23. Juli 2020

"Viele deutsche Texte gefallen mir nicht"

Interview geführt von

Seit zwei Jahren hat es bereits gebrodelt, jetzt ist "Freier Geist" aus der Flasche. Sofia Portanet mischt mit ihrem Debütalbum die deutsche Musiklandschaft auf. Mit stimmlicher Akrobatik, von Rilke und Heinrich Heine inspirierten Texten, Anleihen an Neue Deutsche Welle und Krautrock, vor allem aber ganz eigenen, modernen Elementen, entstand ein Werk, das ebenso Zeitgeist wie zeitlos ist.

Ihr Debütalbum "Freier Geist" ist gerade ein paar Tage alt, der Feuilleton schreibt sich die Finger wund. Medien von BBC bis Spiegel berichten über Sofia Portanet. Von "Germany's next international pop star" ist die Rede.

Geboren ist die heute 30-jährige Europäerin in Kiel, am 9. November 1989, aufgewachsen als Tochter des spanischen Musikers Antonio Portanet in Paris, wo sie lange im Kinderchor der Opéra National sang. Als junge Erwachsene zieht es Portanet schließlich nach Berlin. Dort treffen wir sie während der COVID-19-Pandemie auf einen Eistee im Kreuzberger Kiez.

Wie bist du mit dem Launch des Albums zufrieden? Die Umstände sind ja gerade etwas schwierig.

Sofia Portanet: Ich bin super zufrieden! Wir haben eine Menge gute Presse bekommen, darüber freut man sich – generell, aber speziell auch in dieser Zeit, wo etwas unsicher war, wie sich alles entwickelt.

Denkst du, es ist es eher Vor- oder Nachteil in der aktuellen Situation als Newcomer dazustehen?

Es hat Vor- und Nachteile. Ein deutlicher Nachteil ist, dass ich jetzt nicht wie geplant im Herbst eine Tour spielen kann. Das ist natürlich für Promozwecke nicht gut. Aber dennoch haben wir uns dazu entschieden, das jetzt durchzuziehen. Denn zum einen hören die Menschen ja weiterhin Musik. Und Corona hin oder her – die Menschen haben das Bedürfnis nach neuer Musik und wollen neue Musik entdecken. Und zum Anderen sagen große Acts momentan alles ab – gerade weil sie nicht touren können. Vielleicht ist das sogar ein Vorteil, vielleicht können wir das ausnutzen. Die Medien brauchen trotzdem Inhalte, die Radios müssen trotzdem Musik spielen, die Magazine müssen über Neues berichten. Vielleicht haben wir dadurch mehr Platz als sonst. Wer weiß.

Im Sommer standen sonst immer die Festivals im Fokus. Das fällt nun ebenfalls weg.

Ja, genau. Es spielt sich jetzt alles mehr in der Presse ab. Das ist letztlich sehr erfreulich, weil es momentan der einzige Weg ist, sein Album zu promoten.

Fühlst du dich wohler in der Berliner 8MM Bar oder auf dem Poster des Lollapalooza?

(Lacht) Ich glaube, das kann man nicht so pauschal sagen. Ich mag beides gerne. Ich spiele gerne in kleinen Läden wie der 8MM Bar, weil die Energie dort schon etwas beinahe Intimes hat. Das Publikum ist in unmittelbarer Nähe, man erfährt sofort, wie das Publikum anspringt. Ich mag aber auch große Bühnen mit viel Platz. Ich mag Weite, große Soundsysteme. Insofern feiere ich auch eine Bühne wie beim Lollapalooza.

Standest du selbst eigentlich bereits auf einer größeren Festivalbühne?

Ich war letztes Jahr weniger auf Sommerfestivals unterwegs, sondern habe mehr Einzelkonzerte gespielt und Festival-Reihen. Das waren meist Indoor-Veranstaltungen. Beim Synästhesie Festival im Kesselhaus an der Kulturbrauerei waren wir, das war relativ groß. Und beim SXSW – aber das ist zwar ein riesiges Festival, aber eben verteilt über die ganze Stadt und die Bühnen sind relativ überschaubar.

