16. April 2014

"Wir sind keine Marionetten"

Interview geführt von

Neue Platte im Kasten, alte Weggefährten ausgestiegen, eine Amerika-Reise steht vor der Tür: Nein, die Langeweile dürfte Andrea Ferro erst einmal nicht ereilen.

Im Februar 2014 geht es im Leben von Lacuna Coil-Sänger Andrea Ferro unverhältnismäßig turbulent zu. Zwar hat seine Band gerade die Aufnahmen für ihr siebtes Album "Broken Crown Halo" erfolgreich abgeschlossen, doch sorgt der plötzliche Ausstieg von Cristiano Migliore (Gitarre) und Cristiano Mozzatti (Drums) für viele Sorgenfalten bei den Anhängern der Band. Obendrein kämpft ein Großteil der Combo mit den Nachwirkungen privater Probleme, die sich in den vergangenen zwei Jahren angestaut haben.

Zwei Tage bevor die Band zu einem dreimonatigen Amerika-Aufenthalt aufbricht, fahren die Gedanken im Kopf von Andrea Ferro Achterbahn. Ein neues Album, zwei Aussteiger und ein Vierteljahr fernab der Heimat garantieren Gesprächsstoff. Wir klingeln beim Frontmann durch und lauschen.

Hi Andrea, wie gehts dir?

Andrea: Gut.

So eine Antwort kommt einem via Telefon natürlich leicht über die Lippen.

Mir geht es wirklich gut (lacht).

Du hast gerade zwei langjährige Bandmitglieder verabschieden müssen. Wie kann es dir da gut gehen?

Natürlich bin ich traurig über das Ausscheiden der beiden Jungs. Aber wir haben uns im Guten getrennt. Sie wurden weder gefeuert, noch haben sie im Streit das Handtuch geworfen.

Was war denn nun genau der Grund für den Ausstieg der beiden?

Beide wollten einfach mehr Zeit mit ihren Freunden und Familien verbringen. Wir waren in den letzten Jahren unheimlich viel unterwegs. Das ist natürlich eine tolle Sache für eine Band. Allerdings muss man dafür in vielen anderen Bereichen Abstriche machen. Pizza (Cristiano Migliore) und CriZ (Cristiano Mozzati) war das irgendwann einfach zu viel. Das kann ich gut nachvollziehen. Daher werfe ich den Jungs nichts vor. Es war eine schwierige und emotional sehr aufwühlende Entscheidung, die keiner innerhalb der Band mal eben so zu den Akten legen konnte. Aber es muss ja auch irgendwie weitergehen.

The show must go on?

Genau. Zum Glück stecken wir mit der Band gerade in einer wichtigen Entwicklungsphase. Das hilft, das Vergangene leichter zu verarbeiten.

Ich habe gelesen, dass ihr in den vergangenen zwei Jahren ziemlich viel verarbeiten musstet. Was war los?

Das Leben war los, ganz einfach. Wenn der Vorhang fällt, haben Musiker mit denselben Problemen zu kämpfen wie Handwerker, Bäcker oder Beamte. Das ist nun mal so. Wir führen stinknormale Beziehungen, in denen es auch manchmal kracht. Trennungen, Schmerz und Leid sind auch bei uns Bestandteil des Lebens. Geliebte Menschen sterben oder entscheiden sich für einen anderen Lebensweg. Das ist bei uns nicht anders. In den letzten zwei Jahren mussten wir leider viele solcher Erfahrungen machen.

"Ich halte nicht viel von Vergleichen"

Klingt euer neues Album vielleicht auch aufgrund des erlebten Leids eine Spur düsterer als der Vorgänger?

Ja, auf jeden Fall. Ich denke, dass jedes Album auch ein musikalisches Spiegelbild der Phase ist, in der man sich gerade befindet. Wir haben diesmal versucht, all das Leid und den Kummer in einem atmosphärischen Mix aus Realität und Fiktion festzuhalten. Das Album hat sehr cineastische Züge. Dieser filmische Vibe war uns diesmal besonders wichtig. So durchschreiten die Songs eine gewisse Tiefe.

Abgesehen von dem etwas dunkleren Schleier, den das Album umgibt, geht ihr euren seit einigen Jahren eingeschlagenen musikalischen Weg konsequent weiter. Sprich: Paradise Lost meets Evanescence – so in etwa würde ich euer Schaffen mittlerweile kategorisieren. Es gibt Leute, die euch vorwerfen, dass ihr dieser Marschroute bewusst folgt, um in Amerika – dem Land, in dem ihr besonders erfolgreich seid – weiter im Gespräch zu bleiben. Was sagst du dazu?

Was soll ich dazu sagen? Es gibt immer Leute, die mit irgendeiner Entwicklung nicht zufrieden sind. Das ist völlig in Ordnung. Wir sind allerdings keine Marionetten. Wir folgen auch keinen Konzepten oder irgendwelchen Hypes, nur um in gewissen Ländern besonders gut dazustehen. Diese Amerika-Sache läuft ja auch nicht erst seit gestern. Wir hatten auch schon zu Beginn unserer Karriere einen sehr internationalen Sound am Start, der in Ländern wie Amerika oder England einfach schneller auf Resonanz stößt.

