8. November 2017

"Likes quantifizieren deine Attraktivität"

Interview geführt von

Prinz Pi hat Verständnis dafür, wenn jemand Probleme mit "Für Immer Und Immer" hat - eigentlich sei der Song auch nicht als Single gedacht gewesen.

Im Interview zum neuen Album "Nichts War Umsonst" erklärt der Rapper außerdem, warum er Eskapismus für dumm hält und warum sein Kumpel Fler findet, dass er nicht so hochgestochen reden solle.

Als die Single "Für Immer Und Immer" erschien, war ich ein wenig ernüchtert. Sie kam mir doch recht kitschig und stereotyp vor. Im Albumkontext verweben sich einige der Motive allerdings besser. Wie kam es zur Entscheidung, gerade den Schlusstrack ohne Kontext zuerst auszukoppeln?

Also, zunächst mal muss ich sagen, dass "Für Immer Und Immer" kein Song war, den ich überhaupt als Single rausbringen wollte, schon gar nicht als den ersten Song. Von dem her kann ich nachvollziehen, dass du darüber gestolpert bist. Die Sache war die: Die Leute von Fox haben angerufen und haben gefragt, ob ich einen Song machen will für "Planet der Affen". Und ich dachte mir so, ich finde den Film extrem geil, ich bin auch großer Fan von Andy Serkis. Aber ich bin jetzt ja auch kein Dienstleister, der mal auf Knopfdruck einen Song schreibt, da könnte ja als nächstes Edeka anrücken und einen Song für die nächste "50% auf Hackfleischprodukte"-Kampagne einfordern. Aber ich hab den Machern dann angeboten, sich das Album anzuhören und zu gucken, ob ein Song auf natürliche Art und Weise passt und das war dann eben "Für Immer Und Immer".

War es dir wichtig, bestimmte Gedanken und Motive über die Spieldauer zu entwickeln? Gibt es in deinen Augen ein übergeordnetes Thema?

Was für mich ganz krass hinter dem Album steht, das ist das Gefühl von Hoffnung. Wir leben in einer, wenn man so will, schlimmen Zeit, in der sich allein in den letzten paar Jahren so viel umgeworfen hat wie vielleicht in den letzten dreißig Jahren davor. Es sind so ungeheure Umwälzungen, die stattgefunden haben, auf so vielen Ebenen – und da entwickelt man halt irgendwo diese Riesenangst vor dem, was noch passiert. Und diese Unsicherheit treibt die Leute dann in komische Richtungen, seien es nun die Hände von irgendwelchen Demagogen oder Populisten. Und auch die musikalische Landschaft wird wohl ein Stück weit dümmer, weil die Gesellschaft – wie ein Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt – ein wenig Ablenkung in Form von Heile-Welt-Musik sucht.

Dann verstehst du dein Album gewissermaßen als politisches Statement?

Ich weiß nicht, ob es unbedingt politisch ist, ich empfinde es eher als sozial. Politik ist ja immer an eine Gruppierung oder Partei geknüpft. Und in meinen Augen gibt es gerade in Deutschland keine Partei, nicht mal einen einzelnen Politiker, dem ich guten Gewissens meine ganze Stimme schenken würde. Es gibt aber große Teile der Gesellschaft, bei denen ich denke, es gibt hier nette, ehrliche, offene, nicht so engstirnige Bürger. Um die ging es mir.

Du hast dich aber zum Beispiel auf dem Tape mit Malcolm X verglichen.

Ja, bei Malcolm X geht es ja aber auch zu großen Teilen um seine Leute. Es ging ja um eine ethnische Zugehörigkeit, für die Malcolm X da gesprochen hat, nicht für einen politischen Flügel.

Also geht es eher um die Herangehensweise als um eine konkrete Ideologie?

Ja, sieh mal, Malcolm X war ja jemand, der nicht irgendwie Demokrat oder Republikaner war, das war jemand, der sich gegen das bestehende System aufgelehnt hat. Gegen Ungerechtigkeit, gegen die Verschiebung, die da lange Zeit da war. Er hat sich dafür stark gemacht, aber er hat sich dafür stark gemacht, ohne wie zeitgenössische Gruppen wie die Black Panthers extreme Lösung zu fordern. Er wollte eine Konsenslösung finden, genau wie ich. Ich bin ja kein Extremer. Das ist ja auch so ein humanistisches Ding. Es geht um den Menschen an sich, nicht darum, in welchem Stand er geboren ist oder wo er herkommt. Es geht erst einmal darum, dass man jeden Menschen mit seinen Rechten und Pflichten akzeptiert. Und beim Wort Politik, da wächst bei Leuten doch sofort auch so ein Misstrauen. Wenn du Leuten erzählst, du seist Politiker, dann werden dir Leute auf eine ganz andere Art und Weise zuhören, als wenn du das nicht sagst.

