30. April 2009

"Ich habe einfach eine alte Seele"

Interview geführt von

Die erst 23-jährige Melody Gardot gilt als Ausnahmetalent des Jazz. Im Gespräch mit laut.de reflektiert sie den Umgang mit ihrem schweren Unfall und erläutert persönliche Philosophien über Leben und Lieben.Unter dem wolkenfreien, hellblauen Hamburger Himmel wiegen sich sommerverheißende Brisen durch eine heitere Stadt-Atmosphäre. Ich bin auf dem Weg zum Interview mit Melody Gardot im Radisson SAS-Hotel. Wegen der gesundheitlichen Beschränkungen der Sängerin, verursacht durch einen schweren, unverschuldeten Unfall vor drei Jahren, der sie fast das Leben kostete, betrete ich die Lobby geschieht mit durchaus gemischten Gefühlen.

Im Vorfeld las ich von Interviews in abgedunkelten Zimmern und bin darauf vorbereitet, auf eine Künstlerin zu treffen, die mit allerlei körperlichen Handicaps zu kämpfen hat und sich vielleicht eher introvertiert präsentiert.

Vorab kannte ich Melody Gardot nur von den offiziellen Promotion-Fotos. Sie vermittelten, besonders durch die dunkle, undurchlässige Brille, den Eindruck einer vielleicht distanzierten, gar kühlen und womöglich spröden Gesprächspartnerin.

Doch das Interview findet nicht in einem Hotelzimmer statt - sondern im angrenzenden, blühenden Stadtpark. Vor mir steht eine Frau mit leuchtender, wallend blonder Mähne, bekleidet mit einem romantisch verzierten Minirock. Ein Tuch ist um den Hals drapiert, und im Haar steckt eine Blumenblüte. Die Brille ist dezent getönt und offenbart aufmerksame Augen. Melody sagt "Hallo", reicht mir die Hand mit einem offenen, einladenden Lächeln.

Wir machen uns kurz bekannt, und sie schlägt vor, tiefer in den Park zu gehen, um das Gespräch auf einer ruhig gelegenen Bank zu führen. Nichts in ihrem sanften Gang ließe auf die Folgen ihres Unfalls schließen, wäre da nicht der Gehstock, der sich in den Sand des Kieswegs senkt. "Schau," sagt sie nach kurzer Zeit, und deutet in eine kleine, von alten Bäumen umsäumte, verschwiegene Ecke, "das wäre doch ein schöner Platz!" Vor der Bank leuchtet ein üppiges Blumen-Arrangement, von irgendwo plätschert ein kleiner Wasserlauf, und wir setzen uns.

Ist es richtig, dass du bereits mit 16 Jahren in Piano-Bars spieltest?

Ja, das stimmt. Ich besuchte damals - mehr zufällig - ein solches Restaurant, und der eigentliche Piano-Spieler war erkrankt. Wie wohl jeder junge Mensch denkt man oft darüber nach, vielleicht nebenbei etwas Geld zu verdienen. Darum kam mir, als ich den leeren Flügel bemerkte, die Idee: "Warum nicht einfach mal fragen"? Ich tat es und erhielt probeweise die Gelegenheit, ein kleines Set zu absolvieren. Danach kam der Besitzer auf mich zu und meinte: "Wie ist es, willst du bei uns spielen? 100 Dollar für vier Stunden die Woche?" 100 Dollar - ich habe natürlich sofort zugesagt! So spielte ich dann jedes Wochenende an einem Abend. Das habe ich dann gemacht, bis ich 19 war.

Als Teenie warst du also schon sehr vertraut mit dem klassischen American Songbook. In diesen jungen Jahren hört man doch zumeist 'frischere', angesagtere Stile wie z.B. Hip Hop, und nicht so etwas - vermeintlich - Gestriges.

