24. November 2009

"Es war die große Ära des Papierkorbs"

Interview geführt von

Eigentlich war ein Interview-Termin in einem Berliner Hotel vereinbart, beinahe wäre daraus aber gar nichts geworden. Guido Westerwelle trägt zumindest Teilschuld."Allet wegen dem Grinsekopp!", mault der Taxifahrer, während er rhythmisch auf die Hupe haut. Berlin, zwei Tage vor der Bundestagswahl, ist vollgestopft mit Last-Minute-Wahlveranstaltungen, die Parteien fahren ihre letzten Geschütze auf und beschallen das Volk auf diversen Kundgebungen.

Unser jetziger Außenminister agiert da allerdings perfider und macht sich zumindest im Straßenverkehr ausgesprochen unbeliebt: Langsam und provokant fahren drei Trucks in peinlich abgemessenem Abstand sein überdimensioniertes Plakatgesicht in einem Kreisverkehr spazieren, immer und immer wieder, so dass kein Auto sich dazwischenmogeln kann.

Wütendes Gehupe und Gefuchtele, hilflose Gesten von den offenbar angemieteten Fahrern der Propagandaautos. Als wir nach schier endlosem Zuckeln endlich am Hotel sind, bin ich fünf Minuten zu spät, die Räume sind leer. Die Band müsse jetzt leider ganz schnell zum Flughafen und säße schon im Auto, man hätte sich mit der Zeit verschätzt, erklärt mir die Promofrau atemlos, allerhöchstens könnte ich einfach zum Flughafen mitfahren, "zwischen Skin und Ace müsste noch ein bisschen Platz sein".

Nur noch eine Stunde bis zum Abflug und überall Stau, entsprechend angespannt, wenn auch nicht unfreundlich, ist die Stimmung. Ob es vielleicht auch an Guido liegt, dass Skunk Anansie das Land plötzlich so überstürzt verlassen möchten? Die Frage spare ich mir - die Zeit ist knapp genug - und quetsche mich lieber schnell zwischen Skin und den Gitarristen Ace, während der Fahrer in Richtung Tegel drängelt.

In der Presseinfo wurde der Grund für eure Trennung mit sowas wie Übersättigung angegeben. Es heißt, ihr hättet das Gefühl gehabt, alles Mögliche mit der Band erreicht zu haben. Das klingt ehrlich gesagt ziemlich unwahrscheinlich. Gab es denn keine klassischen Trennungsgründe, die nun mal bei großem Erfolg symptomatisch auftreten?

Skin: Klar, es gab mehrere Gründe, sehr viele davon auch bandintern. Zum Schluss hatten wir das volle Programm: Einen Gallagher-Diktator, eine Yoko Ono und sogar einen Pete Doherty, wenn du verstehst.

Und wer hat in dieser Supergroup der exaltierten Persönlichkeiten welchen Part eingenommen?

Ace: Oh, ich glaube, wenn wir die Band fortgeführt hätten, hätte im schlimmsten Fall jeder mal jede Rolle eingenommen. Es wäre sehr ungesund geworden, also dachten wir, es ist besser, wenn jeder seiner eigenen Wege geht und wir so die Möglichkeiten behalten, befreundet zu bleiben.

Und das hat über die Jahre funktioniert?

Skin: Ja, schon von Anfang an gut und dann immer besser. Wir blieben ständig in Kontakt und spielten mit dem Gedanken, uns wiederzuvereinigen. Aber ständig hatte irgendjemand was anderes zu tun: Ich zum Beispiel habe zwei Soloalben eingespielt, aufgelegt ...

Ace: ... und ich habe Radio gemacht. Und Kinder.

Skin: Als wir letztes Jahr dann wieder richtig viel Zeit miteinander verbrachten, haben wir uns wieder ineinander verliebt.

Aber wurde diese Liebe nicht ursprünglich von eurem Label lanciert?

