14. April 2017

"Ich spreche zu Gott wie mit meinem Auto"

Interview geführt von

Spätestens seit "Remedy Lane" zählen Pain Of Salvation zur Speerspitze des modernen Prog Rock und Metal. Das aktuelle Album "In The Passing Light Of Day" bestätigte diesen Status kürzlich eindrucksvoll. Und nicht nur musikalisch hat Bandkopf Daniel Gildenlöw anno 2017 einiges zu erzählen.

Nebenan laden Knorkator zum Ausrasten, wir ziehen heute aber mal das Columbia Theater der Halle vor. Pain Of Salvation machen hier heute Station, am vierten Tag ihrer "In The Passing Light Of Day"-Europa-Tournee. Das Bühnenoutfit – Unterhemd, Jeans, barfuß – trägt Daniel Gildenlöw zwar schon; auf die Bretter gehts allerdings erst in knapp drei Stunden. Vorher hockt der Sänger und Gitarrist sich noch mit uns in die Katakomben, um über Gott und die Welt zu plaudern, während draußen die Sonne scheint, das Gras grünt und Liegefahrradmenschen aus ihren Löchern gekrochen kommen (es also endlich Sommer wird). Und das tat er recht ausführlich.

Wir hatten auf laut.de gerade eine Meilenstein-Review zu "Remedy Lane". Das Album wurde über die Jahre ja zum absoluten Fan- und Kritikerliebling. In den Songs sprichst du sehr persönliche Themen an. Aber du spielst sie seit mittlerweile 15 Jahren rauf und runter. Geht dabei eigentlich irgendwann die Connection flöten? Dazu kommt, dass du über die Jahre wahrscheinlich auch charakterlich vielleicht ein paar Entwicklungen durchlebt hast...

Es brennt schon ein bisschen aus. Was wahrscheinlich gut ist. Ich will auf der Bühne voll drin sein. Wenn du über schmerzhafte, intime Sachen schreibst, musst du dich live immer wieder in diese Position versetzen. Du kommst an den Punkt, an dem du es einfach hinter dir lassen möchtest. Die Songs werden irgendwann eigenständig. Sie verursachen nach all den Jahren nicht mehr dieselbe emotionale "Verbrennung". Ich versetze mich immer noch in die entsprechende Lage, aber es wird schwächer und eben dieses eigene Ding. Du hast deine Erfahrung und du hast die Songs – langsam aber sicher trennen sich diese beiden über die Jahre.

Du hast schon immer Konzeptalben gemacht – jedenfalls kategorisieren die Leute sie als solche. Bei anderen Bands habe ich oft das Gefühl, dass Konzeptalben dazu dienen, das Persönliche zu verschleiern. Man transferiert alles in separate Figuren, baut sich diese riesigen Handlungsbögen drumherum auf. Bei dir ist das eher genau umgekehrt. Es geht mehr um ein Motiv als eine Story und die behandelten Themen laufen letztendlich bei dir selbst zusammen.

Ich war schon immer sehr beeindruckt und bewegt von Künstlern, Autoren etc., die den Mut haben, intim zu werden. Die sich selbst entblößen, nackt sind, unbequem. Die in die Zerbrechlichkeit des Menschen eintauchen. Gerade in der Szene, in der wir uns bewegen, scheinen die Leute generell eine gewisse Distanz zwischen sich selbst und die Emotionen zu bringen. Ich will den anderen Weg gehen. Ich bin aufgewachsen mit Simon & Garfunkel, "Jesus Christ Superstar" – die Filmversion. Das Kraftvolle an dieser Musik war für, dass es Texte gab, die sich selbst erlaubten, fragil und schwach zu sein. Darin liegt eine Stärke, die ich sehr interessant finde. Und ich versuche, mich selbst in dieselben Areale zu bewegen.

Weil du gerade kurz Autoren erwähnt hast: Ich lese gerade Milan Kundera und...

