4. Juli 2018

"Sun Diego soll die Fresse halten!"

Interview geführt von

Als Battle-Rapper erarbeitete sich Mauli den Ruf des maskierten "Spielverderber", der sich genüsslich an den Schwächen der Hip-Hop-Szene labt.

Doch nach der Veröffentlichung seines Debütalbums diagnostizierte er eine "Deutschrap-Überdosis", die einen dringenden Entzug erforderte. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand reifte in ihm die Erkenntnis: "Wenn man sich nicht angreifbar macht, ist man meiner Meinung nach auch nicht greifbar."

Somit entledigte er sich für sein zweites Album "Autismus x Autotune" seiner Deckung, um weitgehend ironiefrei von der Liebe, der hyperkapitalistischen Musikindustrie und dem Leben in der Simulation zu erzählen. In Verbindung mit seinen selbst produzierten atmosphärischen Instrumentals und zielgerichtetem Autotune-Einsatz gelang dem Rapper erstmals eine Top-10-Platzierung.

Im Telefoninterview gibt Mauli Einblicke in seine Gedankenwelt. Er spricht reflektiert über die wenigen Höhen und zahlreichen Tiefen des Musikgeschäfts, die fehlende Unterscheidbarkeit zwischen Kunstfigur und Privatperson, den Irrglauben, dass sich alle Probleme mit Geld lösen ließen, und die Antwort auf die große Frage nach dem Sinn des Daseins.

"Ich musste raus / Ging kalt in den Entzug / Zwei Jahre keine Juice / Kein Interview mit Rooz" An welchem Punkt war dir klar, dass du eine Überdosis Deutschrap abbekommen hast?

Wahrscheinlich, als ich mich für meine Radiosendung vorbereiten musste, die ich mit Staiger habe. Da geht es auch immer um Wochenaktuelles aus der Rap-Szene. Zu einer Zeit, in der ich den Sommer über nicht so viel Rap gehört habe, fing im September die Radio-Sendung an. Als ich mich dann wieder informieren musste, ist mir aufgefallen, dass ich einen ganz schönen Bogen darum herum gemacht habe und mir das auch ganz gut gefallen hat.

Du trittst immer wieder als Szene-Kritiker in Erscheinung. Welche Entwicklungen der letzten Jahre haben dir denn gut gefallen?

Szene-Kritiker? Weiß ich gar nicht. Ich bin einfach einer der Wenigen, der seine Meinung sagt, wenn er nach danach gefragt wird. Einer, der nicht groß diplomatisch abwägt, mit wem er cool sein muss für die Klicks. Gute Entwicklungen? Ich finde auf jeden Fall eine gute Entwicklung, dass die meisten Rapper sich nicht auf irgendwen anderes verlassen, der ihre Promo übernimmt, nicht auf irgendein Label oder eine Promo-Agentur, sondern dass sie einfach über die sozialen Medien direkt in Kontakt treten. Das ist eigentlich eine gute Sache, weil man sich da relativ schnell als cooler oder als komischer Mensch entpuppen kann.

Du hast im Vorfeld der Veröffentlichung deines zweiten Albums ein Snippet zum fiktiven Album "Autismus & Autotür" veröffentlicht, in dem du aktuelle Trends von Mumble-Rap bis Afro-Trap veralberst. Welchen Hintergedanken hattest du dabei?

Ich hatte fast zwei Jahre keine Musik mehr herausgebracht und niemand hat mir geglaubt, dass ich was rausbringe, als ich gesagt habe: 'Bald geht's los, bald geht's los!' Wenn die Leute etwas hören, glauben sie mir vielleicht, dass es bald wieder losgeht. Dann hatte ich die Idee, ein Snippet herauszubringen, aber hatte noch nicht alle Songs fertig. Dann dachte ich, na gut, ich könne ja so ein Spaß-Snippet machen. Es war nicht so, dass ich mir spezielle Opfer ausgesucht habe, die ich parodieren wollte, sondern es war eher die Inflation an oberflächlicher Musik, die mich dazu angespornt hat. Ich dachte, das schreibt sich so schnell runter, davon kann ich auch zehn Stück machen. Das habe ich dann innerhalb von zwei Tagen gemacht und direkt hochgeladen.

