13. November 2014

"Das Unfertige klingt heute funky"

Interview geführt von

Mit "Collected" veröffentlichen die Stereo MC's all ihre Studioalben sowie unveröffentlichte Tracks und ein Livekonzert in einem opulenten Boxset.

Ein Lebenswerk auf neun CDs und einer DVD. Ganz schön viel Stoff für eine Band, die viele bis heute nur mit dem Song "Connected" assoziieren. Wir sprachen mit Sänger Rob Birch über 25 Jahre Stereo MC's.

Was ist der Hauptgrund für die Veröffentlichung des karriereumfassenden Boxsets "Collected"?

Rob Birch: Ehrlich gesagt fragte uns die Plattenfirma, was wir zur Veröffentlichung einer Hits-Compilation sagen würden. Nick und ich fanden es aber etwas langweilig, das übliche Best Of-Programm abzuspulen und kamen so auf die Idee, all unsere Musik vom ersten Tag an in eine Box zu packen. Inklusive seltenem Material, das sich über die Jahre angesammelt hat und das wir aus verschiedenen Gründen nie veröffentlicht haben. Dafür konnten wir weit mehr Energie aufbringen, als wenn wir wieder schon wieder eine "Connected"-"Step It Up"-"Creation"-Best Of hätten promoten müssen. "Collected" ist stattdessen so etwas wie ein historisches Dokument.

Klingt für mich als Fan natürlich total super, aber so eine teure Box spricht dann letztlich ja auch nur Leute wie mich an, oder?

Klar, das ist was Spezielles für Leute, die uns schon eine Weile begleiten. Aber für uns macht es Sinn, weil wir mit unseren neuen Songs nach vorne schauen und mit "Collected" sozusagen ein Kapitel schließen.

Es stört euch also nicht, dass ihr mit einer herkömmlichen Best Of-Scheibe vielleicht mehr Leute oder neue Hörer erreicht hättet?

Vielleicht bringt die Plattenfirma auch einzelne Scheiben aus der Box in den Handel. Keine Ahnung. Wenn wir ein bisschen Airplay bekommen, wird es vielleicht Leute geben, die Interesse haben, mal in die Box reinzuhören. Aber die Musikindustrie hat sich ja extrem verändert. Du kannst heute einen Song aus dem Netz kennen, ohne die Spur einer Ahnung zu haben, wer der Künstler ist. Vielleicht fällt man heute sogar eher noch mit solchen Spezialisten-Veröffentlichungen auf als mit der zehnten Best Of, die sowieso niemand mehr wahrnimmt.

Du hast den Wandel der Musikindustrie angesprochen, der vor etwa 15 Jahren begonnen hat. Bist du ein Anhänger der neuen Zeit, in der praktisch jedes Album vor der Veröffentlichung im Netz steht, oder trauerst du den alten Zeiten nach?

Es ist leicht, zurückzuschauen und zu sagen: Mensch, war das toll damals. Allein wenn ich daran denke, wie wir damals aufgenommen haben oder wie wir mit vier oder fünf Mann am Mischpult die Tracks live mixen mussten. Heute habe ich meinen PC, mein Logic Pro und alle Zeit der Welt für meinen Mix. Man hat als Musiker heute so unendlich viel mehr Möglichkeiten, dass es irgendwie sinnlos wäre, den alten Zeiten hinterher zu weinen.

Manchmal entdeckst du irgendeinen fantastischen Track im Netz, schaust auf die Views und die sind exorbitant. Da fällt dir erst mal auf, wie viel Musik existiert und wie viele Leute danach suchen. Das verändert auch dein Bewusstsein. Nick und ich sind jetzt weit über 20 Jahre dabei und wir müssen schauen, dass wir frisch bleiben, uns verändern, Neues lernen. Sonst bist du als Künstler nicht mehr relevant. Das Internet ist in der Beziehung eine große Hilfe.

Hast du denn noch mal alle eure Alben angehört, die jetzt in der Box versammelt sind und vielleicht Dinge entdeckt, die dir vorher nicht aufgefallen sind?

Normalerweise ist eine Albumproduktion für mich abgehakt, wenn sie in den Handel kommt. Dann schaue ich schon nach vorne zum nächsten Projekt. Am ehesten entdecke ich Dinge, wenn ich irgendwo unbeabsichtigt auf Songs von uns stoße. Gestern bin ich zum Beispiel mit meiner Tochter bei einem kreolischen Takeaway gewesen. Ich kenne den Besitzer und er meinte: 'Hey, hör dir das mal an.' Und dann spielte er eine Nummer von unserem 'Paradise'-Album. Ich habe den Song nicht mehr gehört, seit wir die Platte aufgenommen haben. Und ich dachte: 'Alright, das geht in Ordnung'. Bei "Collected" hat mir vor allem der Prozess Spaß gemacht, nach alten Remixes zu suchen oder nach Songs, die es nie auf Platte geschafft haben, weil uns irgendwas nicht gepasst hat. Gerade dieses Unperfekte macht für mich jetzt den Charme aus. Was damals unfertig klang, ist heute oft funky. Es ist ein bisschen wie wenn man alte Fotos von sich anschaut.

Denkst du bei den alten Songs an die guten Zeiten oder an die Negativspirale, die euch nach dem "Connected"-Welterfolg erfasst hat?