Oh, großartig. Welches Buch?

"Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Ich finde, er berührt darin ähnliche Themen wie du in deiner Musik. Im letzten Interview mit unserem Magazin sprachst du zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Song "Curiosity" von Liebe und Sex als zwei Extremen. Das ist im Buch teilweise ähnlich dargestellt. Hast du es gelesen?

Ja, habe ich. Schon ziemlich lange her allerdings. Sex und Liebe können natürlich auch zusammengehen; ich behaupte nicht, dass sie immer getrennt existieren. Aber es wird interessanter...

Schon klar, letztendlich geht es dabei ja um ein Konstrukt.

Genau! Wenn du sie auseinanderpflückst, kann man sie auf interessantere Art und Weise interagieren lassen. Von einem kreativen Standpunkt aus gesehen, interessieren mich die Unterschiede mehr als die Gemeinsamkeiten. An diesen Punkten kann ich kreativ ansetzen.

Pain Of Salvation ist zwar deine Hauptband, aber über die Jahre warst du immer wieder an anderen Projekten beteiligt. Unter anderem Ayreon. Was quasi den Prototyp der vorhin angesprochenen anderen Ausrichtung von Konzeptalben darstellt – mit überall diesen riesigen, abstrakten Dingen. Wie ist das für dich, in solchen "Umgebungen" zu arbeiten?

Es ist anders. Wenn du an anderen Projekten mitarbeitest und dabei nur einen kleinen Teil davon darstellst, fühlst du dich dem darüberliegenden Motiv nicht so sehr verbunden. Du hast deinen Bereich und den machst du. Wenn ich meine eigenen Konzepte mache, tauche ich voll und ganz ein. Ich habe einen sehr assoziativen Verstand – alles was ich lese fängt an mit anderen Sachen zu interagieren. Es ist als würdest du Punkte miteinander verbinden. Dann entdeckst du eine Verbindung, die du noch nicht auf dem Schirm hattest und denkst dir: "Oh, das ist cool! Das könnte interessant sein." Plötzlich bildet sich Schicht um Schicht. Man geht einfach viel tiefer rein, wenn man sein eigenes Ding durchzieht. Das ist wahrscheinlich allgemeingültig für jeden. Wenn du etwas eigenes schaffst – speziell, wenn du dabei dich selbst als Ausgangspunkt nimmst –, landest du am Ende in einem wesentlich komplexeren Raum als wenn du irgendwas machst, das die Vision eines anderen ist. Ich würde nicht sagen, dass das eine besser als das andere ist. Aber mir persönlich erscheint es lohnender, mein eigenes Ding zu drehen.

"Mich interessiert Wissen"

Du hast gerade auch einige Texte auf die Homepage geladen...

Oh ja, wir haben eine neue Homepage. Die befand sich ziemlich lange in Konstruktion. Wir hatten ja schon eine Menge Homepages – seit 1997, glaube ich. Und obwohl jetzt gerade zwar nur eine Seite da ist, existieren die anderen immer noch. Wenn du dich in den Server rein-FTPst wird dir allein vom Gucken schon schwindlig, haha. So viele Ordner! Alle umbenannt... painofsalvation.com/old, painofsalvation.com/evenolder – alles ist noch da! Re-Links, Shops, Datenbanken... Wenn du da reingehst, hast du kaum einen Peil, welche denn jetzt eigentlich die aktuelle ist und was für welchen Teil der Seite verwendet wird. Ich glaube der Typ, der die neue Seite erstellt hat, hatte eine echt schwere Zeit zu sortieren und herauszufinden, was denn nun eigentlich gerettet werden musste und was weg konnte. Das hat also eine Weile gedauert. Und als es dann fertig war, konnten wir es trotzdem nicht gleich hochziehen, weil dasselbe noch für den Shop etc. vonnöten war.

