12. Januar 2016

"Ihr seid ganz unten in der Nahrungskette"

Interview geführt von

"Wir sind gerade noch beim Soundcheck", sagt Tom, als er uns die Tür öffnet. Die E-Gitarre um den Hals baumelnd führt er uns nach oben.

In den Roten Salon, der sich in der Berliner Volksbühne versteckt, als wäre er eine Art Hinterzimmer, und dennoch aussieht wie ein kleiner Thronsaal. Wohl einer der schönsten Orte, an dem Tom Liwa und seine Flowerpornoes auf ihrer Tour zur neuen Platte "Umsonst & Draußen" spielen.

Wir setzen uns in die einladenden Sessel und beobachten für eine Weile das Geschehen, ehe Tom zu uns herüber kommt.

Tom Liwa: Wie funktioniert eigentlich laut.de? Setzt sich das alles aus freien Mitarbeitern zusammen?

Es gibt eine fünfköpfige Redaktion, die am Bodensee sitzt. Und einen großen Stamm an freien Mitarbeitern.

Also werdet ihr ausgebeutet und kriegt kein Geld dafür? Mal schauen, ob ich was in der Tasche hab ... Ich hab jetzt leider mein Geld woanders. Sonst hättet ihr einen Fünfer von der anderen Seite bekommen.

Aber würde das dann nicht auch den Inhalt verändern? In dem Moment, in dem das Geld fließt, ist der Inhalt ja nicht mehr frei.

Hättet ihr das tatsächlich als Bestechungsversuch gewertet, wenn ich euch fünf Euro zugesteckt hätte? (lacht) Dann dürfte ich ja kein Selbstbewusstsein haben. Denn mein Selbstbewusstsein sagt mir eigentlich: Wir haben gerade eine super Platte gemacht. Und wir sind nach ein paar Tagen auf Tour wahrscheinlich die ungefähr beste Band der Welt. Wieso soll ich da denken, dass ich durch Geld irgendwas beeinflussen muss?

Wie viel bekommt ihr denn für den Abend? Dürfen wir das fragen?

Ja. Wir haben einen 70/30-Eintritts-Deal und eine Garantie von 600. Allerdings ist da kein Hotel drin. Und die Fahrtkosten natürlich auch nicht. Im Moment versuchen wir auf Tour, die Fahrtkosten aus den überschüssigen CD-Verkäufen zu bezahlen. Die Gagen teilen wir nach Abzug von Agenturprozenten durch vier. Der Schlagzeuger kriegt also nicht mehr, weil er mehr tragen muss.

(An seinen Freund, der in der Nähe sitzt) Hast du eine Ahnung, was der Veranstalter an so einem Abend verdient? Höchstwahrscheinlich mehr als wir. (An uns) Und ihr seid ganz unten in der Nahrungskette des Pop-Business (lacht). Wir sind ein kleines bisschen höher. (Ruft zum Mischer herüber, der gerade die Monitorboxen ausrichtet) Magst du dich outen, wie viel Geld du hier für einen Abend kriegst?

Mischer: (ruft zurück) 100 Euro.

Tom: 100 Euro. Mit ein bisschen Glück bzw. Pech kann es schon sein, dass das mehr ist als ein Musiker kriegt. Durch die Pauschale gehen, sagen wir mal, 15 Prozent an die Booking-Agentur. Das sind 90 Euro. Also bleiben 510 Euro. Wenn eine Band zu fünft ist und noch Spritkosten abgehen, dann bleibt dem Mischer, der ja meistens vor Ort ist, schon mehr. (An den Mischer) 'Tschuldigung, wir dissen dich nicht, das sind alles nur Fakten.

Mischer: Ja, wenn's eine Band ist. Wenn hier einer alleine Klavier spielt, schluck ich manchmal ganz schön, wenn ich sehe, was der am Ende rauskriegt.

Tom: Logisch! Für mich war das in all den Jahren immer wieder der Grund, unheimlich viel solo zu spielen. Das war einfach lukrativer. Ich krieg dieselben Gagen. Denn für die Band kommen unter Umständen auch nicht mehr Leute. Ob das 600 Euro Garantie sind, die ich alleine krieg, oder ob ich die teile, macht spätestens nach drei Abenden einen ziemlichen Unterschied. Das heißt, ich versau mir hier die Weihnachtsgeschenke meiner Kinder. Dadurch, dass ich die Typen mitnehme, mit denen ich es aber liebe, Musik zu machen.

Giuseppe Mautone, Drummer der Flowerpornoes, wird zum Soundcheck gerufen.

