"Wenn du denkst Fuck it all / wie soll es weiter gehen / Kapitulation", dichteten Tocotronic. Anfang der Woche kapitulierte das Berliner Label Louisville Records. Tapete Records kämpft indes weiter und bei Flowerstreet Records fängt man gerade erst an.

Berlin (mis) - "Louisville Records gibt es nicht mehr. Vielen Dank für Eure Unterstützung. Patrick & Yvonne." So lautete die lapidare Nachricht, die am Montag Morgen per Mail zahllose Medien erreichte. Patrick Wagner und seine Lebensgefährtin Yvonne Franken kapitulierten nach sechs Jahren Labelarbeit vor einer Zeit, in der die Tonträger-Industrie nicht mehr bestimmt, wann ein Album erscheint und der Konsument nicht mehr der Meinung ist, dafür zwingend bezahlen zu müssen.

"Wir haben am 23. Dezember einen Brief vom Finanzamt erhalten, in dem stand, dass wir so langsam mal Insolvenz anmelden sollten", berichtet Wagner ungewohnt emotionslos. "Nach dem Anblick unserer Zahlen mussten wir uns dann eingestehen, dass es mehr oder weniger hoffnungslos ist, was wir hier tun. "

Hecker und Kissogram floppten

Wagner und Franken starteten ihr Label von einem Berliner Hinterhof aus im Jahr 2004. Ihr Bandsortiment mit Jeans Team, Naked Lunch, Navel oder den Puppetmastaz brachte ihnen rasch hohes Ansehen bei einem Indie-Publikum und innerhalb der Branche ein.

Noch im letzten Sommer sah es für Louisville nicht unbedingt schlecht aus. Die neuen Veröffentlichungen von Maximilian Hecker und Kissogram standen an, beides Zugpferde des Label-Rosters. Die Hoffnungen in die Neuerscheinungen schienen begründet: Auf der einen Seite der nach fünf Alben etablierte Melancholie-Feingeist Hecker, auf der anderen eine Band, die dank der Support-Slots für Franz Ferdinand gerade vor 200.000 Menschen spielte.

Private Verschuldung

Doch Verkaufszahlen lassen sich nun mal schlecht prognostizieren. Am Ende brachten es beide Alben jeweils auf kümmerliche 3.500 verkaufte Einheiten weltweit. Für Louisville bedeuteten die Album-Flops letztlich das Aus. Wagner und Franken verschuldeten sich auch privat.

Gunther Buskies, zusammen mit Ex-Jeremy Days-Sänger Dirk Darmstädter Chef des Hamburger Indie-Labels Tapete, teilt die früheren Ängste von Wagner und Franken. "Ich verstehe ihre Entscheidung sehr gut, denn es ist ein monatlicher Kampf ums Überleben."

Tapete-Boss Buskies: "Musik ist beliebig geworden"

Buskies' Label ist zwei Jahre länger dabei als Louisville und mit zwei Chefs und vier Angestellten wesentlich größer. Rund 50 Künstler stehen im Augenblick bei Tapete unter Vertrag. Das macht die Situation jedoch nicht gemütlicher.

Das einzige, was Buskies über die nächsten Monate hinaus vohersagen kann, sind die Veröffentlichungen seines Labels. Und wenn die nicht funktionieren, bekommt auch er ein Problem. Die aktuelle Marktsituation gestatte keinerlei finanzielle Rücklagen.

"Musik ist beliebig geworden", weiß Buskies längst. "Es gibt bei illegalen Downloadern kein Unrechtsbewusstsein und daran geht am Ende eine Firma wie Louisville zugrunde."

Einmal ein Coup wie Arcade Fire ...

Im Falle der Louisville-Pleite hätte letztlich nicht einmal die doppelte Menge an verkauften Kissogram-Alben die Unkosten gedeckt. Man steckte einfach schon zu tief drin im Schlamassel, erzählt Wagner. Zuletzt sah sich der frühere Kitty Yo-Gründer einer ihm fremden Trash-Kultur gegenübergestellt, die nur noch nach Profit gierte.

Der Kampf um künstlerische Relevanz schien immer hoffnungsloser. Wie gerne hätte Wagner einmal einen Coup gelandet wie etwa Arcade Fire, die "kommerziell jetzt auch nicht durch die Decke gegangen sind", die es seit ihrem Debütalbum von 2005 aber zu einer stattlichen Referenzgröße gebracht haben. Doch am Schluss war bei den Louisville-Gründern nur noch "totale Tristesse".

