25. Oktober 2017

"Es darf nicht nach Blutengel klingen"

Interview geführt von

Gibt es ein besseres Datum, als Freitag, den 13. für ein Interview mit Rod Usher, seines Zeichens Sänger der Horror Punkt-Formation The Other? Vermutlich nicht. Stilecht beißt der Redakteur also in eine Fledermaus, greift zum Hörer und klingelt in eine Kölner Gruft durch.

Rod, ich hätte nicht wirklich damit gerechnet, aber man muss eurem neuen Album ein wenig Zeit geben, bis man sich wirklich reingehört hat.

Stimmt, allerdings habe ich auch schon die Aussage bekommen, dass es sehr einfach strukturiert und sowas wie ein Bauchalbum wäre. Das ist jetzt nicht falsch, aber wir haben auf diesem Album doch relativ viele unterschiedliche Impulse mit drauf, so dass man doch ein wenig Zeit benötigt, um alle zu erfassen. Würde auch überhaupt keinen Sinn machen, 16 Songs auf ein Album zu packen, die dann alle gleich klingen. Wobei das verbindende Element die catchy Refrains sind, auf die wir schon immer Wert legen.

So sehe ich das auch. Es sind wieder viele Refrains, die man sofort mitsingen kann, aber dem ein oder anderen Song muss man schon ein paar Durchläufe geben, ehe man ihn als The Other-Nummer akzeptiert. "Pray For Your Soul" ist von der Strophe her erst mal astreiner Hardcore.

Das war auch die Intention. Wir wollten da ganz klar an die alten Samhain erinnern. Der Auslöser war, als wir letztes Jahr in den Staaten in Hollywood gespielt haben, sind wir zuvor zu ESP gefahren, um dort die Gitarren abzuholen, die uns netterweise für die Tour bereit gestellt wurden. Da kam uns dann ein Typ entgegen, der mir irgendwie bekannt vor kam, und es hat sich rausgestellt, dass das Todd Youth war, der sowohl bei Samhain, als auch Danzig und Youth Of Today gespielt hat. Der war dann auch auf unserer Show im Whisky A Go Go, und wir haben Backstage eine echt coole Zeit gehabt. Der Fanclub-Leiter von Danzig war auch noch da, Danzig selber leider nicht. Jedenfalls wollten wir in Erinnerung an diese coole Begegnung eine Tribute-Song für Samhain aufnehmen.

Aber ihr zieht es ja leider nicht bis zum Ende durch. Der Refrain ist wieder sehr klassisch, melodisch und catchy. Bewusst so? Oder hat da der Mut etwas gefehlt?

Nein, das ist schon bewusst so. Wir hatten alle das Gefühl, dass nach so einem Geprügel irgendwann der erlösende Moment kommen muss, und das ist eben der Refrain. Klar, hätten wir auch den Refrain in einer entsprechend harten Schule belassen können. Aber ich denke einfach, dass Dynamik einen Song besser macht. In Horrorfilmen hast du den Begriff 'Comic Relief', wenn es einen Moment gibt, in dem man als Zuschauer eben nicht nur mit Gedärmen oder irgendwelchen Splatter- oder Spannungsmomenten konfrontiert wird, sondern eine kleine, erholsame Pause hat. So in der Art wollten wir das handhaben. Harte Musik lebt meiner Meinung nach ebenfalls von solchen Momenten. Das ist dann aber gar nicht mal so sehr gewollt oder gezwungen, sondern fühlt sich für uns ganz natürlich an. Ein Sick Of It All-Fan hätte vermutlich lieber eine komplett harte Nummer gehabt, aber das ist einfach nicht unser Ding.

Okay, aber es ist ja nicht so, dass ihr sowas noch nie gemacht hättet. Das gab es bei euch früher doch auch?