In einem Kommentar zum Snippet hieß es: "Wenn er weiter die Ironieschiene fährt, dann kann ich ihn nicht mehr ernst nehmen. Irgendwann ist der Bogen überspannt." Als hättest du es gelesen, erscheint das Snippet eher als Finte, immerhin bricht "Autismus x Autotune" mit deiner etablierten sarkastischen Art. Wie bist du an diesen Punkt gelangt?

Den Kommentar kann ich insofern nachvollziehen, weil das ja mein erstes musikalisches Lebenszeichen seit über einem Jahr war. Deshalb verstehe ich, dass Leute sagen: 'Eineinhalb Jahr nichts abliefern und dann mit sowas Ironischem um die Ecke kommen?' Aber das Snippet war eher ein spontaner Jux. Dass ich überhaupt noch mal etwas hochlade, war zu dem Zeitpunkt auch nicht so selbstverständlich. Ich habe immer mal angekündigt: 'Jo, am 17. März geht es weiter! Dann kommt was raus.' Da habe ich mir einfach nur irgendwelche Daten ausgedacht, um die Leute bei der Stange zu halten.

Um noch mal auf den Punkt zu kommen, dass du dich von der Ironie weg bewegst. Du hast gegenüber der "Juice" gesagt: 'Wenn man sich nicht angreifbar macht, ist man meiner Meinung nach auch nicht greifbar." Ist diese Greifbarkeit eine Grundvoraussetzung für gute Kunst?

Es gibt auch sehr viele Künstler, die ich nicht so richtig greifen kann, die ich sehr interessant finde, aber für mich funktioniert es auf jeden Fall nicht. Ich hatte keine Lust, ein krasses Doppelleben zu führen. Dadurch, dass ich mich jeden Tag damit befasse und alles, was ich mache, irgendwas mit meiner Musik zu tun hat, kann ich nicht sagen: 'Das ist meine Kunstfigur, die sich gewisse Sachen erlaubt und einfach so drauf ist.' Da fließt schon einfach alles rein, was mich beschäftigt. Die Gedanken, die ich mir mache, lasse ich in die Produktion und die Texte einfließen. Ich habe lange nur Sprüche geklopft und Aufmerksamkeit erzeugt, aber jetzt möchte ich auch etwas von mir preisgeben. Es hat lang gedauert, weil ich mir nicht so sicher war, wie das von Leuten aufgenommen wird, die das letzte Album total gut fanden. Es ist schon ein bisschen was anderes und man weiß natürlich nicht, wie sie darauf reagieren. Im Entstehungsprozess ist mir jedoch klar geworden, dass es der nächste Schritt sein muss, etwas tiefer blicken zu lassen. Als es dann soweit war und das Album herauskam, hat es sich einfach nur richtig angefühlt.

In "Manchmal" rappst du: "Manchmal ist der ganze Monat / Wie ein komplettes Déjà-vu / Lauf' durch die Nacht wie durch ein Spiel / Denk', es ist alles simuliert / Manchmal bin ich so gespannt / Auf den Twist am letzten Tag / Durch den alles einen Sinn macht / Und wir werden wieder Kinder." Mit diesem unwirklichen Gefühl und der fehlenden Fähigkeit Realität und Fiktion auseinander zu halten, bewegst du dich auf der Höhe der Zeit. Man spricht ja auch vom "Zeitalter der Simulation". Wie könnte der Ausbruch aus der Simulation gelingen?