Das ist ein ziemlich interessanter Punkt, wenn du sagst, dass du Menschen als Wesen mit Rechten und Pflichten verstehst, das auch wertschätzen willst, aber dich gleichzeitig mit Aufrührern gegen das System vergleichst und das Klima der Unsicherheit und Politikverdrossenheit anprangerst. Wie kommst du denn in diesem Kontext auf das Fazit, nichts sei umsonst gewesen?

Ich sehe das einfach sehr doppeldeutig. Einerseits hatte alles seinen Preis, sei es Lebenszeit oder sonst etwas. Dinge sind endlich. Selbst Menschen aus guten Verhältnissen, die eigentlich ohne Probleme leben, denen alles in die Wiege gelegt wird, die gut aussehen, Erfolg in der Liebe haben, auch die zahlen für jede gelebte Minute den Preis, eine Minute weniger gelebt zu haben. Und für all jene von uns, die vielleicht erst vom Schicksal geprüft werden, eine Krankheit haben, schlimme Dinge erleben: Auch diese Leute, die können sagen, die Dinge haben mich nicht umgebracht, die haben mich stärker gemacht, ich habe daraus gelernt.

"Mein Freund Fler sagt ..."

Was mir beim Durchhören des Albums übrigens mal wieder sehr deutlich geworden ist: Es ist schon sehr poppig geworden, oder?

Ja klar, definitiv. Das ist so meine Vorstellung von geilem Pop. Also, ohne Pop jetzt als etwas Negatives zu verstehen. Ich bin totaler Pop-Fan, also gut gemachtem Pop. Ich meine jetzt so etwas wie Lady Gaga oder Kanye West, der für mich inzwischen astreiner Pop ist. Aber auch so etwas wie das letzte Taylor Swift-Album ist tausend mal interessanter und innovativer als das tausendste Afrotrap-Album, oder die millionste Kopie von "Palmen Aus Plastik". Das wäre für mich Trash.

Und wenn man jetzt auf dem Album Einflüsse aus Filmmusik, ein Hauch Gospel, ein bisschen Folk, viel Deutschpop hört: Was ist dein Verhältnis als Rapper zu Popmusik?

Ich habe ja immer mit meinem Hausproduzenten Biztram zusammengearbeitet, und der ist genau wie ich ein total versponnener Kauz, wir sitzen beide den ganzen Tag allein in unserer Bude und lesen und schauen Filme. Wir sind so Eigenbrödler. "Im Westen Nix Neues" fand ich zum Beispiel im Nachhinein ziemlich unzugänglich. Ich habe es in einer sehr depressiven Phase geschrieben und man hat auch herausgehört, dass das alles sehr schwermütig und festgefahren geraten ist, auch musikalisch muss man den Zugang dazu erst einmal finden. Das Album jetzt habe ich ja zusammen mit Beatzarre und Djorkaeff gemacht, das sind die Produzenten, die auch "Bilder im Kopf" für Sido, aber auch viel für Shindy und Bushido gemacht haben. Oder eben auch Lena Meyer-Landrut oder die Filmmusik zum Tatort. Und für mich sind das total pragmatische Produzenten, die haben oft eine klasse musikalische Idee, die aber halt nach fünf Sekunden funktionieren muss oder nicht. Für mich ist das ein bisschen wie Miraculi. Und ich liebe Miraculi-Nudeln. Dabei bin ich eigentlich ein totaler Snob, was Essen geht, aber Miraculi-Nudeln sind einfach geil, da kannste gar nichts dagegen sagen. Miraculi-Nudeln sind irgendwie pervers, aber geil. Und so ist die Produktionen von denen für mich, das ist kein abgehobener Artsy-Fartsy-Scheiß, bei dem Leute nicht reinkommen, nicht möchtegern-intellektuell. Die funktioniert wie bei Sido oder Shindy bei mir. Und diese Miraculi-Nudeln wollte ich dann irgendwie aufpimpen, mit ein bisschen Prinz Pi-Manufaktum-Shit, da hab ich mir dann einen eigenen Gospel-Chor rangeholt, selbst viele Orgeln dazugemacht. Das ist für mich dann die musikalische Vision: Einerseits etwas, mit dem jeder schnell etwas anfangen kann, die klassischen Hip Hop-Beats, gegen die man nichts sagen kann, das sind einfach coole Loops, ne geile Melodie und dann kommt hier und da besonderes Gewürz dazu. Aber nicht in einem Maße wie auf "Im Westen Nix Neues", wo man erst nach zwei Minuten die Ahnung einer Melodie vernommen hatte.