Skin: Das Label wollte einen Greatest-Hits-Sampler rausbringen und sagte zu uns: Passt auf, wir machen es so oder so. Wollt ihr daran beteiligt sein oder nicht? Wir sagten natürlich ja, sind ja schließlich auch unsere Songs. Man kennt das ja von anderen Bands - da werden lieblos irgendwelche Best-Of-Platten zusammengehauen, die man dann zwei Wochen später in der Schnäppchenkiste wiederfindet. Ist doch scheiße. Best Price statt Best Of.

Ace: Genau das wollten wir vermeiden, wir wollten es richtig machen und ein wertvolles, großes Paket zusammenstellen. Also haben wir alle in unseren Archiven gegraben und tolle Sachen entdeckt: zum Beispiel das erste Skunk Anansie-Konzert überhaupt von 1993, das ein Freund mitgefilmt hatte, oder alle möglichen Remixe.

Es wird also eine riesige Box mit Anton-Corbijn-Buch, Extra-CDs, Vinyl, Postkarten und Videos geben, es hat unglaublichen Spaß gemacht, das zusammenzustellen. Ohne uns hätte das ganz anders ausgesehen, denn wir sind es schließlich, bei denen das Material unserer bisherigen Karriere liegt.

Aber mal ehrlich, wie aufregend können reine Bestandsaufnahmen sein?

Skin: Das stimmt natürlich und hat uns auch gewurmt. Und wir waren überzeugt, dass wir noch immer wunderbar zusammen funktionieren, deshalb sind wir alle zusammen nach Afrika gefahren und haben auf der Insel Lamu vor der Küste Kenias ein kleines Konzert gegeben. Es hat einfach wieder Klick gemacht und wir haben neue Songs komponiert.

Wie war das denn, nach den ganzen Jahren wieder zusammenzukommen und Musik zu schreiben? Ihr habt ja schon 2008 damit angefangen, richtig?

Ace: Ja, und zwar mit enormem Elan, um dann alles wieder über den Haufen zu werfen. Man muss dazu sagen: Unser Drummer war noch nicht vor Ort und ohne ein Schlagzeug kann man nicht besonders qualitative Songs schreiben.

Skin: Auf menschlicher Ebene klappte unser Zusammentreffen sofort super. Aber was die Musik anging - ganz ehrlich, da haben wir einige Wochen, sogar Monate gebraucht, um alles wieder zum Laufen zu kriegen. Es dauert eben alles seine Zeit, bis man das Equipment zusammen hat, die Sounds stimmen und man seinen Platz in der Band findet. Wir hatten zwar schon neue Songs geschrieben, aber sagen wir so: Es war die große Ära des Papierkorbs. Vieles war anfangs scheiße, aber das gehört eben auch dazu.

Was habt ihr dagegen gemacht?

Skin: Man muss einfach Geduld haben und viel miteinander unternehmen. War eine fantastische Zeit, und dann fließen die Songs plötzlich dick und schnell. Es ist auch wichtig, dass man die eigene Geschichte wertschätzt, zusammen vor der Stereoanlage sitzt und feststellt: Das Ding ist nicht schlecht, und das hier sogar ziemlich großartig, oder? Jungs, wir sind und waren nicht übel!

"Schwarz + Frau + Musik = Soul? Übles Klischee!"

Denkst du, dass sich manche Einstellungen in der Musikindustrie mittlerweile zum Positiven verändert haben? Als eure Band groß wurde, gab es doch neben dir so gut wie keine Frontfrauen im Rockbusiness. Es gab hier und da mal ein paar Mädels, die man als Sängerin bezeichnen konnte, aber das waren mit wenigen Ausnahmen keine starken, herausstechenden Persönlichkeiten abgesehen von Klischees wie bei Nashville Pussy. Wie schätzt du das jetzt ein?

