13. Mai 2016

"'Düsseldorf' klingt schön, irgendwie blubbernd"

Interview geführt von

Rote Fabrik, Zürich, 3.5.16: Die Londoner Band Teleman tritt in der Reihe Ziischtigmusig ("Dienstagsmusik") im Café Ziegel Oh Lac auf. Vor der Show noch ein kleines Interview.

Sänger Tom braucht dringend Schlaf, aber Pete, Jonny und Hiro begleiten mich in den betriebseigenen Kindergartenraum. Wir stellen einen Stuhlkreis mit den winzigen roten Kinderstühlchen.

Danke, dass ihr mir seit gestern auf Instagram folgt.

Das ist unsere neue Taktik, wir folgen allen.

Ich bin wirklich total verliebt in den Song "Düsseldorf". Könnt ihr mir beschreiben, wie der Prozess abläuft, ein solches musikalisches Meisterstück zu erschaffen?

Jonny (lacht): Der Song wurde auf Tour geschrieben, als wir in Deutschland waren. Tom hat ihn eigentlich geschrieben, er ist ja gerade leider nicht hier, aber ich kenne die Geschichte: Wir tourten mit Metronomy durch Deutschland, er schrieb den Song Düsseldorf tatsächlich in Düsseldorf. Der Text handelt einfach über seinen Aufenthalt dort und was er da gerade gemacht hat. Da war ein Rummel dort mit Karussellen und so.

Und wie schreibt ihr die Songs, gibt es eine Songschreibroutine? Wie kommen die Bassline oder das Schlagzeug hinzu? Ist das immer gleich oder für jedes Lied anders?

Jonny: Das ist grundsätzlich sehr persönlich, also ein Song wird von einer einzelnen Person geschrieben. Eigentlich als Ganzes, also mit Bassline und Schlagzeug und allem. Und dann treffen wir uns und spielen uns gegenseitig unsere Lieder vor. Und dann finden wir heraus, welche wir am liebsten mögen. Und dann ändern wir Sachen. Also zum Beispiel arbeitet Pete dann ein wenig mehr an der Bassline. Vielleicht hat einer den Text geschrieben, hat sich aber nicht so sehr mit dem Bass beschäftigt, also schaltet sich einer von uns ein und macht den Teil einfach ein bisschen besser.

Und wer übernimmt die Führung?

Jonny: Das macht Tom!

Ich habe mir Düsseldorf immer wieder angehört. Und musste dann dabei an die klassische Shakespeare Dramastruktur denken.

(Die Jungs und ich beugen uns über eine Skizze des Verlaufs eines klassischen Theaterdramas und ordnen den Song "Düsseldorf" den einzelnen Drama-Abschnitten zu: Synthies am Anfang: Exposition, Spannungsaufbau, "kleine Verschnaufpause" ohne Bass, Ent-Spannung, Höhepunkt ("put on put on your favourite song!") und am Ende die Katastrophe: Oh Graus, das Lied ist aus! Unerwartet aufmerksam folgen mir die drei Musiker bei dem kleinen Ausflug in die Literaturtheorie.)

Pete: Ich glaube viele Popsongs haben sowas, aber "Düsseldorf" hat zwei Solos, Gitarre hier und ein Synthesizersolo da, das aber lauter ist. Ja stimmt, es folgt dieser Kurve, aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal für unser Lied, das passiert eigentlich in vielen Songs. Und es gibt ja einen Grund, warum diese Struktur funktioniert und auch immer wieder verwendet wird. Weil wir alle gelernt haben, Lieder auf diese Weise zu hören. Die Leute erwarten das ja zu einem gewissen Grad. Und dann veränderst du das nur ein kleines bisschen, und: Überraschung ...!

Nachdem ein Lied fertig ist, wisst ihr dann eigentlich ob das ein Hit wird? Ihr arbeitet so lange daran, verändert es, reißt es wieder auseinander, baut es wieder zusammen ...

Pete: Normalerweise sagen uns die Leute aus unserem Management, von welchem Song sie glauben, dass es eine Single wird, die sind oft irgendwie scharf auf einen bestimmten Song. Und wir sagen dann "jaja ok". Und dann nach einer Weile wird uns auch klar, dass es eine Single ist. Wenn man ein Lied lernt und immer wieder spielt, ist es schwer zu sagen, ob es einmal wichtiger sein wird als andere, sie werden erst später bedeutender durch die Publicity, die sie mit der Zeit bekommen, weil die Leute den Song kennen, ihn plötzlich mehr wahrnehmen. Aber ein Jahr zuvor haben wir das gar nicht so empfunden, man weiß das einfach dann noch nicht.

Jonny: Die Lieder sind dann noch wie Babys, die noch nicht groß geworden sind.

Könnt ihr eigentlich den deutschen Textpart in "Düsseldorf" auf Deutsch aussprechen?

Jonny: Nein, wir spielen es jede Nacht, aber wir können es echt nicht aussprechen.