Aber jetzt ist alles da und die Lyrics sind auch da. Und übrigens habe ich gestern bemerkt (ja, ich hab' selbst die Lyrics gegooglet, weil ich etwas auschecken musste, haha), dass bei "Meaningless" der falsche Text steht. Es ist der falsche Song! Ich glaube, stattdessen gibt es zweimal "Reasons". Und beim letzten Song "In The Passing Light Of Day" fehlt was. Der hört zu früh auf. Da müssen wir wohl auch nochmal reingehen, haha. Aber hey: trotzdem ist noch mehr korrekt als auf den ganzen anderen Lyric-Pages da draußen. Ich hab' keine Ahnung, wie sie das schaffen, aber jedesmal sind wieder Fehler drin. Beeindruckend irgendwie...

Wobei das manchmal auch interessant sein kann, wenn durch die Fehler plötzlich eine ganz andere Interpretation möglich wird.

Ja, ja, total! Ich glaube bei "Linoleum" war das mal. Und an ein, zwei Stellen sorgten die Fehler dafür, dass die Bedeutung plötzlich exakt ins Gegenteil umschlug, haha. Das hat überhaupt keinen Sinn mehr ergeben! Und klar: die kopieren sich alle gegenseitig; wenn es auf einer Lyric-Seite steht, ist es kurz darauf auch bei allen anderen. Leute: Wir haben die korrekte Version auf unserer Homepage! Warum könnt ihr es nicht einfach von dort kopieren, wenn ihr kopieren wollt? Warum kopiert ihr es von einer anderen Lyric-Site, wo der Text falsch steht. Naja, manchmal macht es ja Spaß das zu lesen und bringt einen zum Lachen. So nach dem Motto: "Oh mein Gott, wie können sie glauben, dass wir das geschrieben haben?" (lacht)

Worauf ich mit den Texten vorhin eigentlich hinaus wollte: Neben den Lyrics stehen dort ja noch ein paar Begleit-Essays von dir, was ich nochmal auf die Assoziationen von vorhin beziehen wollte. In einem philosophierst du nämlich über Dienstage ("On A Tuesday" ist ein Song auf "In The Passing Light Of Day", A.d.R.). Dabei führst du alle möglichen Deutungsansätze aus und landest schließlich an einem Punkt, von dem du selbst zugibst, dass das mittlerweile rein gar nichts mehr mit dem Song zu tun hat, sondern du es einfach nur interessant findest. Ist es das, was du vorhin meintest, mit dem Reinsteigern?

Hahaha, ja, stimmt. Es ergeben sich eben einfach Verbindungen und ich versuche sie dann irgendwie zu sortieren. Das ist typisch. Bei einigen Alben passiert das mehr als bei anderen. Das neue Album entsprang größtenteils einfach meinen eigenen Gedanken und persönlichen Erfahrungen. Aber etwa "One Hour By The Concrete Lake" oder "BE" ging eine Menge Studieren voran. Manches speziell für das Album, teilweise spielen dann auch Dinge mit rein, die du zuvor bereits gelernt hast oder worüber du gelesen hast. Mich interessiert Wissen. Und dann kommt eben ab und an mal was zusammen. Plötzlich lassen sich gemeinsame Schlussfolgerungen aus verschiedenen Bereichen ziehen! Und dann stehst du vor diesem Berg an Information. Aber so etwas reizt mich. Wenn man erst einmal anfängt, Linien zwischen den Punkten zu ziehen, wächst sich das so schnell riesig aus – in sehr interessante Richtungen.