Ich glaube, ich habe einfach eine alte Seele. lacht Manchmal denke ich, tatsächlich zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, was Musikvorlieben und andere Dinge anging. Ich liebte einfach schon in ganz jungen Jahren diese besondere Musik mit Seele - nicht reine Soul-Musik, obwohl ich die ebenfalls sehr schätze - eben so Sachen von Janis Joplin, Leonard Cohen, The Mamas And The Papas, Perry Como, Lionel Hampton, Frank Sinatra ... da ging vieles zusammen. Ich finde, richtig gute Musik ist unabhängig vom jeweiligen Genre. Sie muss einfach nur gut sein, mehr braucht es nicht. Ich hörte in jungen Jahren diese Songs, und sie haben mich für immer berührt.

Ja. Ich erinnere daran dass mein erstes richtiges Lieblingslied - das ich so mit sieben oder acht Jahren hörte - "Strangers In The Night" war. Solche Lieben halten ewig.

Genau! Es ist für mich ein großartiger Song, auch wenn Frank ihn persönlich - geht man nach manch Überlieferung - gar nicht so schätzte.

Du machst das, was man als 'leise Musik' bezeichnen kann. Entspricht das irgendwie auch deinem ganz persönlichen Naturell? Oder gibt es irgendwo eine 'laute' Melody?

Wohl tatsächlich nicht, doch das bedeutet in keinster Weise, das ich scheu oder schüchtern bin. Doch nehmen wir etwa Stimmungen zum Beispiel, und tauchen sie in Farben: dann ist das manchmal schon so, dass um mich herum alles kräftig leuchtet, gelb, grün und rot; aber ich verbleibe dann trotzdem oft in einer Art Blue Mood.

Zu deinem Unfall, der ja, so furchtbar er war, untrennbar mit deiner künstlerischen Entwicklung verknüpft ist. Als Außenstehender ist es sehr schwer, tatsächlich ernsthaft nachvollziehen zu können, was da in so einer Zeit in einem Selbst vorgeht. Wie gestalteten sich die langen Monate im Hospital, was bedeutet das für Herz und Seele?

Es war eine lange Zeit der Entdeckungen in einem Selbst. Man verarbeitet zunächst, was tatsächlich mit einem geschehen ist; wie es vielleicht weitergehen kann, was sich konkret ändert, und auch, was nie mehr so sein wird, wie vorher. Es klingt merkwürdig, aber neben dem, was man verliert durch eine derartige Situation, gewinnt man auch etwas. Etwa, was die ganz persönliche Lebenseinstellung angeht. Man erlangt, wenn auch ungewollt, einen ganz anderen Grad von Reife, und einen anderen Blick auf das Leben. Man wird gelassener, und findet einige tatsächliche Wahrheiten. Oft glaubt man vorher, dass drüben, auf der anderen, zunächst unerreichbaren Uferseite, das Gras stets und immer viel grüner ist. Plötzlich versteht man, dass das nicht immer der Fall ist.

Es ist tatsächlich so, dass ich vor rund drei Jahren nicht mehr richtig sitzen konnte, nicht mehr richtig sprechen; all diese ganz schlichten Dinge. Das heißt, ich hätte vor dir gesessen, der Verstand funktioniert, aber ich wäre unfähig gewesen, das dann in Worte umzusetzen. Aber Musik hilft! Sie hat mir geholfen, verschollene Pfade wiederzuentdecken, mich wieder im Leben einzufinden, Stück für Stück. Es ist, in meinem Falle, ein ganz schwierig zu beschreibender Prozess, der da in meinem Inneren ablief. Im Laufe der Jahre lernte ich auch, bis heute, all das Negative, dass durch den Unfall entstand, zu verarbeiten. Doch es ist eben ein noch immer andauernder Prozess. Oft fällt es auch mir schwer, zu glauben, was in den Jahren mit mir geschah, aber es ist auch an der Zeit, manches einfach zu vergessen.

"Ich fühle mich momentan wie auf Wolke sieben"

Mit deiner künstlerischen Arbeit erntest du, was positive Resonanz angeht, ein wirklich sehr großes Echo. Wie gehst du damit um, mit all diesen Lobeshymnen selbst strengster Kritiker?