In der 8MM Bar startete gewissermaßen deine Karriere oder?

An diesen Ort bindet mich auf jeden Fall einiges, ja. In der 8MM habe ich meinen Labelmanager kennengelernt und Leute, mit denen ich heute spiele.

Gab es damals die Künstlerin Sofia Portanet schon in der heutigen Form?

Nee, das hat sich wirklich erst ab diesem Punkt entwickelt. Die 8MM kenne ich seit Ende 2015. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch Musik gemacht und viele Songs geschrieben – teils auch welche, die nun auf der Platte gelandet sind. Aber der ganze Verlauf mit Labelmanager und Leute aus meiner jetzigen Band kennenlernen, kam alles erst ab diesem Zeitpunkt. Die Band haben wir dann erst 2018 gegründet. Ich kenne die Musiker auch schon länger als die 8MM, aber wie ein Magnetismus zog es uns immer wieder dorthin.

Hattest du vor 2018 bereits konkrete Projekte am Laufen oder war das eher eine Zeit des Experimentierens?

Naja, gesungen habe ich natürlich vorher schon. In Frankreich habe ich fünf Jahre lang im Kinderchor der Pariser Nationaloper gesungen. Als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich erstmal mein Studium abgeschlossen und ab 2013 angefangen, eigene Sachen zu schreiben. Ich war dann in unterschiedlichsten Szenen unterwegs und habe mich orientiert. Ich lernte Leute kennen, probierte mich aus, probierte verschiedene Genres aus. Dabei habe ich viel auch einfach zuhause am Keyboard experimentiert und meine Stimme trainiert, habe Gesangsunterricht genommen, um mich stimmlich weiterzuentwickeln. Hie und da habe in Berlin Coversongs in Bars und Cafés gesungen. Später, auch als ich bereits meine jetzigen Leute kannte, stand ich auch ab und zu allein mit meiner Loop-Station auf der Bühne und hab’ mit meinem Synthesizer alleine Shows gespielt. Immer unter meinem Namen. Alles, was ich gemacht habe, lief immer unter meinem Namen. Musikalisch unterwegs war ich also schon. Es gab auch Sachen online. Aber es war nie wirklich konkret und greifbar für mich. Ab 2018 kam dann alles richtig zusammen.

Beim Covern in Bars hast du irgendwann angefangen, extrem betont zu singen, um die Leute zum Zuhören zu zwingen. Hat das eigentlich funktioniert.

Jaja, das hat funktioniert (lacht).

Lernt man durch das Performen von Coversongs etwas, was man bei Auftritten mit eigenem Material eher nicht lernt?

Man lernt musikalisch sehr viel. Man hört auf die Arrangements, man lernt was über Instrumentierung und darüber, wie etwas ausproduziert ist. Man lernt vor allem zuzuhören. Wie singt jemand? Wie spielt jemand? Das kann schon eine Bereicherung sein.

"Es gibt zwei Arten von Songs"

Eine Coverversion hat es nun auch auf dein Debütalbum "Freier Geist" geschafft – "Racines".

