2. Januar 2006

"Wir wollen nicht wie die Stones enden!"

Interview geführt von

Anlässlich der Veröffentlichung ihres dritten Albums diskutieren Gitarrist Nick Valensi und Drummer Fab Moretti über die Entstehung von "First Impressions Of Earth", die Texte ihres Frontmanns Julian Casablancas, eine positive oder negative Einstellung zum Leben und das Ende ihrer Karriere.Am Abend des 12. Dezember spielen die Strokes ein kleines Konzert in der Berliner Maria, das einzige in Deutschland im Rahmen einer weltweiten Promotour. Der Laden ist gerammelt voll, alle warten gespannt auf die neuen Songs. Am Tag danach stellen sich die fünf der Presse. Wir bekommen es mit Nick Valensi und Fab Moretti zu tun. Gitarre und Schlagzeug also. Beide sind sehr entspannt, sogar witzig und vor allem: schlagfertig. Wieso sollten sie das auch nicht sein? Die Strokes haben es längst geschafft und obendrein noch ein neues Album im Rücken, das sich gewaschen hat.

Wie fandet ihr eure Show gestern Abend?

Nick: Es war ok. Nein, es war schon gut.

Ihr befindet euch ja auf Promotour. Wie viele Shows habt ihr schon hinter euch?

Nick: Wir haben jetzt schon in Tokio, Sydney, London, Paris, Amsterdam und Stockholm gespielt. Berlin war die siebte Show. Jetzt kommen noch Mailand, Madrid, Chicago, Seattle, Los Angeles und New York. Dann haben wirs geschafft.

Eine World-Promotour ist schon eine fette Sache. Habt ihr jemals gedacht, dass ihr irgendwann in der Lage sein würdet, so etwas zu tun?

Nick: Ich hätte nie gedacht, dass wir so etwas je machen wollen!

Aber ihr macht es ja offensichtlich. War es denn eure Idee?
Nick: Es war nicht unsere Idee, aber wir haben alle zugestimmt. Wir wollten es für dieses Album auf jeden Fall machen!

Hält sich der Jetlag denn in Grenzen?

Nick: Mir geht es gut. Glücklicherweise hatte ich damit nie Probleme. Ich zwinge mich, meinen Schlafrhythmus beizubehalten.

Ihr wirkt ziemlich entspannt. Keine Spur von Nervosität vor dem dritten Album?

Nick: Nein, wir sind nicht nervös. Ich bin bereit für dieses Album.

Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Nick: Wir haben zehn oder elf Monate daran geschrieben, es arrangiert, aufgenommen, gemischt und gemastert. Stimmt's?
Fab: Yeah.

Ihr hattet beim Abmischen auch die Finger drin?

Nick: Ich nicht, aber Fab hat ein wenig mitgemacht. Ich vertraue da den Anderen. Als sie das Album gemischt haben, habe ich mich auf meine Hobbys konzentriert. Ballett und so ... Nee, ich mach nur Spaß!

Seid ihr denn zufrieden mit dem Album? Der Sound hat sich doch ein ganzes Stück verändert.

Nick: Es ist anders. Aber ich mag es.

Könnte man so weit gehen und es experimentell nennen? Ihr scheint viel ausprobiert zu haben.

Nick: Das Erste, was auffällt, ist die Produktion. Das Zweite ist die Freiheit. Mehr Freiheit in der Instrumentierung. Mehr individuelle Freiheit, das zu spielen, wonach man sich gerade fühlt. Die verschiedenen Einflüsse einzubringen, die den Song kodieren.

Ihr habt also erst mal rumgejammt im Studio?

Nick: Ja, wir hatten ja auch viel mehr Zeit, die Ideen hin und her zu werfen. Die Songs sich in verschiedene Richtungen entwickeln zu lassen, bevor wir eine Version auswählen.

So dass ihr am Ende einen völlig anderen Song hattet als am Anfang?

Nick: Ja, manchmal.
Fab: "You Only Live Once" war ein langsamer Song.
Nick: We funked it up a little. "15 Minutes" hat einen langsamen Anfang, der an die Pogues erinnert, dann fängt er deutlicher an zu rocken. Von diesem Song hatten wir zu Anfang zwei Versionen, die wir beide aufnehmen wollten. Eines war Punkrock, eines langsam. Und dann haben sie sich doch in der Mitte getroffen. Manchmal werden sie so, mal so, und manchmal kommen sie zusammen und leben harmonisch miteinander.