Gibt ja auch Sinn, ein Album für die Leute so aufzubereiten, dass es durch die Bank gut verstanden werden kann.

Die Musik, die viele Leute erreicht, ist in der Regel ziemlich simpel – um nicht zu sagen – doof. Sowas wie Gestört Aber Geil, das will ich jetzt auch nicht unbedingt machen. Aber auch ich habe den Wunsch, verstanden zu werden. Und wenn beim letzten Album sogar meine eigene Freunde sagen, dass sie meine Musik eigentlich gerne mögen, aber dass sie hier nicht verstehen, was ich gerade von ihnen will; dann denk ich mir, mh, da hab ich mich wohl nicht gut genug ausgedrückt, und sich gut ausdrücken ist gewissermaßen ja auch mein Job. Ich will dass die Leute einen Song hören und dann merken, was ich damit gemeint habe.

Da versteckt sich dann quasi der Friedrich Kautz hinten in den gepimpten Miraculi.

Wenn ich zum Beispiel mit meinem Kumpel Fler rumhänge, dann sagt der manchmal "Digga, du redest immer so hochgestochen, muss doch nicht immer jeder raffen, dass du voll intelligent bist". Und ich versteh dann manchmal nicht, was er meint, ich habe dann in dem Moment nicht mal zwangsweise ein Fremdwort benutzt. Aber für ihn ist das, was ich in dem Satz gesagt habe, ein Versuch, schlau zu klingen. Und das will ich vermeiden, das stößt den Leuten vor den Kopf. Ich versuche jetzt natürlich nicht blöd zu klingen, aber ich will die Leute mit der Sprache nicht abstoßen.

Fällt es dir intuitiv leicht, diese Sprache zu finden?

Bei mir hat das auf jeden Fall zehn Jahre gebraucht. In den letzten Alben, da hab ich andere Bilder verwendet, andere Worte benutzt, da bin ich nicht zu den Leuten durchgedrungen. Auch nicht zu denen, die es verstanden hätten.

Andere Musiker suchen sich von vorne herein eine ganz spezifische Zielgruppe heraus, du willst vermutlich doch lieber das breite Publikum erreichen, oder?

Naja, ich denke, es gibt sehr wenige Leute, die in der Musik vernünftige Sachen sagen. Sachen, die gute Aussagen haben und bei denen ich denken würde, ich finde cool, was die da gerade erzählen. Wir haben gerade in Deutschland eine Strömung, die meisten Leute reden gerade nur über sich selbst und über ihre eigene Coolness – gab es im Hip Hop natürlich schon immer – aber insbesondere gerade noch mit diesem Einschlag, dass es besonders auch um Drogenkonsum geht. Wie geil das ist. Und das ist eine Glorifzierung davon, die gab es im Genre natürlich auch schon immer und ich will das weder schlechtreden noch irgendwie angreifen, ich will nur sagen, es gibt sehr viele, die das machen. Und es gibt hingegen sehr wenige wie mich, die Balladen schreiben. Die über ihre Probleme schreiben, über ihre Ängste, oder ihr Unvermögen, sich in der Welt zurechtzufinden. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass das jemand macht. Gerade für die jungen Leute, sagen wir mal irgendwo zwischen fünfzehn und dreißig, die von sonst niemandem erreicht werden. Die Leute, die eigentlich den Ansatz haben, etwas Vernünftiges zu erzählen, das sind irgendwelche Medienleute, Schriftsteller oder Politiker, die werden aber von den Jugendlichen nicht gehört, weil die eben keine Sprache sprechen, die ein Zwanzigjähriger sich anhören würde. Und bei Politikern, da hast du sowieso eine Misstrauensvermutung, die man auch zurecht hat. Bei Nachrichtensprechern oder anderen Journalisten, denen traut man mit zwanzig auch nicht so recht über den Weg. In dem Alter hört man eben gerne mal auf Musiker. Da ist deren Wort Gesetz, und du schaust dir dann die Instagram-Story von irgendeinem Typen an, der irgendwie zwanzig Joints am Tag raucht und denkst, wow, das ist krass. Der redet in der Musik davon und macht das auch wirklich. Und der Sechzehnjährige findet das logischerweise dann geil, weil er es selbst nicht könnte. Und dann kommt der nächste Typ an, der sagt dann hier, jetzt trink ich hier dazu noch Codein und steige in ein fettes Auto, daneben stehen meine Homies, die sehen alle gut aus, die haben alle coole Nike-Schuhe, fette Trainingsanzüge, die sind den ganzen Tag nur am Saufen und nur am Drogen nehmen. Guck mal, wie viel Geld wir machen, guck mal, wie viel Geld ich allein in meiner Hosentasche hab. Und der Sechzehnjährige ist beeindruckt, weil er das selbst halt eben nicht hat und nicht kann. Der findet das geil. Völlig in Ordnung, ich guck mir sowas ja auch gerne an. Aber es ist trotzdem nicht, was ich machen wollte. Ich rede eben über meine Probleme und Ängste, weil ich denke, dass es zu wenig andere Musiker gibt, die etwas vergleichbares machen. Außer jetzt vielleicht früher Rio Reiser oder jetzt jemand wie Casper auf den letzten beiden Alben. Da gibt es in der deutschen Sprache wenig Leute, die das tun.