Tom: Wir gucken mal, wie laut das ist, wenn du jetzt Schlagzeug spielst. Ob man dann noch was hört. Außerdem heißt das ja laut.de.

Wenn wir gerade beim Thema Geld sind: Man sagt ja immer, Plattenverkäufe auf Konzerten seien für Bands deutlich lukrativer. Ist das im Vergleich zu einem Download oder einem Ladenverkauf tatsächlich so?

Bei einem Ladenverkauf verdiene ich unterm Strich nur ein paar Cent. Für die Verkäufe nach Konzerten haben wir bei Grand Hotel van Cleef [seit "Umsonst & Draußen" neue Labelheimat der Flowerpornoes, d.Verf.] einen Einkaufspreis von ungefähr 8 Euro pro CD. Die verkaufen wir für 17 Euro. Die Vinyl kostet im Einkauf circa 12 Euro, und bei uns dann 20. Das sind die Spannen. Aber die Menge variiert auch. Es gibt Tage, da ist ein extrem kleines Publikum unheimlich kauffreudig - und man verkauft 20 bis 30 CDs. Und manchmal ist es bei großen Läden eher weniger. Das lässt sich schwer kalkulieren. Aber es ist schon eine schöne Sache. Besser als Ladenverkäufe.

Die Kickdrum im Hintergrund wird immer lauter. Tom versucht, die Beats des Schlagzeugs abzupassen und in die Lücken zu sprechen. Das ist eigentlich fast schon Rapmusik.

Tom: Jungs, ich fürchte, ich muss auch gleich wieder zum Soundcheck. Schnell noch eine wichtige Frage.

Okay, dann: Wer oder was ist ein Rasbibo?

Ah, ihr kennt noch meine alte AOL-Adresse aus dem Newsletter ... Ich hatte mal einen Kater, der hieß Bibo. Ich hab zu der Zeit in einer WG im Duisburger Süden gewohnt, die direkt an Bahngleise gegrenzt hat. Dieser Kater saß immer unter einer Tanne, die extrem geharzt hat. Eines Morgens kam er rein und hatte Dreadlocks, so verharzt war das. Und von da an hieß er Rasbibo. Irgendwann war er weg. Entweder hat er den Zug genommen, oder der Zug hat ihn genommen. Auf jeden Fall gab's Bibo halt nicht mehr. Und kurz danach gab's Internet.

Ich gehör ja noch zu den Leuten, für die Internet irgendwann mal was Neues war. Meine erste E-Mail-Adresse war rasbibo@aol.com. Heute versucht kein Mensch mehr, mit E-Mail-Adressen originell zu sein oder denen irgendwelche Namen zu geben. Ist total out. Find ich auch in Ordnung. Aber damals hat jeder mit irgendwas rumgespielt. Ich kannte viele Leute, die zum Beispiel Arktis1 oder Regenkind hießen. Macht heute kein Mensch mehr.

Okay. Haben wir denn jetzt noch mehr Zeit?

Die werden mir Bescheid sagen, wenn's weitergeht. Nehm ich mal an. So blöd können die nicht sein.

Gehst du eigentlich auf Tour - oder bist du die ganze Zeit auf Tour? Fühlt sich das gerade nach Ausnahmezustand an?

Ich geh auf Tour. Ich würd's aber nicht Ausnahmezustand nennen. Manchmal ist das andere genauso von Ausnahmezuständen geprägt. Ich hab in den letzten Tagen ein schönes neues Wort gelernt: Ich bin Polyrealist. Ich habe mehrere verschiedene Wirklichkeiten gleichzeitig, ohne dass eine die Ausnahme wäre. Aber ich hab tatsächlich ein sehr strukturiertes Privatleben: mit Freundin und Hund am Dorfrand. Klar, zuhause stellst du dich auf deinen Partner ein und kümmerst dich darum, dass alles schön ist, wenn er von der Arbeit kommt. Da bin ich eher die Hausfrau, die regelmäßig mit dem Hund rausgeht.

Eine Tour erfordert ganz andere Softskills. Mit drei so Freaks für sieben Tage in einer Metallkiste auf Rädern eingesperrt sein - und dafür auch noch jeden Abend Applaus kriegen ... Das ist eigentlich am schwierigsten: nach der Tour nach Hause zu kommen und abends nicht aus Routine mit Applaus zu rechnen. Denn der kommt meistens nicht. Da kommt meistens was anderes.