Ja, der Song ist von Catherine Ribeiro. Eine französische Sängerin portugiesischer Abstammung. Sie gibts schon sehr lange. Ende der 60er-Jahre hat sie zusammen mit ihrem Musikpartner Patrice Moullet Catherine Ribeiro + Alpes gegründet. Das war eine unglaubliche Band, die sehr experimentell unterwegs im Rock, Psychedelic Rock unterwegs war. Sie klangen auch so speziell, weil sie teilweise ihre Instrumente selbst gebaut haben. In den letzten Jahren hat sich das ein bisschen geändert, aber eigentlich ist sie nie wirklich in den Mainstream gekommen. Sie hat nie die Anerkennung bekommen, die sie als unglaubliche Sängerin mit einer unglaublichen Stimme verdient hätte. Sie hat eine solche Wucht und Kraft in der Stimme und ist gleichzeitig zerbrechlich und sehr delikat. Von dem Song "Racines" war ich sehr gerührt – wegen Text und Musik. Die Musik dazu stammt von Anne Sylvestre, eine bis heute aktive französische Komponistin. Als ich letztes Jahr vom Goethe Institut eingeladen wurde, zum 30-jährigen Mauerfall-Jubiläum in Houston zu spielen, wollte ich einen Song singen, der thematisch zu diesem Tag passt. Dort haben wir ihn zum ersten Mal gespielt. Danach war er mir schon ans Herz gewachsen und deshalb steht er nun auf der Platte. Eigentlich mache ich heute gar keine Covers mehr, ich hab' so viele eigene Ideen. Aber dieser Song war besonders.

Du hast dem Song auch einen neuen Anstrich verliehen.

Das Lustige ist, dass unsere Version wahrscheinlich sogar eher an die Musik andockt, die Catherine Ribeiro mit ihrer Band gemacht hat. Das "Racines"-Arrangement, dass sie mit Anne Sylvestre gemacht hat, ist schon sehr anders – mit einem richtigen kleinen Ensemble.

Eine andere Sängerin, mit der du oft verglichen wirst, ist Nina Hagen. Was hältst du davon?

Sie ist eine unglaubliche Künstlerin, die ich erst spät entdeckt habe, weil Freunde zu mir meinten: "Hör dir das mal an, du erinnerst mich an sie." So fing das an. Vorher hatte ich sie nicht wirklich auf dem Schirm. Als kleines Kind in Paris hatte ich auch kein deutsches Fernsehen. Sie ist eine unglaublich kreative Person, die sich getraut hat, Dinge zu machen und zu sagen, die sich damals wie heute sehr wenige Leute getraut haben zu sagen. Sie ist für mich eine starke Persönlichkeit, die auch super Texte gesungen hat. Insofern ist der Vergleich total schmeichelhaft. Ich verstehe den Vergleich auch, denn ich würde sagen, dass heutzutage relativ wenig mit der Stimme gespielt wird. Da ich aber diesen Ansatz verfolge, ist Nina Hagen bei vielen der erste Gedanke dazu. Es klingt eben experimentell, nicht so normal. Man wundert sich. Ich spiele echt gerne mit meiner Stimme und sie hat das auch gemacht – wahrscheinlich noch viel übertriebener als ich, was ich fantastisch finde! Zuletzt kann ich einfach nur sagen, dass ich meinen eigenen Stil habe, aber es natürlich vollkommen verständlich ist, wenn man das erstmal mit etwas Bekanntem vergleicht.

Wann entstand der Wunsch in dir, diesen experimentellen Stimmansatz zu verfolgen und entsprechende Techniken beizubringen? Gab es bestimmte Vorbilder?

Das hat eigentlich früh angefangen. Als kleines Mädchen habe ich versucht, große Sängerinnen – große Stimmen! – nachzumachen. Aretha Franklin zum Beispiel. Da habe ich festgestellt: Ich mag, wie sie singt, kann das aber nicht so richtig. Das hat mich oft frustriert und deswegen wollte ich Gesangsunterricht nehmen. "Vielleicht fehlt mir technisch was", dachte ich mir. Schließlich wurde ich in dem erwähnten Chor aufgenommen. Dort habe ich eine lange Zeit gesungen – fünf Jahre.

Wie alt warst du da?

