24. Januar 2017

"Vielleicht lachen sie hinter meinem Rücken"

Interview geführt von

Er gilt als Galionsfigur der deutschen DJ-Zunft und präsentiert nach wie vor stilsichere Sets: 31 Jahre nach seinem Debüt-Hit "Electrica Salsa" sprechen wir mit Sven Väth über die Veränderungen in der Techno-Szene und sein Doppelleben als Familienvater und weltreisende DJ-Ikone.

Kurz vor Weihnachten erschien mit "Sound Of The 17th Season" das Compilation-Update von Sven Väths unkaputtbarer Cocoon-Partyreihe auf Ibiza. Dieses Mal u.a. mit Perlen von Pantha Du Prince, Ripperton und einem Roman Flügel-Rework seines Off-Klassikers "Electrica Salsa" von 1986. Die Leser des Groove Magazins wählten ihn 2016 erneut zum DJ des Jahres. Das öffentliche Interesse an seiner Person ist also ungebrochen, so dass der 52-jährige Familienvater seine Pressearbeit mittlerweile begrenzt. Um so schöner, dass er nach unserem letzten Gespräch im Jahr 2009 ("Fürs Berghain bin ich zu populär") wieder Zeit für uns fand.

Sven, du giltst als redseliger Mensch, was ich nach unseren Gesprächen für laut.de bestätigen kann. Von daher war ich überrascht, als es hieß: Am liebsten würdest du das Gespräch per E-Mail führen. Ist doch eigentlich mehr Arbeit für dich, oder macht es abends mit einem Glas Wein mehr Spaß?

Sven Väth: Du erreichst mich in meinem Urlaub, ich liege gerade am Strand und genieße eine Kokosnuss. Es macht mir Spaß, deine Fragen diesmal schriftlich zu beantworten.

Bei "Sound of the 17th Season" hört man sowohl in der Trackauswahl als auch im Mix immer noch deine Liebe zum Rave, zur Abfahrt und zur Musik an. Wie schwierig ist es in deinem Alter, diese Jugendattribute aufrechtzuerhalten?

Musik zu finden, sie zu spielen und zu tanzen, diese Leidenschaft ist ungebrochen. Außerdem kann es mit meiner Company, der Cocoon Music Event GmbH, die ich jetzt seit 20 Jahren mit viel Enthusiasmus betreibe, nie langweilig werden. Trotz meiner vielen Reisen bin ich im steten Kontakt mit den Verantwortlichen von Cocoon Recordings, Cocoon Events und der "Flash Artist"-Bookingagentur. Da arbeiten auch junggebliebene alte Hasen mit den jungen Talenten zusammen. Unsere Visionen umzusetzen ist jedes Jahr aufs Neue spannend und herausfordernd, ganz besonders was unsere Events auf Ibiza angeht. Aber die Shows weltweit und das Label halten mich jung und interessiert daran, das Rad weiter zu drehen.

Das Faze Magazin nannte dich vor zwei Jahren "die fleischgewordene After Hour" - wie viele After Hours machst du heute noch?

Das sind derzeit ca. acht bis zehn im Jahr, aber dafür ausführlich, mitunter spiele ich dann 10- bis 20-Stunden-Sets.

Wann warst du zum letzten Mal nicht als DJ auf einem Rave?

Das ist schon lange her.

Man verehrt dich als eine Art Iggy Pop des Techno: Du hast sehr früh die Szene betreten, ein Genre mitbegründet und dir den Ruf erarbeitet, unzerstörbar zu sein. Von Iggy Pop weiß man, dass er Tai Chi praktiziert und keine Drogen mehr anfasst. Wie gleichst du den ganzen DJ-Stress aus?

Seit vielen Jahren arbeite ich schon mit einem Personal Trainer und bestreite regelmäßig Fitness-Programme. Ich gehe sehr gerne in die Sauna und bekomme wöchentlich Massagen. Zudem praktiziere ich seit etlichen Jahren im Herbst eine Ayurveda-Kur und verzichte im Anschluss daran etwa drei Monate auf Fleisch und Alkohol, was meiner Konstitution sehr gut tut. Am besten ist es, auf seinen Körper zu hören, wie das auch Sir Iggy Pop tut.