Dann wird Tom wieder auf die Bühne gerufen. Bis der Soundcheck zu Ende geht, ist es 20 Uhr. Laut Plan sollen die Flowerpornoes in einer Stunde auf die Bühne gehen - und vorher eigentlich noch zu Abend essen.

Tom: Wisst ihr was? Ihr kommt jetzt mit in die Kantine und seid einfach dabei. Und wenn's keine Antworten gibt, gibt's wenigstens Eindrücke.

Der Veranstalter führt die Band durch die völlig verschachtelten Katakomben der Volksbühne - wir folgen. Zwischendurch wird um Ruhe gebeten, um die laufenden Dreharbeiten nicht zu stören.

Die Theaterkantine gleicht einer obskuren Kneipe. Tom isst Gulasch. Der Veranstalter zahlt der Band Essen und Getränke. Wir nehmen mit Kürbissuppe und Bockwurst am Nebentisch Platz, ohne große Hoffnung auf viel verbleibende Gesprächszeit. Bis sich der Protagonist aus seiner Reisegruppe löst und sich mit auskunftsfreudigem Lächeln zu uns setzt.

Das Interview, das du kürzlich bei WDR Rockpalast gegeben hast, haben wir mit viel Freude und Interesse angeschaut. Du gingst ziemlich hart mit dem Musikbusiness ins Gericht.

Oh, im Nachhinein ist mir dieses Interview eigentlich ziemlich unangenehm. Denn ich war da halt einfach angepisst. Ich bin mir da selber überhaupt nicht sympathisch. Die Sachen, die ich sage, sind die eine Seite. Aber so wie ich sie sage und wie ich da rüberkomm ... Ich hätte danach keine Lust, dem Typen zuzuhören.

In unserem Freundeskreis hat es schon einen gewissen Kultstatus. Aber nicht im Sinne von: Hör mal, der böse Mann lässt seinen Frust ab. Sondern weil es einfach sehr wahrhaftig ist.

Was mir da fehlt, ist mein Humor. Ich war da einfach richtig angepisst, und dann stehst du da im Regen und gibst so ein Interview.

Stimmt, einer meiner Freunde meinte: Wow, der ist ja voll am Strugglen. Und das will man selbst wahrscheinlich nicht unbedingt auf YouTube haben.

Ja, bin ich halt auch einfach nicht. Bin ich nicht. Oder zumindest mag ich mich dann am wenigstens. Aber klar ist es ehrlich, zwischendurch mal scheiße drauf zu sein und dazu zu stehen.

Du hast jedenfalls angesprochen, dass ihr eurem neuen Label trotz aller Verdrossenheit gegenüber der Branche jetzt mal eine Chance gebt - und andersrum. Wie ist denn gute zwei Monate später der Zwischenstand?

Also zu den Verkäufen kann ich noch gar nichts sagen. Und auf Zuschauerzahlen scheint es sich im Moment auch nicht auszuwirken. Das ist ungefähr so, wie es vorher war. Wobei die Sachen sowieso ihre Zeit brauchen, um sich zu setzen. Was ich aber auf jeden Fall sagen kann - und das ist jetzt genauso ehrlich wie das Gemopper beim Reeperbahn Festival: Das Verhältnis zu Grand Hotel und zu den Leuten selbst ist total super. Da ist immer jemand präsent. Es ist total auf Augenhöhe und macht Spaß. Ich habe mehr als früher das Gefühl, dass man auch mal mit einer bekloppten Idee kommen könnte, und die würden einfach mitziehen. Es ist immer noch eine andere Frage, wie effizient so was ist. Aber es fühlt sich gut an. Ich mach da gerne noch 'ne Platte.

Das sind ja ganz neue Töne. Denn ob du überhaupt mal wieder eine machst, war ja vor nicht allzu langer Zeit völlig ungewiss.

Ja, aber ich finde es immer ganz gut, wenn man sich nicht allzu sehr auf irgendwas festlegt. Im Moment macht das Spielen einfach Spaß. Man entwickelt sich auf so einer Tour total ins Spielen rein. Und wir haben auch neues Material. Wir haben letztens ein Wohnzimmerkonzert gegeben, da haben wir fünf Stunden gespielt und Instrumente verteilt. Das war fast schon so ein Hippie-Scheiß (lacht). Auf jeden Fall total integrativ.

Gestern hatten wir einen Gig in Saalfeld und haben nachts nochmal eine Session zu dritt gespielt. Ich kann verstehen, dass es früher Bands gab, die gemeinsam auf einen Bauernhof gezogen sind: Ab 10 Uhr wurden erst mal drei Stunden gespielt. Und bei Vollmond sowieso die ganze Zeit. So was macht total viel mit einem. Wenn man in seiner Entwicklung gerade an so einem Punkt ist wie wir, kriegt man große Lust, das einzufangen und was draus zu machen.