Nimm zum Beispiel "One Hour By The Concrete Lake": Ich habe Friedensarbeit und Internationale Konflikte studiert – oder besser gesagt: Lösen internationaler Konflikte – an der Uni Göteborg. Und aus persönlichem Interesse habe ich auch noch Umweltwissenschaften studiert. Und Industriedesign, wo wir einmal eine Waffenfabrik besucht haben. Da standen dann so Anzugtypen rum und haben Gewehre erklärt: "Oh, das wurde im Golfkrieg benutzt!" Das war total bizarr. Ich habe angefangen, zwischen all diesen Bereichen Verbindungen herzustellen. Ein bisschen Strahlungsphysik habe ich übrigens auch noch nebenher studiert, haha. Auch an der Uni Göteborg. Naja, wie auch immer: jedenfalls bemerkte ich lauter Gemeinsamkeiten dieser Themen, obwohl sie nirgends erwähnt wurden. Aber teilweise sind diese Sachen sogar ziemlich spezifisch und direkt verwandt. Ich hab’ das alles gesammelt und einen Riesen Block Papier von ich glaube 102 Seiten angehäuft. DinA4-Seiten voller Text. Die wollte ich dann der Band andrehen, weil ich dachte, ich müsste sie überzeugen, dass wir daraus jetzt ein Album machen. Ich hab’ jedem Mitglied einen solchen Stapel ausgehändigt. Fredrik, der Keyboarder, hat wahrscheinlich einen Großteil durchgearbeitet, wie ich ihn kenne. Abgesehen davon waren die Reaktionen eher: "Jaaaa, ist schon gut. Jesus…" (lacht)

Das war mein erster und letzter Versuch, jeden für die Konzepte an Bord zu holen. Ich musste erstmal realisieren, dass zwar ich so funktioniere, aber eben nicht jeder. Logisch. War ein witziger Moment, sie so zu sehen: "Ja, wird Spaß machen – wir vertrauen dir da voll und ganz." (lacht)

Letztendlich hat es ja irgendwie geklappt.

Es hat funktioniert, stimmt schon.

Dem aktuellen Album ging eine schwere Krankheit deinerseits voraus, die vermutlich auch einen guten Teil der Lyrics beeinflusste. Hatte diese Zeit auch Auswirkungen auf das Songwriting an sich – abgesehen von den Texten?

Ich glaube die musikalische Ausrichtung des Albums ist stärker beeinflusst von den Bandjahren zuvor – wegen der Line-Up-Wechsel und so. Die "Road Salt"-Alben entstanden in einer Art persönlichen Notsituation diesbezüglich. Darüber schreibe ich zum Beispiel in "Full Throttle Tribe". Ich habe die Band als Kind gegründet, mit der Absicht, dass sie auf gewisse Weise meine Familie werden sollte. Nun fiel sie aber auseinander. Nicht etwa, weil wir uns nicht mehr geliebt oder nicht mehr dieselben musikalischen Ziele verfolgt hätten. Sondern aus logistischen Gründen – sie wollten mehr Zeit mit ihrer Familie verbringe, nicht mehr auf Tour gehen. Sie hatten nicht mehr …

... denselben "tribe"?

Ja, gewissermaßen. Sie hatten nicht mehr dieselbe "jugendliche Frustration", wenn man so will. Sie wurden erwachsen. Und ich blieb zurück – nicht erwachsen geworden. So habe ich mich damals gefühlt. Ich brauche noch immer dieses Streben nach Dingen. Als es Zeit wurde, neue Mitglieder in die Band aufzunehmen, sah ich es irgendwie als notwendig an, zurück zu meinen musikalischen Wurzeln zu gehen – auch, um wieder etwas anderes zu machen, als zuletzt. Wir haben so lange als Freunde in der Band zusammengespielt... Zu Anfang ist die Band dein Werkzeug – sie formt sich je nachdem welche Musiker hinter ihr stehen. Nach einer Weile kehrt sich das jedoch um: Plötzlich bist du das Werkzeug der Band, dieser Einheit. Und du bemerkst, dass die Band dich geformt hat.

