10. Oktober 2008

"Palin heuchelt, ist fanatisch und gierig"

Interview geführt von

Beim Interview in ihrem Van verfüttern die freundlichen Portugal. The Man Chips und reden über Alaska, Jagen als Sport, ihr neues Album "Censored Colors" und selbstgewählte Obdachlosigkeit.Obwohl mir der Tourmanager zur Strafe fürs Zuspätkommen nur ein Mitglied der Band für das Gespräch überlassen will, haben neben dem Sänger John auch Zack, der Bassist und Keyboarder Ryan netterweise Lust auf ein Interview vor dem Auftritt im Kölner Gebäude 9. Als ich die Band frage, wo sie sich am wohlsten fühlt, klettern wir in den Sprinter der Band und tauschen regionale Spezialitäten aus: Plörriges Kölsch von der Reporterin, gruselige Chips mit Lachsgeschmack von Portugal. The Man.

Schön, dass ihr wieder auf Tour seid - nichts Neues für euch, aber immerhin ein sicheres Dach überm Kopf, oder?

Zack: Ha, du spielst wohl auf unsere Wohnsituation an! Es stimmt schon, wir sind alle mehr oder weniger obdachlos. Und zwar, weil wir meistens touren oder eine Platte aufnehmen; dann haben wir noch ein paar Wochen um Weihnachten herum frei, besuchen Freunde und sagen mal kurz unseren Familien Hallo – ein Haus wäre da einfach unnötig, es würde nur einstauben.

John: Obdachlosigkeit hat für uns gerade nur Vorteile: Wenn ich tatsächlich frei habe, komme ich dann gar nicht erst auf die Idee, lethargisch rumzuhocken – man ist immer bei Freunden, weil die einen aus Mitleid aufnehmen.

Was ist denn so großartig am vielen Touren?

John: Mann, ich würde jetzt so gerne sagen 'Die Weiber, wow, diese ganzen Weiber...!' Aber es wäre gelogen. Die Wahrheit ist, dass wir in unserer Freizeit in einem nerdigen Paralleluniversum herumhängen, das aus grauenhaften Insiderwitzen, Konsolenspielen, iPods und ausgesprochen albernen Homevideos besteht. Wir sind ziemlich entspannte Menschen, und wenn wir doch mal über die Stränge schlagen, erzählen wir es nicht. (sucht eine Tüte im Fußraum) Möchtest du noch Chips? Die hier sind mit Sparerib-Geschmack, schon etwas älter, aber auch sehr gut.

Zack: Ich liebe einfach alles am Touren und bin immer peinlich verlegen, wenn ich mit einer Band unterwegs bin, die es hasst und nur des Geldes wegen macht. Bei uns ist es genau andersrum: Wir machen Platten, um auf Tour zu gehen! Ich liebe es, durch fremde Städte in der Nacht zu fahren, ich finde Hotels geil, mache haufenweise Fotos, trinke ausländisches Bier und treffe so viele wunderbare, hilfsbereite, durchgeknallte Menschen – wir wissen gar nicht, was wir mit uns anfangen sollen, wenn wir mal zu Hause sind.

Das liegt vielleicht an Alaska ...

John: Och, so schlimm ist es auch nicht. Ich glaube eigentlich, dass es unserer Band immer geholfen hat, aus Alaska zu kommen. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn man das nur zwei Bundesstaaten weiter drüben erzählt, haben die Leute gleich wahnwitzige Vorstellungen von einer bepelzten Band im Iglu, die Bärbrüllen in ihre Tracks mixt und mit Lebertran heizt. Das ist natürlich alles wahr. Deswegen wiederholen die Leute auch immer: 'Alaska?!' Die sagen das immer mit Frage- und Ausrufezeichen hinten dran. Dabei muss ich sagen, es ist der schönste Platz auf Erden, den ich kenne.

Ryan: Viele Leute kapieren auch unseren Bandnamen nicht, aber Alaska merkt sich irgendwie jeder.

"Wir haben einen 50/50-Vertrag ohne Kleingedrucktes"

Darauf komme ich später noch mal zurück. Erst mal Glückwunsch zu der neuen Platte "Censored Colors", die ihr ja heute auch vorstellt - was gefällt euch denn am besten an eurem neuen Album?

Zack: Die vielen Chöre! So viele Vocals im Rudel mit Freunden zu singen ist einfach geil. Das zu proben und aufzunehmen, ist fast wie eine Party.

