mit einem Selbstzweck zeugt doch nur von Selbstgefälligkeit und Poserei. Wenn man aber kommerziellen Erfolg dazu nutzen kann, große Ideen untere die Leute zu bringen, dann überschreitet man sowohl die Kurzsichtigkeit der Kunst als auch die der Musikindustrie.

Kann man vom Titel "The Century Of Self" bei dir auf eine Wiederentdeckung der eigenen Biografie schließen? Auch einige Stücke wie "Pictures Of An Only Child" deuten starke autobiografische Züge an.

Nein, als autobiografisches Werk sollte man "Century Of Self" nicht lesen. Drei Songs haben tatsächlich persönliche Bezüge, aber insgesamt liegen die Themen des Albums in den Grauzonen zwischen Fantasy und Soziologie.

Ressourcenverschwendung und Egoismus

"The Century Of Self" ist auch der Titel eines Dokumentarfilms über das gefährliche Potenzial von Sigmund Freuds Psychoanalyse für einen Missbrauch durch die Werbebranche und die Politik. Warum kannst du diese Doku empfehlen?

So wie ich diesen Film von Adam Curtis verstanden habe – und ich entschuldige mich direkt, wenn sich das jetzt wie pseudo-intelligentes Gobbledygook anhört – geht es darum, dass durch Anreize via Marketing und das Diktat des Konsums unsere Gesellschaften schleichend manipuliert werden und die Menschheit und unser Planet so in die gegenwärtige prekäre Lage gebracht worden sind. Das Bedürfnis, nur zum eigenen Wohl zu konsumieren und nicht aus einer natürlichen Notwendigkeit heraus, hat zu einem Defizit der Ressourcen dieses Planeten geführt. Und ein Ende des zügellosen Konsumierens ist leider auch nicht in Sicht.

Sind Freuds Arbeiten vielleicht auch der Schlüssel zu deinen zum Teil sehr persönlichen Lyrics?

Ich habe nie Freuds Theorien benutzt, um über meine eigene Psyche zu spekulieren. Aber ich habe sie durchaus herangezogen, wenn ich über die Natur unserer Spezies nachgedacht habe. Nicht die Frage "Welche unterschwelligen Gefühle haben mich dazu gebracht, dieses oder jenes zu tun?", sondern die Frage "Warum tun wir Menschen uns und der Welt dieses oder jenes an?" habe ich mir gestellt.

Lass uns mal zur Musik selbst kommen. Ich bin unheimlich fasziniert von dieser peitschenden Prog-/Metal-Gitarre in "Isis Unveiled". Wie kommt man bitte auf so etwas?

Geschrieben wurde diese Melodie auf dem Klavier. Ein Freund kam vorbei und ich spielte ihm Dreiklänge über vier Oktaven vor. Das Endresultat stand nach wenigen Minuten und wir mussten lachen, weil es so nach Satire klang.

Der Text des Songs enthält zahlreiche archaische Metaphern, die offensichtlich aus der Bibel stammen. Ist das Alte Testament eine Inspirationsquelle für dich?

Eigentlich ist der Song mehr von Phillip Pulmans "His Dark Materials"-Trilogie beeinflusst. Die handelt von Kriegen, die wütende und unvollendete Gottheiten in einer himmlischen Arena ausfechten. Einer dieser Götter ist in Anlehnung an das Alte Testament konzipiert, aber gleichzeitig nur ein Diener noch größerer, göttlicher Wesen.

Hat das auf dem Album sehr präsente Klavier mehr Einfluss auf das Songwriting genommen?

Das Piano war immer wichtiger Teil bei Songwriting-Prozessen. Es gab bei Trail Of Dead nie "Pianosongs" oder "Gitarrensongs". Beide Instrumente sind für mich kompositorische Werkzeuge. Das einzige was zählt, ist das Endprodukt.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit und die Verteilung von Verantwortlichkeiten zwischen dir und Jason Reece – dem zweiten Kopf hinter Trail Of Dead – mittlerweile vorstellen? Hat sich da etwas in den letzten Jahren verändert?

Jetzt, wo Jason verheiratet ist, verbringt er mehr Zeit damit, Songs zu schreiben, anstatt Party zu machen. Also kann er den ganzen Kram übernehmen, während ich Geld verzocke, zu Pferderennen gehe und mir Faustkämpfe liefere.

Zurück zum Start: Das Tolle an Trail Of Dead-Konzerten in den letzten Jahren war stets, dass man in den ersten Reihen immer Angst um Kopf und Kragen haben musste. Müssen wir uns noch vor euch fürchten, wenn ihr im April und Mai in Deutschland auf Tour seid?

Das solltet ihr lieber. Schließlich haben wir vor, euch euer Land zu stehlen und eure Menschen in winzige Reservate umzusiedeln.

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