Der "Boss" macht Loser zu unsympathischen Losern: mit Widersprüchen, Halbwahrheiten, Binsenweisheiten und sexistischer Kackscheiße.

Düsseldorf (dani) - Wenn jemand Thilo Sarrazin von Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste verdrängt, klingt das zunächst einmal nach einer guten Sache. Nach der Lektüre von "Das ist Alpha! Die 10 Boss-Gebote" (riva, 256 Seiten, gebunden, 22 Euro) bin ich mir nicht mehr so sicher. Genauer gesagt, kommen mir Bücherverbrennungen plötzlich wie eine gar nicht einmal so dumme Idee vor. Ein ganz neuer Gedanke, Kollegah sei Dank.

"Dieses Buch wird von der Presse nicht geliebt werden, ja, vielleicht sogar zerrissen", geriert sich der Erlasser der "10 Boss-Gebote" gleich im zweiten Absatz seiner einleitenden "Ansage" als Prophet. Das liegt selbstverständlich nicht an den Unzulänglichkeiten und Halbwahrheiten, nicht an den Banalitäten und Binsenweisheiten, nicht an den fortwährenden Widersprüchen und schon gar nicht am himmelschreienden Sexismus, mit dem Kollegah (oder der Mensch, den er vermutlich gut dafür bezahlt hat und der schlau genug war, nicht darauf zu bestehen, dass sein Name auf dem Cover steht) 256 Seiten füllt (soviel zum Rat "Sei keine Laberbacke!").

"Ein selbstbewusstes MÄNNER-Buch"

Nein, wenn dieses Buch bei den Rezensenten schlecht wegkommt, liegt es daran, dass "ein selbstbewusstes MÄNNER-Buch in einer vermehrt androgyn gewordenen Gesellschaft" "den verweichlichten Pressepussys selten schmeckt". An dieser Stelle möchte ich auf Seite 139 verweisen. Unter der Überschrift "Die Schuld liegt immer bei dir" heißt es da: "Der erste Schritt muss immer der sein, dass du nicht wie eine Muschi herumheulst und den Fehler bei anderen suchst ... Vergiss das! Wenn du eine Schlappe erleidest, dann bist zu 99,99 Prozent du allein derjenige, der dies zu verantworten hat." Eine Vorstellung, an die sich Kollegah entgegen seiner eigenen Empfehlung noch nicht gewöhnt zu haben scheint.

"Das ist Alpha!" lässt sich nun aber beim besten Willen nicht als erlittene Schlappe kleinreden. Kollegah führt mit seinem Buch nicht nur die Bestsellerliste des Spiegels an, sondern steht auch in den Amazon-Verkaufscharts auf Platz eins der Rubriken "Musikbuch Rap", "Musikbuch Pop" und "Ratgeber". Allgemein unter "Bücher" findet sich sein Konvolut auf Platz zwei - gleich hinter dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Diese Werbung scheint also nicht gerade eine verschwindend kleine Zielgruppe anzusprechen:

Die Transformation vom "Lauch" zum "Alpha" und von da den Aufstieg zum "Boss" erhoffen sich die Käufer dieses Buches offenbar. Nun, Menschen, denen erst ein Rapper erklären muss, dass es ratsam ist, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und ab und zu ein Buch zu lesen, seinen Scheiß auf die Reihe zu kriegen, sich einigermaßen ordentlich anzuziehen, wenn man Erfolg haben will, und sein Geld zusammenzuhalten, wenn man reich werden möchte, solche Menschen brauchen vermutlich tatsächlich dringend Hilfe. Wenn dem einen oder anderen solche Selbstverständlichkeiten weiterhelfen, wäre das eigentlich zu begrüßen.

Was Großmutter längst wusste

Das Problem an der Sache ist nicht, dass Kollegah Ratschläge verkauft, die man von der Großmutter geschenkt bekommen hätte, hätte man ihr nur fünf Minuten zugehört. Das Problem ist die wirklich ekelhafte überkommene, verächtliche und vor allem misogyne Grundeinstellung, die er mit seinen Allgemeinplätzen mitliefert.