"Im Pop-Business ist immer alles nur super."

Thematisch handelt manch ein Song eurer neuen Platte davon, dass etwa Bob Dylan und Neil Young für dich nicht mehr den Vorbildstatus von früher haben. Glaubst du, es könnte irgendwann passieren, dass jemand mit dir auf diese Art und Weise abrechnet?

Ja, das fänd ich auch durchaus legitim. Ich mach mich dadurch ja total verletzlich. Ihr glaubt gar nicht, wie viele Leute angepisst sind, wenn man was Negatives über Neil Young sagt. Das ist unglaublich. Allein das zeigt eigentlich, dass es wirklich wichtig ist, über solche Dinge zu reden. Kunst ist immer dann interessant, wenn sie über Dinge redet, über die sonst nicht geredet wird. Das Pop-Business wird im Pop-Business selbst halt nur euphemistisch thematisiert. Entweder werden irgendwelche Ausfälligkeiten beschönigt, oder alles ist immer nur super. Und selbst das Gewöhnliche ist das Super-Gewöhnliche.

Waren das Fans oder Kollegen, die da sauer waren?

Also erstmal hatte ich das Gefühl, dass es von sehr vielen Journalisten falsch verstanden wurde. In den Rezensionen, die davon handelten, dass die Platte sich teils gegen irgendwelche Formen von Corporate Rock wendet, hieß es gerne mal in Nebensätzen: Ja, aber bei dem ein oder anderen Solo merkt man doch, dass Neil Young immer sein größter Held war ... What the fuck?!

Ich hab nie gesagt, dass das keine geile Musik ist, die der macht. Oder dass mich das nicht inspiriert hat. Sondern dass jemand für mich persönlich, nur weil ich seine Kunst klasse finde, nicht mehr diesen Idol-Stellenwert haben kann - und das eigentlich auch für niemanden haben sollte. Denn letztendlich macht das nur ganz gewöhnliche Menschen klein in ihrer Selbstwahrnehmung. Wir denken, irgendjemand sei großartig und wir nicht. Und das ist nicht gut.

All die Sachen, die Neil Young gemacht und für mich getan hat, respektiere ich. Das ist doch klar. Kann sein, ich würde ihn persönlich treffen, und wir würden beste Freunde werden. Kann aber auch sein, dass das nicht so ist. Ich versuche gar nicht, mich da zu positionieren. Ich versuche einfach nur, der Betrachtung dieser Form von Kultur die Ambivalenz zurückzugeben, die im Leben auch jedem begegnen kann.

Wärst du selber denn gerne ein Vorbild? Beziehungsweise wünschst du dir, dass ein Fan sich mit dir und deiner Kunst identifiziert?

Ich glaube, die einfachste Art, das zu beantworten, ist die: Ich möchte nicht, dass mich jemand für etwas einsetzt, was er selber erledigen könnte. Aber wenn ich jemandem helfen kann ... Ich mein, ich hab Kinder. Da ist das eigentlich genauso. Natürlich bist du manchmal Vorbild im klassischen Sinne, dass du etwas zeigst und jemand macht es nach. Aber das gehört ja in dem Moment nicht mehr mir. Wenn jemand sagt, sein Leben bestehe darin, mich zu imitieren, würde ich ihm sagen: Guck nochmal, ob es da vielleicht nicht noch was anderes gibt. Aber wenn jemand dadurch, dass er mich beobachtet, bestimmte Dinge lernt, weil er merkt, dass diese kompatibel für Probleme in seinem Leben sind, ist das okay.

Und deine Kinder? Wie gefällt dir deren Musikgeschmack? Hast du da auch eine Vorbildfunktion?

Bei Mathilda, der ältesten, habe ich mittlerweile die Vorbildfunktion, die ich mir auf naive Art immer gewünscht hab. Die war ziemlich früh ein Emo. So mit 12 oder 13. Da hat sie in Düsseldorf am Rheinufer mit Leuten abgehangen, bei denen ich mir dachte: Kann auch gefährlich werden und so. Die Phase hat sie relativ schnell hinter sich gebracht und musikalisch nur ein wenig mit rüber gerettet.