Das ist eine gute Frage. Dieses Phänomen kommt wahrscheinlich viel bei Leuten vor, die das Gefühl haben, ihr Leben sei fremdbestimmt. Deswegen ist der einfachste Weg, sich selbst zu überraschen, etwas zu machen, womit man selbst nicht gerechnet hätte oder was andere nicht von einem erwartet hätten. Ich habe darauf immer noch keine Antwort gefunden. Manchmal kommt es mir vor, als wäre das ein riesiges Computerspiel, und als wäre ich in eine geskriptete Geschichte reingeschrieben worden. Als wären alle anderen nur Statisten, die mir nötigen Hinweise zuwerfen, damit ich auf etwas Neues stoße. Ein ganz komisches Gefühl. Deswegen freue ich mich so auf den letzten Tag, weil ich glaube, wenn man stirbt, wird man es spätestens wissen. Tod als Antwort darauf wie man ausbrechen kann, ist nicht so geil. Das klingt so ein bisschen, als würde ich zum Suizid einladen. Das tue ich aber gar nicht.

Du freust dich also auf den letzten Tag?

Ja, weniger weil es dann endlich zu Ende ist, sondern weil ich wirklich glaube, dass es dann wieder von vorne losgeht. "Wir werden wieder Kinder" ist auf die Wiedergeburt bezogen, weil ich relativ überzeugt davon bin, dass das Leben nicht linear abläuft, sondern dass das Wellen sind, hoch und runter, auf und ab, aus und wieder an. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir am letzten Tag Bescheid wissen werden, wo wir hier sind, was das alles ist. Ob das ein Planet ist, auf dem es vor 100 Millionen Jahren Dinosaurier und dann einen Kometen gab, oder ob das alles Quatsch ist. Wer weiß das schon? Ich denke, am letzten Tag weiß man es. Ich habe die Hoffnung, man kriegt dann ein übergeordnetes Bewusstsein. Dann kann man sich als Teil eines Ganzen verstehen.

Wenn du eine Antwort erwartest, würdest du dich dann dementsprechend als gläubig bezeichnen?

Gläubig nicht. An dieses Konzept, das ich gerade beschrieben habe, glaube ich schon halbwegs, aber das hat wenig mit Religion zu tun. Das ist einfach das, was ich mir über die Jahre zusammengereimt habe.

"Die Sorgen verschwinden ja nicht automatisch, wenn man Rechnungen bezahlen kann."

Auf dem Album kritisierst du die Ruhmsucht in der Rap-Szene. Fällt dieses Problem in die gleiche Kategorie? Nach dem Motto: Erst, wenn ich erfolgreich in der Öffentlichkeit stehe, existiere ich überhaupt?

Es ist ja die Klassiker-Geschichte, dass man auf einen Musiker oder Künstler stößt und denkt sich: 'Wow, der ist so jung, hungrig und hat Ideale, von denen er felsenfest überzeugt ist.' Und dann hat er damit nicht den Erfolg, den er verdient hätte. Ich glaube eben, dass es gar nicht immer das Beste ist, wenn jemand ganz schnell ganz viel Aufmerksamkeit kriegt. Die waren vielleicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, denken sich aber auch: 'Was ist denn das Rezept? Warum himmeln mich 100.000 Leute an? Warum kreischen auf meinen Konzerten 5.000 Leute? Was ist denn an mir besonders?' Künstler sind generell sehr selbstkritisch und haben selten ein riesiges Selbstwertgefühl. Es ist eher so, dass sie sich selbst hinterfragen und selbst zerfleischen: 'Das ist doch alles nicht geil, was ich mache. Was kann ich überhaupt?' Ich glaube, sowas gepaart mit schnellem Erfolg führt oft dazu, dass man komische Schlüsse daraus zieht wie: 'Ja gut, ich weiß nicht, was es ist, aber dann kriegen die das halt. Was jetzt erfolgreich geworden ist, mache ich nochmal und nochmal und nochmal.' Das ist ja eigentlich genau das Gegenteil von dem, wofür man als Künstler lebt. Sich weiter zu entwickeln, neue Einflüsse und Inspirationen zu finden, um daraus etwas noch Neueres zu schaffen. In der Rap-Szene ist es besonders peinlich zu erzählen, dass man kein Geld hat. Alle erzählen immer nur, nachdem sie vermeintlichen Erfolg haben: 'Übrigens zu der Zeit als ich den Porsche im Video hatte, hatte ich auch noch kein Geld.' Grim104 von Zugezogen Maskulin hat mal sehr schlau gesagt, dass in der Rap-Szene die Brokeness immer nur ein Zustand der Vergangenheit ist, den man überwunden hat. Das ist wirklich ein Syndrom in der Rap-Szene, dass keiner zugibt, dass er kein Geld hat. Alle holen sich Fake-it-till-you-make-it-mäßig Mietwagen und die Freundin von einem Freund ins Video und das sieht dann so aus, als hätten sie Geld für ein Model und ein teures Auto. Das ist halt Quatsch. Oft ist es dann auch so, dass die Leute, die erfolgreich sind, an ihrer Kunst nicht mehr allzu viel ändern und die Kuh melken, solange sie noch Milch gibt.