Als wir "Remedy Lane" aufgenommen haben, war das so: wir waren perfekt trainierte Mittel zum Zweck, um diese Musik zu performen. Nimm nur eine der fünf Personen da raus – völlig egal, ob der Ersatz vielleicht ein besserer Musiker wäre – und es ist plötzlich nicht mehr dieses zuvor gebildete Puzzle. Vielleicht mag das neue Puzzleteil total brillant und wunderschön sein, aber es ist eben kein Teil dieses Puzzles. Es braucht Zeit, um eingeformt zu werden. Der einzige Weg war deshalb, in eine andere Richtung zu gehen, bis wir einen Punkt erreichten, an dem wir sagen konnten: Das ist die neue Familie, der neue "tribe". Dann haben wir "Road Salt One" und "Road Salt Two" gemacht – was letztendlich größer auswuchs als ursprünglich intendiert. Danach kam "Falling Home". Und jetzt hatte ich den Drang, den Wunsch, den Verstärker aufzureißen. Das alles war schon in mir drin, bevor ich ins Krankenhaus kam. Die musikalische Richtung stand schon.

Aber ... im Endeffekt war der Krankenhausaufenthalt eine "gute Sache". Die Stärke des Albums ist die Kombination dieser fragilen, entblößenden Lyrics mit wütender, frustrierter, kompromissloser Musik. Nicht dass ich das jetzt unbedingt als Blaupause für künftige Alben verwenden möchte, aber für dieses Album hat das gut funktioniert, haha. Wobei ich gar nicht explizit vorhatte, über die Krankheit oder die Gefühle, die du währenddessen durchläufst, zu schreiben. Als ich im Hospital war, erreichten mich so viele unterstützend gemeinten Nachrichten von Fans, die meinten: "Hey, das würde doch ein tolles Konzeptalbum abgeben!" Und ich lag dort in dieser wenig exotischen Umgebung, mit all den unsexy Krankenhaussälen und dachte nur: "Jaaa, super... Ein Prog-Metal-Album über fleischfressende Bakterien... Sehe ich unbedingt passieren...“ Das wollte ich ganz und gar nicht. Aber als ich mich dann zum Schreiben hingesetzt habe, bin ich irgendwie immer wieder darauf zurückgekommen. Es ließ mich einfach nicht los – nicht die fleischfressenden Bakterien natürlich, sondern die Gedanken! Gedanken, die mich vor allem in den ersten zwei, drei Tagen im Krankenhaus beschäftigten, als die Ärzte versuchten, es so schnell wie möglich zu stoppen. Wenn du es zu lange in dir trägst, stirbst du...

"Es kann nichts Hartes ohne eine sanfte Vergleichsgröße geben."

Es klopft an der Tür.

Oh, ich glaube, wir müssen zum Ende kommen. Ich hab' noch nicht mal die Hälfte der Fragen durch, haha.

So läuft das meistens, haha. Das ist meine Schuld, tut mir leid.

Egal, gehen wir einfach zum nächsten Punkt: Ich kann leider nicht anders als deine Krankenhausgeschichte mit Nergals zu vergleichen...

Wessen?

Nergal von Behemoth.

Oh, davon habe ich gar nicht gehört. Behemoth kenne ich ehrlich gesagt auch nur vom Namen.

Er hatte Leukämie und im Anschluss hat er sein Meisterwerk geschrieben: "The Satanist".

Daniel grinst.

Ja, ich weiß, der Titel klingt blöd, aber das Ding ist verdammt großartig.

Okay, ich werds mir mal anhören.

Was ich eigentlich fragen wollte: Könntest du dir vorstellen, einmal in eine solch extreme Richtung wie Behemoth zu gehen? Du hast dich ja zuvor bereits teilweise stärker auf die sanftere Seite Pain Of Salvations konzentriert, "In The Passing Light Of Day" bemüht wieder die Balance zwischen hart und weich, warum also nichtmal das andere Extrem in den Vordergrund rücken...?