Hat euer Album ein übergreifendes Thema, ein Konzept? Abgesehen davon, dass es sehr hymnisch klingt, ist mir aufgefallen, dass sich die Platte teilt – in der ersten Hälfte einzelne Songs, und die zweite Hälfte ist wie eine lange Sinfonie gestaltet, die Stücke gehen ineinander über. Das ist ja fast so wie auf...

John: ... "Abbey Road"? Yeah, danke! Viele Songs erinnern ja auch an 60er-Midtempo-Stücken. Also, das Album sollte wirklich eine Hommage an "Abbey Road" sein, und ich finde, es hat eben so einen ähnlichen Vibe. Ohne danach zu klingen; ich würde mich nie trauen, so was zu behaupten. Aber "Abbey Road" ist nun mal die Platte, weswegen ich selbst welche mache.

Ryan: Eigentlich ist sie auch der Grund, mit Musik aufzuhören. Es sind Konzeptalben wie diese, oder "The Wall", oder "The Dark Side of the Moon", die einen fertigmachen. Man sitzt davor, haareraufend: 'Scheiße, so etwas Tolles werde ich nie im Leben fabrizieren!'

Was ist denn aus eurer Labelsuche geworden? Habt ihr das die Aufnahmen für das Album tatsächlich wie angekündigt komplett selbst finanziert?

Ryan: Ja, haben wir. Wir wollten das Album wirklich gern alleine rausbringen, und die Suche nach einem Label war – nun ja, traurig. Es haben so viele tolle Labels Angebote geschickt, die wir alle abgelehnt haben, weil wir nun mal wirklich genaue Vorstellungen von der Band haben; wir möchten immer alles selbst machen, auch den ganzen Mist, den keine Band machen will, zum Beispiel Anzeigen. Wir mussten einsehen, dass diese Labels nie wieder auf uns zukommen werden – die denken sich nur: 'Dann halt nicht – we'll show you!' Aber dann kam dieser unheimliche Glücksfall mit Equal Vision und jetzt haben wir unser eigenes Label, es heißt Approaching AIRballoons, so wie wir uns als Liveband nennen.

Gut, dass ihr so lange durchgehalten habt, euer jetziges Agreement mit Equal Vision ist ja wirklich unschlagbar. Erzählt mal!

Zack: Also, Equal Vision sind langjährige Freunde von uns, die haben uns schon öfter aufgeholfen und wissen, dass wir kein fauler Haufen sind – denn darum ging es im letzten Jahr, wir wollten den Leuten einfach zeigen, dass wir nur Musik machen möchten, und zwar eine Menge. Auf jeden Fall haben wir einen wirklich großartigen Deal mit ihnen, ein echter 50/50-Vertrag ohne Kleingedrucktes. Es ist ein Lizensierungsvertrag und uns gehört immer noch alles. Ich darf das Artwork malen, und den Rest entscheiden wir auch bis ins kleinste Detail. Gewinn und Risiken werden gerecht geteilt.

Ryan: Solche 50/50-Deals haben wir schon öfter angeboten bekommen, aber es war jedes mal Veraschung. Letztendlich musst du die Personalkosten zahlen und fünfzehn andere Posten, die du blauäugig übersiehst, und am Ende ist es eher ein 80/20-Prozent-Deal, wenn du Glück hast. Lächerlich! Wir hassen die Musikindustrie zumindest genügend, um uns schlau zu machen und so was nicht mehr zu akzeptieren.

Fast schon utopisch, so eine faire Teilung! Das könnte doch eine Vorbildfunktion für andere Bands haben, damit sie im Poker um die Labeldeals ihre Rechte weitergehend vertreten, meint ihr nicht?

John: Ja, hoffentlich! Nachdem das alles vorbei war, haben wir plötzlich Wahnsinns-Angebote bekommen – komischerweise zu viel besseren Konditionen als vorher. Wie bei allen anderen Dingen, die in Bezug auf unsere Bandgeschichte passiert sind, hatten wir wahrscheinlich auch dieses Mal einfach nur extrem viel Glück.

Liegt es dann an eurem Optimismus, dass ihr so lässig mit illegalen Downloads umgeht? Dein Statement auf eurer Homepage, John, nachdem das neue Album vor der Veröffentlichung ins Netz gesickert ist und in dem du dafür nicht nur danke sagst, sondern die Leute sogar dazu ermutigst, es herunterzuladen und weiterzugeben, hat mich echt sprachlos gemacht.

