21. Februar 2017

"Behinderten wird die Sozialhilfe gekürzt"

Interview geführt von

Am 3. März erscheint das neue Sleaford Mods-Album "English Tapas". Wir haben Jason Williamson in Berlin zum Gespräch getroffen.

Sleaford Mods-Frontmann Jason Williamson ist auf der Bühne der motzende Punk, der seinen Frust und Hass hinaus schreit. Da fehlt es selten an Schimpfworten, wilden Gesten und rauem Midland-Slang, ein Lächeln sieht man eher selten bei ihm. Jetzt sitzt er da, breit grinsend, höflich und unglaublich entspannt, obwohl er an diesem Berliner Promotag schon mehrere Interviews hinter sich gebracht hat.

Es folgt ein sehr angenehmes Gespräch mit einem Typen aus Nottingham, mit dem man noch stundenlang hätte weiter plaudern können und dem man nur das Beste im Leben wünscht. Wir sprechen über kulinarische Köstlichkeiten, geldgierige Arschlöcher, unterdrückte Minderheiten und Slips auf der Bühne. Er spricht auch über seine Heimat Nottingham, die er liebevoll "shithole" nennt.

Zunächst: Wer oder was war deine erste Liebe?

Jason Williamson: Meine erste Liebe (überlegt kurz). Das war jemand aus der Schule. Ein Mädchen namens Nicola Green. Sie hat mir die Zunge rausgestreckt. Das war morgens in der Schlange vor der Anmeldung. Ich erinnere mich gut daran. Ich drehte mich um und sah hinter mir ein ängstliches 12-jähriges Mädchen stehen. Ich sah sie an und dann streckte sie mir die Zunge raus (wiederholt die Szene).

Das ist aber nicht nett.

Ich glaube sie mochte mich. Ich musste lachen und das war's. Erst gegen Ende der Schule, so mit 16/17 Jahren sind wir mal zusammen ausgegangen. Für einen Monat, aber das hat nicht so gut funktioniert. Das war dann das Ende.

Aber du erinnerst dich noch an ihren Namen. Eine schöne Erinnerung.

Ja, auf jeden Fall.

Zu unschöneren Theman: Donald Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten. Wie war deine erste Reaktion?

Ich konnte es nicht glauben (lacht). Er kann kein Präsident sein. Da laufen sehr viele Dinge falsch. Irgendwelche düsteren Machenschaften. Alleine deswegen ist er nicht der Präsident (lacht lauter).

Ich glaube das auch alles noch nicht. Es gibt ja schon einige Parodien von ihm und ich denke, da steht irgendein Schauspieler oder Komiker, der so aussieht wie er.

Ja, es ist sehr seltsam.

Dieselbe Hölle erleben wir ja auch hier. Ob in Frankreich, den Niederlanden, Italien oder Deutschland: Sehr rechtsorientierte Parteien breiten sich wieder aus. Und natürlich der Brexit in England. Denkst du, Theresa May wird in dieselbe Richtung wie Margaret Thatcher gehen?

Ich weiß nicht, was Theresa May macht. Sie macht nicht viel. Der Verfall hat schon eingesetzt. David Cameron (von 2010 bis 2016 Premierminister des Vereinigten Königreichs, Anm. d. Red.), George Osborne (Schatzkanzler von Cameron) und die anderen Leute im Kabinett haben schon viel kaputt gemacht. Sie haben das Land mit Kürzungen im Gesundheitswesen und den Sozialleistungen geschwächt. Es fließt kein Geld mehr in die Staatskasse. Ich weiß nicht, wie Theresa May diese Lücke füllen will. Man muss auch mal unter die Trümmer schauen, und das entdecken, was vielleicht noch zu retten ist. Darauf muss man ständig ein Auge behalten, damit es nicht noch schlimmer wird. Ich denke, sie wird nicht lange in diesem Amt bleiben. Aber dann stellt sich die Frage, wer soll den Job übernehmen?

Über deine Heimatstadt hast du mal gesagt: "It's a shithole but it's home".

Ja, Nottingham.

Hast du jemals darüber nachgedacht, woanders hinzuziehen?

