14. Februar 2007

Startreff mit Damon und Paul Simonon

Interview geführt von

Ein Gespräch mit den The Good The Bad & The Queen-Starmitgliedern Damon Albarn und Paul Simonon über eine Existenz ohne Musikvideos, Songwriting im Kollektiv und die Youtube-Generation.Alltag im Musikjournalismus: Eine geile Band kommt auf Tournee, die man unbedingt interviewen möchte. Das Label hat dann wiederum die Aufgabe, einem mitzuteilen, dass man mit diesem Wunsch nicht alleine dasteht. So geschehen bei The Good, The Bad & The Queen. Verständlich für all jene, die die Namen Paul Simonon und Damon Albarn musikhistorisch einzuordnen wissen. Der eine ist Maler und war früher mal Bassist bei The Clash, der andere ist Gorillaz-Erfinder und Sänger von Blur, letzteres zumindest noch auf dem Papier.

Alleine an ihm liegt es zu entscheiden, wann bzw. ob er je wieder ein Blur-Album aufnimmt. Geplant ist derzeit nichts. Außerdem musizieren bei The Good, The Bad & The Queen die Herren Simon Tong, ehemals The Verve-Gitarrist und bei Blur Live-Ersatz für Graham Coxon, sowie Tony Allen. Der 66-jährige Drummer gilt als legendärer Erfinder des Afrobeats, wie Albarn in keinem Interview müde wird zu betonen (auch in unserem nicht).

Das Label bietet mir im Vorfeld aufgrund der knappen Promozeit einen so genannten Roundtable an, was auf der Beliebtheitsskala von Journalisten ungefähr knapp hinter Soundfile-Bemusterung rangiert. Aber da muss man jetzt durch. Damon und Gitarrist Simon sollen meine Gesprächspartner sein, was für mich als alten Blur-Fan natürlich reizvoll genug klingt, dem zweiten Roundtable seit 2003 mit Martin Gore beizuwohnen. Als Albarn dann auch noch in Begleitung von Clasher Paul Simonon den "Girls"-Dressing Room im Berliner Postbahnhof betritt, ist die Freude natürlich groß. Simonon schloss sich kurzerhand lieber seinem Sänger an, als der Label-Vereinbarung zu folgen, mit Tony Allen eine Gruppe zu bilden. Clash of the titans, also (huar).

Nun liegt es jedoch im Wesen eines Roundtables, dass jeder Teilnehmer seine eigens erdachten Fragen möglichst fett rausballern will sowie in der Natur der Sache, dass die individuellen Recherchen zum Thema qualitativ, sagen wir, schwerstens individuell ausfallen. So auch hier: das Gespräch ist eine Art Miniatur-Pressekonferenz, was für den immer wieder als Journalistenschreck hochgeschriebenen Damon Albarn erfreulicherweise überhaupt kein Problem darstellt, schon gar nicht für seinen ohnehin schwer lässigen Kollegen Simonon.

Mit 30-minütiger Verspätung - nach dem ersten Interview mit MTV hatte das Abendessen Vorrang - läuft das Star-Doppel im edlen Nadelstreifen-Partnerlook ein und nimmt vor drei ausgestreckten Radiomikros und einem vergleichsweise unscheinbaren Tischmikro meinerseits Platz. Die Atmosphäre ist angenehm, beide stellen sich den lästigen Anforderungen der Albumpromotion professionell und nicken höflich, als unserer Vierergruppe kurze Zeit später noch zwei weitere Pressekollegen zugelotst werden, die sich mit ihren situativen Gesprächspartnern Simon Tong und Tony Allen dann doch etwas verarscht vorgekommen sein müssen. "Pull up a seat", raunt ihnen Damon mit überraschend tiefer Stimme zu, die in Kombination mit seinen massiven Augenringen eine Ahnung dessen vermittelt, wie der Körper auf den Lifestyle eines Workaholics reagiert.

Über Nigeria, Tony Allen und Danger Mouse

Am Vorabend spielte die Band ein kurzfristig anberaumtes Radiokonzert in der Kölner Kulturkirche, einer "aktiven lutherischen Kirche", wie Albarn kenntnisreich einwirft, dabei ist der Blick zurück ja sonst eher nicht seine Sache. Im Gegenteil: Vor dem Soundcheck nutzte er seine spärliche Freizeit, um die Berliner Oper in Augenschein zu nehmen, wo sein nächstes Projekt aufgeführt werden soll, eine chinesische Zirkusoper, deren Musik erst noch aus seinen Fingern fließen muss. "Eine spannende Aufgabe" sei das, urteilt Albarn knapp, zumal die Berliner Bühne kleiner ausfalle als die des Pariser Austragungsortes. Doch heute soll es noch um die Gegenwart gehen, um The Good The Bad & The Queen, was ihm auch nicht unrecht ist.