John: Tja. Downloaden. Hm. Ich verstehe schon, dass es eine echt große Sache für Musik ist, wenn jemand illegal herunterlädt. Andererseits haben wir doch alle MP3-Player, da geht die Musik nun mal hin. Um ehrlich zu sein, war ich total geschmeichelt, als ich die Zahlen gehört hab: 2.000 Leute haben sich "Censored Colors" runtergeladen! Wow! Da ist man als Provinzkapelle mit Auslandsambitionen doch erst mal platt und dankbar. Scheiß doch auf die paar Leute, wenn sie es sich nicht leisten können und dann vielleicht mal bei unseren Konzerten vorbeikommen, ist doch alles cool.

Aber natürlich hab ich auch gesagt, dass es etwas völlig anderes ist, ein Album herunterzuladen oder es zu besitzen. So viel hängt daran - alle Alben, die ich gekauft habe, sind meine Lieblingsplatten. Man wird ein Teil davon: Du hast damit die Band unterstützt, geht man noch ein bisschen weiter, kann man sogar sagen: Du hast für das Album gearbeitet!
Und etwas zum Anfassen, ein Booklet, die Scheibe an sich, was doch etwas ganz anderes ist, als sich auf einem Bildschirm Loading-Balken anzugucken.

"Censored Colors" klingt sehr ausgereift und schwelgerisch. Aber wenn ihr das ganze Jahr unterwegs seid, wo kommt denn dann die Zeit für ein neues Album her? Und wie gestaltet ihr den Songwriting-Prozess, schreibt ihr nachts im Van?

John: Im Fall von "Censored Colors" waren es unsere zweieinhalbwöchigen Weihnachtsferien, in denen wir das Album irgendwie zusammengewürfelt haben. Echt harte Arbeit, und echt ein Riesenspaß. Es macht auch Sinn, immer so um Weihnachten rum aufzunehmen, wenn wir unsere Familien sehen, da will eh keiner in den Staaten rumfahren, wenn alles verschneit und widerlich draußen ist. Wir machen also jeden Winter eins.

Zack: Wir gehen ins Studio und sagen dann immer: So, und jetzt machen wir mal ein Soul-Album! Bis jetzt haben wir noch keins gemacht, aber es hat trotzdem immer ganz gut funktioniert. John kommt mit einer Idee ins Studio und spielt sie akustisch, der Rest der Band ergänzt die meisten Instrumente. Dann geht alles in eine völlig andere Richtung, die uns aber auch gefällt. Und John schreibt dann noch die Texte – quasi beim Singen.

Oh, der Traum jedes Produzenten!

John: Das stimmt, ist total frustrierend für jeden Produzenten. Es macht mir einfach riesigen Spaß, spontan zu texten - während unseren Aufnahmen verändert sich ständig irgendwas, auch an der Melodie. Phil Peterson, der Produzent und Sänger von der großartigen Band Kay Kay and The Weathered Underground, der im Übrigen vollkommen verrückt ist, musste aus unendlich vielen Einzeltakes etwas machen. Die arme Sau!

Zweieinhalb Wochen sind aber auch ein verdammt dichter Zeitraum für ein ganzes Album und einen verrückten Produzenten..

Ryan: Ja, er wäre nicht so dicht, wenn wir uns vorher mal Gedanken über irgendwas machen würden. Aber darauf hat keiner Lust, wir arbeiten am besten unter dem Druck der nahenden Tour. Es fühlt sich gut an.

Was unterscheidet das Album besonders von euren letzten Aufnahmen?

John: Wir haben diesmal dank Phil nicht nur einen echten Nerd im Studio gehabt, sondern auch Zugang zu allen möglichen abgefahrenen Instrumenten. Kirk, ebenfalls bei Kay Kay and The Weathered Underground spielt Streichinstrumente wie besessen, und es war cool, mit ihm zu arbeiten. Außerdem hab ich versucht, mit Akkordfolgen zu komponieren. Das hat mein Hirn ganz schön überfordert, ich bin es eher gewohnt, in Riffs zu denken, aber es war ein echter Lernprozess.

Ryan: Ich finde, diesem Album hört man besonders an, dass es ein Winteralbum ist. Draußen war alles kalt und verschneit, und drinnen im Studio sind unsere ganzen Freunde und singen Hymnen, um sich zu wärmen.

Kopfgeld auf Wölfe

Da du gerade von Kälte sprichst, möchte ich noch mal auf Alaska zurückkommen - John, du hast kürzlich einen ziemlich interessanten und deutlichen Kommentar gegen Sarah Palin online gestellt, der Titel ist "Because we don't need it". Was hat dich dazu bewegt?