Skin: Irre, dass wir jetzt schon so weise über einen Zehnjahres-Zeitraum räsonieren können, als wären wir die Geschichtsinstanz der Popmusik. Der Job des Alterspräsidenten ist nicht übel! Also, ich denke ganz sicher, dass es enorme Umwälzungen gegeben hat, die jeder wahrnimmt. Es gibt mittlerweile definitiv viel mehr Frontfrauen in Bands, nicht wahr? Gerade in den letzten zwei Jahren hat sich die Situation enorm gewandelt, wir haben die Ting Tings und die wirklich tollen Noisettes und diese... äh... na, die Band mit A aus den Staaten... mann, die sind so riesig in Amerika! (bewirft Ace mit ihrem Handy) Come on, Oracle! Wie heißen die, verdammt? Brünette Sängerin!

Ace: War das jetzt der Telefonjoker, den du mir rüber geworfen hast? Ich hab keine Ahnung! Aber ich weiß, dass wir diesen Flieger verpassen.

Skin: Ich komm nicht drauf. Ich werde die Antwort twittern oder einen Preis auf die Nennung des Namens ausloben.

Ace: Musik war mal ziemlich starr und formatiert, sie war noch stärker ritualisiert als heute - bis sich die Gesellschaft über die Jahre verändert hat. Ich hab das Gefühl, dass mehr Frauen in leitenden Positionen im Musikbusiness anzutreffen sind, so wie sie es auch in andere Bereiche des öffentlichen Lebens geschafft haben. Das generell eher verpennte Musikbusiness, das sich vor jeglicher Machtverschiebung fürchtet, folgt also der Öffentlichkeit - und das Internet hat natürlich auch seinen Beitrag dazu geleistet.

Skin: Also, da muss ich dir etwas widersprchen. Ich glaube eigentlich nicht, dass mehr Frauen aktiv in Bands und Projekten sind, ich denke, dass sie leichter gehört werden. Das Internet gibt ihnen eine Stimme, man kann sie problemloser erreichen. Früher standen an der Theke eines Plattenladens eben Männer, und die Frauen, die sie ausgestellt haben - von denen man sagte, die hätten es geschafft - das waren übersexualisierte Wunderweiber. Mit wenigen Ausnahmen natürlich.

Und heutzutage kann sich die Gesellschaft schon ein paar tough aussehende Frauen leisten, es gibt einfach einen zarten Schub in die Richtung "Nehmen wir sie doch für ihre Arbeit wahr". Man muss nicht mehr bis in die hinterletzten Kellerlöcher absteigen, um Leute - auch Frauen - zu finden, die vermeintlich komisch aussehen und trotzdem relativ leicht ihr Ding durchziehen. Habt ihr nicht auch diesen Typen in Deutschland, der aussieht wie eine Mangakatze?

Ja, Bill von Tokio Hotel, ausgesprochen erfolgreich und ewig verlacht worden.

Skin: Bestimmt ist er ein netter Junge, so wie die Rammstein-Typen. Sowas macht natürlich Mut, auch wenn die harten Ladies lange nicht so erfolgreich sind wie die Glatten in Plastikhöschen. Zumindest werden sie mit ihren Widersprüchen und Kanten wahrgenommen ohne eine Männerriege passieren zu müssen.

Es gibt ein ätzendes Stereotyp, bei dem ich am liebsten ein paar aufs Maul verteilen würde... zum Glück hat sich das im Laufe der Jahre ebenfalls etwas gelegt. Es ist folgende Gleichung: Schwarz + Frau + Musik = Soul, da gibt es nichts zu rütteln. Das kenne ich von Fans, von Journalisten, von Fremden und sogar von Kollegen. Ich kann noch so oft erzählen, dass ich Soul weder singen kann noch möchte - mehr oder weniger unterschwellig denken die Leute: Aber sie ist doch schwarz, da MUSS sie das doch können! Ein schlimmes Beispiel von positivem Rassismus.

Hat die Riot-Grrrl-Bewegung eigentlich irgendeine Bedeutung für dich? Schließlich ging es darum, aus der Ecke zu kommen und Gitarrenbands zu gründen. Findest du, diese Mädchen haben etwas für andere erkämpft?