Es wäre schon schön, Nottingham zu verlassen. Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich vielleicht wegziehen. Die Frage ist nur wohin? (lacht)

Das ist die große Frage. Wir sprachen ja gerade über die allgemeine politische Situation. Wo soll man da schon hinwollen?!

Meine Frau hat mir einen Link geschickt zu einem Haus in Bristol. Sehr schön und sogar bezahlbar. Wir mögen Bristol und ich würde dort auch hinziehen wollen, aber auf der anderen Seite will ich nicht ihre Familie enttäuschen. Sie wären nicht glücklich darüber, wenn wir wegziehen. Und eins meiner Kinder geht jetzt auch zur Schule und dann stellt sich sowieso die Frage, will man das Kind so einfach aus seiner vertrauten Umgebung rausziehen? Ich weiß nicht, im Moment ist es kein guter Zeitpunkt.

Du hast vorher schon woanders gewohnt?

In Nottingham lebe ich seit 20 Jahren. Ursprünglich komme ich aus Grantham, das ist ca. 30 Minuten entfernt. Eine Kleinstadt, in der auch Margaret Thatcher geboren wurde.

Oh ...

Ja (verzieht leicht sein Gesicht). Da hab ich gelebt bis ich 23 Jahre alt war und bin dann nach London gezogen. Für zwei Jahre - und dann nach Nottingham.

Wegen deiner Frau?

Nein, weil es günstiger war zum Leben. London war zu der Zeit sehr beengend. Ich habe auch nicht viele Leute getroffen. Ich bin da irgendwie stecken geblieben und kam nicht voran. Ich konnte nichts erreichen und es war klar, dass ich weg muss. In Nottingham hatte ich die meisten Freunde, du kennst die Stadt und weißt wie es da läuft.

Gab es eine Musikszene?

Nein, nicht wirklich. Es gab eine, die aber keine war. Es gab eine House-Szene, eine Club-Kultur. Aber zu der Zeit stand ich mehr auf Gitarrenmusik. Das war eigentlich auch der Grund warum ich nach London gezogen bin. Ich wollte eine Band gründen. In Nottingham habe ich dann in verschiedenen Bands gespielt.

"Keiner nimmt die Schuld auf sich"

Und jetzt gibt es die Sleaford Mods und euer neues Album heißt "English Tapas". Beim Titel habe ich an die britischen Auswanderer in Spanien denken müssen. Auf der einen Seite wollen sie raus aus der EU und stimmen für den Brexit, aber trotzdem soll alles schön britisch bleiben, wie zu Hause. Jeden Tag "English Tapas", also full english breakfast. Verstehst du was ich meine?

(grinst) Ja, guter Punkt. Aber es basiert eigentlich darauf, wie jemand versucht, "English Tapas" als Essen zu verkaufen. Tapas sind doch eigentlich was Schönes. Köstlichkeiten mit leckeren Zutaten, guten Gewürzen und gut gekocht. Und dann bekommst du diese englischen Tapas serviert. Eine Schüssel mit Pommes und eingelegter Zwiebel (pickled onion) Wow. (lacht)

Und Scotch eggs, die waren ja meine erste große Liebe, als ich nach England kam. Aber heute auch nicht mehr. Woraus besteht das noch mal?

Oh nein (rümpft die Nase). Aus Ei und irgendeinem Wurstfleisch. (lacht)

Was war das Widerlichste, das du je gegessen hast?

Eigentlich esse ich so gut wie alles, außer, ah, vielleicht "semolino" (Grieß). Weißt du, was das ist? So ähnlich wie Reispudding mit so komischen Klümpchen. Das mag ich nicht. Oh, und ich hab mal Kaviar probiert, das war schrecklich.

Ein Typ, der Kaviar wohl gerne mag, ist Sir Philip Green, der Geschäftsführer der englischen Kaufhauskette BHS (British Home Stores). So heißt ja auch die erste Single von eurem Album. Kann man Green auch als den englischen Trump bezeichnen?