Von 13-einhalb bis 18-einhalb habe ich dort gesungen – bis kurz bevor ich nach Berlin gezogen bin. Dort habe ich eine Menge gelernt. Ich war es gar nicht gewohnt, Falsetto zu singen und überhaupt in bestimmte Bereiche zu gehen. Ich war erst Sopran, dann Alt, dann doch wieder Sopran, weil sie meine Stimme nicht richtig einordnen konnten. Je nach Tagesform und Werk habe ich mich in einer anderen Lage besser gefühlt. So bin ich immer zwischen Alt und Sopran gependelt. Als ich nach Berlin gekommen bin, mein Studium abgeschlossen und dann wirklich Zeit hatte, mich der Musik zu widmen, habe ich viel mit meiner Stimme experimentiert – alleine erstmal, ohne mich zu sehr an äußeren Einflüssen zu orientieren. Das wollte ich mir abtrainieren. Ich wollte sehen, wie ich meine eigene Stimme weiterentwickeln und was ich mit meiner Stimme machen kann. Klar habe ich mir dann auch über die Zeit andere Frauenstimmen angehört. Es gibt viele Sängerinnen, die ich für ihre Stimmqualität bewundere und was sie damit gemacht haben.

Dein Stil wirkt teilweise sehr spontan. Ist es das wirklich oder arbeitest du deine Lines sehr genau aus?

Ich glaube, ich habe das inzwischen einfach schon so trainiert, dass es wirklich oft sehr spontan sein kann. Was mich aber immer noch reizt, sind Melodien. Es gibt zwei Arten von Songs: Welche mit starken Melodien und welche, bei denen ich mir denke: "Okay, das ist zwar alles ganz schön, aber da packt mich nichts so richtig." An meinen Melodien arbeite ich also schon. Aber diese spontane Spielchen passieren wirklich einfach spontan. Ich überlege nicht, ob ich da jetzt eine Oktave hoch gehe oder nicht. Das mach ich einfach gerne.

Wie kann man sich entsprechend deine Vorbereitung für Aufnahmen vorstellen?

Zuhause hab' ich mein Keyboard, meine MIDI-Tools und arbeite mit Logic an einer Idee. Wenn wir ins Studio gehen, ist die in der Regel komplett als Demoversion fertig. Aber bei ein paar Songs hatte ich zwar eine Strophe und Bridge, aber der Refrain fehlte noch. Da stehe ich dann zum Beispiel mit Steffen Kahles – mit dem ich diese Platte geschrieben und produziert habe – im Studio, nehme Gitarren auf und plötzlich kommt mir die Idee für den Refrain. Auch das ist möglich.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Steffen Kahles ab? Arbeitet ihr in der Regel zusammen an Songs oder liefert teils er, teils du bereits fertige Songideen, die dann gemeinsam ausgearbeitet werden?

Nein, er liefert mir nichts. Bei Songs wie "Freier Geist", "Wanderratte", "Art Deco", "Planet Mars", zum Teil "Waage" hatte ich Text und Gesangsmelodie schon geschrieben und sie dann Steffen gezeigt. Dann haben wir geguckt, wie wir es strukturieren wollen, ob noch eine Strophe reinkommt, wohin die Bridge passt, und gemeinsam von A bis Z ein Instrument nach dem anderen eingespielt. Er probiert Sachen aus, ich sitze daneben, wir lenken uns gegenseitig und schauen, was gut und was weniger gut funktioniert. Songs wie "Ringe" und "Das Kind" sind von Anfang an mit Steffen entstanden. Er hatte eine Akustikgitarre, ich habe angefangen zu summen und der Song kam raus. Teilweise feilen wir die Songs dann später auch noch im Proberaum aus – ich habe ja insgesamt vier Mitmusiker. Im Studio waren aber tatsächlich fast ausschließlich Steffen und ich aktiv – nur bei einzelnen Stücken hat noch mein Bassist, meine Keyboarderin und mein Schlagzeuger mal etwas eingespielt. Also entweder geht die Idee von mir aus und wir schreiben sie zusammen fertig oder es entsteht von Anfang an etwas gemeinsam.

Seit wann kennt ihr euch?