Skin: Ehrlich gesagt kenne ich nicht allzu viele gute Bands, die daraus entstanden haben, und so ganz verstehe ich auch nicht, worauf es bei dieser Bewegung wirklich ankam. Wahrscheinlich ist das so ein Phänomen wie Britpop, wo sich jeder nur noch aus Szenegeschiss die Köpfe einhaut: "Du gehörst nicht dazu, du bist der Feind!"

Ace: Das ist alles zu trendy, das hält nicht lang. Wo sind diese Bands jetzt? Ich will sagen: Es kommt nicht viel dabei rum, wenn man versucht, krampfhaft eine Szene zu erfinden - und ein paar Jahre später ist die nichts als eine leere Phrase, und das Publikum hat schon längst das Interesse verloren.

Skin: Allerdings! Statt sich an irgendwelche Schubladen und Szenen zu klammern - wie wär's, wenn sich solche Bands mal bemühen würden, sehr gute und nachhaltige Songs zu schreiben? Wenn das nämlich nicht klappt, würde ich sagen: Go and get a dayjob. Da finde ich die Bemühungen von jungen Bands spannender, die sind meistens nicht mehr so dogmatisch.

"Das nächste Lied heißt 'Ich bin im Arsch'!"

Verfolgt ihr im Netz, wie sich junge Bands darstellen?

Ace: Oh Mann, und wie! Ich finde das alles absolut brilliant. So viele Bands und Künstler, die keine Aufmerksamkeit, mindestens aber keine Airtime bekommen hätten, sind dadurch überhaupt erst auf dem Schirm - nimm Lily Allen oder den Klassiker, Arctic Monkeys.

Skin: Ich denke, es gibt eine ganze Menge Macht an den Künstler zurück. Du kannst ziemlich easy und ohne Kostenaufwand dein Image kontrollieren und deine Songs darstellen - umso besser für jemanden, der noch nicht in der Lage ist, sich bei einer Plattenfirma vorzustellen. MySpace ist wie ein Trainingsplatz, auf dem man Aufmerksamkeit und Rezensionen sammeln kann, beides rüstet dich und stärkt deinen Stand auf dem Markt enorm.

Gerade jetzt, wo das Geschäft doch deutlich härter geworden ist, kann man hier seine Stärken ausspielen, indem man mit eigenen Ideen ankommt und sich so tatsächlich durchsetzen kann. Wenn ein Song zum Beispiel scheiße ist, dann wirst du das an den Reaktionen der Hörer merken. Vor ein paar Jahren musste man sich diese Erfahrung noch bitter verdienen, indem man hunderte kleiner Gigs in jeder Besenkammer Englands runternudelte.

Aber trotzdem ersetzt so ein Stream mit abstrakten Zahlen darunter keine Live-Erfahrung, oder?

Skin: Nee, keinesfalls. Leute zum Schwitzen zu bringen ist Handwerk, das kann man nicht theoretisch abhaken. Es muss erlernt und trainiert werden und sich beides ergänzen. Die Bühne ist noch immer ein Ort, der Menschen in gewisser Weise separiert. Darauf und davor findest du meist nur Leute, die Musik wirklich über alles lieben - wer das nicht auf sich nehmen möchte, der wird, äh, Produzent. Und sehr reich.

Ace: Ich unterrichte an einer Musikschule in Brighton und lege das den Kids auch nahe. Selbst wenn sich jeder über den vermeintlichen Ausverkauf beschwert und die "Schande", dass sich jeder einfach so Musik besorgen kann - die Kehrseite ist doch, dass du als Band wirklich originär sein musst, um was zu reißen, und dir niemand vorschreibt, wie du das anzustellen hast. Künstlerische Freiheit im besten Wortsinn also!

Dann hast du ja viel mit Nachwuchsbands zu tun - gibst du ihnen durch deine Bekanntheit auch eine gewisse Öffentlichkeit?