Das Ding ist: egal in welche Richtung ich mich bewege, ich habe immer diesen Drang, alles auszugleichen. Auf dem neuen Album hörst du das ja recht deutlich: du hast diese sehr harten Passagen, aber danach muss ich irgendwo anders hingehen. Bei Filmen ist das genauso – bei egal was: man braucht diese Dynamik. Es kann nichts wirklich Hartes, Finsteres geben ohne eine sanfte Vergleichsgröße. Wenn du nur Schwarz hast, fühlst du die Schwärze davon nicht mehr. Du brauchst etwas Helleres als Kontrast. Deswegen war mir immer beides wichtig. Du brauchst ein bisschen von allem, um es interessant zu gestalten. Und klar: du kannst dann natürlich variieren, auf was du dich pro Album am meisten fokussierst.

Ich würde noch ganz gern auf den Song "Tongue Of God" zu sprechen kommen. Vielleicht ist das eine ganz gute letzte Frage.

Haha, wir enden auf der Zunge Gottes…

Die Frage hat zwar nicht direkt was mit dem Song zu tun, aber als ich diese Line zum ersten Mal gehört habe, kam mir aus irgendeinem Grund sofort folgendes Szenario in den Sinn: Was würde passieren, wenn es eines Tages tatsächlich einen Beweis für die Existenz eines Gottes gäbe? Ich gebe das jetzt einfach mal an dich weiter.

Oh, ich glaube ich müsste mich für vieles bei ihm entschuldigen, haha. Schließlich habe ich ihm immer erzählt, dass ich nicht an ihn glaube – oder an sie. Wir kommunizieren, keine Frage! Auf dieselbe Art und Weise wie ich mit Bäumen spreche oder zu meinem Auto. Ich denke nicht, dass mein Auto tatsächlich zuhört, aber reden tue ich trotzdem mit ihm. Und dasselbe mache ich mit Gott – ich glaube nicht an ihn, aber trotzdem spreche ich ihn ab und zu an. Dabei bin ich nicht immer höflich. Ich hatte wohl schon immer ein bisschen Probleme mit Autoritäten...

Doch ich vermute, wenn Gott tatsächlich existiert – was überraschend genug wäre –, müsste er ein ziemlich tolerantes Wesen sein. Um sich überhaupt als Gott rechtfertigen zu können. Ich erinnere mich daran, in einem Abschnitt meines Lebens, als es mir wirklich nicht gut ging, zu Gott gesagt zu haben: "Wenn du wirklich da bist, bist du großzügig genug, mich dich gerade hassen zu lassen. Damit wirst du leben müssen – ich bin mir sicher, du kannst das. Wenn nicht, solltest du irgendwas studieren. Jetzt gerade muss ich dich einfach hassen. Nur ein bisschen. Aber ich froh, dass wir darüber reden können." So in der Art, haha. Naja... Aber hey, du meintest vorhin, du wolltest noch was zum Titeltrack ("In The Passing Light Of Day", A.d.R.) fragen. Das kriegen wir schon noch kurz rein. Eine Minute haben wir sicher noch.

Wenn du das sagst, gerne. Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, dachte ich ehrlich mir gesagt während der ersten Hälfte: "Mann, komm endlich auf den Punkt, das dauert zu lang", und während der zweiten: "Brings zuende!". Auch nach mehrmaligem Hören blieb dieses Gefühl der Endlosigkeit, nur änderte sich das zu einer positiven Endlosigkeit – plötzlich wollte ich gar nicht mehr, dass es aufhört.

Ja, man muss sich ein bisschen öffnen für den Track, sich ihm hingeben.

Auf jeden Fall. Im Grunde erzählst du darin ja eine ganze Lebensgeschichte – und eine Liebesgeschichte. Und Liebe sollte im Idealfall wohl "ewig" sein.

Hoffentlich zumindest. (lacht)

War dieses Endlos-/Ewigkeitsgefühl dementsprechend vielleicht sogar beabsichtigt, als du den Song geschrieben hast?