Ich habe Steffen 2015 in Berlin kennengelernt. Wir sind befreundet. Angefangen, konkret zusammen zu arbeiten, haben wir Mitte 2017. "Freier Geist" und "Wanderratte" waren die ersten beiden Songs, die wir zusammen gemacht haben. Ende 2017 habe ich diese beiden Songs an Labels verschickt, im Februar 2018 habe ich bei Duchess Box unterschrieben und die erste Single – "Freier Geist" – im Juni veröffentlicht.

Bis zum Album dauerte es dann noch zwei Jahre. Habt ihr irgendwann bewusst begonnen, Songs für ein Album zu sammeln oder war einfach irgendwann genug Material vorhanden?

Ich hatte schon die ganze Zeit die Idee und den Willen ein Album zu machen. Es war nur immer die Frage, mit wem. Nachdem ich Steffen 2015 kennengelernt hatte, haben wir auch in Underground-Settings einige Konzerte mit anderen Musikern gespielt, wo wir teils nur improvisiert haben. 2017 fing es dann konkret an, weil ich von einem koreanischen Filmemacher angeschrieben wurde, der mich nach Empfehlungen für deutsche Musik für einen Animationsfilm über Nord- und Südkorea fragte, weil er darin eine Analogie zur Berliner Mauer schaffen wollte. Ich schrieb ihm zurück: "Klar kenne ich deutsche Musik, aber weißt du was? Ich mache auch deutsche Songs!" Zu dem Zeitpunkt hatte ich die zwei Demoversionen, schickte sie ihm mit dem Hinweis, dass ich sie noch ausproduzieren und ihn dann updaten würde. Dann habe ich Steffen gefragt, ob er Interesse hätte, die Songs auszuarbeiten – denn er macht Filmmusik. So ist das alles entstanden. (lacht) Wir wussten damals noch gar nicht, dass wir an einer Platte arbeiten. Nach ein paar Sessions wurde das dann aber recht schnell klar. Wir haben uns damit Zeit gelassen, es wurde auch immer wieder unterbrochen, weil Steffen an anderen Filmprojekten arbeitete. Trotzdem war schnell klar, dass das weit darüber hinaus gehen würde, als "nur" für diesen Animationsfilm. Schließlich habe ich es verschickt und plötzlich kamen ganz viele Angebote.

Das heißt, die Songs haben es letztlich auch in den Film geschafft?

Der Film ist bis heute noch nicht erschienen. Das hat sich etwas verwässert. Aber bestimmt wird er noch rauskommen. Ich weiß ehrlich gesagt gerade gar nicht, wie es da momentan mit Musik aussieht. Aber mein Punkt ist: Manchmal möchte man was machen und manchmal passieren die Dinge dann, ohne dass man weiß, dass sie gerade passieren. (lacht)

Hattest du danach öfter was mit Filmprojekten zu tun?

Haha, ja, ich habe letztes Jahr in einem B-Movie von Gerrit Starczewski mitgespielt – der zweite Teil von "Pottoriginale". Ein sehr lustiger Film. (lacht) Ich heiße darin zwar nicht Sofia Portanet, spiele aber quasi mich selbst. Ich bin dort Musikerin und meine Musik findet sich auch im Soundtrack. Klaus Fiehe, der Moderator von 1 Live und unser deutscher John Peel, spielt auch mit. Im Film gibts auch einen Auftritt von mir – als ich beim c/o pop Festival in Köln gespielt habe. Das wäre noch eine Filmebene, ja. (lacht)

"Viele deutsche Texte gefallen mir nicht"

Durch die Gelegenheit des koreanischen Animationsfilms begann das Projekt Sofia Portanet also explizit mit deutscher Musik. Die englischen Textversionen entstanden demnach erst später?

Genau. "Freier Geist" und "Wanderratte" gab es zunächst nur auf Deutsch. Erst später habe ich den Text zusammen mit einer Person ins Englische übersetzt.

Was brachte dich dazu?