"Eskapismus ist dumm!"

Ist aber interessant, weil diesen hedonistischen Drogenhymnen ja auch oft der Gedanke zugrunde liegt, dass die Welt zu komlex ist und man in aller Verdrossenheit mit dem Establishment dann einen Eskapismus sucht.

Aber der Eskapismus ist der Gedanke des Dummen! Wenn der quasi nur durch den Rausch und die Drogen, der Hingabe an Tagträume klarkommt. Das ist ein Notausgang, das ist ein Vogel, der seinen Kopf in den Sand steckt. Man verleugnet dann ja die Probleme. Ich bin halt jemand, der die Probleme nicht verleugnet, aber ich sage hey, wir kriegen das trotzdem hin. In diesem Land ist ja auch eine schlechte Stimmung. Wenn es diese schlechte Stimmung nicht gäbe, dann gäbe es ja auch so etwas wie die Afd nicht. Guck mal, die wurde doch nicht gewählt, weil die Leute sich reihenweise mit ihrem Parteiprogramm identifizieren können, sondern einfach nur, weil das Klima gerade den bestehenden Parteien absolut misstraut. Aus Protest. Die haben das Gefühl, dass die Leute, die jetzt an der Macht sind uns gerade in eine Zukunft steuern, die man selbst nicht so geil findet. Auf dem Papier war der DAX jetzt zuletzt zum Beispiel zum ersten Mal seit über fünf Jahren über 13.000 Punkten, das heißt die Wirtschaft steht absolut stark da und auch die Arbeitslosenquote steht auf dem besten Stand seit der Wende.

Das ist dann wohl das Ding mit der emotionalen Wirklichkeit und Filterblasen.

Ja, genau. Wenn ich jetzt Anfang zwanzig wäre, dann würde ich auch nicht die selben Sachen sagen, die ich jetzt von mir gebe. Aber ich muss ja irgendwie die Zeit von Zwanzig bis jetzt auch mit etwas gefüllt haben. Ich habe ja das ein oder andere Buch gelesen, die ein oder andere Reise unternommen, Gespräche geführt, Erlebnisse und Begegnungen. All so etwas. Deswegen glaube ich es ist gut, wenn in der Gesellschaft jemand daherkommt und sagt: „Hey, ich sehe das genau, wie viele Horrorszenarien um uns herum stattfinden. Aber wir können es hinkriegen, wir müssen unseren Kopf eben nicht in den Sand stecken, das macht es nämlich kein Stück besser. Damit lässt man es nämlich überhaupt erst geschehen. Das ist, als würden hier jetzt die Taliban oder ISIS einmarschieren und wir sagen: "Gut, lassen wir die erstmal machen, engagieren wir uns nicht dagegen, so schlimm wird es schon nicht sein. Ich bin unpolitisch, interessiert mich nicht." Dann lässt man ja zu, dass die hier ihr Unwesen treiben würden!

Also ist "Nichts War Umsonst" ein Stück weit ein Statement in der Popmusik gegen den Eskapismus, der so dominant in der Popmusik stattfindet?

Ja, zum Beispiel ein Song wie "Zahlen Zählen Nicht", das ist ja ein Song dagegen, wie wichtig es viele finden, sich in Zahlen auszudrücken. Man kennt es ja aus dem Quartett, wenn man irgendwie damals mit Spielkarten gegeneinander ausspielt, wer mehr PS oder mehr Hubraum hat. Das ist so eine Mechanik, die immer noch dominant in unserer Gesellschaft ist. In der Schule fängt es an mit den Noten, im Erwachsenenleben kommt es an. Wer hat den längsten Penis, wer hat das dickste Auto, wer hat die meisten Sexualpartner. Es ist ein rein quantifizierbares Dasein, das wir hier leben.

Wir spielen also alle immer noch Quartett?