Dann war sie für ein Austauschjahr in Dänemark und ist als vegane Feministin wiedergekommen. Was Schöneres kann man sich ja als Vater nicht wünschen (lacht). Na ja, irgendwann haben wir zusammen in der Küche gesessen und zweistimmig Beatles-Songs gesungen. Und mittlerweile stellt sie Fragen wie etwa: Wie bist du denn damals an neue Musik rangekommen? Denn Spotify ist natürlich was anderes, als das was bei uns passiert ist.

Und wie findet sie deine Musik?

Ähm, insofern ich da eine ehrliche Antwort kriege: zumindest nicht scheiße. Sie hat Respekt dafür, dass ich darin mein Leben thematisch verarbeite. Und sie hat durch dieses Jahr in Dänemark sowieso noch mal einen anderen Blick auf zuhause und auf mich bekommen. Wenn du ein Jahr lang Gasteltern hast, merkst du, warum dir deine Eltern fehlen - und gleichzeitig auch, was an ihnen total Panne ist.

Mein Jüngster in Hamburg, der Joni, ist in der Hinsicht noch ein bisschen ... na ja, Revolverheld (lacht). Aber eben Revolverheld und Flowerpornoes. Der ist sechs. Und was bei dem interessant ist: Der hat mit vier oder fünf schon immer gefragt, wovon die Bands im Autoradio eigentlich singen. Den haben die Texte interessiert, egal auf welcher Sprache. Der hat sich auf langen Fahrten manchmal bei jedem Song neu erklären lassen, worum's da geht.

Eine gute Überleitung zu deinem Song "Federkleid", in dem du von "Deutsch als Fremdsprache" singst. Es fällt auf, dass deine Art, auf Deutsch zu singen, schon anders ist, als das, was man etwa von der Hamburger Schule kennt. Bei dir habe ich immer das Gefühl, das fließt alles viel mehr. Du singst eigentlich eher deutsch, wie jemand anders englisch singen würde.

Finde ich ein total schönes Kompliment. Ich hab früher auf Englisch geschrieben, bis ich irgendwann gemerkt hab, dass ich auf Deutsch präziser bin. Wenn ich englische Bilder benutze, weiß ich nicht, was das mit einem Native Speaker macht. Und im Grunde sind das nicht wirklich meine Bilder, sondern eher welche, die ich mir irgendwo klaue, indem ich sie höre und direkt romantisiere. Im Deutschen ist für mich weniger Romantisierung. Ich kann ja nichts darüber sagen, wie das für jemand anderen ist. Aber ich kann für mich sagen, dass mich vor allem emotionale Präzision interessiert.

Mich hat immer interessiert, auf welche Arten ich ein Gefühl vermitteln kann. Mir war immer wichtig, ein Gefühl nicht nur zu benennen, sondern auch an etwas zu koppeln. Zum Beispiel an einen Geruch, an ein Geräusch, an irgendwelche Bilder. Weil ich weiß, dass unsere Art zu assoziieren so funktioniert. Dass wir von dem Löffel, der hier liegt, blitzschnell zu jedem Löffel kommen, der jemals vor uns auf irgendeinem Tisch gelegen hat.

Das klingt jetzt akademischer als es gemeint ist. Ich hab einfach gerne gequatscht und hab gerne zugehört. Und dann versucht, auch so zu schreiben - und nicht in Kunstsprache. Dass es hier und da künstlerisch wird, durch Metaphern und so weiter, ist klar. Aber mir war das nicht wichtig. Mir war wichtig, ungefähr abzubilden, wie ich fühle. Nicht wie ich spreche, sondern wie ich fühle.

Dein Werk scheint generell sehr nah an dir als Mensch zu sein, während viele andere Schreiber großen Wert darauf legen, sich selbst vom Songtext abzukoppeln. Besteht diese Trennlinie bei dir überhaupt noch?

Für mich ist da, wo es weh tut, am meisten zu entdecken. Das kann naturgemäß mit anderen Menschen zu tun haben. Aber klar gibt es Dinge, über die ich nicht singe. Und es ist auch wichtig, dass ich das nicht tue. Ich bin zum Beispiel vorsichtig mit dem Thema Sexualität. Denn meine eigene Sexualität muss nicht unbedingt in Relation zu der von sonst irgendwem stehen. Andererseits hatte ich schon mal die Idee, eine Platte nur über Sex zu machen. Einfach um das mal zu haben. Aber wenn man zu direkt darüber schreibt, zieht man logischerweise mindestens eine andere Person mit rein.