Richtig, aber das war eben früher. Ich will auch gar nicht ausschließen, dass wir irgendwann mal wieder in einem Song komplett Gas geben, aber The Other haben mittlerweile ihren Stil. Ich habe früher ja auch in einer Grindcore-Band gespielt, und da gab es musikalisch nur auf die Fresse. Aber auch da wurde man irgendwann immer sludgiger, immer mehr im Eye Hate God-Stil. Da waren die schnellen Dinger dann irgendwann passé. Wir haben bei The Other nach wie vor schnelle Songs, aber eben mit einer ausgewogeneren Dynamik. Wir lieben Melodien einfach zu sehr, um komplett darauf zu verzichten. Auch nicht, für einen Song (lacht).

Wie hoch ist mittlerweile der Input von den anderen Jungs in der Band?

Sehr hoch. Wahnsinnig hoch. Eigentlich stammen fast alle grundlegenden Ideen von unseren beiden Gitarristen. Ich komme dann mit Melodien dazu, und so entwickelt sich nach und nach ein Song. Gerade die Melodien sind meistens sehr spontan. Der erste Gedanke ist meist der Beste. Kann aber auch sein, dass ich eine Melodie nachts daheim oder tagsüber unterwegs irgendwann aufs Handy singe und sich daraus ein Song entwickelt. Dann singe ich denen irgendwas mit 'night' und 'cemetary' vor und wir basteln daraus was Cooles. Das haben die inzwischen megagut raus. Da ergänzen wir uns in der Band mittlerweile echt gut. Die beiden Jungs an den Klampfen, die wirklich ein musiktheoretisches Wissen haben und der Rest von uns, die eher die Bauchmusiker sind.

Stehst du tatsächlich nachts auf, um Ideen aufs Handy zu singen oder zu summen? Ich bin da meistens zu faul dafür und habe am nächsten Morgen natürlich keine Ahnung mehr von dem Riff, das mir vermutlich den musikalischen Durchbruch ermöglicht hätte.

Das kenn ich (lacht). Aber ja, ich steh dann auf und mach das im Bad, um meine Freundin nicht zu wecken. Allerdings muss ich das auch sofort machen, weil es mir sonst wie dir geht und ich mich am nächsten Tag an nichts mehr erinnere. Allerdings kann ich hin und wieder am nächsten Tag auch nicht mehr verstehen, was denn daran jetzt so geil gewesen sein soll, dass ich extra dafür aufgestanden bin (lacht). Das ist aber nur die eine Seite. Es sind auch zahllose dieser Melodien auf Alben von uns gelandet.

"Würdest du am Crystal Lake Party machen? Na klar!"

Dann lass uns mal zu ein paar einzelnen Songs kommen: Wo ist dieser Crystal Lake, und wo verdammt noch mal ist meine Einladung?

(lacht schallend) Willst du jetzt wissen, wo sich der See wirklich befindet oder wo das gedreht wurde? Müsste ich jetzt trotz aller Nerdiness auch erst mal raussuchen. Ich habe aber gelesen, dass man an diesem See sogar entsprechende Übernachtungen buchen kann. So entstand dann auch die Songidee. Wenn du solch eine Einladung bekommen würdest, würdest du sie annehmen?

Na klar!

Ja, ich auf jeden Fall auch. Zumindest tagsüber (lacht). Wir haben uns das mal überlegt. Wie sieht das aus? In der Gruppe ist das tagsüber alles cool. Aber wie ist das nachts? Bist du dann noch genauso mutig? Ich bin ja bekanntermaßen ein bekennender Horrorfilm-Fan und kann mich in diese Filme immer herrlich fallen lassen. Da kann ich dann Angst und Furcht zulassen und erleben, und nach Filmende ist alles gut. Aber ich bin auch so ein Typ, der beim Joggen nachts im Wald einen Typen mit Hund sieht, sich Bilder im Kopf ausmalt und auf einmal mit einem Affentempo nach Hause flitzt (lacht). Und so würde es mir am Crystal Lake auch gehen. Du gehst da hin, machst Party, betrinkst dich, und auf einmal ist es Nacht, und du fragst dich, ob das wirklich die beste Idee war ...

"Morgen Ohne Grauen" ist der traditionell deutsche Text. Wie schwierig ist es für dich, deutsch zu schreiben? Schreibst du auch Gedichte oder ähnliches auf deutsch?