Reflektiert das Album einen höheren Entwicklungsstand, den ihr als Band erreicht habt?

Nick: Vielleicht.

Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, aber ich würde sagen, es hat einen "reifen" Sound.

Fab: Ich würde eher sagen, das ist unser Teenage-Album! Uns wachsen gerade Haare an den Eiern.
Nick: Wir kommen gerade in die Pubertät.

Was kommt danach? Ein Pink Floyd-Album?

Fab: Das Alter!
Nick: Das wäre großartig. Wir pumpen uns mit Peyote voll und machen ein Drogenalbum. (lacht)

Keine alten Säcke

In einem älteren Interview steht, dass ihr zusammen Musik machen und touren wollt, bis ihr alt seid. Trifft das immer noch zu?

Fab: Das hängt von den Umständen ab. Wenn wir noch eine Band sein können, die ehrlich zu sich selbst und in der Lage ist, ihren derzeitigen Lebensstand zu reflektieren, dann ja. Wenn wir aber an etwas festhalten, was wir vielleicht früher mal waren, dann nicht. Ich will nicht wie die Rolling Stones enden. Das sind alte Männer, die versuchen, junge Kerle zu sein. Das ist traurig.
Nick: Wenn sich dieses Album gut verkauft, höre ich nach der Tour auf. Eine frühe Rente, so mit 25 oder 26. Ich ziehe dann nach Beverly Hills.
Fab: Du wirst dann Hausfrau.
Nick: Genau, meine Frau kümmert sich dann ums tägliche Brot. Sie kauft mir einen schicken Mercedes, ich passe auf die Kinder auf, koche was Nettes und gehe mit dem Hund raus.
Fab: (überlegt) Weißt du, was lustig ist? Du kannst dieser Welt nicht entkommen. So sehr du auch versuchst, davor wegzurennen, du wirst immer anfällig sein für den Schmerz, den Hunger und die Schrecken dieser Welt.
Nick: Du wirst immer anfällig sein für die Freude und die Schönheit und den Charme der Welt, Mann!
Fab: Ich sage das, weil ich gerade dachte: Es wäre schön, sich von all den Unbequemlichkeiten des Tourens loszulösen, diese ganzen unangenehmen Dinge, die nicht mal was mit Musik zu tun haben. Die Dinge, die du unterwegs in der Glotze siehst, die Manipulationsmacht der Medien. Als Nick dann von der Rente sprach, dachte ich: Das ist doch nur ein Ausschnitt von allem. Unglücklicherweise läufts nicht so. Leider.

Ist das etwas, worüber du dir viele Gedanken machst? Stört es dich?

Fab: Heute stört es mich, morgen nicht mehr.

Du bist also ein Teilzeit-Pessimist.

Fab: I'm a part-time half-empty.
Nick: Du hast doch einen Hangover.
Fab: Ich habe keinen Hangover. Ich hab gestern gar nicht getrunken.
Nick: Siehst du, ich sehe das Glas halbvoll. In dieser Hinsicht bin ich Optimist. Aber ich sehe es halb gefüllt mit einer ekelhaften urinähnlichen Flüssigkeit. In dieser Hinsicht bin ich pessimistisch. Es ist Pisse mit Zigarettenstummeln drin. Aber es ist immerhin halbvoll.

Eine gute Metapher für Beverly Hills wahrscheinlich.

Fab: Du hast die Exkremente vergessen.

Nick und Fab werfen sich noch zwei, drei Sätze hin und her, die wirklich unappetitlich sind.

Zurück zum Album. Fab, das Drumming ist wesentlich progressiver, und dann sind da noch diese Streicher.

Fab: Das auf "Ask Me Anything"? Das ist ein Mellotron (elektronisches Tasteninstrument, dass u.a. die Töne von Streichinstrumenten imitieren kann).
Nick: Es ist ein Instrument aus den Sechzigern. Die Beatles haben es auf "Strawberry Fields Forever" benutzt.