Es gibt schon so Diskretionssachen. Und es gibt natürlich Stellen, an denen ich Namen verändere und umschreibe. Aber das ist ja im Leben genauso. Wenn ich drei Leuten eine Geschichte erzähle, sind das drei verschiedene Geschichten. Weil ich mich frage: Mit wem teile ich was? Klar gibt es die Überlegung: Wie viel teile ich mit dem Publikum? Gleichzeitig ist da immer ein Nichts-zurückhalten-wollen. Das finde ich wichtig.

"Am wenigsten mag ich es, wenn die Leute mich für einen Struggler halten."

Ich muss noch mal das ungeliebte WDR-Interview ansprechen. Da betonst du, wie wichtig es dir war, dass deine neue Platte komplett deinem persönlichen Reinheitsgebot entspricht. Gibt es rückblickend Stücke oder Alben aus deiner Feder, bei denen das nicht der Fall war - und bei denen du heute das Gefühl hast, dich vielleicht irgendwo angebiedert zu haben?

Es gab ein paar Versuche, bestimmte Stücke produktionstechnisch auf Kommerzialität zu bürsten. Zum Beispiel "Funky Sexy" auf "Evolution Blues". Das war eine Single. Das ging total nach hinten los. Aber das war in meinem Leben grundsätzlich so: Wenn ich mal probiert hab, kommerziell zu sein oder Geld und Massenkompatibilität mitzudenken, dann hat das meistens überhaupt nicht geklappt, sondern es ist genau das Gegenteil passiert.

Das geht relativ weit. Manchmal trifft man ja Leute, die drei Jahre später berühmt sind. Leute, die wirklich diesen Weg gegangen sind und Geld verdienen. Und die mochte ich häufig schon vorher nicht. Die waren schon im Freundeskreis diejenigen, mit denen ich nicht die enge Beziehung hatte, sondern die ich so nebenbei kannte. Es gibt wenige Ausnahmen, aber häufig war das so.

Ich meinte aber vor allem mein aktuelles Reinheitsgebot. In der Retrospektive lasse ich Milde walten. Das hatte zu seinem Zeitpunkt alles seine Berechtigung, aber ist jetzt eben vorbei. Genau genommen ist die neue Platte als Platte auch vorbei. Wie wir das jetzt interpretieren, und wie ich das singe, ist eigentlich schon wieder der aktuelle Stand. Im Prinzip sind Konzerte so was wie ein Update der veröffentlichten Kunst. Mit einem Konzert kommt man einen Schritt weiter. Es ist eigentlich schade, dass das in der Öffentlichkeit heute nicht mehr so gesehen wird.

Welche Eigenschaften sind das denn, die dir innerhalb von kürzester Zeit klarmachen, dass du jemanden nicht magst? Kannst du die benennen?

Es gibt schon ein paar Sachen, auf die ich grundsätzlich sehr wenig stehe. Selbstherrlichkeit finde ich ziemlich unerträglich. Auch meine eigene, wenn ich sie an mir bemerke. Aber es ist immer eine Frage von Konstellationen. Manchmal kann ich jemanden spontan nicht leiden, weil er mir in einer hässlichen Sache zu sehr ähnelt. Du weißt auch, wie das ist: Wenn zum Beispiel fünf Leute am Tisch sitzen und zwei wollen gleichzeitig die Party schmeißen, ist das ein Problem. Obwohl es nicht grundsätzlich falsch ist, die Party schmeißen zu wollen oder lustig und unterhaltsam zu sein. Eigentlich gibt es keine negativen Eigenschaften, sondern nur übertriebene. Das heißt, wenn Leute einen nerven, sind sie nur in irgendeiner Form aus dem Gleichgewicht geraten. Oder man selbst ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Die Leute, die später viel Geld verdient haben ... Das klingt jetzt platt, aber die hatten für mich schon immer so eine Skrupellosigkeit. Da hatte ich das Gefühl, die sind total nett zu mir. Aber das war dann schnell: aus den Augen, aus dem Sinn. Bei Leuten, die Geld verdienen, beobachte ich sehr häufig, dass sie gut zwischen den verschiedenen Bereichen ihres Lebens trennen können. Und dass sie eine Diplomatie haben, die sie selber für eine coole Eigenschaft halten, mit der sie sich aber häufig den Zugang zur eigenen Emotionalität versperren.

Mal umgekehrt: Was glaubst du, ist die größte Fehleinschätzung, die Leute über dich haben, die dich nicht besonders gut kennen?