So viele Leute meinten: "Super, super Song, aber was zum Teufel erzählst du? Wir wollen's verstehen!" (lacht) Ich habe auch viel auf Englisch gesungen, ich finde das gut und mir macht es Spaß, Texte zu übersetzen. Also dachte ich mir: Klar, machen wir!

Gab es auch die Überlegung, alle Songs des Albums in zwei Sprachversionen aufzunehmen – so wie das zum Beispiel Christine And The Queens zuletzt gemacht haben?

Ja, da sprichst du ein Thema an ... (lacht) Sowas wird's noch geben.

Aber es darf noch nicht mehr verraten werden?

Weiß ich gar nicht. Da müsste ich nochmal mein Label fragen (lacht). Aber das wird's wohl noch geben, ja.

Mit deinen Texten orientierst du dich teilweise an Gedichten. Und auch sonst wählst du einen Lyric-Steel zwischen älterem poetischen Deutsch und Moderne. Wie kam es dazu?

Das fing alles an mit dem Song "Freier Geist". Die erste Strophe stammt von einem Freund von mir. Als ich dieses Gedicht gelesen habe, hatte ich zum ersten Mal einen Aha-Moment, was deutsche Sprache in Gedichtform angeht. Vorher hatte ich nie einen Zugang zu deutscher Dichtung gefunden. Ich fand es so schön, dass ich mich danach in deutsche Dichtung eingelesen habe. Ganz viele deutsche Texte, die man so hört, gefallen mir nicht. Das macht bitte jeder wie er will, aber für mich persönlich soll die Sprache schön klingen. Es soll wortgewandt sein. Das finde ich beispielsweise bei den Texten von Rammstein. Ich würde die nicht alle absegnen, aber zumindest in der ersten Zeit haben die echt gute Texte geschrieben. Provokativ, aber dennoch in Gedichtform. Ich mag das. Und als ich dann all diese deutschen Dichter gelesen habe, dachte ich mir: "Wow, das ist genau mein Ding. So möchte ich schreiben." Teilweise fand ich darin auch Gefühle beschrieben, die ich selbst schon gefunden habe, aber nie so ausdrücken konnte, oder Parallelen. Das gefiel mir so gut, dass ich es aufgreifen wollte. So ist das entstanden.

Suchst du aktiv nach Texten, um Ideen in deinem Kopf weiterzuspinnen?

Naja, so klingt das schon sehr zielorientiert. Ich blättere schon durch die Seiten und in meinem Song "Ringe" gibt es auch eine Textpassage, wo ich in meinen eigenen Worten genau das beschreibe: "Such auf dunklen Seiten / Auf langen fremden Zeilen / Nach Worten, die mich wiedererkennen." Ich suche nach etwas und finde es dann irgendwann in den Zeilen. Dann nehme ich es in meine Gedanken mit auf und singe es.

Oder nimm zum Beispiel "Wanderratte": Der Titel ist ein Augenzwinkern an Heinrich Heines Gedicht "Die Wanderratten". Ich hatte diesen Text geschrieben und habe dann gemerkt, dass das Thema in seinem Gedicht genau dasselbe ist. Anders beschrieben, aber dieselbe Thematik. Deshalb habe ich den Song "Wanderratte" genannt. Es ist eine Inspiration für mich.

Motiviert dich auch, einer jüngeren Generation durch deine Songs den Zugang zu diesen alten Texten zu ermöglichen? Durch die Schule ist man da ja gerne mal vorbelastet.

Nee. Ich freue mich aber, wenn Leute dadurch einen Zugang finden. Ich hatte früher auch keinen Bock, mir irgendwelche Gedichte aufdrücken zu lassen. Das aber halt mit allem so in der Schule (lacht).

Es hat dort eben immer den Stempel 'alt'. Wieso sollte das jetzt modern sein?