John: Die Nominierung (von Sarah Palin zur Kandidatin Vizepräsidentin John McCains, Anm. d. Red.) war einfach so frustrierend für uns, nicht nur als Alaskaner, wir kommen auch noch aus der selben Stadt wie Palin - Wasilla. Das, was ich geschrieben habe, ist eigentlich mehr eine Geschichte darüber, wie man Leute in einer Gemeinschaft behandeln sollte. Aber sie, diese... diese Lady nimmt sich eindeutig viel mehr als ihren fairen Anteil und beansprucht dann noch einen Platz in der Weltpolitik mit ihren verkrusteten Ansichten. Ein gutes Beispiel ist die Sache mit der Jagd. Der Rest des Textes sind einfach nur ... viele weitere Gründe, sie nicht zu unterstützen.

Du meinst, weil sie einerseits Gouverneur von einer so schönen Naturlandschaft wie Alaska ist und gleichzeitig ein ziemlich hohes Tier in der NRA (National Rifle Association, Anm. d. Red.), oder?

John: Exakt. Sie hat keinerlei Respekt für das, was sie schützen sollte, sie ist heuchlerisch, fanatisch und gierig - und hat das aerial hunting wieder eingeführt.

Was ist denn das?

Zack: Beim aerial hunting knallst du Tiere von einem Helikopter oder Flugzeug aus ab. Es ist die lächerlichste und respektloseste Beschäftigung überhaupt, heißt bei uns aber Sport.

John: Ich hatte mal einen Freund mit reichen Eltern, der irgendwann vom Helikopter-Jagen mit seinem Vater zurückkam. Sie beide fuhren grinsend die Auffahrt hoch und hatten hinten im Truck diese drei Wölfe, die sie erlegt hatten. Ich weiß nicht, ob du schon mal einen Alaska-Wolf gesehen hast, aber für mich waren es die größten Tiere, die ich jemals gesehen hatte. Einfach massiv. Und ich dachte: Diese unfassbar riesigen Tiere leben bei uns im Wald, und weil irgendwelche Typen zu viel Zeit und Geld haben, knallen sie sie einfach ab. Es gab wirklich keinen Grund, sie zu töten.
Mein Vater dagegen geht nicht jagen und begründete das mit den einfachen Worten: "Because we don't need it". Das hat sich mir seitdem eingeprägt.

Das Konzept, selbst im Flugzeug zu sitzen und Tiere zu jagen, ist wirklich ziemlich abartig. Motorisierungswahn meets Waffennarr?

Zack: Fuck yeah, vollkommen übertrieben. Ich käme damit klar, wenn sie mit Pfeil und Bogen aus dem Flugzeug schießen würden, wer wirklich was trifft, darf es dann gerne behalten. In Alaska gibt es sogar ein Kopfgeld auf Wölfe.

Und wahrscheinlich auch einen fadenscheinigen Grund dafür?

Zack: Aber klar. Vielleicht solltest du noch einen Schluck trinken. Also, der Grund ist, dass die Wölfe angeblich zu viele Elche und Rentiere fressen. Deswegen gibts 150 Dollar für jeden toten Wolf, damit die armen Sportjäger demnächst wieder mehr Rentiere schießen können. Eat this!

Ach du Scheiße. Wollt ihr noch Kölsch? Gibt es viele Leute in Alaska, die das unterstützen?

John: Ja bitte - und ja, auf Palin und ihre Gang fallen viele Leute rein. Prost. Weißt du, es gibt eine Menge Geld in Alaska, und das bringt unheimlich viele konservative Christen nach da oben. Ich bin unter Familien aufgewachsen, die ihren Kindern zum Einschlafen das Buch der Offenbarung vorgelesen haben ...

... schöne Geschichten von apokalyptischen Reitern ...

John: ... genau, und dazu haben sie sich angezogen wie die ersten Siedler. Es ist das Epizentrum der evangelikalen Bewegung. Was willst du in so einem Umfeld erwarten?

Zumindest einen ordentlichen Beutel Sparerib-Chips, die jetzt nämlich leider alle sind. Die Vorband beginnt, und ich sage für's erste Tschüss, bedanke mich bei den Jungs und klettere aus dem Van.

Beim Konzert verhalten sich Portugal.The Man ihrem Publikum gegenüber genauso, wie man es von der Band erwarten würde - dankbar, bescheiden, herzlich. Es wird ein großartig fulminanter Gig voller ausgedehnter Jams - und wenn nichts dazwischen kommt, sehen wir das schon nächstes Jahr wieder.

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LAUT.DE-PORTRÄT Portugal. The Man

Oberflächlich betrachtet ist es ein Leichtes, John Baldwin Gourley (Gesang, Gitarre), Wesley James Hubbard (Keyboard und Programming), Zachery Scott …

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