laut.de-Kritik

Eine Berliner Görenkapelle reanimiert das Deutschpunk-Genre.

Review von

Richtig gut gemachter Punkrock ist eine feine Sache. Doch wer nicht mit Geduld und Ausdauer die Nadeln im Underground-Heuhaufen sucht, ist diesbezüglich in unseren Breiten seit längerem nicht gerade mit Vielfalt verwöhnt. Erst recht nicht im Deutschpunk-Sektor.

Doch kurz vor der totalen Götterdämmerung rotzt uns die Berliner Görenkapelle Stattmatratzen ihren schwefelgelben Egoshooter vor die verdutzten Füße. 15 schier berstende Tracks von vier donnernden Damen für ein überfälliges Hallelujah! Muss da etwa erst eine kompromisslose Mädchenband kommen, das Genre im alleinigen Handstreich zu reanimieren? Leider ja!

Oder besser: Zum Glück! Bunt, schrill und bar jedes medienverhurten Niedlichkeitskalküls rücken die garstigen Girls dickfelligen Männern, dem vegetierenden System und den Tussis dieser Republik so empfindlich nah auf die Pelle, dass man entwaffnet vor ihnen steht. "Was machst du heute noch? Schocken!"

Natürlich sind die Zeiten übel - schlimmer noch als die altvorderen Oldiepunker es je erlebten. Na und? Die Matratzen hört man weder lamentieren noch artsy fartsy analysieren. Viel lieber tanzen sie auf den Ruinen des verlorenen Paradieses mit dem unbekümmerten Elan Absinth- und Tüten seliger Trümmerfrauen. "Der Rauch vernebelt mein Gesicht / doch aufgepasst / Die Welt verkehrt / Mann, was wurden wir belehrt / Hat doch alles nichts gebracht / Die Befreiung der Vernunft ist unsere allergrößte Schlacht (…) Auf ein Wort: Die Ideale sind bankrott!

Als widerborstig bratzender Backfisch koddert sich Shouterin Nika wie ein weiblicher Frank Z höchst souverän und punktgenau durch die massive Wall of Punksound, die die Schwestern im Geiste als knochentrockenes Auf-die-Fresse-Fundament gießen. Mit dem massenkompatiblen Fashion-Girlietum einer Avril Lavigne, der hohlen Schaufensterpuppenrebellion Pinks oder den mitunter etwas lustfeindlich agierenden Riot Grrrl-Muttis des inzwischen prähistorischen Third Wave-Feminismus haben diese pointiert aufspielenden Sex-Drugs-n-Rock'n'Roll-Chicks selbstredend nichts am Hut.

Wenn sowieso alles in Fetzen hängt, kann man auch gleich sein eigenes Ding durchziehen und sich überall nach Lust und Laune bedienen. An hitverdächtigen Kompositionen mangelt es ihnen dabei nicht. "Geschmack" ist ein großartiger Knock-Out für unterbelichtete Klappskallis, die dann doch immerhin noch zum schnieke verachteten Sexobjekt taugen: "Du bist schön / du hast Stil / und ne ganze Menge Sexappeal / Doch du weißt nicht all zu viel." Mit fast maskuliner Härte penetriert der fiese Ohrwurm jedes Publikum, das bei drei nicht auf den Bäumen ist.

"Anomalie" schäkert mit dem Hörer lässig wie eine moderne, feminine Ausgabe der frühen Stooges. "Hände vor die Augen / damit man mich nicht sieht / Ich will an etwas glauben / was es doch nicht gibt." Der Song "Konsumgeil" spielt geschickt mit der fließenden Grenze zwischen Bubble-Gum-Selbstbekenntnis und Ironie.

Selten war ich so erleichtert, wie am Ende dieser scheinbaren 'Geiz ist Geil-Hymne', das befreiende "Mir egal / ich klau es!" zu vernehmen. "Alles sein" trumpft hernach textlich passend sogar mit smarten Brett Gurewitz-Gitarren auf. Lieber selbst ernanntes urbanes Schlafmobiliar sein, als bräsig ferngesteuerte Partymieze!

Und das Schöne: Die jungen Damen lassen vielleicht das eine oder andere im Laden mitgehen. Die Bedienung bei den genannten Legenden hingegen gelingt trotz des rohen Sounds angenehm dezent. Sie bestehlen die Pioniere nicht, sondern integrieren deren musikalische Errungenschaften ganz selbstverständlich in ihr eigenständiges kleines Rockbiotop. Die Produktion vom guten alten Terrorgruppe-Chef Archi Alert kann man dabei gar nicht hoch genug über den grünen Klee loben. Elegant widersteht er jedem billigen Funpunk-Klischee und liefert die perfekt drückende, zugleich eingängige Umsetzung. Das gelingt ihm hier sogar noch deutlich besser als mitunter früher bei der eigenen Combo.

Und damit gewinnen die Stattis auf ganzer Linie. Musikalische Eigenständigkeit und textliche Selbstreferenzialität sind die großen Trümpfe des quarzenden Querulanten-Quartetts. Mit diebischer Freude reißen sie die Grenzen ein zwischen trotzigem Bekenntnis und spöttisch vorgehaltenem Eulenspiegel. Das treibende "Overdressed" kulminiert dann konsequent zum Ende des Albums alle genannten Stärken: "Overdressed und underfucked / denken wir im eigenen Takt (…) Unser Stolz ist nachtaktiv / sitzen gern im Drogenmief / Brauchen keine Weisheiten / Geht woanders klugscheißen."

Also bitte zusammenbleiben, weiter machen und keinen Zickenkrieg vom farbenfroh verlotterten Gartenzaun brechen. Dann klappt es auch mit der ganz dicken Karriere. So, jetzt geh ich woanders klugscheißen.

Trackliste

  1. 1. Klartext
  2. 2. Schocken
  3. 3. Geschmack
  4. 4. Anomalie
  5. 5. Sensationelle Neuigkeiten
  6. 6. Hey, was ist mir den Leuten?!
  7. 7. Kopfsalat
  8. 8. 8 Fütter dein Ego
  9. 9. Illusion vs. Realität
  10. 10. Kein Risiko
  11. 11. Konsum geil
  12. 12. Alles sein
  13. 13. Overdressed
  14. 14. Blumen für Mutti
  15. 15. Mach das Fenster auf

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