Die Ex-SXTN-Rapperin beschreibt ihren Weg "vom Asylheim in die Charts" und entwickelt sich dabei selbst zum Role Model.

Wuppertal / Berlin (dani) - Nura! Das wäre doch eine Rapperin gewesen, die man statt Beauty-YouTuberinnen und Soap-Darstellerinnen für "Das ist Germania" hätte befragen können. Vielleicht aber ganz gut, dass das nicht passiert ist: So hat Nura Habib Omer ihre Geschichte (mit ausgesprochen dezenter Hilfe von Jan Wehn, sein Name steht lediglich im Kleingedruckten) selbst erzählt. Genug erlebt, um damit ein eigenes Buch zu füllen, hat sie jedenfalls locker: "Weißt du, was ich meine?" (Ullstein, Paperback, 208 Seiten, 15,99 Euro).

Geboren als Kind eritreischer Eltern in Kuwait, verschlug es Nura als Dreijährige zusammen mit ihrer Familie nach Wuppertal. Sie selbst zog später nach Berlin, wo sie erst in den Reihen der Toten Crackhuren im Kofferraum und des Berliner Kneipenchors, dann als eine Hälfte von SXTN, und noch etwas später solo eine steile Karriere hinlegte. Inzwischen adelte die Süddeutsche Zeitung Nura zur "Königin des Rap" und bezeichnet sie als "eine der wichtigsten Stimmen im deutschen Hip Hop".

Trotzdem!

Um sie und ihren Werdegang spannend zu finden, muss man diesen Superlativen nicht zustimmen, schon gar nicht uneingeschränkt. Nura ringt einem aber, unabhängig davon, ob man sie nun für eine begnadete Rapperin hält oder nur für so mittel-begabt, durchaus erhebliche Bewunderung ab. Die Voraussetzungen, unter denen sie erreichte, was sie zweifellos erreicht hat, sahen nämlich nicht gerade rosig aus. Ihre Geschichte überschreibt deshalb allem voran ein Wort: trotzdem.

Nura hat es trotzdem geschafft. Obwohl sie auf vielen Ebenen kennen gelernt hat, wie es sich anfühlt, nicht mitmachen zu können oder zu dürfen. Immer und immer wieder stieß sie an Grenzen. Als Schwarze in einem weißen Umfeld gehörte sie, weithin sichtbar, nicht dazu. Im finanziell klammen Verhältnissen aufwachsend, konnte sie sich oft nicht leisten, was Altersgenoss*innen selbstverständlich erschien. Als Tochter in einer muslimischen Familie galten für sie andere, strengere Regeln als für ihre Brüder. Als Muslime hatten die Omers zudem nicht nur im "christlichen Abendland", sondern auch in der vorwiegend dem Christentum anhängenden eritreischen Exil-Community Außenseiterstatus inne.

Nura wurde Punk (geht nicht!), Rapperin (geht gar nicht!), trank und kiffte und outete sich obendrein als bisexuell (geht ganz und gar und überhaupt nicht, in den Augen derer, die sich für die Hüter von Anstand und Sitte halten): alles Schritte, die Eltern-Kind-Beziehungen schon auf die Probe stellen, ohne dass noch Gefühle von Entwurzelung und der ständige Spagat zwischen zwei Kulturen hinzukommen.

Einfach so passiert

In "Weißt du, was ich meine?" beschreibt Nura ihren Weg von Kuwait nach Deutschland, die Stationen Asylbewerberheim, elterliche Wohnung, betreutes Wohnen bis in die Selbständigkeit. Sie berichtet von Mobbing, Ausgrenzung, Spannungen mit der Mutter, Depression, aber auch davon, seinen Zielen nachzujagen, durchzuhalten und am Ende zu triumphieren.

Verluste klammert Nura dabei nicht aus. Sie erzählt vom Tod ihres Großvaters und dem ihres Freundes Sam. Sie bringt das Zerbröseln der Freundschaft mit Juju und die Trennung von SXTN zur Sprache, ohne dabei groß schmutzige Wäsche zu waschen. Stellenweise fegt das Buch etwas zu rasant über die wirklich interessanten Stellen hinweg. Was genau zur Aussöhnung mit der Mutter führte oder wie genau Nura ihre Depression in den Griff bekam, verrät es nicht. Es scheint, wie vieles in diesem Leben, einfach so passiert zu sein.

Danke, Aaliyah. Danke, Arabella.

Ganz, ganz deutlich zeichnen sich nach der Lektüre aber zwei Erkenntnisse ab. Erstens: Positive Rollenvorbilder, denen ein kleines, schwarzes, armes, queeres Mädchen nacheifern kann, sind wahnsinnig wichtig. Danke, Aaliyah. Danke, Arabella Kiesbauer. Zweitens: eine irre sympathische, willens- und meinungsstarke Person ist das offenbar, diese Nura. Inzwischen liefert sie selbst ein positives Rollenvorbild, von dem kleine, schwarze, arme, queere Mädchen nur profitieren können - genau wie alle anderen auch.

Fotos

SXTN

SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger) SXTN,  | © laut.de (Fotograf: Lars Krüger)

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