Das ist einfach so. Wir sind auch sehr glücklich über diese Entwicklung. Wir haben uns nach den ersten Erfolgen aber nicht hingesetzt und beschlossen, nur noch explizit für den amerikanischen Markt zu komponieren. Unser Erfolg in Amerika hatte keinerlei Einfluss auf unsere musikalische Entwicklung. Wir klingen so, weil wir so klingen wollen, und nicht, weil uns irgendein Land oder irgendwer in diese Richtung drängt.

Gehst du denn mit meinem Paradise Lost-meets-Evanescence-Vergleich konform?

Oberflächlich betrachtet kann man das vielleicht so sehen. Ich halte aber generell nicht viel von Vergleichen, auch wenn ich natürlich zustimmen muss, wenn es um Parallelen zwischen uns und diesen Bands geht. Jede Band hat dennoch ihren eigenen Stil, der sie zu etwas Besonderem macht.

A propos besonders: Ihr habt eure Fans in den vergangenen Jahres hier und da mit einer Coverversion beglückt. Ich erinnere mich an "Enjoy The Silence" von Depeche Mode und "Losing My Religion" von R.E.M. Kommt da noch mehr?

Nein, im Moment nicht. Wir hatten damals einfach nur Lust drauf. Das war alles. Diesmal waren wir einfach zu fokussiert und zu beschäftigt mit unseren eigenen Sachen. Aber, wer weiß? Vielleicht spielen wir für das nächste Album wieder eine Überraschung mit ein. Momentan ist das aber kein Thema bei uns.

"Afrika wäre ein Traum"

Wir haben vorhin von Amerika gesprochen. Ihr seid generell dafür bekannt, dass ihr gerne reist. Letztes Jahr verschlug es euch sogar bis nach Vietnam. Erzähl' doch mal.

Vietnam war eine großartige Erfahrung für uns. Ich meine, wir wussten nicht, was uns erwartet. Als wir dann dort ankamen standen auf einmal Dutzende Kids in unseren T-Shirts am Flughafen und feierten uns. Das war schon ziemlich abgefahren. Das ging aber noch weiter. Wir spielten dann irgendwo eine Outdoor-Show, bei der uns 10.000 Leute zujubelten.

Ich glaube, das war mit das Gigantischste, das ich je mit der Band erleben durfte. Diese Freude und dieses Feuer in den Augen der Kids werde ich nie vergessen. Es war vergleichbar mit uns in den Achtzigern, als wir das erste Mal mit Metal-Musik konfrontiert wurden. Damals sprangen wir auch bei jeder harten Gitarre vor Freude im Dreieck. Diese Atmosphäre herrschte auch in Vietnam. Man hat gemerkt, dass die Leute dort noch nicht so übersättigt sind wie in Europa oder Amerika.

Wird man nach so einer Erfahrung nicht ganz hibbelig und guckt, wo man auf der Welt vielleicht noch für Aufsehen sorgen könnte?

Ja, absolut. Ich meine, wir haben jetzt schon fast überall gespielt. Je weiter weg, desto heftiger die Erlebnisse. Der einzige Kontinent, wo wir noch nie waren, ist Afrika. Ich finde es immer wieder spannend Neues zu entdecken und mit anderen Menschen und Kulturen konfrontiert zu werden. Das belebt den Geist und erweitert den Horizont. Außerdem ist es immer wieder prickelnd, wenn man sich in eine Situation begibt, in der man nicht weiß, was auf einen zukommt.

Gab es denn irgendwo auch schon mal Probleme?

Nein, zum Glück nicht. Bisher hat alles funktioniert und jeder ist wieder heil nach Hause gekommen (lacht). Wie gesagt, Afrika wäre natürlich ein Traum, wobei ich denke, dass es aufgrund der logistischen und politischen Gegebenheiten im Norden und in der Mitte Afrikas wohl schwer werden würde. Aber im Süden? Da wäre ich sofort dabei. Vielleicht ein großes Festival in Kapstadt oder Johannesburg. Das wärs doch (lacht). Wir sind auf jeden Fall für alles offen.

Jetzt gehts aber erst einmal für drei Monate nach Amerika. Wie werdet ihr dort denn die beiden Abgänge kompensieren?

Marco (Marco Biazzi) wird die Gitarrenparts erst einmal komplett allein übernehmen, und am Schlagzeug wird Ryan Folden einspringen.

Wie sieht denn der Amerika-Fahrplan genau aus?

Wir werden zunächst eine große Package-Tour spielen um das neue Album zu promoten. Danach stehen noch einige Headliner-Shows und Festival-Auftritte an, ehe wir dann im Sommer wieder nach Europa zurückkehren.

Klingt spannend.

Ja, das wird bestimmt eine aufregende Zeit für die Band. Ich freue mich immer, wenn wir unterwegs sind. Man lernt neue Leute und Orte kennen. Das ist großartig. Ich freue mich aber auch schon wieder auf die Zeit hier in Europa.

Dann wünschen wir euch eine gute Reise und eine erfolgreiche Zeit in den Staaten. Hab' Dank, dass du dir so kurzfristig noch Zeit für uns genommen hast.

Ich habe zu danken. Wir sehen uns im Sommer wieder.

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