7. Mai 2012

"Ich wollte, dass die Leute sich scheiße fühlen"

Interview geführt von

Es gibt Künstler, die weniger mit ihrer Musik als ihrem Image für Aufregung sorgen. Brian Hugh Warner alias Marilyn Manson reiht sich seit nunmehr gut zwanzig Jahren in die Riege derer ein, die irgenwie anders sind.Seine Anhänger nennen ihn liebevoll 'Reverend', während ihn andere seit dem Durchbruch mit dem Album "Antichrist Superstar" 1996 als Staatsfeind Nr. 1 betrachten und dem unnahbaren Antihelden bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor die Füße spucken.

Das lässt einen eh schon isolierten Geist noch mehr an der 'normalen' Welt da draußen zweifeln. Und so mündeten Aufeinandertreffen von Manson und Journalisten nicht selten in Drohgebärden, erhobenem Mittelfinger oder gar fliegenden Gabeln. Dementsprechend angespannt wirken viele der angereisten Schreiberlinge, die sich einen Tag vor der Echo-Verleihung im feudalen Foyer des Berliner Grand Hyatt Hotels eingefunden haben.

Auch die Verantwortlichen von Mansons Plattenfirma haben zu kämpfen, was letztlich dazu führt, dass zugesagte Gesprächszeiten kurzerhand um die eine oder andere Stunde verschoben werden. Selbst Medienprofi Markus Kavka und sein Kamera-Dreigestirn liefen wie die Hühner in der Lobby herum und fragten sich, wanns denn nun endlich mal losgeht.

Aufgrund des medialen Hypes wegen Mansons Echo-Auftritt mit Rammstein, und der Veröffentlichung seines Albums "Born Villain" kommt es dann zu mehreren so genannten Roundtables, da sich der Sänger ansonsten für mehrere Monate in seine Suite hätte einquartieren müssen, um jedem einzelnen Interviewer gerecht zu werden. So saßen wir mit sechs anderen Kollegen in dem eigens hergerichteten Raum für die Pre-Listening-Session als es zu vorgerückter Stunde endlich hieß: "Ladies and Gentlemen, Brian is ready."

Man führte uns in die erhabene Maybach-Suite - die mit imposantem Piano, Dampfsauna, Whirlpool und Designer-Möbeln ausgestattet und in abgedunkeltes Licht getaucht - genau jenen Rahmen bot, der der knisternden Spannung noch einen draufsetzte. Kurze Zeit später ist es dann soweit und ein schlaksiger düsterer Schatten bahnt sich torkelnd den Weg auf die Couch.

In gewohnt schwarzer Arbeitskluft, mit dick aufgetragenem Make-Up und einem Atem, der wohl so manches Alkoholmessgerät zum Bersten gebracht hätte, begrüßt er die Runde: "Hallo, ich bin Brian. Habt ihr mein neues Album gehört? Welches ist euer Lieblingssong?". Man einigt sich mehr oder weniger auf die Nummer "The Gardener", was Herrn Manson ein Lächeln abgewinnt: "Das ist lustig. Irgendwie lieben alle diesen Song. Nur meine Plattenfirma und mein Manager sehen das etwas anders. Deswegen wurde 'No Refelection' die erste Single. Aber egal, die Meinungen der Leute sind halt verschieden."

"Ich fühlte mich die letzten Jahre wirklich scheiße"

Noch bevor einer der Kollegen mit der ersten Frage in die Offensive gehen kann, beugt sich Manson nach vorne und holt tief Luft: Es folgt ein Monolog, der die komplette Interviewzeit in Anspruch nehmen soll und verwirrte Journalisten entlässt, die sich später eingezwängt im Fahrstuhl gegenüberstehen und nicht so Recht wissen, was sie von der letzten halben Stunde halten sollen. Dreißig Minuten saßen wir wie hypnotisiert einem Mann gegenüber, der nuschelnd vom Leid der Vergangenheit klagte, sich an zurück gewonnenem Selbstbewusstsein erfreut und für sein neues Album von der Zombie-Thematik inspirieren ließ.

"Ich habe mich die vergangenen Jahre wirklich scheiße gefühlt. Und all die Jahre wollte ich, dass sich die Leute genauso fühlen. Es ging mir nicht darum, die Leute fühlen zu lassen, sondern ich wollte ihnen mein Seelenleben aufzwängen. Das ist eine schlechte Herangehensweise. Aber so war es, ich war überzeugt davon. Man stellt sich jedes Mal hin und erzählt den Leuten, dass man mit dem Ergebnis zufrieden sei. Erst wenn man etwas Abstand hat, kommt man zu der Einsicht, dass es dämlich ist, Musik zu machen, damit sich die Leute beschissen fühlen. Das ist auch ein Anzeichen von geringem Selbstbewusstsein.