Wir werden selber immer wieder in Zahlen ausgedrückt und drücken uns ja auch selbst ganz intuitiv in Zahlen aus. Selbst wenn wir über unseren eigenen Zustand sprechen, dann drücken wir uns aus, als würden wir über einen Telefonakku sprechen, sagen dann, wir sind gerade "auf Reserve".

Du hast ja vorhin selbst als Beispiel für den guten Zustand unseres Landes ganz intuitiv mit den Zahlen zum DAX und zu den Arbeitslosen im Land argumentiert.

Und das ist ja nicht einmal der einzige Fall. Nimm zum Beispiel auch mal diese große Diskussion über sexuelle Belästigung von Frauen. Wenn man sich Gedanken über unser Schönheitsideal machen, wenn man so etwas formulieren wollen würde. Schau auf Instagram, jeder hat ein Profil und man postet da eben Bilder. Du hast da dann eben Likes und die quantifizieren deine Attraktivität. Genau wie auf Tinder mit der Anzahl der Menschen. Wenn du pro Tag hundert Matches hast fühlst du dich gut, bei fünfzig fühlst du dich schlecht. Und dagegen will ich mich wehren. Ich finde, man muss aufhören sich konstant bemessen zu lassen und auch konstant andere zu bemessen. Das ist doch furchtbar. Sieh es aus der Perspektive als Musikjournalist. Man weiß ja auch, dass Verkäufe nicht der eigentlichen Qualität gleichkommen. Sonst wäre ja auch die Helene Fischer die objektiv beste Musikerin des Landes. Die künstlerisch anspruchsvollste. Und man weiß ja, dass das Quatsch ist.

Star sein muss wohl heißen, nur noch fünfzig Tinder-Matches täglich als schwache Quote zu sehen.

(Lacht) Okay, auf Tinder war ich tatsächlich in meinem ganzen Leben noch nicht.

Aber klar, ich sehe denk Punkt. Es gibt ja auch Sinn, dass die Menschen sich nach einer objektiven Basis im Leben sehnen, etwas Rationalem, an dem man sich fix ausrichten kann. Aber gerade in der Musik lernt man ja recht schnell, dass es kein objektives Gut oder Schlecht gibt. Trotzdem frage ich mich dann, quantifizierst du deine Musik für dich? In der Resonanz oder auf anderen Wegen?

Es ist schwierig. Die Resonanz im Internet ist ja immer entweder mega-positiv oder mega-negativ. Die sagen ja nicht, dass sie drei Songs gut fanden, vier Songs okay und dass drei andere sie gar nicht erreicht haben. Da heißt es entweder, du bist jetzt ein absoluter Hurensohn weil deine Musik früher auf diesem einen Song, den irgendwer mal gefeiert hat, anders klang und du da ja auch eine andere Jacke hattest, oder es heißt: "Oh Gott, dein Album ist die absolute zwölf von zehn, es ist das Beste, das ich je gehört habe. Du bist Gott!". Ich finde, man darf sich auf sowas nicht unbedingt einlassen, nicht unbedingt als Kritik. Ich freue mich über Leute, die sich auseinandersetzen und sich einlassen und mir ernste Resonanz geben. Auch wenn sie schreiben, dass meine Musik ihnen geholfen hat, sei es mit irgendwelchen persönlichen Geschichten oder Krisen oder sonst irgendwie. Wir haben zum Beispiel eine Aktion gemacht, bei der man Briefe schicken konnte – und den kreativsten Briefen haben wir Konzertkarten geschenkt. Und da haben wir echt viele bekommen, die waren total nett, aber auf total unterschiedliche Weisen. Manche waren total witzig darin, was sie mit der Musik verbinden, manche haben aber auch total traurige Sachen erzählt, schicksalhafte Dinge. Beziehungsenden, Anfänge, Krisen. Und das Gefühl, echten Leuten auf die eine oder andere Art und Weise mit der Musik etwas zu geben, das gibt mir sehr viel.

Gäbe es denn einen Musiker oder Künstler, dem du so einen Brief schreiben würdest?

Ja, ganz bestimmt. Rio Reiser zum Beispiel, der hat mir ja echt auch durch so manche Krise geholfen. Es gibt schon viele Songs, zu denen ich eine starke Verbindung habe. Von Bruce Springsteen zum Beispiel, Ryan Adams, Father John Misty, damit verbinde ich viele Erlebnisse der letzten fünf Jahre. Ich könnte bestimmt hundert Songs aufzählen, zu denen ich Meilensteine in meinem Leben koppeln könnte. Die Erinnerungen, die ich sofort wieder daran knüpfen würde.

Vielen Dank für deine Zeit!

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