Nein, das nicht. Ich finde es nach wie vor extrem schwierig, gehaltvolle deutsche Texte zu schreiben. Da rutscht man viel zu schnell in Bereiche ab, die nur noch cheesy sind. Einen deutschen Text bekommt nur der Song, der danach verlangt. Das ist dann eine reine Gefühlssache. Der Song stammt von Ben und hat mich in der instrumentalen Version einfach ein wenig an Hosen oder Betontod erinnert. Daher kam die Intention mit dem deutschen Text. Der Titel ist jetzt vielleicht nicht gerade Rilke, aber textlich gebe ich mir doch immer große Mühe. Ich versuche immer etwas zu finden, das nicht nach Blutengel klingt.

Dir ist schon klar, dass du mir gerade die perfekte Headline für dieses Interview geliefert hast?

Oh Gott. Der Chris und ich laufen uns auf diversen Festivals immer mal wieder über den Weg. Jetzt muss ich wohl vorsichtig sein (lacht). Aber was solls. Das muss er eben abkönnen. Ich versuche jedenfalls sehr darauf zu achten, dass es nicht zu klischeehaft wird. Ich hoffe, das gelingt mir. Die deutschen Songs kommen jedenfalls immer sehr gut an und werden alle mitgesungen. Seltsamerweise auch in den Staaten. Wir werden auch ständig genötigt, mal ein komplettes deutsches Album zu machen. Von mir aus gerne, aber es ist nicht so einfach, da man im Deutschen nicht so leicht mit diesen typischen Horrorklischees spielen kann. Ich bin auf die Reaktionen der Fans gespannt, denn bandintern bin ich der einzige, der den Song abfeiert. Die anderen wollten ihn nicht mal auf dem Album haben.

Ich musste spontan bei dem Titel an Tankard denken, aber lassen wir das. Was ist denn mit "X-Ray Eyes"? Ich hab mir hier als Frage aufgeschrieben, ob das eure Ramones-Gedächtnisnummer ist?

Mensch, Eddy. Da sieht man mal wieder, dass wir den gleichen Background haben. Im Slam-Magazin wurde gesagt, dass das die einzige banale Punkrock-Nummer wäre, die nicht mit dem übrigen Material mithalten könne. Okay, wenn er meint. Aber um die Frage zu beantworten: Aber natürlich ist das die Ramones-Gedächtnisnummer (lacht). Den Refrain hatte ich irgendwann im Kopf und bin damit in den Proberaum gekommen. Und wenn sich darauf kein Ramones-Geschrammel anbietet, worauf denn bitte sonst? Warum also in der Strophe dann eine ganz andere Richtung einschlagen? Zumal die Ramones einfach eine geile Band waren. Dass der Song in fünf Minuten entstanden ist, macht ihn meiner Meinung nach nicht schlechter.

Gar nicht. Allerdings könnte man bei dem Titel auch vermuten, dass das aus einer Sauflaune heraus entstanden ist, wenn man sich nach ein paar Bier überlegt, wie peinlich es wäre, wenn die Frau der Begierde mit Röntgenaugen sofort feststellen könnte, wie klein die Nudel wirklich ist.

Könne man meinen, aber Eddy: Für uns wäre das doch nicht peinlich (lacht). Es ist aber tatsächlich so, dass diese Textzeile einfach in meinem Kopf war, mitsamt der Melodie. Den Titel haben ja nun schon viele Bands verwendet. KISS haben einen ihrer schlechtesten Songs so benannt. Aber ich wollte dann eben nicht nur auf den 'Ich kann durch Klamotten gucken'-Aspekt hinaus, sondern eher darauf, dass diese Frau die Typen komplett durchschaut, bis auf die Seele. Es ist also fast schon ein feministischer Text (lacht). Wenn ich manchmal abends unterwegs bin, wünsche ich der ein oder anderen jungen Dame wirklich diese X-Ray Eyes. Was denen da zum Teil von Typen für ein Scheiß erzählt wird, ist echt kein Spaß mehr.