Natürlich ist das zunächst einmal großartig, aber ich bin - gern - noch immer sehr überrascht darüber. Die Sache ist eigentlich die: du öffnest dich der Welt, erlaubst anderen Menschen, dich zu entdecken, bei etwas, bei dem du wirklich dein Herz einbringst. Und sie nehmen es auf, geben dir eine Chance. Das ist eine ganz besondere, wundervolle Erfahrung. Irgendwie ist es wie bei einem Koch, der sich die Mühe gibt, für seine Gäste das perfekte Mahl zusammenzustellen. Und dann, eines Tages, gelingt es dir - und stellst fest, dass die Gäste deine Einschätzung ebenfalls teilen. Oder da ist ein Maler, der seine Visionen auslebt, und entdeckt, dass das, was er erschafft, Welten in anderen berührt, sie sogar anstößt zu ganz eigenen Dingen. Das Geschenk für dich selbst dabei - ob als Koch, Maler, Musiker oder sonst etwas - ist also das, was durch dein Tun zu dir an Wunderbarem zurückkommt. Was also insgesamt passiert, wenn du wirklich mit ganzem Herzen und ganzer Seele hinter etwas stehst.

Vergleiche sind, gerade als junge Künstlerin, nie weit, wenn man sich zum ersten Mal präsentiert. In deinem Falle werden z. B. die Namen Norah Jones und Diana Krall genannt. Meinst du, das ist als schmeichelhaft zu interpretieren?

Nun, wir sind sicher sehr unterschiedlich. Wir mögen alles Malerinnen sein, um wieder diesen Vergleich anzubringen, aber ich ich glaube, wir mischen unsere Farben auf sehr unterschiedliche Weise.

Da du gern die Malerei als Vergleich anbringst: Betätigst du dich auch auf diesem Gebiet?

Ja, aber eigentlich mehr für mich selbst. Ich mag die Atmosphäre während des Malens, aber ich glaube, ich bin nur so etwas wie ein Schatten von etwa Monet. schmunzelt

Du bist das erste Mal in Europa?

Nein, ich war bereits einmal in Paris, aber das war lange vor meiner Plattenveröffentlichung. Aber das ist mein erstes Mal in Deutschland, mein erstes Mal in Holland, in England, Schottland, da sind noch Belgien, Österreich ...

... in Abwandlung eines Jules Verne-Romans "Around the World In 30 Days"? ...

lacht Ja, es ist tatsächlich so! Aber es gefällt mir! Irgendwie fühle ich mich momentan wie auf Wolke sieben mit allem, was passiert, gerade in diesen Besuchstagen. Es erscheint mir auch wie eine Art Erwachen, mit all diesen Eindrücken und Begegnungen. Schau dir einfach den heutigen Tag an, und wo wir sitzen: Ist es nicht wundervoll? Dieser Tag ist irgendwie perfekt, eigentlich der schönste, den ich bislang in Europa erlebt habe. Ich mag die Natur in diesem wunderbaren Park, sie erinnert mich an meine Jugend. Ich bin aufgewachsen mit einem großen Garten, und brauche auch heute Natur um mich herum. So gesehen, in diesem Moment: Ich liebe Hamburg! Auch wenn es zeitlich alles ein wenig zu kurz ist, fühle ich mich sehr zuhause hier in Europa, da liegt irgendwie eine besondere Energie in manch Dingen.

Das mag auch daran liegen, dass deine Großmutter aus Polen stammt?

Vielleicht ... Woher weißt du das? Woher hast du das erfahren?

Nur ein wenig gelesen im Vorfeld ...

Unglaublich. Ich habe anscheinend überhaupt keine Ahnung, was so alles über mich veröffentlicht wird!lacht

Sind dir eigentlich deutsche Künstler ein Begriff? Etwa Marlene Dietrich ...

Oh, ja, natürlich! Marlene! Marlene ... "Der Blaue Engel", welch ein Film! Und da war dieses Lied, "Lola"...

"Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison ..."