Könnt ihr mir mehr über die Frau sagen, die den deutschen Part spricht? Ist sie aus Düsseldorf?

Jonny: Sie ist eine unserer Freundinnen, sie ist Deutsche, aus Berlin, die Freundin unseres Tontechnikers. Und wenn man ganz genau hinhört merkt man, dass sie eine fette Erkältung hat, ihre Stimme klingt ziemlich verschnupft.

Und warum Düsseldorf? Der sexy Heavy Metal Umlaut? Ich meine, München hat auch einen - und Zürich.

Jonny: Für uns Engländer hört sich das Wort Düsseldorf schön an, irgendwie blubbernd. Aber in der deutschen Sprache klingt es hässlich, also Leute haben uns gefragt, wieso wir ausgerechnet dieses Wort rausgesucht haben. Aber wir mögen den Klang sehr.

Hat Düsseldorf auch mit Kraftwerk zu tun, flirtet ihr als Band mit Kraftwerk?

Jonny: Nein, damit hat es überhaupt nichts zu tun. Klar, wir sind Fans, aber die Kraftwerk-Verbindung wird in uns hineininterpretiert. Wir haben das nicht absichtlich in unsere Musik gepackt.
Hört ihr euch Krautrock an? Welche anderen Bands haben euch beeinflusst?

Pete: Ja! Wir hören Kraftwerk, NEU! ... Ist doch klar, welche Bands wir hören, wenn man sich unsere Musik anhört.

Eine Mischung aus Pet Shop Boys und Velvet Underground?

Jonny: Diese Beschreibungen sind irgendwie faul, stereotypisch, kurzsichtig, so nach dem Motto, oh da sind Jungs mit drei Harmonien, die sind wie die Beach Boys. Oder sie haben sich wiederholende Vierviertel-Takt-Rhythmen, also ist es Krautrock. Die Leute stülpen eben ihre eigenen Beurteilungen drüber. Das ist Quatsch, wir klingen überhaupt nicht nach Beach Boys, nicht nach Kraftwerk, nicht nach Velvet Underground. Obwohl diese Bands natürlich toll sind, wir hören sie ja auch.

Hiro: Also ich hab viel Jazz gehört, Pete mag funkige Sachen ... also eigentlich kann man nicht festlegen, was unsere Einflüsse nun wirklich sind.

"Dann wurde Pete halt degradiert"

Lasst uns mal über Georg Philipp Telemann reden, auch ein Deutscher, übrigens. Ihr seid über ihn in einem Wohltätigkeitsladen gestolpert?

Pete: Ja, das war, als wir nach einem Namen für die Band gesucht haben. Tom hat in dem Laden die Platten durchgeschaut. Natürlich war das nicht das erste Mal, dass wir von dem Komponisten Telemann gehört haben, aber es wurde dann eine Arbeitstitel-Idee und den Namen haben wir dann behalten.

Ich glaube, das ist auch der Name einer polnischen Fernsehsendung.

Pete: Ja, und ein Mobilfunkbetreiber auch.

Jonny: Aber der Plan ist, all diese anderen Teleman(n)s in Sachen Popularität ganz klar zu überholen.

Pete: Ja, aber das wird hart, den Komponisten zu schlagen. Offensichtlich hat der ja vor langer Zeit einige ganz wichtige Werke geschrieben.

Telemann, also der Komponist, soll sich ja mehr oder weniger das Musikmachen selbst beigebracht haben. Wie habt ihr als Musiker angefangen und euch entwickelt?

Hiro: Ich denke mal, das war bei uns nicht groß anders. Ich wurde ja in Japan geboren und habe mit zwölf angefangen Schlagzeug zu spielen und dann habe ich mit vielen Bands gespielt und hab einfach weitergemacht und bin immer noch ein Drummer. Und ich kam dann nach London als ich 21 war, also sechs ... sieben Jahre her. Die anderen Jungs waren ja davor in der Band Pete and the Pirates ...

Pete: Da habe ich auch angefangen, Bass zu spielen, bei Pete and the Pirates. Davor, als Jugendlicher, habe ich Gitarre und Klavier gespielt, aber ich bin beim Bass geblieben. Jonny hat Schlagzeug gespielt bei den Pirates und er hat dann bei Teleman zu den Synthesizern gewechselt.

Warum habt ihr die Instrumente denn gewechselt?

Jonny: Also Pete ist schon der bestausgebildete Musiker von uns allen, er weiß am meisten über Instrumente, was sie bedeuten, wie man sie spielt. Aber als wir mit Teleman anfingen, hatten wir schon zwei Gitarristen. Und dann wurde Pete halt degradiert und als Bassspieler festgelegt.

Pete: Ja, das war echt hart für mich. Ich leide immer noch unter Depressionen deswegen. Hey, lasst uns darüber echt keine Witze machen.