Hm, vielleicht ein bisschen. Aber er ist nicht so reich, oder vielleicht doch? Auf jeden Fall ist es das gleiche Verfahren: Es geht um Gier, Ausbeutung, nur mehr oder weniger auf legale Art und Weise. Wobei man Trumps Art Geld zu verdienen auch in Frage stellen kann. Green hat sein Geld zwar legal verdient, aber auf Kosten anderer Leute. Er hat Geld von Firmen abgezogen. Er wirft Hunderte seiner Arbeiter raus und kassiert die Prämie. Doch damit nicht genug: Sie verlieren nicht nur ihren Job, sondern erhalten auch keine Rente. So raubt er ihnen auf legale Weise das Geld.

Das ist Ausbeutung und keiner nimmt die Schuld auf sich. Es war mir wichtig, diesen Prozess in einem Song festzuhalten, weil diese Business-Unart leider überall und immer öfter passiert und auch noch akzeptiert wird. Eine Gruppe von reichen Unternehmern kauft Firmen, verteilt die Dividende und lässt die Firma fallen. Das ist so als würdest du am Samstagabend im Bett liegen und hörst nebenan, wie im Pub alle besoffen sind. Ein unangenehmes Gefühl. So ist es auch, wenn Reiche die Anderen in die Ecke drängen und das Chaos ausbricht. Es brodelt und kann nur in einer negativen Atmosphäre enden.

Das Video zur Single spiegelt den Fall ja auch ganz gut wider.

Das Video ist ziemlich offensichtlich. Man sieht ihn da auf seiner Yacht rumlaufen.

Wer ist der Darsteller im Video?

Mein Freund John Paul. Er hat bei uns auch schon mal mitgesungen und ist bei vielen Konzerten dabei. Er hat gleich zugesagt. Macht er ziemlich gut, oder?

Auf jeden Fall. Tolles Video. Du selber spielst ja auch eine Rolle in dem Kurzfilm "Lost Dog". Wie kam es dazu und worum geht es in dem Film?

Der Film ist von Andrew Tiernan, einem englischen Schauspieler. "Lost Dog" zeigt, wie mit behinderten und geistig behinderten Menschen in der Gesellschaft umgegangen wird.

Der Film zeigt außerdem, dass sie ständig auf offener Straße beschimpft und angegriffen werden. Schockierend - und darüber liest man auch nichts in den Zeitungen. Ist das vor allem ein englisches Problem?

Ich glaube in Deutschland ist das Gesundheitssystem nicht so brutal. Die Defizite, die England hat, sind einfach zu groß und sie können diese Lücke nicht mehr füllen. Wir können unsere Schulden nicht zurückzahlen. Es trifft nicht die reichen Leute, die Verantwortlichen des Börsen-Crashs 2008 und die Banken. Es trifft die Minderheit und das macht sich u.a. auch in den öffentlichen Transportmitteln bemerkbar. Behinderten Menschen wird die Sozialhilfe gekürzt. Obwohl sie krank sind oder nicht arbeiten können, werden sie zurück zur Arbeit geschickt. Das alles erinnert mich an Praktiken aus Konzentrationslagern. Es ist schrecklich.

Verantwortlich dafür ist Duncan Smith (Arbeits- und Sozialminister im Cameron-Kabinett von 2010 bis 2016, Anm. d. Red.). Er war mitverantwortlich für die Kürzungen der Sozialleistungen von Behinderten. Das Ergebnis: Viele Menschen sind gestorben oder haben Selbstmord begangen. Das war eine schlimme Zeit und ist es immer noch, ohne dass die Medien darüber berichten. Darum geht es in "Lost Dog". Andrew hat den Film über Spenden finanziert, aber wohl noch nicht genug eingenommen, um ihn weiter zu verbreiten. Drücken wir die Daumen, dass das noch passiert.

Bei "Lost Dog" und auch bei deinem Song muss ich immer an Ken Loach denken. Seine Filme thematisieren auch Diskriminierung, Armut und er hat immer einen kritischen Blick auf die Gesellschaft. Hast du seinen neusten Film "I, Daniel Blake" gesehen? Darin geht es auch um das schlechte Gesundheitswesen in England.