(Überlegt) Weiß ich gar nicht genau. Ich weiß nicht, was ich davon wirklich zu hören krieg. Ich hätte da Vermutungen. Ich glaub, es gibt sowohl Leute, die mich für humorlos halten, als auch Leute, die mich für albern und aufgedreht halten. Das geht in beide Richtungen. Je nach dem, wann man mich wo erlebt hat. Am wenigsten mag ich es, wenn die Leute mich für einen Struggler halten.

Aber woher kommt diese Fehleinschätzung?

Einen Anteil davon hab ich bestimmt in mir. Aber manchmal strugglet man einfach in Kommunikationssituationen, und das kommt dann so rüber wie zum Beispiel bei dem WDR-Interview. Natürlich gibt's in mir verbitterte und genervte Elemente. Klar ist das alles da. Aber zumindest ist das die Rolle an mir, die mir selber am wenigsten gefällt. Also tut's mir da auch am meisten weh, wenn mich irgendjemand ausschließlich dafür hält. Wenn die Leute über mich denken, ich sei Alkoholiker, ist mir das total scheißegal. Denn ich weiß, ich trinke alle drei Monate mal ein Glas Wein. Das denkt aber eh keiner, oder? Ihr habt doch Kontakt zu den Menschen da draußen. Was denken die über mich?

Dein Nebenberuf als Meditationslehrer steht auf jeden Fall im Vordergrund.

Bin ich übrigens gar nicht. Von eigentlicher Meditation hab ich gar keine Ahnung. Aber du meinst, dass die Leute mich für einen Eso halten?

Na ja, die Leute, mit denen ich darüber gesprochen habe, meinten es schon eher positiv.

Okay. Dann verrate denen auch nicht, dass ich kein Mediationslehrer bin (lacht). Nein, natürlich ist meine spirituelle Seite mir sehr wichtig. Da kommt es in der Außenwahrnehmung natürlich vor, dass einem Leute den Eso-Stempel aufdrücken wollen. Andererseits machen die eventuell Yoga oder haben Tarot-Karten im Schrank - was beides Dinge sind, die ich nicht mache. Ich mach manchmal Tai Chi. Aber eigentlich stehe ich in einer andinen Tradition aus Peru. Ich hab mit Anden-Schamanismus zu tun. Da bin ich initiiert und ausgebildet. Ich mach auch Heilbehandlungen mit Menschen. Das ist so mein Bereich. Eine ziemliche Naturlehre, die mich immer wieder erdet.

Apropos Spiritualität: Steht der Titel deines Songs "Hayonedop" eigentlich für "H-I-G-H ... O-H-N-E ...

... D-O-P-E" - genau. Aber wenn jemand in einem Interview fragt, was es bedeutet, sag ich einfach immer, es sei ein Ort in Alaska. Zu dem wir immer wieder gerne fahren, um irgendwann ganz dorthin zu ziehen. Was habt ihr denn ansonsten noch nicht verstanden? Vielleicht kann ich euch einen Tipp geben.

Ich glaube, bei "Federkleid" steige ich noch nicht ganz durch. Aber da kann ich dennoch keine konkreten Fragen formulieren.

Ich kann auf jeden Fall vom Prototyp des Songs erzählen. Da war ich mit meiner Freundin und meinen Kindern in Dänemark. Auf Bornholm, wo ich als Kind ganz oft war. Dort haben wir an einem Tag eine Inselrundfahrt mit dem Auto gemacht. Irgendwann haben wir in einem kleinen Ort an der Felsenküste geparkt. Da war so eine Art alter Hippie mit langen grauen Haaren und Federn drin. Der saß auf einer Parkbank, hatte eine Art Poncho an, war tierisch besoffen und hat die Leute alle aggressiv angepöbelt. Aber irgendwas in meinem Herzen hat den total gemocht. Der war total weit draußen, aber irgendwie hatte ich Liebe für den. Das war der Urgedanke.

Den hab ich dann mit mir rumgetragen. Es geht im Song gar nicht primär um homoerotische oder bisexuelle Tendenzen. Sondern eigentlich um jede Form von Liebe - und dazu zu stehen. Egal, ob es gesellschaftlich akzeptiert ist oder nicht. Das ist das Thema. Das bringt Harald Schulte im Musikvideo dazu auch sehr schön zum Ausdruck. Eine Art von körperlichem Unbehagen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdscham und sonst irgendwas. Aber ein sehr interessantes Drahtseil zum Drüberlaufen.

Damit sind wir der Sache durchaus näher gekommen. Dabei ist es oft ja auch schön, wenn einen etwas im Ganzen sehr Unkonkretes an einzelnen Stellen und Zeilen berührt.