Wer steuert denn bei "Little Black Riding Hood" die fantastischen weiblichen Vocals bei?

Das ist Maitri von Christian Death. Wir waren vor zwei Jahren gemeinsam auf Tour und haben uns super verstanden. Sie ist eine echte Ikone der Gothic-Szene und hat eine großartige Stimme. Mir ist bei Frauenstimmen immer wichtig, dass das nicht so ein Gepiepse oder dieses Operettenhafte ist, sondern dass ein echter Ausdruck in der Stimme liegt. So wie damals bei Anna von Rosenstolz. Maitri hat sich einfach angeboten, da sie auf Tour quasi auch Little Black Riding Hood war. Sie trug immer so ein schwarzes Cape mit Kapuze und von daher hat das ideal gepasst.

"Ich mache Horror-Fans gern auf bekannte Plätze und Storys aufmerksam"

Es gibt zwei Songs auf der Scheibe, die sehr aus dem Rahmen fallen.

Lass mich raten: "Werewolf Of Bedburg" und "What It's Like To Be A Monster"? Beide sind ein wenig ungewöhnlich für uns, haben aber beide ihre Geschichte. Vergangenes Jahr vor Weihnachten nahmen wir im Proberaum eine deutsche Version von "Stille Nacht, Heilige Nacht" samt Video auf. Um das ein wenig gruseliger zu machen, haben wir ein Intro dazu geschrieben, das uns letztendlich aber so gut gefallen hat, dass wir einen eigenen Song daraus machen wollten. Da wurde dann "Werewolf Of Bedburg" draus, eine sehr doomige, okkulte Nummer.

Mich hat das ja spontan sehr an Brecht'sche Theatermusik erinnert. Gerade der Mittelteil, in dem der Werwolf geköpft wird.

Ach was, ehrlich? Verdammt. Das ist mir bisher nie aufgefallen, aber jetzt werde ich diesen Song tatsächlich nie wieder ohne diesen Eindruck hören können (lacht). Lustig ist ja auch, dass Bedburg hier bei Köln um die Ecke ist und sich die Story somit förmlich aufgdrängt. Es gibt sogar einen geführten Wanderweg, den ich leider selber noch nicht abgewandert bin. Es handelt sich anscheinend um eine wahre Geschichte. Wir hatten auf dem letzten Album ja den Song "Doll Island", der ebenfalls von einer realen Geschichte in Mexiko handelt. Da fanden es die Leute auch schon sehr cool, dass wir sie auf diese Insel überhaupt erst mal aufmerksam gemacht haben. Die kannten nur sehr wenige. Ich mag die Idee, Horror-Fans auf ihnen bislang unbekannte Plätze und Storys aufmerksam zu machen.

Ihr habt ja wieder mit Waldemar Sorychta als Produzent gearbeitet. Seid ihr mittlerweile ein eingespieltes Team?

Auf jeden Fall! Waldemar hat mich vor allem beim 'Werwolf' ganz schön getriezt. Der war nicht zufrieden, bis ich den tiefen Teil sauber hinbekommen hab. Er hat mich immer wieder auf Ideen gebracht, auf die ich alleine nie gekommen wäre, und ohne seine harte Schule hätte ich auch einiges nicht so hingekriegt. Der Mann hat nicht umsonst geniale Scheiben mit Tiamat, Lacuna Coil oder Sentenced erschaffen. Von seinen eigenen Bands gar nicht zu reden. Jetzt muss ich dich aber auch noch was fragen: Was ist denn dein Lieblingstrack?

Momentan ist das "Faith And The Fallen".

Oh, das freut mich sehr. Ich hatte anfangs Bedenken, dass der Song vielleicht eine Spur zu modern ist. Der Track ist von unserem zweiten Gitarristen Pat und der steht eher auf so Sachen wie Rise Against. Das ist einer, der ein wenig mehr nach vorne abgeht, es aber momentan leider nicht in die Setlist geschafft hat. Aber das wird Pat mit Sicherheit freuen.

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