Du hast vorhin dieses Künstler-Klischee beschrieben, das vor allem von Malern und Schriftstellern bekannt ist. Ist das denn in der Rap-Szene auch so verbreitet?

Hundertprozentig. Es ist schwierig zu pauschalisieren, aber wenn man ein bisschen zwischen den Zeilen liest und Menschenkenntnis mitbringt, kann man sich Interviews jedes Rappers angucken und sieht, wo er von sich selbst nicht so überzeugt ist, wie er tut. Ich glaube generell, wenn man schaffende Kunst betreibt, bei der man vor einem weißen Blatt sitzt und sich denkt, theoretisch alles machen zu können, worauf man Lust hat, man total viel selbst hinterfragt und Selbstzweifel den Tag bestimmen. Natürlich kann man es auch, je nachdem wie viel Erfolg man mit sich bringt, ignorieren und sagen: 'Ja, wieso, läuft doch gut. Der Erfolg gibt mir recht.' Aber ich glaube, es gehört auch dazu, dass man selbst sein größter Kritiker ist, um sich anzuspornen, aus seiner Komfort-Zone heraus zu kommen und über sich hinaus zu wachsen.

Vielen Kollegen empfiehlst zu in "Halbe Molly" trotzdem aufzuhören: "Warum sagt dir niemand, der dich liebt, ins Gesicht. Du kannst viel, doch für dich ist Musik einfach nichts." Das klingt ja erst einmal nach den jahrelangen Kommentaren über "Deutschland sucht den Superstar". Unterscheiden sich viele Rapper gar nicht so sehr von den DSDS-Kindern mit schwacher Persönlichkeit?

Das Problem im Rap ist auch, dass man so schnell zu einer Crew gehört. Du hast dann leider oftmals eine riesige Entourage von Ja-Sagern darum herum. Wenn man das irgendwie seinen drei Freunden zeigt, die auch wollen, dass du Erfolg hast, dann erzählen, die einfach immer: 'Ja, ist cool, ist cool.' Es tut ja auch eher weh, einem Freund zu sagen, dass seine Musik scheiße ist, als einem fremden Typen zu sagen: 'Ey, schreib nochmal neu. Lass dir mal was Besseres einfallen. Mach mal lieber etwas anderes, das ist einfach nicht dein Ding.' Ich denke, dass es ein großes Problem ist, dass man Bestätigung kriegt und diese dann einfach so hinnimmt. Dann wächst daraus so ein Ego, das vielleicht gar nicht so unbedingt angebracht wäre.

Dennoch gibst du angehenden Rapper als Tipp mit auf den Weg: "Wenn du willst, dass es klappt/Nimm ein Stift und ein Blatt/Und am wichtigsten:/Sag niemandem etwas" Warum ist das von Bedeutung?