"In unserer Szene kann man friedlich feiern"

Ich habe mir auf Youtube ein Stück deines Gigs in Crans Montana letztes Jahr angeschaut, wo du "Electrica Salsa" im Henrik Schwarz Dub gespielt hast und sichtlich Spaß hattest. Woran denkst du, wenn du diese Nummer von 1986 hörst?

Das war eine sehr aufregende Zeit, ich war 22 Jahre alt und sehr von meiner DJ-Arbeit angetan. Ich wollte etwas eigenes machen. Frankfurt mit seinen Clubs und der DJ-Szene war zur damaligen Zeit ziemlich spannend. Dann sind wir natürlich jedes Jahr zu den Openings nach Ibiza gefahren. Das war alles so inspirierend und mitreißend. Wir, also die Off-Produzenten Michael, Luca und ich wollten da mitmischen, schließlich wurde "Electrica Salsa" zum Mega-Hit auf der Insel.

Wie kam es zu den vielen Remixes alter Tracks von dir in den letzten Jahren?

Ich konzentriere mich voll auf das DJing, gehe also selber derzeit nicht ins Studio. Ich habe allerdings aus früheren Jahren einen umfangreichen Backkatalog, zehn Alben und etliche Singles. Die Lizenzrechte einiger Tracks fielen jetzt erst wieder an mich zurück und somit konnte ich sie auch auf Cocoon Recordings veröffentlichen. Wir dachten uns, dass es an der Zeit wäre, da mal junge und auch etablierte Künstler ran zu lassen. Ich bin ehrlich gesagt begeistert von allen Mixen und es freut mich vor allem, dass die junge Generation so einen Zugang zu meinen Songs bekommt.

Du hast lange Zeit einen Bogen um Berlin gemacht. Jetzt sieht man dich ab und an wieder im Watergate. Wie kommts?

Das stimmt so nicht. Ich mag Berlin sehr und war in den letzten 25 Jahren immer am Start. Das Watergate ist mein Stammclub hier, in dem ich seit vielen Jahren spiele und immer sehr viel Spaß habe.

Mitte des Jahres wurde die Londoner Fabric geschlossen, nachdem es dort zwei Drogentote gegeben hat. Viele prominente DJs reagierten ob dieser Maßnahme bestürzt. Wie war deine Reaktion?

Ich habe gar nicht reagiert. Es ist natürlich schrecklich, was den Menschen da passiert ist und die darauf folgenden Konsequenzen für den Club waren hart. Ich habe selbst auch schon zwei Clubs geschlossen, aber nicht aus diesen Gründen.

Der Club hat mittlerweile unter strikten Auflagen wieder eröffnet, u.a. fährt er eine 'Zero Tolerance Drug Policy'. Denkst du angesichts der heutigen Techno-Großevents mit strengen Sicherheitskonzepten manchmal wehmütig an die Wendezeit und den damaligen 'Anything Goes'-Zeitgeist?

Natürlich hat sich viel verändert in der Szene. Damals war das alles zu neu, und es gab wenige Regeln. Es herrschte aber ein anderer Zeitgeist in den 80er und 90er Jahren. Auch die Drogen und das Partyverhalten der Leute haben sich verändert. Dennoch kann man in unserer Szene eigentlich sehr friedlich und auch lange feiern. Dass wir alle jetzt viel mehr in Security investieren müssen, ist natürlich auch dem teilweise stümperhaften Verhalten von Veranstaltern sowie der generellen Situation mit Anschlägen etc. geschuldet.

Das Auflegen bestimmt heutzutage deinen Jahresfahrplan. Reizt es dich nicht, noch mal ein Album aufzunehmen?

Ich habe immer wieder mal daran gedacht. Wenn mich die Muse küsst, wird es geschehen.

In welche musikalische Richtung würdest du da gerne gehen?

