23. Juli 2012

"Es ging uns um Wiedergutmachung"

Interview geführt von

Die Zeit ist reif für The Gaslight Anthem. Mit ihrem vierten Album "Handwritten" wagen die Breitwand-Rocker aus New Jersey den großen Sprung. Um den Herausforderungen der Stadionrock-Branche gewappnet zu sein, unterschrieb man nicht nur bei einem Major, sondern holte sich mit Brendan O'Brian auch noch einen der etabliertesten Produzenten der Neuzeit ins Haus.The Gaslight Anthem haben zwei turbulente Jahre hinter sich. Zunächst war da "American Slang", das international gefeierte Drittwerk der Combo, das nicht nur die Charts stürmte, sondern der Band um Sänger Brian Fallon auch VIP-Pässe für den Rock-Olymp verschaffte. Doch kurz vor der Zielgeraden wurde Frontmann Fallon des krachenden Rock'n'Rolls überdrüssig. Die Folge: das Nebenprojekt The Horrible Crowes.

Plötzlich bestimmte die Akustische den Alltag des charismatischen Shouters. Fallon hatte die Schnauze voll von glühenden Marshall-Amps und verschwitzten Leibern vor der Bühne. Stattdessen gab er sich auf dem Crowes-Debüt lieber dem Erbe von Tom Waits und PJ Harvey hin und ging im Anschluss mit Kollegen wie Chuck Ragan, Dave Andriano und Dave Hause auf große Flüsterrock-Tour.

Kurze Zeit später kam die Rolle rückwärts. Getrieben vom wiedererlangten Verlangen nach lauter Beschallung kehrte Fallon zu seinen Bandkollegen zurück. Im Gepäck ein 100-seitiger Notizblock, prall gefüllt mit niedergeschriebenen Songskizzen. Wieder voll im Saft setzte das Quartett alles auf eine Karte, bestieg das Major-Pferd und ritt mit Produzenten-Ikone Brendan O'Brian (Rage Against The Machine, Pearl Jam, Bruce Springsteen) Richtung Nashville ins Studio, um Fallons Aufzeichnungen in rockige Klangwelten zu verwandeln. Kurz vor der Veröffentlichung des Nashville-Resultats sprachen wir mit Gitarrist Alex Rosamilia über alte Sounds und neue Wege.

Hi Alex, "Handwritten" steht in den Startlöchern. Wie fühlt ihr euch kurz vor dem Release?

Alex: Es juckt und kribbelt überall (lacht). Wir sind wirklich sehr aufgeregt und können es kaum erwarten. Ich glaube, dass wir schon immer so klingen wollten wie auf diesem Album. Jedes bisherige GA-Album für sich hat seine Daseinsberechtigung. Aber ich finde, dass wir mit "Handwritten" dem Ganzen noch eins draufsetzen. Versteh mich nicht falsch, ich will nicht arrogant rüberkommen, aber momentan habe ich vom ersten bis zum letzten Ton nichts an der Scheibe auszusetzen.

"Handwritten" geht wieder klar in Richtung "The '59 Sound", wobei das Material keineswegs aufgewärmt klingt. Wie siehst du das?

Alex: Das sehe ich genauso, auch wenn wir uns nicht bewusst mit einer Sound-Rückkehr beschäftigt haben. Es ging eher um den rohen Vibe den "The '59 Sound" hatte. Da wollten wir wieder hin. Wir wollten wieder wie eine Band klingen, die ihr erstes Album angeht. Das Ganze hat sich zum Glück dann auch so entwickelt, weil wir einfach bereit waren für den nächsten Schritt in unserer Entwicklung. Wir erfinden uns nicht neu mit dem Album. Vielmehr ging es darum, alles Bisherige zu bündeln und rauszulassen.

"Unsere Musik ist ausgelegt für Stadien"

Inwieweit trug euer neues Umfeld etwas zum Endergebnis bei? Hat euch der Major-Deal zusätzlich gepuscht?