Es ist bei aller gegenteiliger Annahme gar nicht so ein ungleiches Paar, das da vor einem sitzt. Auf der einen Seite der 51-jährige, in Brixton aufgewachsene Simonon, Typ lässig-sympathischer Kneipenbuddy, mit einem baumelnden Schlüssel an einer silbernen Halskette, drei Goldringen an der rechten Hand, einem schwarzem Kunststoff-Hut und einer reizenden Zahnlücke. Daneben der dem gehobenen Bürgertum entstammende, 38-Jährige Albarn, ein Peace-Button am Jacket-Revers und einen auf den silbernen Siegelring farblich abgestimmten, schnörkellosen Armreif tragend. Und weils an Simonon nun wirklich geil aussieht, scheint sich auch Albarn kurzerhand für einen Zahnlücken-Look entschieden zu haben, was die Verbundenheit auf die Spitze treibt.

Auch abends auf der Bühne sind es nur Albarn und Simonon, die ausschweifend Kippen rauchen und zwischen den Songs scherzen. Tony Allen wird von Albarn zumindest noch mit motivierenden Blicken bedacht, während Gitarrist Simon Tong vom Geschehen unbeteiligt am Bühnenrand seine Arbeit verrichtet und somit ungewollt die in der Öffentlichkeit verbreitete Ansicht zementiert, im Star-Kollektiv nicht mehr als Albarns Wasserträger zu sein. Dabei ist er noch vor Simonon in der Band gewesen. Nachdem Drummer Allen für dessen "Homecooking"-Album im Jahr 2002 Albarn kontaktierte, jammte man über ein Jahr gelegentlich in Albarns Londoner "13"-Studio, bevor beide mit Simon in die nigerianische Hauptstadt Lagos flogen. "Dort nahmen wir ein Album mit 22 nigerianischen Musikern auf, mit einer richtigen Big Band. Das Ergebnis klang dann so durch und durch nigerianisch, dass ich mich erstmal eher zurück hielt", erinnert sich Albarn.

"Wir kamen wieder nach Hause und ich verwarf das Album. Erst als ich mit Danger Mouse am Gorillaz-Album arbeitete, meinte er, wir sollten uns mal den ein oder anderen Track vornehmen. Das Problem an den Aufnahmen in Nigeria war auch, dass viele Musiker sich sehr an Tony Allen orientierten, verständlicherweise, denn er ist der Godfather des Afrobeats. Daher klang die Musik nicht neu genug. Dann kam mir eben die Idee, Paul anzurufen und ihn zu fragen, ob er mal vorbeischauen wollte. Es war reiner Zufall, dass er nur ein paar Straßen bei mir ums Eck wohnte. Ab diesem Zeitpunkt waren wir eine Band, in der jedes Mitglied gleichberechtigt Songideen einbrachte. So entstand alles. Es war ein langer Prozess, insgesamt fast fünf Jahre."

Den Bass nahm Paul, dem die "Guns Of Brixton"-Version von Nouvelle Vague im Übrigen gut gefällt, tatsächlich nur wegen Damon wieder in die Hand: "Ich schätze Damons Musik sehr und auch seine Gedanken als Mensch. Ich fand es zum Beispiel gut, dass er seinerzeit die Einladung, in die Downing Street Nr. 10 zu kommen, ablehnte und der Partei eine Absage schickte. Das ist ein Standpunkt, den ich teile. Und musikalisch ist es eben das, was ich mag. Seine Anfrage kam außerdem zu einem Zeitpunkt, als ich gerade das Gefühl hatte, ich könnte noch etwas anderes tun. Weißt du, wenn man immer nur Leinwände anmalt, tut es auch mal gut innezuhalten und sich an einer Skulptur zu versuchen. Oder eben Musik zu machen", findet Simonon. Produzent Danger Mouse kommt bei The Good The Bad & The Queen die Rolle eines fünften Bandmitglieds zuteil, durfte er doch in Eigenregie entscheiden, welche Tracks überhaupt aufs Album kommen. Damon spricht von ihm während des Gesprächs übrigens als Danger Mouse, Paul nennt ihn bei seinem Geburtsnamen Brian.

Political love songs für die Youtube-Generation

Der Hauptunterschied zu früher beim Musikmachen ist laut Albarn die Erkenntnis, dass alles immer einfacher werde. Gerade die intakte Bandchemie sei das höchste Gut. Diese Ansicht teilt Simonon: "Wir haben beide unsere Band-Erfahrungen als junge Kerle gemacht. Heute sind wir in gewisser Hinsicht weiser. Die Band ist heute eher sowas wie ein Treffpunkt." Aus dieser zufriedenen Situation heraus fällt es natürlich auch leichter, an kreative Durststrecken der Vergangenheit zurück zu denken: "Naja, es gibt natürlich schon Dinge, die ich getan habe, die vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen weniger erfolgreich gewesen sind", lacht Albarn. "Aber je älter du wirst, desto weniger Fehler machst du. Das führt auch dazu, dass vielen Leuten ihre Abenteuerlust abhanden kommt. Ich meine, als ich 22 war, fand ich es toll, betrunken auf Häuserdächer zu klettern. Das würde ich heute nicht mehr machen. Und wenn ich doch mal die Lust verspüren sollte, auf ein Dach zu klettern, würde ich sichergehen, dass ich nichts getrunken habe."