Melody fällt mit ein, und wir singen ein paar Takte gemeinsam, bis sie zu einem mir unbekannten französischen Chanson Marlenes wechselt

Und wie steht es mit Hildegard Knef, bzw. Hildegarde Neff? Sie hatte in Filmen wie "Schnee am Kilimandscharo" mit Gregory Peck gespielt, und eine erfolgreiche Broadway-Zeit mit dem Cole Porter-Musical "Silk Stockings".

Nein, ich kenne sie nicht. Aber das bedeutet, dass ich sie kennenlernen muss!

"Liebe bedeutet ewige Suche"

Wenn ich deine Songs - und Texte - höre, fällt mir auf, dass es sich sehr oft um das gute alte Thema "Liebe" dreht ...

.... oh, es ist ein echtes Four Letter Word! ...

... was ist deiner Meinung nach die wahre Bedeutung von Liebe?

(Pause)

Eine schlechte Frage?

Oh nein, nein! Es ist eine sehr gute Frage, denn du bringst mich wirklich zum Nachdenken. Warte ... die Bedeutung von Liebe ... ich denke, es ist wie eine Situation, die Joni Mitchell in "Both Sides Now" beschrieben hat. Liebe ist - für mich - so unterschiedlich; bedeutet es, etwas Bestimmtes für jemanden zu machen, oder einfach nur zu sein, wie man ist? Ich kenne eine Menge Leute, die danach suchen - es ist vielleicht eine ewige Suche - aber niemand kennt irgendwie irgendeinen richtigen Weg. Gestern bin ich ebenfalls hier im Park spazierengegangen, und ich kam zu einem kleinen See, in dem schwammen dicht beieinander sechs Schwäne. Fünf zogen gemeinsam weiter, doch einer löste sich aus der Gruppe und kam auf mich zu. Ich rief "Ich bin genauso allein wie du!", und ich glaube, da war für einen Moment so etwas wie Seelenverwandschaft und ... Liebe. lacht

Später besuchte ich eine kleine Sushi-Bar, wo nur ein Mitarbeiter, also der Koch, für alle Gäste da war. Und wie er es machte! Ich beobachtete seine Art der Zubereitung, du spürtest ganz genau die Hingabe, und die echte Liebe, die er zu seiner Arbeit, seiner Kunst empfand, das war in jedem Moment spürbar. Und deshalb natürlich später auch beim eigentlichen Essen.

Du schätzt Sinatra sehr. Was ist es genau, was dich an ihm - und seiner Musik - fasziniert? Hat er dich vielleicht sogar beeinflusst?

Zunächst einmal ist Sinatras Kunst einfach wirklich nur unglaublich cool. Er hatte echten Stil, und echte Klasse, ebenso wie - als Schauspieler - Humphrey Bogart, der ebenfalls oft genug einfach nur unglaublich war.

Da rennst du offene Türen bei mir ein. Ich bin auch ein Riesen-Anhänger von Bogart, allein "Casablanca" - mit "Ich seh' dir in die Augen, Kleines ..."

Oh ja, ja! Es ist so wundervoll! Diese ganzen besonderen Momente in dem Film ... hmm ... Du magst Frank, Marlene, Bogey ... wir haben dieselben Vorlieben, das gefällt mir. - Ich erzähle ich dir etwas, aber du musst es für dich behalten. Versprichst du es?

Aber ja, natürlich!

Melody setzt sich näher zu mir, schaut ernst und hebt die rechte Hand. Ihren Finger hält sie leicht angewinkelt, und bedeutet mir, es ihr nachzutun. Unsere Hände finden zusammen, sie sagt: "Schwöre!" Ich schwöre, und Melody erzählt mir ein kleines, persönliches Geheimnis. Das ich an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten werde - aber diese kleine Anmerkung, darüber zu schreiben, gestattet sie mir auf Nachfrage augenzwinkernd.

Die angesetzte halbe Stunde Gesprächszeit ist längst vorbei, und Melodys Mitarbeiter bedeutet uns aus der Ferne, dass bereits der nächste Termin wartet. Wir verabschieden uns voneinander, und nehmen getrennte Wege. Ich schaue nach ein paar Metern noch einmal zurück auf die versteckte Bank im blühenden Park - außer mir ist weit und breit niemand zu entdecken.

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