Kante: Erstmal keine neuen Platten

Auch Musiker kennen dieses Gefühl natürlich. Wagner erzählt vom befreundeten Kante-Musiker Peter Thiessen, der mit seiner Band entschieden hat, erstmal keine neuen Platten mehr aufzunehmen, da sie derzeit sowieso nicht gekauft würden.

War der seit Surrogat-Zeiten als begeisterter Vorkämpfer seiner Projekte bekannte Wagner am Ende doch mehr Musik-Fanatiker als Musik-Verkäufer? Ein Hinweis darauf ist ein Satz wie dieser: "Wenn Weltklasse-Bands wie Naked Lunch 10.000 Alben verkaufen, dann finde ich das lächerlich."

Tapete-Hoffnungen: Superpunk und Anajo

Die Reaktion der Louisville-Bands auf die Insolvenz fiel unterschiedlich aus. Manche hätten sich ohnehin immer sehr um sich selbst gekümmert, von anderen sei äußerst herzerwärmendes Feedback gekommen. Man merkt Wagner sogar am Telefon an, wie sehr es ihn freut, dass Geschäftsbeziehungen auch Raum für Emotionen lassen.

Dieses traurige Ende sieht Buskies für Tapete vorerst nicht. 2009 war ein sehr gutes Jahr für die Hamburger, selbst wenn mit dem höheren Umsatz auch die Kosten angestiegen sind. "Wenn man 2010 noch Tonträger verkaufen kann, müssten wir überleben. Es kommen neue Alben von Superpunk, Anajo, Schwefelgelb und Lloyd Cole. Das sieht ganz gut aus", findet Buskies.

Das gerade erschienene Album der Post Punk-Matadore Fehlfarben laufe ebenfalls ordentlich. 5.000 Alben wolle man von "Glücksmaschinen" auf jeden Fall absetzen, alles über 7.000 sei "herausragend".

Buskies: "Erfolg ist, wenn die Monatskosten bezahlt sind"

Auf Downloads mit ihrer höheren Gewinnmarge könne man heutzutage zwar nicht mehr verzichten, der Labelchef schwört aber nach wie vor auf physische Tonträger. Am Ende freue er sich eben doch über jede neue Vinylsingle, obwohl seine Firma mit jedem einzelnen Exemplar Geld verliert.

Erfolg ist für Buskies einfach zu definieren: "Wenn sich ein Produkt rechnet und dazu beiträgt, die Monatskosten der Firma zu bezahlen. Wenn die im Vorfeld getätigten Kalkulationen eintreffen."

Wichtige Märkte Japan und England

Da reicht es längst nicht mehr, auf den Heimatmarkt, Österreich und die Schweiz allein zu bauen. Daher hat sich Tapete von Anfang an ein internationales Netzwerk aufgebaut, alleine schon um für Künstler wie den britischen Songwriter Lloyd Cole als Label überhaupt attraktiv zu sein.

So kommt es, dass Länder wie Japan und England im Zweifel schlechte Verkäufe in Deutschland aufwiegen. Etwa beim Tapete-Newcomer Lacrosse, der hier überhaupt nicht funktionierte, in England aber aus dem Stand 1.500 Stück verkaufte. In Märkten wie England besitze Musik ohnehin noch einen "viel höheren Stellenwert als hier".

Labelarbeit ohne Booking geht nicht mehr

Vor allem zahlt sich für Buskies die Kombination von Booking und Labelarbeit aus. Nicht analog zum sogenannten 360 Grad-Modell der Majors, das vorsieht, dass ein Label an allen Einnahmen seiner Künstler beteiligt sein will. Tapete will nur an Feldern verdienen, auf denen sie auch arbeiten. Ein Konzept, das aufgeht.

Auch bei dem Ende 2008 in München gegründeten Label Flowerstreet Records. Labelchef Amadeus Gregor Böhm wollte von Anfang an als Ansprechpartner für seine Bands fungieren, als Schnittstelle zwischen Marketing und Bandbetreuung. Reine CD-Promotion würde unweigerlich zu der von Wagner dargelegten Problematik führen, auf Masse statt Klasse setzen zu müssen, in der einzigen Hoffnung, dass "irgendwo mal was abspringt" (Böhm).

Flowerstreet Records: Neulinge in der Branche

Die Gründung einer Plattenfirma zu einer Zeit, in der die Plattenverkäufe in den Keller rauschen, nennt der Münchner einen "total bekloppten Schritt", der wahrscheinlich nur zustande kam, "weil wir alle keine Ahnung vom Geschäft haben".