Von der Natur der Frau

Gut, dass sich dieses Buch nur an Jungs richtet: Jede, wirklich JEDE Frau, die ich kenne, dürfte bei der Lektüre ernsthafte Blutdruck-Probleme entwickeln. "Frauen wollen Bosse." "Die Frau hat natürlich ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, aber der Initiator und Durchsetzer, der das letzte Wort hat, bist du." "Das Ganze hat nichts mit Unterdrückung zu tun. Es liegt einfach in der Natur der Frau, dass sie eine starke Schulter braucht, die sie führt und die ihr Sicherheit gibt. Egal, was die Emanzen von heute erzählen - Frauen wollen vom Mann geführt werden."

Beherzt zupacken

Das lassen wir mal sacken, bevor wir zum Thema "Händedruck" kommen, ein Thema, das ich persönlich besonders bemerkenswert finde, hatte ich doch das Vergnügen, Kollegah einmal die Hand zu schütteln. Es dürfte so um 2006, 2007 gewesen sein, und ich erinnere mich deswegen so gut, weil ich noch Jahre später über diese Begrüßung Marke Toter Fisch Witze gerissen habe. Insofern hat Kollegah (wie an vielen Stellen) also schon ein bisschen Recht, wenn er schreibt: "Ein gesunder, männlicher, fester Händedruck ist jedoch die beste Basis für ein privates oder berufliches Gespräch auf Augenhöhe."

"Bei Frauen ist es ähnlich." Ähnlich! Dasselbe kanns ja nicht sein. Mit einer Frau auf Augenhöhe zu sprechen, käme Kollegah offensichtlich nie in den Sinn. "Ob du einer Frau deine schlaffe Hand oder deinen schlappen Schwanz in die Hand legst, macht für sie keinen Unterschied." Entschuldigung, ich denke: doch.

"Wenn du einer Frau die Hand gibst, dann spricht auch nichts dagegen, deine zweite Hand auf eure zu legen, während du sie anlächelst. Eine kleine, aber feine Geste deiner Dominanz, die sie erkennen wird." Ich schwöre, die nächste arme Sau, die das (vermutlich sogar ohne Hintergedanken) tut, kassiert einen Uppercut.

Sobald "Das ist Alpha!" Verhaltensmaßregeln für den Umgang mit Frauen gibt, muss ich tatsächlich hart im Strahl kotzen. Unterschiede zu den in der Pickup-Artist-Szene praktizierten Strategien (mit denen ich mich erst in Zusammenhang mit diesem Buch überhaupt befassen musste, vielen Dank dafür!) lassen sich kaum ausmachen.

Nachprüfbarkeit: null

Seine Weltsicht rechtfertigt Kollegah mit "der natürlichen Rolle der Frau", wie er überhaupt ständig halbgare Analogien aus dem Tierreich ("der Silberrücken", "der stolze Löwe") bemüht. Immerfort behauptet er, dieses oder jedes sei "wissenschaftlich erwiesen" oder "von Forschern bestätigt". Überflüssig zu erwähnen, dass er keine einzige Studie beim Titel und keinen einzigen Wissenschaftler beim Namen nennt. Nachprüfbarkeit: null, man muss einzig auf das Wort des Bosses vertrauen.

An dessen Allwissenheit hege ich aber begründete Zweifel, spätestens nachdem er immer noch die Mär vom kleinen Feldherrn Napoleon wiedergekäut hat, obwohl längst ziemlich gut belegt ist, dass der sogar etwas größer als der Durchschnitt war. Darwins Evolutionstheorie hat Kollegah ganz offensichtlich auch nicht verstanden. Man muss aber ja schon froh sein, dass er sie inzwischen immerhin anzuerkennen scheint, nachdem er vor ein paar Jahren noch ganz etwas anderes in die Welt blubberte. Weil Fischen ja auch keine Beine wachsen, legt man sie an Land.

... aber was die Leute denken!