Heute sitze ich hier und fühle mich wohl in meiner Haut. Ich meine, ich stehe morgen mit Rammstein beim Echo auf der Bühne und werde mit ihnen 'The Beautiful People' performen. Das ist schon ein gutes Gefühl. Die Jungs sind klasse. Ich kann mich erinnern, wie ich vor vielen Jahren in einem David Lynch-Film ('Lost Highway') ziemlich derben Sex hatte, während Rammstein-Musik im Hintergrund lief (lacht).

Das neue Album ist ein Comeback für mich. Kein Comeback von den Toten und auch keine Wiederkehr im herkömmlichen Sinne. Ich war ja nicht zehn Jahre vom Erdboden verschluckt. Vielmehr ist es für mich ein künstlerisches Comeback, das mir dabei geholfen hat, wieder der Mensch zu werden, der ich einmal war. Das Album hat viel mit Verantwortung und Selbstbestimmung zu tun.

Ich habe in der Vergangenheit mit Aliens, Vampiren und anderen Elementen gearbeitet. Dieses Mal habe ich mich von der Zombie-Thematik inspirieren lassen. Ich liebe dieses Genre. Es geht mir dabei aber nicht so sehr um den Gore-Effekt, sondern eher um das Apokalyptische und das vermeintlich Aussichtslose innerhalb des Ganzen. Überall sind Zombies, und man ist allein mit anderen, völlig Fremden, plötzlich dazu verdammt, Verantwortung zu übernehmen. Wer nimmt das Ruder in die Hand und entpuppt sich als Führer der Gruppe? Wer läuft nur mit? Man muss sich arrangieren und sich der Situation stellen", erzählt der Sänger.

"Ich renne lieber weg"

"Ich bin froh und dankbar, dass ich eine Handvoll Leute um mich habe, die in all den Jahren zu mir gestanden und mich bei meinem Entwicklungsprozess unterstützt haben. Ich bin jetzt kein besserer Mensch geworden, es geht eher um Ehrlichkeit und das Eingeständnis zu sich selbst zu stehen. Du brauchst Menschen, die dir auf diesem Weg zur Seite stehen. Menschen, die den kleinen Hund, der jeden Tag auf den Küchenboden scheißt, darin bestärken, dass irgendwann mal der Tag kommt, an dem er sauber wird und weiß, wohin er seine Haufen setzen darf und wo nicht.

Es geht um das Potenzial und um den Glauben daran, dass das, was in einem schlummert, irgendwann auch mal zu Tage gefördert wird. Twiggy Ramirez ist beispielsweise einer dieser Menschen. Wir hatten eine Zeitlang keinen Kontakt, aber mittlerweile sind wir wieder wie Brüder. Er ist mein bester Freund, und er weiß, wann es an der Zeit ist, mir in den Arsch zu treten".

Manson nippt zwischendurch kurz am Glas, und kaum steht das Getränk wieder auf dem Tisch, fährt er unbeirrt fort: "Ich hatte einmal eine Beziehung zu einer Frau, mit der ich Schluss machen wollte, aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Ich müsse mich meinen Gefühlen stellen und ihr ins Gesicht sagen, was ich fühle, meinte Twiggy. Das hat mir geholfen, denn ich bin eigentlich ein Feigling, wenn es um so etwas geht. Ich renne lieber weg.

Die Leute denken immer, ich würde meine Probleme so lösen, wie ich auf der Bühne agiere. Da schreie ich, da zerstöre ich Dinge und gebe mich als testosterongeladener Macho mit Make-Up und Sadomaso-Klamotten. Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich im richtigen Leben anders mit Dingen umgehe. Ich bin beispielsweise keiner der rumschreit oder gewalttätig wird, wenn ich sauer oder angepisst bin. Ich werde eher ruhig. Je ruhiger ich werde, desto eher sollte man sich von mir entfernen", lacht Manson.

In dem Moment betritt die freundliche Universal-Dame den Raum und beendet den Spuk. Für jeden gibts noch einen persönlichen Handschlag vom Meister, ehe sich die imposante Erscheinung genauso torkelnd wie zu Beginn auf den Weg ins Nebenzimmer macht. Ja, der Marilyn Manson ist eben irgendwie anders.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Marilyn Manson

Der Vorname von Schauspiellegende Marilyn Monroe, den Nachname von Amerikas Scheusal Charles Mason entliehen: Von Beginn an setzt der Fotojournalist Brian …

1 Kommentar

  • Vor 8 Jahren

    ... dass die Leute sich scheiße fühlen ? - hab es am Beginn
    meiner MM-Erforschung gelesen, kann damit nicht viel an-
    fangen. - die meisten kommen doch aus Liebe zu seiner
    wilden Musik UND IHM - kann u. mag nicht glauben, dass sich
    gerade die Zuhörer scheiße fühlen sollen. - er hält der
    Gesellschaft den Spiegel vor - ob die Gesellschaft, die
    er meint, seine Musik hört ? --- fühl mich schon wieder
    scheiße ... Gute Nacht respective Guten Morgen