Und doch: Flowerstreet Records blüht in voller Pracht, Böhm hat derzeit sechs Künstler unter Vertrag und verhängte gerade einen Signingstopp. Mit den Britrock-Bands Lucky Fish und Pardon Ms. Arden hat er alleine zwei Bands im Stall, die trotz des sehr jungen Alters seiner Mitglieder auf internationaler Ebene auftrumpfen könnten.

Bands und Label arbeiten eng zusammen

Rund 40 Bandbewerbungen pro Woche muss Böhm für Flowerstreet Records derzeit ablehnen, einige davon nimmt er aber auf eine Liste für Newcomer-Festivals, um die sich in Kürze ein Schwesterlabel kümmern soll. Betrieben von den Mitarbeitern und Künstlern von Flowerstreet, ein großes Miteinander eben. So läuft es auch bisher: Man hockt zusammen und frankiert Promopäckchen und man jubelt gemeinsam über einen Auftritt im Atomic Café.

Die Vorstellung der Eigenverschuldung ist bei Böhm, der knapp vier Jahre mit der Band Five!Fast!!Hits!!! spielte und derzeit in zwei Combos aktiv ist, jedoch weit entfernt. Schon alleine weil er statt auf riskant wirkende Projekte lieber auf die Politik der kleinen Schritte setze. Heißt: Konstante Künstlerbetreuung in einer Art und Weise, wie man sie als Musiker selbst gerne erlebt hätte.

Patrick Wagner konnte auf diese Erfahrungen als Musiker zurück greifen und scheiterte trotzdem. Der Musik will der Berliner weiterhin in irgend einer Form treu bleiben, etwas anderes ist bei einem Mann wie ihm auch nicht denkbar. Dennoch hat er mit seiner Frau nun eine Entscheidung getroffen, für die er als alter Sloganeerer natürlich sofort das passende Fazit parat hatte: "It's a dirty job and someone's gotta do it, but it's not us!"

Weiterlesen

laut.de-Porträt Maximilian Hecker

Anfangs lachen alle über Maximilian Hecker. Bald lieben sie ihn. Den jungen Berliner, der mit Gitarre und Verstärker zunächst noch in der Hauptstadt …

laut.de-Porträt Kissogram

Im Frühsommer 2001 tauchen Kissogram wie aus dem Nichts auf. Auf dem kleinen Berliner Label Blaou setzen sie ihre Debüt-Single "If I Had Know This Before" …

laut.de-Porträt Superpunk

Gute Rckbands aus Deutschland gibt es wie Sand am Meer: Tocotronic, Blumfeld, Kante, Tomte, Boxhamsters, ... But Alive, EA 80 - die Liste ist lang. Doch …

laut.de-Porträt Anajo

Der bessere deutsche Gitarrenpop kam lange Zeit aus Bayern. Nicht mehr Hamburg sondern Ingolstadt und Würzburg heißen in den Nullerjahren die neuen …

laut.de-Porträt Fehlfarben

Deutsche Texte gelten seit der Nachkriegszeit lange als Domäne der Schlagermusik, mit der die jüngere Generation nichts am Hut haben will. Erst in den …

laut.de-Porträt Lucky Fish

Regelmäßige Mahlzeiten. Kein Stress. Ruhiges Leben. Glücklich ist der Fisch im Goldglas. Mit 18 hat man andere Dinge im Kopf. Vier Münchner Jungs …

21 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    "In Märkten wie England besitze Musik ohnehin noch einen "viel höheren Stellenwert als hier". "

    Das ist billigste Übertreibung und Schwarz-weiß Malerei. Nur weil keiner in Standort A auf eine scheißlangweilige Band X steht, sie aber in B super gefragt ist, heißt das nicht dass B Musik als ganzes "höher wertschätzt".
    Wäre Gunther Buskies im Vorstand von Nestlé würde er wohl auch so argumentieren: Reis verkauft sich in China besser als in Deutschland, ganz klar liegt hier das Problem im deutschen Volk das Nahrung ganz einfach nicht genug wertschätzt.

  • Vor 14 Jahren

    Survival of the fittest.
    Is doch alles wunderbar :)

  • Vor 14 Jahren

    WOZU braucht man denn labels überhaupt?? ich kaufe meine musik bei Karstadt oder nehme sie auf kassette aus dem radio auf!!