Ich würde gerne mit euch über die Lyrics sprechen, die Julian schreibt. Sie scheinen auf dieser Platte sehr persönlich zu sein, wenn er singt: "I've got nothing to say" oder "My problems are more important than yours". Wie denkt ihr darüber?

Nick: Was denkst du, Fab?
Fab: Stört es dich, wenn ich mit vollem Mund spreche?

Überhaupt nicht.

Fab: Julian hat einen sehr scharfen Sinn, wenn es darum geht, eine einfache Sache sehr kompliziert zu machen. Er singt über sehr grundsätzliche, einfache Dinge, die die Kids überall verstehen können. Leider, oder vielleicht sollte ich glücklicherweise sagen, macht er es immer irgendwie schwierig.

Aber ist es nicht manchmal so? Das scheinbar einfache Dinge in Wirklichkeit sehr kompliziert sind? Liebe zum Beispiel?

Fab: Oder andersrum, Mann! Dinge, die scheinbar kompliziert sind, sind in Wirklichkeit sehr einfach! Wow, ich stelle gerade fest, Julian ist ein Genie!
Nick: Ich verstehe seine Lyrics meistens gar nicht. Erstens im wörtlichen Sinne, ich kann nicht verstehen, was er singt. Dann, wenn ich im Booklet nachschaue, verstehe ich was er singt, aber es ergibt für mich keinen Sinn. Aber ich denke, das macht er mit Absicht. Ich glaube, er will, dass die Leute seine Lyrics so verstehen, wie sie es wollen. Ich könnte dir nicht sagen, was er versucht, zu sagen, oder wem er es sagen möchte. Ich bringe meine Ideen lieber so ein, wie ich es tue, also durch die Musik.

Du hast nie das Verlangen, auch mal Lyrics zu schreiben?

Nick: Ich bin kein Poet. Er macht seinen Job ziemlich gut, da will ich nicht dazwischen funken. Was er singt, hat ja auch eine wichtige Bedeutung für ihn. Es ist leidenschaftlich.

Keine Probleme mit dem Downloaden

Ihr seid jetzt ja schon eine Weile dabei. Spürt ihr immer noch einen Hype um euch, vielleicht gerade jetzt, wenn ein neues Album rauskommt?

Nick: Nein, ich glaube, das haben wir hinter uns. Für mich ist ein Hype, wenn Leute von uns gehört haben, aber unsere Musik noch nicht kennen. Die Leute wissen mittlerweile, wie wir klingen. Es bewegt sich in die richtige Richtung würde ich sagen. Es fühlt sich nicht wie ein Hype an.
Fab: Jetzt ist es nur noch Abscheu. (beide lachen)

Die Leute waren gestern Abend ziemlich begeistert. Sie haben sogar die neuen Songs abgefeiert, die sie eigentlich noch gar nicht kennen können.

Nick: Klar können sie das. Die Platte ist seit mindestens einer Woche im Internet zu finden.

Ärgert euch so was?

Nick: Es ist okay. Mir macht es nichts aus. Ich musste es mir runterladen, weil ich kein eigenes Exemplar davon hatte. Ich musste es sogar in die richtige Reihenfolge bringen. Lach nicht, das ist nicht lustig!
Fab: Du wolltest es doch nicht, als du es haben konntest!
Nick: Mir hat es niemand angeboten!
Fab: Als die Master-Disc kam, hat Julian Kopien für uns alle gemacht.

Naja, so lange du sie nicht im Laden kaufen musst ...

Nick: Hey, ich will dieses Album kaufen! Ich will 10.000 Stück davon kaufen!
Fab: Nur um das Geld wieder reinzubekommen.

Ich glaube, darum braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, nach dem, was ich gestern gesehen und gehört habe ...

Nick: Ja, glücklicherweise haben wir sehr treue Fans. Überall, wo wir hinkommen, haben wir eine solide Fanbase. Sie sind überall unterschiedlich, aber immer sehr loyal.
Fab: Strokes-Fans should rule the world!
Nick: Es sind gute Leute, sie sind enthusiastisch.

Ihr genießt die Aufmerksamkeit also immer noch?

Fab: Wer würde das nicht tun?
Nick: Ich liebe die Aufmerksamkeit, aber ich tue gerne so, als wäre dem nicht so.

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