Jonny: Okay, dann noch vom Schlagzeug zu den Synthies. Als wir mit Teleman anfingen, dachten wir, wir bräuchten kein Schlagzeug, weil wir das mit einer Drum-Machine machen wollten. Also Play drücken und die Musik einfach drüberspielen.

Hiro: Ja, das mache ich jetzt auf der Bühne, ich drücke auf Play ... hihi.

Noch mal zu Georg Philipp Telemann: Typisch für ihn sind ja ausgeprägte Gesangsmelodien, kreativ arrangierte Klangfarben und ungewöhnliche Harmonie-Effekte. Jetzt ihr: typisch für Teleman, die Band, ist: ...

Pete: Hört sich eigentlich ziemlich ähnlich an.

Deswegen habe ich die Frage gestellt ...

Pete: Danke, ich nehme das dann mal mit (steckt sich meine Notizen in die Jackentasche).

"Die EU ist sicher nicht perfekt, aber ..."

Ihr seid mit Metronomy getourt, Suede ...

Jonny: Mit Suede waren wir praktisch überall. Franz Ferdinand, Kaiser Chiefs. Praktisch alle großen Bands von vor zehn Jahren.

Welche der Bands hat euch am meisten beeindruckt, musikalisch und überhaupt?

Pete: Franz Ferdinand. Ich mochte ihre Musik als ich sie das erste Mal gehört habe. Als ich noch ein Teenager war. Aber als wir mit ihnen auf Tour waren, waren sie mir noch viel näher, irgendwie ein Nostalgie-Ding. Und ich hatte sie vor unserer gemeinsamen Tour noch nie live gesehen. Und wir wurden Freunde, das war wirklich cool.

Jonny: Und ihr musikalisches Können und ihre Showqualitäten auf der Bühne, unglaublich! Ihre ganze Einstellung zu allem. Die touren um die ganze Welt und es geht ihnen nicht darum Drogen zu nehmen oder sowas, die hauen einfach das Publikum von den Sitzen, darum geht es ihnen. Das treibt sie an. Es ist eine echt authentische Show, das war wirklich ein Erlebnis mit ihnen zu touren.

Pete: Und Metronomys Musik ist auch wirklich gut, wir mögen sie sehr.

Wie fühlt es sich dann an, jetzt alleine zu touren?

Hiro: Ich finde es schön, eine eigene Headliner-Tour zu machen. Die Leute kommen, um uns zu sehen, sie kennen unsere Musik.

Jonny: Also Bologna zum Beispiel ist echt gut gewesen. Es ist total egal, ob es voll oder halb voll ist oder ob da nur zehn Menschen rumstehen. In Bologna machen die Leute einfach Lärm und tanzen, also Bologna war besonders toll. Man nimmt schon Fans mit als Supportband, natürlich keine 2000 oder so. Aber eine kleine Anzahl jedes Mal. Und dann kommen sie später wieder auf dich zu und sagen "ah ich hab euch gesehen, als ihr mit Suede gespielt habt" oder so.

Ich habe eine letzte Frage, lasst mich vorlesen: Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union? (Anm. d. Red.: offizielle Fragestellung des BREXIT-Referendums am 23. Juni 2016, Sollte das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben oder sie verlassen?)

Pete: Haha. Das ist eine komplizierte Frage, finde ich. Also eigentlich denke ich, wir sollten in der EU bleiben, weil es ein besseres Arbeitsumfeld für die Leute darstellt. Und wenn die Länder anfangen, die EU zu verlassen, erschafft das so ein rechtsradikales Gefühl, also die Ausländerfeindlichkeit wird größer. Und obwohl es vielleicht gute Argumente gibt, aus der EU auszusteigen, ist es besser, das nicht zu machen.

Jonny: Es geht ja darum, Mauern hochzuziehen und die Grenzen wieder dicht zu machen. Und nach dem Mauerfall, einem kulturträchtigen historischen Moment, fühlte sich irgendwie jeder offener, freier, vereinter. Und jetzt werden alle irgendwie wieder abwehrend und schotten sich ab. Unabhängiger, nationalistischer. Und zum Beispiel Hiro muss als Japaner alle paar Monate sein Visum erneuern, um in Großbritannien bleiben zu dürfen. Es ist ein unnötiges Theater für einen Menschen dauernd um Erlaubnis zu bitten, um da wohnen zu dürfen, wo er wohnen will. Auf einem Planeten, den wir Erde nennen.

Pete: Ja, Bullshit. Ich würde nicht sagen, dass die EU perfekt ist ...

Jonny: Aber es ist wirklich schön, das eigene Land verlassen zu können ohne angehalten und gefragt zu werden: Ah, wer seid ihr denn und wo geht ihr hin?

Pete: Stell dir mal vor, jeder hätte eine andere Währung, das wäre ein Albtraum für uns auf Tour!

Hallo, ihr Briten habt eine eigene Währung ...!

Pete: Jaja, aber wenn das alle anderen auch hätten ... unvorstellbar! Also, drin bleiben!

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