Das ist gar nicht nur auf Musik bezogen. Es ist generell eine Sache, die ich letztes Jahr gelernt habe, dass sobald man eine krasse Idee hat und diese zu viel herum erzählt, hält einen das erstens selber davon ab, diese wirklich umzusetzen, weil es einem zu viel Spaß macht, darüber zu reden, und wenn man das zu vielen Leuten erzählt, habe ich das Gefühl, dass die es dir gar nicht immer unbedingt wünschen, dass es funktioniert und eher schlechte Energien ins Spiel kommen, die dich bei der Umsetzung hemmen. Wenn du einen Plan in die Tat umsetzt, sind natürlich immer alle froh, wenn es klappt und erfolgreich wird, aber bis zu dem Tag, an dem es funktioniert, wollen alle, dass es nichts wird. Die denken sich: 'Warum soll der jetzt besser dastehen als ich? Warum hatte ich die Idee nicht?' Deswegen habe ich mich mein Album selbst produziert, mich in der Zeit eingebunkert und keinem großartig davon erzählt, wie weit ich bin.

Ein wiederkehrendes Thema ist auch Geld: "Denkst du, die erste Million beendet die Herbstdepression?" Woher kommt die Vorstellung, sich von Wohlstand Trost zu versprechen?

Ich habe es ja erlebt wie nervig es ist, wenn man kein Geld hat, immer mehr Rechnungen reinkommen und man sich denkt: 'Wo soll ich das jetzt hernehmen?' Aber die Sorgen verschwinden ja nicht automatisch, wenn man diese Rechnungen bezahlen kann. Es sind dann einfach andere Sorgen, die man dann hat. Ich glaube eher, dass man sich in dieser Hilflosigkeit mehr auf sich besinnt und sich mehr darüber bewusst wird, was man kann, und warum das alles wieder gut wird. Man muss sich motivieren, dran zu bleiben, um nicht völlig durchzudrehen. Sobald Geld da ist, denkt man, glaube ich, dass man sich damit alle Probleme vom Hals schaffen kann. Das schadet etwas dem Charakter. Die Vorstellung kommt größtenteils von Leuten, die Geldprobleme haben und sich denken, dass alles cool wäre, wenn sie die Mahnungen nicht bekommen hätten oder der Strom abgestellt worden wäre. Das ist einfach Quatsch. Natürlich hängt es auch damit zusammen, dass die Leute über die Social-Media-Kanäle auf Leute hereinfallen, die so tun, als hätten sie dreimal so viel Geld wie sie tatsächlich haben. 'Boah, die haben ja ein geiles Leben! Das ist alles so unbeschwert. Die gehen morgens auf der Yacht frühstücken, dann fahren sie zum Einkaufen in eine andere Stadt und dann gehen sie auf irgendeine Party, wo sie alles geschenkt bekommen. Das ist ja geil.' Das ist aber auch nur ein Zehn-Sekunden-Video aus deren Leben. Dass die sich dazwischen auch mit irgendwelchen Anwälten oder Steuerberatern herumstreiten und privat mit ihrem Umfeld Probleme haben, sieht man ja nicht. Das teilt ja keiner auf Instagram.

Dir selbst scheint Geld nicht allzu viel zu bedeuten, wenn du rhetorisch fragst: "Was interessiert mich Geld?" Wie erreicht man einen solchen Grad an Freiheit?

Das ist auf dem Track, auf dem ich Diebstahl glorifiziere. Wenn man nicht darauf angewiesen ist, Sachen zu bezahlen, stellt das ein geringeres Problem für einen selbst dar. Das gibt mir tatsächlich ein Gefühl von Freiheit, weil ich mir denke, dass andere Leute dafür 200 Euro bezahlen, aber ich es mir einfach nehme. Klar, gibt Geld einem die Möglichkeit, sich freier zu bewegen und eigenständiger durchs Leben zu gehen, aber das kriegt man auch ohne Geld gut hin.

"Autotune würde ich echt vermissen"

Du sprichst auch immer wieder davon, keinen Label-Vertrag zu haben und auch nicht haben zu wollen. Die Manager bezeichnest du als "Graue Männer", die den Unterschied zwischen Liebe und Geld nicht kennen. Welche Erfahrungen hast du in diesem Bereich gemacht?