Um sich selbst zu widersprechen, dafür braucht Kollegah stellenweise nicht einmal eine Seite. Seite 87, Mitte: "Jeder Geschäftsmann wird dir sagen, dass Pflege und Schutz des eigenen Rufes eins der wichtigsten Dinge im Geschäftsleben ist." Seite 88, oben: "Ein Alpha lässt sich nur von seinen eigenen Ansichten und Prinzipien steuern. Die Meinung seiner Mitmenschen über ihn tangiert ihn kaum." Kollegah beschwört unentwegt die Maxime, ein Mann habe sein eigener Maßstab zu sein, nur um dann am laufenden Meter Tipps und Kniffe rauszuhauen, wie man in den Augen seiner Zeitgenossen möglichst gut dasteht. Der Zeitgenossen, deren Meinung ach so egal ist? In meinem Kopf tut sich gerade ein Wurmloch auf.

"Immer unzufrieden? Sehr gut!" Der Alpha, der Boss sein will, hat, scheint mir, nicht allzu viel Freude im und am Leben. Größer, schneller, weiter, mehr. Zufriedenheit ist der Feind, Gier ist gut, Erfolg ist mit Reichtum gleichzusetzen. Hat man den erst erreicht, muss man selbstverständlich auch etwas zurückgeben, jedoch stets unter dem berechnenden Blickwinkel, was dabei für einen selbst herausspringt. "Lächle nie zu oft und übertrieben, vor allem beim Kennenlernen einer neuen Person. Dies wird als Unsicherheit und Unterwürfigkeit gedeutet." Darüber, mit Verlaub, kann ich nur leise lächeln.

Der Quatsch zieht Kreise

Wirklich erschreckend allerdings, welche Kreise dieser pseudowissenschaftliche, rückschrittliche, seltsame Neo-Maskulinismus zieht. Ich habe inzwischen tatsächlich Menschen in meinem Bekanntenkreis, Männer, die ich im Grunde nicht für komplett verblödet halte, die den Sexismus in einem Satz wie "Egal, was die Emanzen von heute erzählen - Frauen wollen vom Mann geführt werden" nicht mehr erkennen können oder wollen. "Stimmt doch! Oder ist jetzt auch schon sexistisch, wenn man sagt, dass Frauen die Kinder kriegen?"

Kann sein - ich trau' es ihm intellektuell eigentlich zu - dass Kollegah seine Rolle als gottgleicher Alpha-Überboss mit einer gewissen Ironie spazieren trägt. Sollte dem, was ich inständig hoffe, so sein, hilft es leider gar nichts: Seine Jünger nehmen dieses Buch für bare Münze. Um das festzustellen, genügt ein Blick in die Kommentarspalten, in denen sich euphorisierte Leser in teils echt kreativer Rechtschreibung bedanken, als habe ihnen gerade jemand das Leben gerettet.

Diese armen, armseligen Jungs - an eine weibliche Leserschaft richtet sich Kollegah mit seinem "MÄNNER-Buch" ja explizit nicht - werden also fortan versuchen, ihren Reichtum nach der Milchmädchenrechnung "Investition: 2 + 1 = 3, Ausgabe: 2 - 1 = 1" (ja, das steht da wirklich!) zu erwirtschaften und zu mehren, nachdem sie ihren Leib nach den Regeln der "Bosstransformation" (Kollegahs Fitnessprogramm, das muss man allerdings extra kaufen) modelliert, sich von ihren Jogginghosen, ihren weibischen Kuschelrockplatten und ihren nutzlosen Schlurifreunden getrennt und das Wichsen eingestellt haben. Müssen sie dann ja angeblich nicht mehr, denn die Alten zum Wegknallen (ja, das steht da auch) kommen in Scharen und von alleine zu dem, der das "bosshafte Mindset" verinnerlicht und, vor allem, das Geld hat.

Träumt weiter! Ich prophezeie: Dieses Buch wird keinen einzigen Versager in einen Gewinner verwandeln. Aber es wird reihenweise unsympathische Versager in noch unsympathischere, weil jetzt auch noch großmäulige und frauenfeindliche Versager verwandeln. Womit Kollegah die Welt tatsächlich verändert hätte. Sie ist jetzt ein schlechterer Ort.

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Selbst schuld:

Kollegah - "Das ist Alpha! Die 10 Boss-Gebote"*

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Fotos

Kollegah

Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion)

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