Ich könnte mir gut vorstellen, etwas mit Roman Flügel, Koze oder Gerd Janson zu produzieren und meinen Wurzeln treu zu bleiben: Ambient, House und Techno.

"Papi war gut drauf"

In einem Interview vor zehn Jahren hast du deine Plattensammlung auf rund 25.000 beziffert. Wie ist der aktuelle Stand?

Das Doppelte vielleicht?

Wieso behältst du die alle? Aus Nostalgie?

Ich werde meine Sammlung sicher mal für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Diese Idee von "Music & Art to share" verfolgt mich schon länger. Vielleicht gelingt es mir, auch die Sammlungen von Kollegen zu ersteigern oder auszuleihen, um das im größerem Stil zugänglich zu machen – als Hör-Bibliothek von DJs.

Hast du in deinem Zuhause auf Ibiza auch ein Regal, in dem Schallplatten lagern, auf die du in deiner Freizeit gerne zurück greifst?

Mein Zuhause ist jetzt London, ich bin 2013 dorthin gezogen und in meinem Ferienhaus in Ibiza hat es natürlich auch gute Scheiben. Letzten Sommer habe ich mich sehr mit afrikanischem Jazz beschäftigt, etwa mit Fela Kuti, da Brian Eno eine Vinyl-Box von ihm kuratiert hat. Es ist ein Wahnsinnsprodukt. Unsere "Cocoon Closing Afterhour" in Ibiza habe ich dann dem musikalischen Thema Afrika gewidmet. Ich streute in mein Zehn-Stunden-Set immer mal wieder afrikanische Stücke ein, was insgesamt gut ankam. Gut, einige schauten etwas verwirrt ...

Welche Platten hörst du mit deinem sechsjährigen Sohn Tiga?

Die letzten Wochen haben wir auf den Malediven und in Thailand zusammen verbracht, er liebt "Kind Of Blue" von Miles Davis, aber auch Techno und Pop. "We Will Rock You" von Queen ist zur Zeit sein Favorit, wenn es laut sein soll.

Was sagst du ihm, wenn er in einigen Jahren Youtube-Videos ansieht und dich beispielsweise nach einem Gig morgens verstrahlt auf einem Parkplatz tanzen sieht?

Ich werde ihm sagen: "Papi war gut drauf".

Macht es Spaß, nüchtern aufzulegen?

Selbstverständlich! Wäre ja auch schrecklich, wenn das nicht so wäre, schließlich ist nach wie vor die Musik die Droge. Generell sollte doch jeder DJ sein Handwerk beherrschen und das gerade auch nüchtern. Ich spreche mich hier nicht frei, aber eine gewisse Contenance sollte man immer bewahren.

Wird man heutzutage von Kollegen belächelt, wenn man noch mit Vinylkoffern im Club auftaucht?

Das ist mir noch nicht aufgefallen, vielleicht hinter meinem Rücken? Aber seien wir doch mal ehrlich, mit Vinyl zu spielen ist doch um einiges mehr sexy als seinen USB-Stick in den CD-Player oder das Laptop zu stecken und auf Sync zu schalten.

Wie lange benötigst du fürs Plattenpacken vor einem Gig?

Always ready to play. Plattenhören ist ja Homework und passiert jede Woche.

The Prodigy haben letztes Jahr den Song "Ibiza" rausgebracht. Der Song thematisiert die heutige Superstar-DJ-Kultur, deren Akteure oft ihr ganzes Set auf einem USB-Stick mitbringen und nur noch mit den Händen winken. Kannst du diese Kritik nachvollziehen?

Natürlich. Das hat nichts mit dem Begriff "Disc-Jockey" zu tun.

In Video-Interview für Cocoon Recordings hast du kürzlich gesagt: "Die Zeichen der Zeit zu erkennen und gerade dann zu gehen, wenn es schön ist, ist eine Gabe." Wie oft hast du selbst schon daran gedacht, dich ganz aufs Leben als Familienvater zurück zu ziehen?

Sir Mick Jagger ist vor kurzem mit 72 Jahren zum achten Mal Vater geworden. Der hat auch noch Spaß am Touren, und ich auch.

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