laut.de-Kritik

Die Faszination liegt in der Abscheulichkeit.

Review von

"Schon gehört? Sie verkaufen jetzt den Tod in / stilvoll in Silber gehaltenen Dosen. Er steht griffbereit, meist nah bei der Kasse /im Supermarktregal, nicht allzu weit oben." Eine überaus bezeichnende erste Line eröffnet das Debütalbum des Rappers, der mit drei vorangegangenen Gratis-EPs eine kleine, aber um so fanatischere Anhängerschaft um sich geschart hat. Seine gerechtfertigte Nischenstellung erkämpfte sich der Rapper nicht durch ein besonders ausgefallenes Image: Themenvielfalt, Wortgewalt und gnadenlose Ehrlichkeit sind die Attribute, die Prezident auszeichnen.

Während andere Wortartisten sich seit Jahren um ewig neue Variationen ihrer "Keep it real"-Postulierungen bemühen, gibt sich Prezident schlicht "zu wahr, um schön zu sein". Und er rappt selbstkasteiend oder auch mit Gott debattierend über fiktive und reale Triebe oder transportiert Büchners Erzählung "Lenz" in die Moderne. Ein neuartiger Prototyp von Studentenrap, nicht von
Common oder Freundeskreis inspiriert, sondern von Charles Bukowski und Tom Waits. Vereint mit einem Ästhetikempfinden, so abstoßend wie ein Gedicht von Gottfried Benn, kreiert der Rapper ein Gesamtwerk, dessen Anziehungskraft in seiner Abscheulichkeit besteht.

Und dabei bleibt er stimmlich eine Abrissbirne: Endlich hat Flipstars drückender Flow einen würdigen Nachfolger gefunden. Hooklines? Hits? Melodien? Fehlanzeige! Die Beats stellen Prezident die Marschmusik zum Feldzug in den inneren Abyss. Minimalistisch, dezent, experimentell, irgendwo zwischen Stoupe und gebremstem Industrial. Neben dem Rapper steuern Fella-Oner und Bojanglez Instrumentals bei, sie fügen sich angenehm einheitlich ins Konzept ein und geben mit "Lieber Gott, Schlag Mich Tot" dem Katechismus seinen Dekalog.

"Was mein eigenes Album angeht: Ehrlich gesagt könnte es besser sein. Es ist nicht das Überalbum, das ich im Sinn hatte, irgendwie bin ich auf den letzten Metern n bisschen gestrauchelt, nachdem ich zwischendurch echt der Meinung, ich würde da gerade an einem potentiellen Klassiker sitzen. Aber gut ist es auf jeden Fall.", bewertet sich Prezident im Interview mit rapdaweb.de.

Derart entwaffnende Selbstkritik ist beinahe exotisch in der selbstverherrlichten Rapszene, und darüber hinaus trifft sie den Punkt. Das Album hat, wie vollmundig propagiert, tatsächlich keinen Filler und keinen Skip. Aber mangels klarer Höhepunkte fehlt es auch an Griffigkeit, bewusst monoton gehaltene Musik und Raps drohen stellenweise, im Ohr zum Einheitsbrei zu vermischen, so lange das Hirn nicht 100% eingeschaltet ist.

So bleibt der Katechismus ebenso wie die vorangegangene EP nur "Verdammt Nah Am Unaussprechlichen", statt weit darüber hinaus zu gehen. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Eine völlig eigene Attitüde, intellektuelle Relevanz und Rapskillz en masse machen Prezident zum in meinen Augen interessantesten Rapper im deutschen Untergrund. Und der Erwerb des guten Stückes lohnt sich auch in jedem Fall: Den "kleinen Katechismus" gibt es völlig legal mit HTML-Cover auf www.whiskeyrap.de zum Gratisdownload.

Trackliste

  1. 1. Ein Sixpack Tod Im Kühlschrank
  2. 2. Rotz Und Wasser
  3. 3. Rasche Schnitte
  4. 4. Fickfilm
  5. 5. Terpentinmucke
  6. 6. Lieber Gott, Schlag Mich Tot
  7. 7. Der Stendhal Effekt
  8. 8. Was Lange Gärt
  9. 9. In Wohlgefalln
  10. 10. Schrei, Wenn Du Brennst
  11. 11. Rap Is Rap

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LAUT.DE-PORTRÄT Prezident

"Zeit für'n Paradigmenwechsel, Whiskeyrap frisst Gesetze / von versifften Blechen mit verdreckten Fixbestecken / Hitzewellen kriechen rücksichtslos …

53 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    habe ganz vergessen dass es ja im april rauskommen sollte. na dann werde ich mir die scheibe mal anhören. und wenn ich die zeit finde werde ich mir den jungen mal live geben, ist ja bei mir um die ecke. dann verdient er auch mal was an mir. zurecht.

    edit: ist echt gut geworden das album, besonders das booklet ist sehr gelungen. ich steh ja sowieso auf linernotes... habe sehr laut gelacht beim telefongespräch mit jesus und jedesmal wenn er in den ruhrpott-dialekt abrutscht ("hält sich ein tempo an die FUTT"). durch das album ist er mir noch sympatischer geworden. achja und beats sind klasse!

  • Vor 16 Jahren

    übertrieben gutes album. sowas muss gefeiert werden... !

    hörs seit tagen im loop.
    favoriten sind fickfilm und stendhal effekt