Ich kam zu einer Zeit ins Rap-Geschäft, wenn man das so sagen möchte, als es wieder bergauf ging und alle das Gefühl hatten, dass da gerade was passiert und es eine neue Jugendgeneration gibt, die anscheinend genau auf diesen im weitesten Sinn 808-basierten Rap Bock hat. Bei meinem letzten Album habe ich gemerkt, dass die Resonanz sehr gut war. Sobald ein paar Videos draußen waren, wollten sich auf einmal irgendwelche Labels treffen. Dann ist man mit denen Essen gegangen und die machen einem die ganze Zeit nur schöne Augen, versprechen nicht wirklich etwas, sondern erzählen nur, sie hätten Mark Forster neulich eine halbe Millionen klar gemacht oder Sido hätte mit seinem letzten Song 60.000 Euro nur über Spotify verdient. Sie werfen die ganze Zeit mit großen Summen um sich und wollen, dass man sich denkt: 'Boah, krass, da bin ich vielleicht der Nächste und kriege vielleicht auch 60.000 für einen Song!' Aber wirklich interessiert sind sie auch nicht. Die wollen sich nur so viele Marktanteile wie möglich an dieser Szene sichern und denken sich, wenn es einer von 20 schafft, reicht das schon, um die anderen mit zu finanzieren. Wie die dann ihre Vorschüsse wieder reinkriegen, ist halt deren Problem. Das ist ein bisschen wie an der Börse: Lass uns den größtmöglichen Katalog aufbauen und wenn eine Nummer davon durchstartet, haben wir doch schon, was wir wollten. Da wird man nicht mit Priorität oder der Kunst entsprechend behandelt, geschweige denn respektvoll. Da wird nur geguckt, dass man so große Dollar-Signs wie möglich in den Augen hat, damit man einfach unterschreibt, was einem da vorgelegt wird.

Gut, aber es handelt sich ja auch um ein Gespräch über ökonomische Zusammenhänge. Wie würdest du dir so ein Meeting wünschen?

Ja, sicher, ich verstehe das schon. Man muss sowas nur zu einem Zeitpunkt machen, an dem man schon eine Position hat, dass sie einen überhaupt ernst nehmen. Es macht keinen Sinn als Newcomer einen Vertrag zu unterschreiben. In jeder Musikrichtung hat man am Anfang keine Ahnung von den Wegen, die man gehen kann, die einem offen stehen und die man vielleicht auch ohne Unterstützung alleine hinbekommt. Man hofft nur, dass irgendwer Großes kommt und am besten mit zwei, drei großen Namen herum wirft, und man denkt, alles klar, die wissen, was sie tun, ich weiß nämlich jetzt nicht, was ich jetzt tun müsste. Vielleicht regeln die das einfach. Aber dafür, dass man ein bisschen schneller wächst, ist es doch nicht sinnvoll, 80 % abzugeben. Das Rezept ist, das Wachstum so organisch wie möglich zu erhalten, um sich nicht zu verbrennen und nach ein, zwei Jahren von der Industrie ausgespuckt zu werden.

In "Vielleicht" vermutest du: "Für die Lieder, die ich schreib' / Leb' ich in der falschen Zeit" Woran machst du das fest?

Das ist die Erfahrung meiner letzten Releases, die zum Erscheinungsdatum immer ein bisschen gemischt aufgenommen wurden. Wenn die ersten Singles rauskommen, war das Feedback ohnehin immer Katastrophe. Mit der Zeit bekomme ich immer mehr Feedback: 'Ich habe es mir nochmal richtig angehört und jetzt fühle ich das auch richtig. Jetzt habe ich nur noch zwei, drei Songs, die ich skippe.' Und später heißt es dann: 'Jetzt habe ich die auch kapiert, sorry. Respekt, ich verstehe voll, was du gemacht hast.' Ich glaube nicht, dass 2030 auf einmal der große Hype losgeht und mein Frühwerk irgendwo ausgestellt wird. Das ist vielleicht etwas überspitzt, aber ich glaube schon, dass das Musik ist, die mit der Zeit ein bisschen wächst.

Mit der Autotune-Nutzung bist du ja am Puls der Zeit. Was machst du dabei anders als Andere?