Ace: Das versuche ich auf jeden Fall, aber dafür hab ich noch einen anderen Nebenjob in Form einer wöchentlichen Radiosendung. Da stelle ich ausschließlich neue, frische Musik aus der Gegend vor, die mir gefällt. Und natürlich kommen die meisten Leute via Internet auf mich zu.

Da fällt mir übrigens ein, dass es auch ein Problem mit diesen tollen Werkzeugen wie MySpace gibt: Es macht Bands paradoxerweise auch enorm faul. Ich kriege mehrmals am Tag eine SMS, da steht dann ein ellenlanger Link, den ich vermutlich abtippen soll neben einer lapidaren Zeile wie: "Wir gehen voll ab, Alter. Spiel mal unseren Stream!"

Das liest sich ja fast so schön wie Penisverlängerungs-Mails.

Genau so behandele ich sie dann meist auch. Ist schon ziemlich lieblos, oder? Ganz so weit möchte ich das eben nicht tragen, ich habe beim Radio doch gerne eine Scheibe in der Hand.

Und ist das Internet auch für euch selbst nützlich geworden?

Skin: Und wie! Unsere ganze Comeback-Kampagne stützt sich aufs Internet, außerdem sind meine Freunde eigentlich fast alle Musiker, die auch oft unterwegs sind. So kann ich mit ihnen in Kontakt bleiben und fiese Kommentare unter ihre neuen Songs schreiben, hähä. Und es gibt nichts besseres als Empfehlungsfunktionen. Wo sonst kann man selbstständig Dinge entdecken, die einen interessieren, ohne auf dem Geschmack eines einzelnen Menschen angewiesen zu sein?

Das klingt, als würdest du Plattenläden eher meiden.

Skin: Das stimmt nicht ganz. In den letzten Jahren hab ich viel aufgelegt, auch elektronische Musik, und die Sachen für meine Sets kaufe ich mir direkt im Netz bei Seiten wie Beatport. Das hat den einfachen Grund, dass es im elektronischen Bereich enorm viele Leute gibt, für die das Artwork absolut zweitrangig ist.

Ich bin aber nicht so fixiert aufs Platten auflegen, ich habe ein kleines digitales Studio, in dem ich auch CDs benutze oder die Downloads ineinander mische. Aber für zuhause - das ist mein Spleen, wenn du so willst - sammele ich ausschließlich Vinyl.

Ace: Schallplatten entspannen ja auch, findest du nicht? Man muss vorsichtig mit ihnen umgehen und sieht genau, was beim Abspielen passiert. Los, gib schon mit deinem Equipment auf Ibiza an.

Skin: Ich hab einen tollen Valve-Verstärker, ein Riesen-Regal, ältere Lautsprecher speziell für Platten und einen flauschigen Teppich davor. Es gibt nichts Besseres, als abends auf dem Teppich zu liegen und sich durch haufenweise Vinyl durchzuhören. Ist ein bisschen wie eine Kunstsammlung - und der Klang ist wirklich einmalig, so warm und voll.

Lass uns nochmal auf das neue Album zurückkommen, das ja eher ein Vorgeschmack auf eure zukünftige Entwicklung ist. Die neuen Songs finde ich fast schon beängstigend homogen, so als ob ihr nie weg gewesen wärt. Das ist nicht negativ gemeint, aber denkt ihr, dass sich eure Themen mit den Jahren geändert haben?

Skin: Uns wird immer wieder vorgeworfen, wir hätten uns weg vom Politischen hin zu persönlichen Inhalten entwickelt. Das Problem ist einfach: Nicht alles kann man auf jede Art vermitteln, und nicht alles, was man sich so ausdenkt, ist gut. Du glaubst gar nicht, wie viele schlechte Politiksongs ich schreiben könnte, oder wie viele beschissene Lovesongs! Man muss seinen Ausdruck finden, und wenn du von etwas keine Ahnung hast, dann rede um Gottes Willen nicht darüber, als hättest du das Thema erfunden.

Das schließt das alte "Everything's political" ja nicht aus.