Alex: Wir haben nie hinter dem Berg gehalten, was die Major-Frage betrifft. Uns war immer klar, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem wir die Indie-Pfade verlassen. Wir hatten eine tolle Zeit bei SideOneDummy. Aber wir sind jetzt bereit, die nächste Stufe in Angriff zu nehmen. Mit einem Major im Rücken können wir unsere Fühler wesentlich flächendeckender ausbreiten. Und ja, ich glaube schon, dass uns der Tag, an dem wir unterschrieben haben, einen zusätzlichen Kick gegeben hat.

Wir wollen uns einfach weiter entwickeln. Das hat nichts mit Größenwahn zu tun. Unsere Musik ist einfach ausgelegt für Stadien und große Festivals. Da wollen wir hin, und das haben wir nie verleugnet. Dennoch muss man natürlich immer etwas aufpassen, was man sagt, denn viele Leute drehen einem das Wort im Munde herum, und plötzlich steht man dann da wie ein arroganter Rockstar, dem nichts wichtiger erscheint, als sein Gesicht möglichst täglich in den Gazetten zu sehen. Darum geht es uns aber nicht.

Wenn ich sage, dass wir uns als Stadionrock-Band sehen, dann meine ich damit lediglich, dass wir uns live am wohlsten fühlen, wenn es so richtig schön groß und voll ist. Die Musik von Künstlern die wir verehren, wie Social Distortion oder Bruce Springsteen, entfaltet ihre ganze Magie am eindrucksvollsten, wenn die Sonne untergeht, ein lauer Wind weht und vor der Bühne Zigtausende Fans ihre Songs mitsingen. Natürlich ist ein kleiner bis zum Bersten gefüllter Club auch eine tolle Sache. Aber dieses Gefühl, das man hat, wenn man in ein weites Rund voller gutgelaunter Fans blickt, ist nicht zu toppen.

Vor allem dann, wenn man merkt, dass einem die Leute abnehmen, dass die Band auf der Bühne sich als Teil des Ganzen sieht und keinerlei Berührungsängste oder Allüren hat. Bei uns in Amerika läuft das alles auch schon ganz gut. Wir wollen aber auch bei euch das volle Programm anbieten. Dafür brauchst du aber ein funktionierendes Umfeld. Wir haben jetzt einfach wesentlich mehr Möglichkeiten als vorher. In der Vergangenheit waren zwei Leute für unsere Promo und Vermarktung in Europa zuständig. Jetzt haben wir mehrere Teams bei euch zu sitzen, die sich um unsere Belange kümmern. Das ist schon ein Unterschied.

Universal waren nicht die Einzigen, die bei euch angeklopft haben, richtig?

Alex: Nun, wir hatten in der Vergangenheit schon des Öfteren die Möglichkeit bei einem Major zu unterschreiben. Wir waren aber einfach noch nicht bereit dafür. Es sollte nicht darum gehen so schnell wie möglich den dicksten Vertrag an Land zu ziehen. Die Gefahr, dass man dann schnell verheizt wird, weil man der neuen Situation noch nicht gewachsen ist, ist einfach zu groß. Uns ging es immer darum als Band zu wachsen, um irgendwann im richtigen Moment auch die richtige Entscheidung zu treffen. Wir wissen mittlerweile nur zu gut wie es sich anfühlt, wenn man versucht Dinge übers Knie zu brechen.

"Wir sind einfach erwachsener geworden"

Ist das eine Anspielung auf euer letztes Werk "American Slang"? Ich habe gehört, dass ihr nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden wart.

Alex: Ja, das stimmt. Damals haben wir uns zu sehr von äußeren Umständen leiten lassen. Das hört man dem Album auch an. Wir wollten den seinerzeit entstandenen Hype um die Band nutzen und schnell mit neuem Material nachlegen. Das ging aber ziemlich in die Hose. Ich rede jetzt nicht von Verkaufszahlen. Die Platte war, kommerziell gesehen, ein großer Erfolg für uns. Es geht eher um die Songs an sich. So gesehen ging es uns mit dem neuen Album auch ein bisschen um Wiedergutmachung. Wir haben uns diesmal die nötige Zeit genommen, um letztlich auch das bestmögliche Ergebnis abliefern zu können. Alles was von außen hereingetragen wurde, haben wir einfach ignoriert und uns nur auf uns und unsere Musik konzentriert.