Ich glaube, ich weiß, welche Töne ich singen will. Das ist schon mal ein riesiger Vorsprung. Ich höre, dass die meisten einfach Autotune draufpacken, dann rappen und sich einfach denken, es sei schon die richtige Tonart, irgendwas werde schon gut daran klingen, aber man kann nicht jeden Ton beliebig herum leiern lassen. Das klingt nicht automatisch gut, weil es in der richtigen Tonart ist. Ich glaube, dass Autotune deswegen generell in der Musikproduktion einen ganz schwierigen Stand hat. Ich verstehe, wenn das bei Pop-Sängerinnen kritisiert wird und man sagt: 'Wenn die ohne dieses Programm die Töne nicht trifft, ist das keine gute Sängerin.' Es ist eher etwas, was einem singen beibringen kann. Es ist ja nicht so, dass man sofort singen kann, wenn man den Effekt auf die Stimme legt. Es wird innerhalb der Tonart korrigiert. Wenn du einen Viertelton drüber singst, dann korrigiert es den nach unten, und wenn du einen halben Ton drüber singst, korrigiert es den nach oben. Wenn man eine Weile mit Autotune herumhantiert, wie ich das seit ein paar Jahren mache, dann kriegt man ein Gefühl für Tonabstände, für den Aufbau einer Tonleiter und dafür wie man seine Stimme bewegen muss, um einen ganzen Ton oder eineinhalb Töne nach oben zu kommen. Mir hat es bisher nur geholfen. Wenn es den Effekt morgen nicht mehr geben würde, würde ich ihn echt vermissen.

Was entgegnest du eigentlich SunDiego, wenn er behauptet, er hätte Autotune in Deutschland erfunden?

Soll die Fresse halten! [Lachen] Alle sollen die Fresse halten, die behaupten, sie hätten etwas in Deutschland erfunden, weil jeder nach Amerika guckt. Keiner braucht zu erzählen, er sei der erste, der etwas nachgemacht hat. Was ist das denn für eine Leistung? Das ist ja völliger Quatsch. Wenn sich in Amerika jemand darüber streitet, das erst bei Jennifer Lopez oder Cher gehört zu haben und es dann nachgemacht zu haben, dann freut es mich, dass du sehr früh dran bist. Cher könnte herum heulen: 'Diese ganzen Autotune-Rapper, ich habe das erfunden!' Aber Sun Diego? Die Musik, die er damals mit Autotune gemacht hat, war ja auch eine Katastrophe.

Er sagt auf dem Falco-Album "Sterben Um Zu Leben": 'Ich filterte die Szene, denn alle Rapper sind Sons von Sun.'

Ach Gott, alleine, dass er auf diesem Falco-Album irgendwas sagt, ist schon eine Frechheit. Ich fand diesen Song schon so eine Dreistigkeit. Wenn Falco noch leben würde, hätte er sich auf jeden Fall nicht darüber gefreut. Da bin ich mir relativ sicher.

Letzte Frage: Du überlegst zukünftig nur noch als Produzent in Erscheinung zu treten. Warum?

Das war mal eine Aussage, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Ich habe gerade eine Tour hinter mir und ich hatte so viel Spaß auf der Bühne. Ich muss das definitiv weitermachen. Die Aussage basiert darauf, dass mir Produzieren mehr Spaß macht als Texte zu schreiben. Texte machen mir Spaß, aber ich könnte jeden Tag produzieren. Zum Texte schreiben muss ich mich immer ein bisschen zwingen. Wenn ich mich dann gezwungen habe, ist es auch schön, macht Spaß und mir fällt wieder auf, warum ich das mache, aber Beats könnte ich jeden Tag fünf, sechs Stück machen. Ich bilde mir ein, ein Gefühl dafür zu haben, was einem Künstler liegt. Ich habe schon in Sessions gemerkt, in denen ich als Produzent agiert habe, dass ich Rappern und Sängern etwas über Songstrukturen beibringen und sie ein bisschen in eine bessere Richtung stoßen kann. Aber mir macht der Solokram zu viel Spaß, um ausschließlich für andere zu produzieren.

Danke schön!

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