Skin: Ja, genau. Momentan passiert so vieles in der Welt, so viele Informationen kommen auf einen zu und alle sind gleich laut - man sollte sich davon nicht mitreißen lassen. Ich möchte nicht noch mehr desinformieren, bloß weil gerade mein Herz für etwas schlägt, ich möchte lieber einen guten Song schreiben, der lange vorhält. Und zum Glück bin ich so weit, dass ich nicht mehr "black woman" sagen muss, wenn ich "black woman" meine.

Das sind die zwei Dinge, die ich als Musikerin gelernt habe: Wenn du keine Ahnung von einem Thema hast, dann lass stecken. Und wenn du doch Ahnung hast und keinen guten Song daraus machen kannst - lass es auch bleiben.

Es gibt also noch keine konkreten Albumpläne für nächstes Jahr mit ausschließlich neuem Material?

Ace: Naja, es gibt den Plan, dass wir eins machen wollen. Aber das war's auch schon. Wir haben noch nichts dafür gemacht, wir möchten eigentlich erstmal wieder ein bisschen Öl in die Scharniere gießen und endlich spielen. Darauf freue ich mich tierisch! Das Songschreiben wird dann noch schwer genug. Wir haben's schon versucht, aber alles wieder weggeschmissen.

Viele eurer Songs der letzten Alben, aber auch zwei der neuen Songs, handeln von schmerzlichem Verlust. Muss man leiden, um gute, ehrliche, emotionale Musik zu machen?

Ace: Das wäre schlimm, oder? Das würde ich nicht gerne sagen. Es stimmt zwar, dass eine Menge gute Musik aus den dunklen Orten unserer Herzen kommt, aber es ist natürlich keine Voraussetzung!

Skin: Ich kenne zwar einige Leute, die tatsächlich gelitten haben, aber nun zu denken, man müsse dunkle Wege gehen, um richtig gut und authentisch zu sein, ist Humbug. Es gibt viele Arten von guter Musik, die emotional ist. Wir wollen niemanden zu etwas anderem ermutigen, außer, ein saugutes Leben zu führen und glücklich zu sein.

Ace: Mir geht's mal wieder um die Songqualität. Bestimmt gibt es genügend Leute, die ein schreckliches Leben gehabt haben, aber eben nur Scheiße schreiben. Schlimme Erlebnisse allein reichen nicht aus; man muss schon eine blasse Ahnung von Musik haben, um darüber zu schreiben.

Skin: Dann gibt es wiederum Leute, die fantastische Popsongs geschrieben haben und immer nur in ihrem Anwesen von silbernen Löffeln gegessen haben. Auch das ist okay! Mir ist es total egal, woher die Musik kommt, aber es muss einfach funktionieren, mich berühren.

Was ich aber wirklich nicht leiden kann sind Leute, am besten noch aus sogenanntem "guten Hause", die sich Löcher in die Jeans reißen, dann ein paar Pfund Koks und Pillen weghauen und dann auf armer Junkie machen: "Yeah, ich hatte ne echt harte Zeit, das nächste Lied heißt 'Ich bin im Arsch'". Hat dich jemand gezwungen, dich so abzufucken? Niemand hat dich darum gebeten, dir den ganzen Scheiß reinzuziehen, du Idiot!

Das Auto hält vor dem Terminal am Flughafen. Die beiden haben noch eine knappe Viertelstunde.

Skin: Also, wir müssen nicht leiden, um gute Musik zu machen. Bei uns geht das auch so, haha! Sorry, aber wir müssen jetzt echt flitzen. Danke, dass du mitgekommen bist, komm doch zum Konzert!

Ja gerne!

Ace: Drück die Daumen, dass da nicht mehr Platz frei bleibt als hier auf der Rückbank!

Hat ja doch noch ganz gut geklappt, denke ich auf dem Weg in die Stadt zurück. Die einzige offene Frage: Wie zum Teufel heißt die berühmte Band mit A und brünetter Frontfrau?

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