Es ist immer eine positive Erfahrung, denn Musik oder besser gesagt, jeder einzelne Song, den du schreibst, ist wie eine Lösung. Eine Lösung, die du gefunden hast nach all der Arbeit im Studio. Ich hatte immer ein gutes Gefühl, was unsere Tracks angeht. Wie nach einem erfolgreichen Hürdenlauf. Mit jeder neuen Platte bricht ja eine neue Jahreszeit an. Manchmal ist der Weg dorthin wunderschön, manchmal eher beschwerlich. Meistens ist es eine Mischung aus beidem.

"Viele Leute glauben, wir lagen jahrelang unter Palmen"

Ich habe euch 1993 auf meiner Studienfahrt nach Edinburgh entdeckt und euch später im Vorprogramm von U2 gesehen. Ich konnte es danach nicht glauben, dass nach "Connected" kein neues Album mehr kam. Schön, dass ihr durchgehalten habt.

Oh, danke, dass du nach so langer Zeit noch dabei bist. Das "DJ Kicks"-Album, das acht Jahre nach "Connected" erschienen ist, war ungeheuer wichtig für uns. Nach "Connected" haben wir einfach unseren Weg verloren. Viele Leute glauben tatsächlich, wir lagen jahrelang unter Palmen, dabei saßen wir Ewigkeiten in einem Studio in Süd-London und überlegten, wie man einen Song komponiert. So schräg das auch klingt: Wir hatten damals völlig das Vertrauen in uns verloren.

Das hatte ganz sicher damit zu tun, dass wir zu diesem Zeitpunkt Ziele erreicht hatten, von denen wir schon als Achtjährige geträumt haben. Du fragst dich eigentlich nur: Wo willst du jetzt noch hin? Was willst du noch erreichen? Da saßen wir dann verzweifelt im Studio und hatten plötzlich keinen Antrieb mehr. Wir hatten wirklich den ganzen Spaß an der Sache verloren, der einen ja überhaupt erst zum Musik machen gebracht hat. Damals haben wir auch gemerkt: Der beste Moment ist nicht, wenn dein Album weltweit einschlägt, sondern der Weg dorthin. Wenn du dir die Musik ausdenkst, sie den Leuten vorspielst und dich dann diesem Punkt langsam annäherst. Und unser Weg war unglaublich.

Gab es einen bestimmten Moment, an dem du gefühlt hast, dass deine Band jetzt den großen Sprung macht?

Glastonbury 1993 war sicher so ein Moment, wo ich dachte: Diese Resonanz der Leute ist nicht mehr zu toppen. Barrowlands in Glasgow fällt mir auch gleich ein oder unsere Show in Hamburg. Aber letztendlich sind da sehr viele Konzerte nah dran. Wir hatten meistens großartige Gigs. Mies wurde es nur, wenn du krank wurdest, weil du schon ewig auf Tour bist und wieder irgendwas Schlechtes gegessen hast. Das war der schwierige Part. Aber ich denke nur an die schönen Zeiten. Die US-Tour mit den Happy Mondays zum Beispiel. Fantastische Zeiten.

Nun seid ihr ja keine Gang von 30-Jährigen mehr und trotzdem spielt ihr pausenlos live. Wie kriegt man das hin?

Danke, ich versuche eigentlich, nicht so oft daran zu denken. Für mich hat sich bis heute nichts geändert. Du gehst auf die Bühne und willst diese Energie spüren, die dich erst zum Leben erweckt. Es gibt nichts Vergleichbares. Die Energie ist immer noch da.

Hält die Stereo MC's eher die Live-Bühne am Leben oder die Kreativität im Studio?

Beides. Es ist eine Belohnung, live zu spielen und mit Menschen in Kontakt zu treten. Danach kommst du nach Hause und alle Akkus sind aufgeladen. Gleichzeitig ist es ungeheuer befriedigend, im Studio an einem guten Song zu arbeiten. Deshalb gibt es uns, weil wir neue Musik erschaffen wollen.

Dann kann es ja auch nicht mehr so lange dauern, bis das neue Album kommt.

Ja und nein. Wir haben schon ein paar Nummern im Kasten, aber der Plan ist, in losen Abständen immer mal wieder einen als 12" rauszuhauen. Das Ganze hat dann so einen Club-Vibe. Das passt zu uns, denn als wir in den 80ern angefangen haben, wurde unser Sound auch schon als Clubmusik bezeichnet und wir haben unsere 12"es in die Dance-Shops getragen. Uns gefällt diese Ethik: Einen Monat an einem Track basteln, ihn pressen lassen und in die Läden geben oder als MP3 veröffentlichen. Ob wir dann irgendwann genug Tracks für ein Album haben, kann ich jetzt nicht sagen. Momentan gefällt uns der Gedanke, in neuen Strukturen zu denken. Wir wollen raus aus der Album-Tour-Tretmühle.

Wie würdest du die drei neuen Tracks auf dem Boxset charakterisieren?

Es ist eine Mischung unseres Sounds nach dem Album "Double Bubble". An den Tracks hat Raf Rundell von The 2 Bears mitgearbeitet. Sie sind stilistisch sehr verschieden, der eine ist eher eine Clubnummer, der zweite eher Downbeat und der dritte so ein Bassline-Rap-Tune. In unserem aktuellen Liveset funktionieren sie sehr gut, was uns natürlich freut. In diese Richtung gehen wir weiter.

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