Es kann alt sein! Man hört da aber den Unterschied. Heine klingt modern! Rilke klingt auch ziemlich modern. Schiller klingt nochmal anders – dazu habe ich weniger Zugang gefunden. Aber Heinrich Heine... Ich habe angefangen, eine Biografie über Heine zu lesen: "Narr des Glücks". In der Einführung wird geschrieben: "Bei den meisten deutschen Dichtern hört man, dass sie schon lange tot sind." Weil sie eben so veraltet klingen.
Aber um auf die Frage zurückzukommen: Es ist zwar nicht meine Absicht – ich mache das wirklich, weil es für mich wichtig war –, aber klar, wenn ich das mache und Leute dadurch einen Zugang zu diesem Bereich finden, finde ich das supercool. Deswegen habe ich auch im Booklet der CD und im Sleeve der Vinyl alle Gedichte aufgelistet, die mit Referenzen auf dem Album vertreten sind. Da kann man sich gerne durchlesen! Das wird den Leuten bestimmt Spaß machen, wenn ihnen ein Lied gefällt oder sie einen Text mögen. Vielleicht auch das Nerdige, zu sagen: "Oh, guck mal, da hat sie das Wort umgeschrieben!" (lacht) Ich finde das spannend! So kann man einen Zugang finden, weil man es mag und nicht, weil man muss. Und klar, viele junge Menschen finden so viele Sachen langweilig – aber einfach nur, weil die Art und Weise, wie es an sie rangetragen wurde, vollkommen daneben war.

So positiv dein Album auch aufgenommen wird, so auffällig ist doch auch, dass über fast allen Besprechungen die "Vergangenheit" schwebt. Ständig fallen 80er-Vergleiche, dazu kommt die Gedichtkomponente. Warum hat deiner Meinung nach all das auch in Gegenwart und Zukunft noch seine Daseinsberechtigung?

Ich finde es falsch, zu sagen, dass diese Musik retro ist. Dafür ist sie viel zu modern. Ich kann all diese Aufzählungen nachvollziehen. Aber ich finde diese Musik neu – weil sie in dieser Art und Weise gerade wirklich nicht gemacht wird! Das finde ich so spannend daran. Auch die Zusammenarbeit mit Steffen Kahles: Das hat mich inspiriert und das finde ich gut. Klar gibt es Einflüsse ... Irgendwo habe ich auch gelesen, dass der Titel "Freier Geist" darauf hinweist, dass mich die Massen nicht interessieren. An der Stelle würde ich sagen, dass mir der Mainstream – wie man ihn oft auf großen Radiosendern hört – oft nicht gefällt. Aber natürlich wünsche ich mir, mit meiner Musik, mit meinem Projekt so viele Leute wie möglich zu erreichen! Es liegt in der Natur jedes Künstlers, Menschen mit der Musik erreichen zu wollen. Dieser Idee steht mein Albumtitel nicht im Weg.

Für die Wahrnehmung spielt auch die visuelle Komponente eine große Rolle. Und sie scheint bei dir ebenfalls recht ausgefeilt zu sein. Wie wichtig ist dir dieser Teil der Musik?

Ja, das ist mir sehr wichtig. Die visuelle Ebene eröffnet einfach nochmal eine ganz neue Welt. Ich liebe Theater. Ich liebe Kunstfilme. Die symbolische Bildwelt bei Alejandro Jodorowsky zum Beispiel finde ich umwerfend, wunderschön. Was Künstlerinnen wir Laurie Anderson auf der Bühne gemacht haben, wie sie Musik auf der Bühne visuell eingebettet haben, finde ich auch fantastisch. "Home Of The Brave" ist ein Beispiel für ganz viel, was ich liebe. Robert Wilson macht unglaubliche Bühnenbilder! Das inspiriert mich alles. Vielleicht kommt das auch ein bisschen daher, dass ich während meiner Zeit im Chor diese riesigen Opernkulissen gesehen habe. Ich fand es immer schon schön, wenn Musik und Bild zusammenkommt. Bestenfalls natürlich mit Kostümen. All das geht in Richtung Theatralik. Damit zu spielen, finde ich spannend.