Und auf Brians mitgebrachten Notizblock.

Alex: (Lacht) Ja, den haben wir natürlich nie aus den Augen gelassen.

Habt ihr euch nicht gewundert, dass sich jemand heutzutage noch die Mühe macht, seine Gedanken und Ideen mit Zettel und Stift festzuhalten?

Alex: (Lacht) Ein bisschen altmodisch, oder?

Irgendwie fast schon romantisch.

Alex: Natürlich hätte Brian es sich auch einfacher machen können. Laptops stehen schließlich mittlerweile in jeder Ecke rum. Aber genau diese Herangehensweise war wichtig für das Endresultat. So hatten wir gleich von Beginn an einen erdigen und ehrlichen Zugang zum Gesamten. Diese antiquierte Stimmung, die von Fallons Zeilen ausging, haben wir versucht exakt und detailgetreu in die Aufnahmen zu transportieren.

Das Album wurde von Brendan O'Brian produziert und gemixt. War es euch wichtig mit jemandem zu arbeiten, der im Bereich Stadionrock kein Unbekannter mehr ist?

Alex: Natürlich macht es mehr Sinn, jemanden mit ins Boot zu nehmen, der sich schon seit Jahren in der Branche auskennt, anstatt sich für einen zu entscheiden, der komplettes Neuland betritt. Letztlich hat Brendan unsere Erwartungen noch übertroffen. Wir hatten wirklich eine fantastische Zeit mit ihm in Nashville. Der Mann weiß einfach genau, auf was es ankommt. Ich denke, wir haben als Band unheimlich viel gelernt während dieser Zeit. Auf vielen Stücken hat uns Brendan mit Vocals und einer dritten Gitarre ausgeholfen. Er war während dieser Zeit das fünfte Gaslight Anthem-Mitglied (lacht).

Habt ihr alle Stücke live eingespielt?

Alex: Ja. Man erreicht einfach ein ganz anderes Energie-Level, wenn man mit der kompletten Band aufnimmt. Vielleicht hakt hier und da das eine oder andere, aber genauso wollten wir es haben. Es sollte sich echt anfühlen. Brendan hat es perfekt verstanden, diesen rohen Vibe einzufangen. Für uns war es auch das erste Mal. Natürlich haben wir früher auch schon einiges live eingespielt. Aber noch nie unter solch professionellen Bedingen.

Das Album hat im Vergleich zu den Vorgängern einen wesentlich persönlicheren Touch. Hat das etwas mit Brians Soloausflug im letzten Jahr zu tun?

Alex: Nun, wir haben ja alle unsere kleinen Nebenprojekte am Laufen, die uns dabei helfen, uns individuell weiter zu entwickeln. Brians Projekt wurde einfach nur stärker nach außen getragen, weil er nun mal der Sänger ist. Aber alles in allem denke ich, dass es weniger mit seiner Zeit bei den Horrible Crowes zu tun hat, als vielmehr mit grundlegenden Dingen und Ansichten, die sich bei ihm seit "American Slang" verändert haben.
Brian ist, wie wir alle, einfach auch reifer und mutiger im Umgang mit sich und seiner Kunst geworden.

Früher schrieb er mehr aus der Sicht anderer. Diesmal ging er tiefer. Er setzte sich mit sich selbst auseinander und brachte seine Erlebnisse und Erfahrungen ungefiltert aufs Papier. Das Ganze war ein Prozess. Die ganze Band hat in den letzten Monaten viel gelernt, erfahren und verarbeitet. So etwas prägt natürlich auch. Plötzlich verändern sich Ansichten, Meinungen und Sichtweisen. Meist sind es nur kleine Dinge, die plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Doch die Wirkung ist dafür umso größer. Wir sind einfach erwachsener geworden, würde ich sagen.

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