Nein, den hab ich nicht gesehen. Aber ja, es ist wirklich schlimm, wie mit den Leuten umgegangen wird. Und es ist wichtig, die Leute darauf aufmerksam zu machen. Das ist die brutale Realität.

(Hier kann man "Lost Dog" unterstützen.)

In euren Songs geht es oft auch um Bürojobs, Frustration am Arbeitsplatz und Arschloch-Vorgesetzte. Was war der beschissenste Job, den du jemals hattest?

Das war auf dem Schrottplatz. Motoren ausbauen und den Kupfer lösen. Der wurde dann abgewogen und verkauft. Richtig schlimm.

Aber jetzt arbeitest du nicht mehr?

Nein. Deshalb bin ich allerdings auch nicht glücklicher. (lacht)

"Die Energie zieht die Leute mit"

In Deutschland seid ihr ja schon sehr beliebt und erfolgreich. Auf dem letzten Konzert hier in Berlin im November 2016 im Huxleys wurden sogar Slips und BHs auf die Bühne geworfen ...

Waren das wirklich Slips? (peinlich berührt)

Auf jeden Fall. Hast du das nicht mitbekommen? Sorry, aber mich hat das an ein Robbie Williams-Konzert erinnert.

Bei ihm werden auch Slips auf die Bühne geworfen? (lacht laut)

Ja, aber bei euch ging das doch vergleichsweise schnell. Im Jahr vorher flog noch nichts auf die Bühne. Hast du eine Erklärung dafür, warum ihr gerade hier so erfolgreich seid? Deine Texte sind ja oft sehr lokalbezogen und man versteht nicht alles auf Anhieb.

Ich denke es ist die Energie, die die Leute mitzieht und vor allem die Geschichte des Punk in Deutschland. Mir geht es ja auch so, wenn ich einen Rapper aus New York höre. Da verstehe ich auch nicht immer alles. Diese ganzen Hardcore-Rapper sprechen über lokale Dinge, aber die Energie, das Gefühl und die Musik ziehen einen mit.

Eure Musik zieht auf jeden Fall mit. Gerade auch auf dem neuen Album bleiben viele Songs den ganzen Tag im Ohr hängen. bei mir aktuell "Army Nights".

Ja, die neuen Songs sind eingängiger, exzessiver, irgendwie melodiöser.

Wie würden sich wohl "German Tapas" anhören?

(grinst) Vielleicht ein bisschen so wie "English Tapas" mit ein bisschen Sauerkraut ...

Da ein bisschen Currywurst ... hast du sie hier schon probiert?

Ja, die mag ich gerne.

Und Iggy Pop mag euch sehr. Hast du ihn schon getroffen?

Nicht persönlich, aber wir haben gemailt. Er ist ein sehr netter Typ. Er wollte mal Urlaub in Nottingham machen. Wow! Dabei gibt es hier nicht wirklich was zu sehen. (lacht)

Na, so schlecht kann es dort jetzt auch nicht sein. Neben Robin Hood gibt es doch bestimmt ein paar Sachen zu besichtigen.

Ja, es gibt schon schöne Dinge dort. Ich verbinde viele schöne Dinge mit Nottingham, weil es mein Zuhause ist. Der Sherwood Forest ist schön. Wir haben ein Schloss. Okay, es ist nicht so schlecht.

Da fällt mir noch ein, dass du nie über Fußball redest.

Stimmt.

Ich dachte, es liegt vielleicht daran, dass Nottingham Forest ...

Nicht so gut sind? Oh dear, ich werde jetzt bestimmt getötet. Nein, ich bin einfach nicht sehr interessiert. Sind denn hier in Deutschland alle so große Fans?

Ja, es gibt schon viele, die sich für Fußball interessieren. Vor allem zur Europa- und Weltmeisterschaft. Ich muss jetzt noch einen kleinen Videoclip drehen. Vielleicht kannst du kurz unsere Leser grüßen oder Trump beschimpfen oder sowas.

Oh, lieber nichts mehr über Trump sagen, weil wir demnächst ja auch in Amerika auf Tour sind. (grinst)

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