Was kann man demnach von deinen Liveshows erwarten?

Momentan konzentrieren wir uns tatsächlich eher auf das Spielen. Visuell gibt es teilweise – soweit es die Location erlaubt – Projektionen. Meintest du das jetzt auf das Bildliche bezogen?

Ja, genau. Hast du vielleicht schon Ideen für die Zukunft im Hinterkopf?

Habe ich. Aber ich finde, es gibt eine Zeit für bestimmte Dinge. Für mich ist jetzt noch nicht die Zeit gekommen, um an ein Bühnenbild zu denken. Anfang 2021 werde ich allerdings mit der Deutschen Oper zusammenarbeiten. Ich kuratiere einen Abend an der Deutschen Oper, zusammen mit dem Ensemble und der künstlerischen Leitung. Da werden wir auf jeden Fall visuell etwas auf die Bühne bringen und musikalisch etwas komponieren. Dieses Projekt gibt schon seit einigen Jahren. Die Deutsche Oper lädt einen Popkünstler ein, um einen Abend zu kuratieren. Dabei wird immer eine Oper herangezogen – dieses Mal wird es Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ sein. An einem Teil der Oper werde ich eine Ebene suchen, um anzudocken und daraus etwas Neues zu machen. Das ist glaube ich ein schöner Anlass, sowas mit visueller Komponente, Kostümen und Musik auszuprobieren. Aber für meine jetzigen Auftritte würde ich das aktuell noch nicht in den Vordergrund stellen. Das ist gerade alles noch am Wachsen, weshalb momentan andere Dinge Priorität haben.

Du bist am Tag des Mauerfalls geboren. Spielt das für dich eigentlich eine bewusste Rolle oder ist das für dich eher einfach nur dein Geburtstag?

Es war natürlich immer einfach mein Geburtstag. Aber über die Jahre und auch jetzt mit dem Album habe ich irgendwie das Gefühl bekommen, dass es Sinn ergibt, dass das mein Geburtstag ist. Weil ich immer wieder merke, dass ich jemand bin, der zwar jetzt schon seit zig Jahren in Deutschland lebt, aber gebunden ist an ganz unterschiedliche Orte. Sei es Spanien oder Frankreich ... auch in Portugal bin ich oft. Ich reise viel, ich spreche vier Sprachen fließend. Grenzen, Ländergrenzen sind für mich ein Thema, das nie so relevant war. Ich habe das Gefühl, dass ich zu allem ein bisschen gehöre. Die Tatsache, dass ich an einem Tag geboren worden bin, an dem eine Mauer gefallen ist, die Menschen jahrzehntelang getrennt hat, finde ich jetzt im Nachhinein auffällig. Vielleicht hat das damit was zu tun. Dass ich jetzt in verschiedenen Sprachen singe, ist auch ein Zeichen dafür, dass ich multikulturell aufgewachsen bin und eben nicht nur an einen Ort gehöre. Freiheit ist ein Menschenrecht. Ich finde wichtig, dass jeder Mensch sich dort wohlfühlen kann, wo er ist.

Warum hast du dich eigentlich entschieden, nach Berlin zu ziehen?

In Paris hatte ich irgendwann das Gefühl, in der Stadt nichts mehr zu suchen zu haben. Ich hatte gerade mein Abitur gemacht, kannte Berlin schon gut und immer das Gefühl, dass Berlin ein Ort mit viel Raum und Fläche ist – auch physisch, geografisch. Die Straßen sind weit und breit. In Paris ist alles klein, verwinkelt, voll, hektisch und stressig. Ich hatte das Gefühl, das nicht mehr gebrauchen zu können. Deshalb bin ich hierher gekommen. Auch, um etwas Neues zu suchen und einen neuen Abschnitt zu beginnen.

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