Porträt

laut.de-Biographie

Protomartyr

Detroit, 2010. Der 35-jährige Joe Casey lernt die Mittzwanziger Greg Ahee (Gitarre) und Alex Leonard (Schlagzeug) des Punk-Duos Butt Babies kennen. Diese erspielten sich mit Kneipen- und Club-Gigs bereits einen kleinen Namen in der Stadt. Joe will als Sänger einsteigen. Musikalische Erfahrung hat er nicht. Dafür strahlt er Kummer und Leid aus. Durch den kürzlichen Tod seines Vaters und die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter wandelt er zwischen resignierter Gleichgültigkeit und schmerzhafter Trauer hin und her.

Die Band versteht sich auf Anhieb und holt sich, um das Quartett perfekt zu machen, mit Kevin Boyer einen Basser hinzu. Casey beginnt zu schreiben und wühlt sich durch alte Literatur – vornehmlich aus Irland und Großbritannien. Er stößt auf Robert Burtons "The Anatomy Of Melancholy". Die "1000 Seiten darüber, was den Menschen traurig macht" - wie er später in Interviews erzählt - ziehen ihn magisch an. Er liebt es, wie alte Autoren mit schwer verständlicher Sprache Themen behandeln, ohne sie ins Kitschige zu ziehen. Also beginnt er ganz am Anfang, liest die Bibel und findet im Protomärtyrer Stephanus, der auf Grund seines Bekenntnisses zum Christentum gesteinigt wurde, den Namen für seine Band.

Beeinflusst von der Punkszene Detroits legen Protomartyr los und veröffentlichen zwei Jahre später ihr Debüt-Album "No Passion All Technique", das sich vor allem durch verspielte Gitarrenpicks und abenteuerliche Ideen der Rhythmus-Section, aber auch die depressiven Texte Caseys auszeichnet. Die wenigen Kopien der Platte verkaufen sich im Nu. Den darauffolgenden zeitlichen Aufwand, den die Band in die Musik steckt, verkraftet Bassist Boyer jedoch nur spärlich. Nachdem ihn Scott Davidson ersetzt, versucht er die Band zwar so oft wie möglich als Back-Up-Gitarrist zu unterstützen, verlässt sie jedoch nach wenigen Monaten endgültig.

Im April 2014 erscheint dann der Nachfolger "Under Color Of Official Right", bei dem textlich wieder die Literaturkenntnisse Caseys eine große Rolle spielen. Im Album-Opener "Maidenhead" singt er über den einsamen Alkoholiker George Harvey Bone aus Patrick Hamiltons "Hangover Square". Dieser steht unter einem Fluch, durch den er weder Freude noch Leid empfinden kann. Da Zuhörer erfahrungsgemäß Autor und Text nur selten trennen können, entwickelt sich in der Öffentlichkeit allmählich das Bild des leidenden Frontmanns, der sich der Welt durch literarische Verweise öffnet.

Nur ein Jahr später folgt dritte Platte. "The Agent Intellect" schießt auf Platz 33 der US-Billboard-Charts und bringt der Band eine neue Welle der Aufmerksamkeit. Consequence Of Sound sowie Rolling Stone listen das Album unter ihre Top 100 Alben 2015 und die Single "Dope Cloud" schafft es in Pitchforks Top 100 Songs des Jahres. Das Quartett tourt auch durch Europa. Aufgrund der vielen britischen Literaturverweise in den Lyrics und der stimmlichen Parallelen zwischen Joe Casey und der Manchester-Legende Ian Curtis, scheint vor allen Dingen der britische Markt relevant. Kurzerhand unterschreiben die Post-Punker beim Londoner Label Domino Records.

2017 schnappen sie sich dann Produzent Sonny DiPerri (Animal Collective) für das vierte Studoalbum "Relatives In Descent". Musikalisch bleibt die Band ihrer Linie treu. Textlich lässt sich Casey mittlerweile auch von aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen beeinflussen – vornehmlich traurigen Fakten. Nach Albumrelease sagt er: "Ich habe geglaubt, dass es eine allgemeine Wahrheit gibt. Diese wurde erodiert. Die Menschheit war nie skeptischer und eine geteilte Realität scheint nicht mehr zu existieren. Vielleicht gab es sie auch nie".

Nach zwei Jahren ausgiebigen Tourens durch Europa und die USA, lassen Protomartyr 2019 ihr schnell ausverkauftes Debüt "No Passion All Technique" erneut pressen, um dann noch im selben Jahr ihn fünftes Album anzukündigen. "Ultimate Success Today" erscheint im Sommer 2020. Zwar wagt sich die Band durch Kollaborationen mit den Jazz-Legenden Jemeel Moondoc und Izaak Mills durchaus in neue musikalische Gewässer, die wütenden, depressiven Texte liefern jedoch wieder einmal perfekten Zündstoff für neue Interpretationen. Obwohl Casey behauptet, einen Großteil der Texte bereits 2019 geschrieben zu haben, lassen sich Zeilen wie "A foreign disease washed upon the beach" oder "Against belief, a riot in the streets" nur schwer von der Corona-Krise oder den Black-Lives-Matter-Demonstrationen trennen.

Im Juni 2023 erscheint "Formal Growth In The Desert", das die große Geste scheut und dessen Nuancen sich leider auch auf dem zweiten und dritten Blick in weiten Teilen nicht erschließen. Textlich ohne roten Faden, in den Sprachbildern aber weiterhin wirkmächtig, liefert die Band insgesamt ihr schwächstes Album ab.

Alben

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