Ja. Außerdem kann es sehr inspirierend sein. Mir ist es wichtig, dass auch andere Leute Musik machen. Wenn ich jemanden inspirieren kann, ist das das Größte. Genauso bei meinen Kindern: einen Funken weitergeben, der einem irgendwie das Gefühl gibt, dass wir alle eins sind. Ich bin ein Teil von euch. Und ihr seid ein Teil von mir. Das kommt in solchen Momenten zum Tragen.

Am Nebentisch bricht die Band auf. Ein Blick auf die Uhr.

Bringen wir dich eigentlich in Zeitdruck?

Ich hab keine Ahnung. Ich bin total im Vakuum.

Es ist 13 vor 9.

Joa. Dann spielen wir jetzt gleich. Ist doch in Ordnung (lacht).

Also wir könnten noch eine Stunde weiter fragen.

Nee, 'ne Stunde geht nicht. Aber ein bisschen noch.

Birgit "BBQ" Quentmeier (Keyboard, Orgel): Wir gehen mal hoch, ne?

Tom: Ich komme gleich nach. Alles gut, alles gut.

Wir haben vorhin heimlich zwei Fragen eingestreut, die eigentlich der Technik des "Character Mapping" entstammen, die Drehbuchautoren häufig einsetzen. Hier kommt noch eine dritte: Was sind deiner Einschätzung nach Eigenschaften an dir, die dich in Schwierigkeiten bringen?

Ich glaub, dass ich manche Dinge in meinem Leben getan hab, um genau das rauszukriegen. Scheiße, die man sich zuzieht. Schlechte Beziehungen, die man freiwillig eingeht. Irgendwelche Dramen, die dann passieren. Das ist alles Teil des Lernprogramms, mit dem man rauskriegt: Womit bring ich mich in Gefahr? Wie viel Gefahr und wie viel Sicherheit brauche ich? Ich glaube, wir brauchen alle ein gewisses Maß an Gefahr. Weil es die sicheren Bereiche sicherer macht. Das war jetzt sehr abstrakt beantwortet. Bisschen politikermäßig.

Dann noch mal was ganz Klassisches: Gibt es ein Lied von dir, das du heute nicht mehr magst?

Es gibt immer wieder mal welche. Ich hab lange Zeit keine Lust gehabt, "Für Die Linke Spur Zu Langsam" zu spielen. Auch wegen der Haltung in der Strophe über die Frau. Das finde ich in der ersten Person weder angenehm noch sympathisch. Aber dann habe ich irgendwann angefangen, es genau deswegen zu spielen.

Die Strophe ist natürlich irgendwo bitter. Aber vor allem deswegen, weil man irgendwas daran in sich selbst wiederfindet.

Genau. Und im Moment spielen wir's auch wieder. Sonst noch irgendwas ganz Wichtiges?

Okay, die Abschlussfrage: Stell dir vor, du wachst morgen im Jahr 1993 vor dem Release von "Mamas Pfirsiche" auf. Worauf würdest du dich am meisten freuen - und wovor hättest du am meisten Angst?

Ich hab damals noch gekifft. Ich würde mich also auf jeden Fall auf 'ne dicke Tüte freuen. Das fände ich toll. Ich mein, ich kann ja in die Zukunft zurück, in der ich nicht mehr kiff. Total spitze. Das wäre generell eine coole Sache: in Zeiten zu können, in denen man Drogen nimmt, und dann wieder raus. Und was war das Zweite?

Wovor du am meisten Angst hättest. Trockener Mund?

Ja, trockener Mund vom Kiffen. Und dass ich vielleicht zu schräg abfahre, auf dem Weg zurück in die Zukunft. Haha, "Zurück In Die Zukunft"!

Es ist kurz vor 21 Uhr. In wenigen Minuten soll das Konzert losgehen. Wir packen unsere Sachen und brechen auf.

Tom: (zur Kantinenmitarbeiterin) Ich hätte gerne noch einen Kamillentee.

Die Mitarbeiterin bringt ihm einen Becher mit Teebeutel.

Mitarbeiterin: Das macht dann einen Euro.

Tom: Nee, das geht auf's Haus (schaut sich hilfesuchend nach dem Veranstalter um).

Mitarbeiterin: Das wüsst ich nicht, dass das auf's Haus geht.

Tom: Ich hab jetzt leider mein Geld woanders ...

Mit Tom Liwa sprachen Dominik Hochwald und Simon Langemann, die seinen Kamillentee in letzter Sekunde mit jeweils 50 Cent bezahlten.

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