Ob der Sound von The Good The Bad & The Queen für die Kids von heute eine tiefere Bedeutung haben könnte, wissen beide nicht zu beantworten. "Keine Ahnung, wir sind zu alt, um für junge Menschen sprechen zu können", grinst Simonon. Die Bedeutung der Internet- und Blogszene für das Bekanntwerden ihrer Band ist ihnen dagegen sehr wohl bewusst, insbesondere natürlich Albarn: "Wir haben ja nichts, womit die kommerziellen Radiosender arbeiten können und wir drehen auch keine Videos, die auf MTV laufen könnten. Also mussten wir einen anderen Weg finden, um an die Leute zu kommen. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es eine sehr moderne Platte. Dass die ganze Blog-Landschaft über uns berichtet hat und man uns auf Youtube sehen konnte, war eine sehr positive Erfahrung für uns." Daraus resultierend kommt Albarn zu dem optimistischen Schluss: "Du kannst heute auch mit guter Musik überleben. Zwar wirst du dir keinen Bentley leisten können, aber du kannst damit leben und mit der guten Musik wachsen."

Sagt sich natürlich immer leichter, wenn man sich schon eine Handvoll Bentleys leisten kann, klar. Doch lässt sich aus der Antwort auch Albarns Ekel vor dem inhaltsleeren Massenpop unserer Tage ablesen. Gleichzeitig müssen sich junge Bands von heute noch immer an Verkaufszahlen orientieren, um ihren Marktwert, ihren Erfolg bemessen zu können. Albarn selbst hat da inzwischen andere Kriterien: "Es ist schön, dass unsere Platte ganz gut anzukommen scheint, aber Erfolg bemisst sich doch eher danach, wie lange wir noch in der Band miteinander klarkommen und ob die Platte auch in zehn Jahren noch als gutes Album angesehen wird."

Apropos Bandzukunft; trotz Albarns ständiger Verwandlungen könnte es tatsächlich zu einem zweiten Album der Supergroup kommen. Genug Songs seien schon vorhanden und selbst Albarn ist der Idee nicht abgeneigt. Die Hauptsache sei, wer hätte es gedacht, dass man sich nicht wiederhole, denn so zerstöre man all die gute Arbeit, die zuvor abgeliefert wurde, weiß Albarn. Da auch die Gorillaz ein zweites Album einspielten, könnte es also durchaus zu einer Neuauflage der "political love songs" kommen, wie Albarn seine Kompositionen für TGTBATQ selbst umschreibt. Zumal die Message eines politischen Songs im Vergleich zu den 60er Jahren heutzutage kaum noch Gewicht habe. "Politische Bands von heute, sofern es überhaupt noch welche gibt, agieren meist sehr dogmatisch und vergessen, dass es bei der Musik um Schönheit geht und nicht ums Predigen", so Albarn.

Zu den 60ern hat der Blur-Sänger ohnehin eine enge Beziehung und komponierte sogar Songs für die letzten beiden Alben der damaligen Jagger-Geliebten Marianne Faithfull. Ein Song davon, "Green Fields", fand nun auch den Weg auf das TGTBATQ-Debütalbum. Laut Albarn purer Zufall: "Ich habe den Song nicht wirklich für Marianne komponiert. Ursprünglich dachte ich damals (2004), ich würde ihn irgendwann mal mit ihr im Duett singen. Aber das ist dann nie passiert. Ich hatte schon wieder vergessen, dass ich ihn überhaupt geschrieben habe, als sie eines Abends bei mir war und mir nochmal das Demo vorspielte. Der Song kam dann sehr spät in die Tracklist rein, passte aber hervorragend zur Stimmung auf unserer Platte."

Erlaubt ist also so ziemlich alles im Universum des Herrn Albarn, so lange es nur der Atmosphäre zuträglich ist und in irgendeiner Form neue Wege betritt. So ließ die Band ihr Konzert im Herbst 2006 in London mitfilmen, obwohl es insgesamt erst der vierte Auftritt in dieser Besetzung war. Eine Art "globale Probe", erinnert sich Albarn, was aber durchaus auch seine guten Seiten habe. "Manchmal ist es gut, sich total zu öffnen. Daran könnten sich auch Regierungen mal ein Beispiel nehmen, denn wenn du nichts zu verbergen hast, geht es dir auch gut." Das Quartett will in diesem Jahr noch einmal für Konzerte nach Europa kommen.

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