Mh, es war eher viszeral. Als ich mich daran gemacht habe, die Basisstruktur des Songs aufzunehmen, wuchs sich das Ergebnis sehr lang aus. Ich spürte, dass der Song sehr wichtig werden würde und kam an einen Punkt, an dem ich Angst vor der Länge bekam. Ich habe ihn einfach intuitiv geschrieben und überlegte im Nachhinein, ihn zu kürzen. Ich dachte auch darüber nach, ihn in drei Stücke zu teilen. Aber jedesmal, wenn ich dahingehende Versuche unternahm, Parts rausschnitt und so, ging mir die Magie verloren. Etwas Wichtiges fehlte. Und Angst sollte eigentlich nicht Teil meines Schreibprozesses sein.

Irgendwann realisierte ich dann, dass mein Wille, den Song zu kürzen nur intellektueller Natur war – ich glaubte, die Leute fänden ihn zu lang. Aber das hatte nichts damit zu tun, wie ich den Song haben möchte. Also wie wollte ich den Song haben? Manchmal guckst du einen Film, der total langsam voran geht und es regt dich fast auf, dass es so langsam voran geht – aber gegen Ende belohnt er dich dann auf eine besondere Art und Weise, genau wegen seiner Länge und weil er sich erlaubt, sich so langsam aufzubauen. Wenn du das wegnehmen würdest, währst du vielleicht weniger genervt, aber du würdest auch nicht die Belohnung dafür kassieren. Die Reise ist wichtig.

Ich glaube gerade wegen der dahinterstehenden Story und der Zerbrechlichkeit hörst du bei dem Song irgendwann einfach auf, ihm intellektuell beizuwohnen – du lässt dich einfach treiben. Du hast etwas, das einfach immer weiter geht, du gerätst in eine Art Trance-Zustand, sitzt einfach da, hörst zu und hörst auf, die Zeit zu beachten. Wenn du diesen Punkt einmal erreicht hast, trifft es dich tief drin – viel tiefer als es der Fall wäre, wenn alles einen typischeren Verlauf nehmen würde. Letztendlich habe ich mich einfach darauf eingelassen: So wollte ich den Song schreiben und ich musste Vertrauen haben, dass es die richtige Entscheidung wäre, dem nachzugeben. Ich bin froh, dass es so gelaufen ist, denn "In The Passing Light Of Day" hat sich zu einem meiner allerliebsten Pain Of Salvation-Songs entwickelt. Man muss allerdings schon am richtigen Ort sein, wenn man ihn hört. Ich glaube, wenn du in der Arbeit am Computer hockst und ihn laufen lässt, funktioniert das eher nicht so toll. Beim Autofahren wäre vielleicht ganz gut...

Mein erstes Mal damit war beim Autofahren, haha.

Ach Mist, haha. Dann eben in einem dunklen Raum. Oh, da erinnere ich mich an ein tolles Erlebnis, das ich letztens hatte. Mit dem Song "Our Love Is Easy" von Melody Gardot. Ich hatte ihn zuvor schon so oft gehört, auch das zugehörige Album. Aber diese eine Situation war besonders. Ich habe meine Kinder ins Bett gebracht, lag da mit ihnen und habe das Album angemacht. Es ist soft, ganz gut zum Einschlafen, dachte ich mir. Es war komplett dunkel, das Album spielte, ich lag da und dann kommt dieser Song – "Our Love Is Easy". Ich war geradezu hypnotisiert davon, überwältigt! Ich lag da im Dunkeln, konzentrierte mich nur darauf, quasi "lost in time". Ich glaube das ist mir nicht mehr passiert seit ... ich viel, viel jünger war. Es war magisch! So war das damals, wenn du neue Musik entdeckt hast oder Musik entdeckt hast, die du vorher nicht verstanden hast und plötzlich tust du es! So ein Traumzustand. Ich wünsche jedem, ein solches Erlebnis auch einmal zu erfahren.

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